Ukraine
Aktuelle Lage

Liebe Freunde, Verwandte und Bekannte

Wir werden aktuell von vielen Seiten auf die aktuelle Lage in der Ukraine angesprochen und gefragt, wie es uns und unseren Lieben aus der Ukraine geht.

Hier versuchen wir, die Informationen, die uns vorliegen und die Überlegungen, die wir uns machen, mit euch zu teilen. Wir berichten einerseits über unsere familiären Verbindungen (Tanjas Mutter Galina, Bruder Sascha mit Lena und Yaroslav, Freunde und Bekannte) und andererseits, wie es um die Mitarbeitenden unserer Firma MyPAR GmbH steht und wie weit wir die Geschäftstätigkeit überhaupt noch aufrechterhalten können.

Herzlichen Dank für euer Interesse und Mitgefühl! Wir schätzen das sehr.

Tatjana, Thomas, Julia & Alexandra

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20. November 2024 - 22:15

Luda arbeitet bei der Steuerbehörde auf einem kleinen Laptop, was die Augen nach einem Arbeitstag natürlich sehr ermüdet. Die Antwort auf die Frage, warum sie nicht wie früher mit PCs und Bildschirmen arbeiteten, ist ernüchternd: beim Rückzug aus Cherson haben die russischen Besatzer alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war. Von der IT-Infrastruktur über Möbel bis zu den Teekochern. Zum Teil fehlten sogar Türen! Man erinnere sich: die Begründung Russlands für die "militärische Spezialoperation" war die Befreiung der Ukraine. Es sollte wohl eher Plünderung heissen...

Alle, die jetzt nach Verhandlungen rufen und damit de facto ein Einfrieren des Krieges in Kauf nehmen, sollten sich gut überlegen, mit wem da verhandelt wird.

19. November 2024 - 22:15

1'000 Tage Krieg! Was soll man da für Worte finden? David Nauer, Ukraine- und Russland-Korrespondent bei SRF und Kriegsreporter wider Willen, hat es versucht - und es ist ihm in seinem Artikel "Jeder Kriegstag ist wie eine Ewigkeit" ganz treffend gelungen.

18. November 2024 - 23:00

"Bei allen Problemen und Schwierigkeiten ist es auch im November 2024 viel zu früh, uns zu begraben.", schreibt Denis Trubetskoy heute in einem längeren Tweet zur aktuellen Lage in der Ukraine. Er geht nach wie vor davon aus, dass die russische Zermürbungsstrategie nicht aufgehen wird und dass Russland den ukrainischen Widerstand nicht entscheidend brechen kann. Der Ansage Trumps, den Krieg innert 24 Stunden zu beenden, blickt Trubetskoy recht gelassen entgegen: die Vorschläge, wie Trump das bewerkstelligen will, haben sich so oft geändert und sind so widersprüchlich, dass "... daraus mit der Wahrscheinlichkeit von 99,99 Prozent nichts wird. Weil Trump an einem Kriegsende zu russischen Bedingungen, welches doch wie seine Niederlage aussehen würde, aber auch kaum interessiert sein dürfte, stehen wir vor der Schlüsselfrage: Dreht er um und verstärkt die militärische Unterstützung der Ukraine - oder verliert er schlicht das Interesse und lässt das Ganze halt irgendwie laufen?"

"Der Winter wird jedoch zweifellos hart.", schliesst Trubetskoy seinen Beitrag.

17. November 2024 - 21:15

Rund 1'000 Tage nach der russischen Invasion hat die Ukraine heute einen der grössten Angriffe erlitten. In allen Landesteilen wurde die Energieinfrastruktur massiv beschädigt. Für morgen sind deshalb stundenlange Stromunterbrüche angekündigt.

Auch in Cherson kam eine Frau bei den Angriffen ums Leben. Wir hatten kurz Kontakt zu Luda, sie ist wohlauf. Allerdings hat sie ihrem Mann Jura einen gehörigen Schrecken eingejagt: der Akku ihres Mobiltelefons war leer und er konnte sie während einiger Stunden nicht erreichen. Da malt man sich natürlich die schlimmsten Bilder aus.

16. November 2024 - 21:45

Praktisch seit Beginn des Krieges unterstützt Sascha seinen Freund, der in der Ukraine geblieben ist, regelmässig. Er ist über 60 und erhält eine Rente, die aber nirgendwo hinreicht. Nun hat er eine Arbeit bei einer Tankstelle gefunden und hofft natürlich, dass er länger dort bleiben kann.

Auch vor dem Krieg war es für die älteren  Generationen nicht einfach, mit Rente und allenfalls Zusatzverdienst über die Runden zu kommen. Seit dem Krieg ist es ein täglicher Kampf ums Überleben - für sehr Viele leider nicht nur im übertragenen Sinn.

15. November 2024 - 23:15

Offenbar werden jetzt erste Quartiere in Cherson beheizt. In andern Quartieren muss zuerst die Infrastruktur noch instand gestellt werden. Heizen heisst noch nicht warm... Mehr als 15 Grad dürfte es in den Wohnungen kaum werden.

14. November 2024 - 22:45

Wie jedes Jahr Mitte November fand heute der Nationale Zukunftstag statt. Wir bei MyPAR hatten ebenfalls Besuch: Vikas Nichte hat den Tag bei uns verbracht und einen Einblick ins Thema digitale Barrierefreiheit erhalten. Wir hoffen, dass es ihr gefallen hat - schliesslich müssen wir rechtzeitig für Nachwuchs sorgen...

13. November 2024 - 22:45

Manchmal versteht man die Welt gar nicht mehr: heute haben wir erfahren, dass Igor - ziemlich genau ein Jahr, nachdem er die Schweiz verlassen hat - in die Ukraine zurückgekehrt ist. Zurzeit hält er sich in Odessa auf. Seine Beweggründe und Pläne kennen wir nicht. Wie schon bei seiner Ausreise aus der Schweiz hat er vorher offenbar kaum jemanden in die Entscheidfindung einbezogen und alle vor vollendete Tatsachen gestellt.

12. November 2024 - 22:45

Manchmal versteht man die Welt nicht mehr: gestern hat Tanja mit ihrer Jugendfreundin Luda telefoniert und dabei erfahren, dass sie vor rund einem Monat Polen verlassen hat und nach Cherson zurückgekehrt ist. Dort arbeitet sie wieder bei der städtischen Steuerbehörde. Ihr Mann Juri ist noch in Lublin geblieben. Finanzielle Engpässe und damit verbundene Existenzängste gibt sie als Gründe an. Wir sind sprachlos.

Sie meint, es sei ganz ok in Cherson. Als wir etwas insistieren, präzisiert sie, was "ok" ist: 13 Grad in der Wohnung, die zerborstenen Fenster nur notdürftig geflickt, Arbeitsplatz im Keller, mit 55 Jahren zu den jüngsten Stadtbewohnern gehören.

Wir hoffen natürlich sehr, dass sie unversehrt bleibt - und ihre Entscheidung vielleicht doch noch mal überdenkt.

11. November 2024 - 23:45

Heute vor zwei Jahren wurde die Stadt Cherson von der russischen Besatzung befreit und steht seither wieder unter ukrainischer Kontrolle. Wir hatten uns damals in unserem Blog-Beitrag gefragt: "Ziehen sie [die russischen Truppen] sich weiter in Richtung Osten / Krim zurück? Versuchen sie mit allen Mitteln, sich am Ostufer des Dnjepr festzuklammern  - allenfalls mit der Option, irgendwann dann auch wieder Richtung Stadt Cherson vorzustossen?". Leider ist die Antwort auf die beiden Fragen "Nein - Ja": bis heute steht Cherson täglich unter Beschuss vom Ostufer des Dnjepr. Anzeichen, dass es in nächster Zeit zu einer erneuten Besatzung kommt, gibt es zwar nicht. Aber die Absicht des Kremls ist klar und wird auch kaum mehr verschleiert mit irgendwelchen Befreiungsfantasien: Russland will zur Grossmacht in Europa werden. Und da ist die Ukraine erst der erste Schritt. Wie weit lassen wir es kommen?

10. November 2024 - 23:00

Heute liessen wir uns - zusammen mit einigen unserer ukrainischer Freunde - vom Zirkus Knie verzaubern. Roma hatte den Besuch angeregt. Vor zwei Jahren, kurz nachdem er in die Schweiz gekommen war, hatten wir die Vorstellung ebenfalls zusammen besucht. Es tut gut, sich zwischendurch einfach in eine andere Welt versetzen zu lassen und die umwerfende Akrobatik zu geniessen.

9. November 2024 - 23:00

Vor einem Jahr hatte der Bund das Ziel festgesetzt, dass bis Ende 2024 vierzig Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer mit Status S in den Arbeitsmarkt integriert sind. Aktuell liegt die Quote bei 29% und damit deutlich unter dem gesteckten Ziel. Betrachtet man nur diejenigen, die bereits seit zwei Jahren in der Schweiz sind, dann liegt die Quote immerhin bei 35%. Der Beitrag im Echo der Zeit von gestern erläutert die Hintergründe.

8. November 2024 - 21:30

Tanjas Mutter hat sich darüber beklagt, dass sie den ganzen Tag nichts gemacht hätte. Wir wissen, dass sie für uns drei Stunden gebügelt hat, für die Verkäuferin mit weissrussischen Wurzeln aus dem Bahnhofsladen eine Bortschsch gekocht hat und natürlich auch ihr tägliches Fitnessprogramm nicht fehlen durfte... Und das mit beinahe 88 Jahren!

Der Arztbesuch vor kurzem hat ebenfalls bestätigt, dass sie für ihr Alter kerngesund ist. Wir freuen uns und sind extrem dankbar dafür.

7. November 2024 - 23:15

"Nach der Wahl Trumps könnten harte, sehr harte Zeiten auf die Ukraine zukommen. Aber viele Ukrainerinnen und Ukrainer sind überzeugt, dass sie auch dies überstehen werden.", schreibt David Nauer, Ukraine- und Russland-Korrespondent bei SRF, zusammenfassend zum Wahlergebnis in den USA. Das trifft es wohl nicht so schlecht.

6. November 2024 - 20:45

In weiten Teilen der Ukraine ist es bereits kühl bis kalt. In Cherson ist es ähnlich wie hier tagsüber leicht über 10, in der Nacht auch schon mal unter 5 Grad. Geheizt wird vielerorts noch gar nicht oder nur auf Sparflamme. Auf die Menschen vor Ort kommt wohl der härteste Winter seit sehr langer Zeit zu.

5. November 2024 - 22:45

Es drängt sich auf, heute etwas zu den Wahlen zu schreiben - allerdings nicht zu den omnipräsenten Wahlen in den USA: Am letzten Sonntag gewann Maia Sandu die Stichwahl und bleibt damit weitere vier Jahre Präsidentin der Moldau. Die Wahlen fanden unter massiver Einflussnahme Russlands statt. Wie man sich das vorstellen muss, beschreibt ein Wikipedia-Artikel zu den Wahlen in der Moldau.

Sandu gewann letztlich dank der Stimmen aus der Hauptstadt Chisinau und den vielen im Ausland lebenden Stimmberechtigten. Der Kommentar aus Russland war nicht anders zu erwarten: die Wahlen seien vom Ausland beeinflusst, Sandu entsprechend nicht die legitime Präsidentin. Die übliche Diffamierungs- und Destabilisierungstaktik ist dieses Mal zum Glück nicht ganz aufgegangen.

4. November 2024 - 23:15

In Cherson leben aktuell noch ungefähr 5'000 Kinder, ein Bruchteil im Vergleich zu vor dem Krieg. Aktuell wirft der Bau einer unterirdischen Schule in einem stark beschossenen Stadtteil grosse Wellen: es besteht der Verdacht, dass es gar nicht wirklich um den Bau der Schule geht, sondern sich irgendwer Aufträge zugeschanzt hat und Geld gewaschen wird. Sogar wenn die Schule geschützt ist: wer wird seine Kinder zwischen Drohnen und Raketen auf den Schulweg schicken?

Korruption war vor dem Krieg eines der Hauptprobleme der Ukraine. Vor allem mit der Digitalisierung von Behördenleistungen wurde versucht Gegensteuer zu geben. Ganz eingedämmt werden konnten diese Machenschaften aber bis heute nicht.

3. November 2024 - 19:30

Eisbaden im Thunersee - das hier in der Schweiz entdeckte neue Hobby - hilft Sascha und Lena, die ganze Situation, die trotz bester Integration halt doch auch noch anstrengend und belastend ist, für ein paar Momente hinter sich zu lassen. Allein die Sprache ist nach wie vor herausfordernd, sobald es über die normale Alltagskonversation hinaus geht. Das kostet Energie, die beim Eisbaden wie von selbst wieder zurückkehre.

2. November 2024 - 22:45

Verständlicherweise sind die Medien aktuell von anderen Themen des Weltgeschehens dominiert als vom Krieg in der Ukraine. Was nicht heisst, dass sich die Lage beruhigt hätte - im Gegenteil: Getötete Zivilisten in Charkow, massive Drohnenangriffe in Kiev, Vorrücken der Russen im Donbass - es bleibt schwierig und unerträglich für die Bevölkerung...

1. November 2024 - 22:15

Wir haben wieder von einer Frau gehört, die in die Ukraine zurückgekehrt ist und nun wieder in der Schweiz lebt. Die pflegebedürftigen Eltern waren bei ihr der Grund, vorübergehend wieder in die Ukraine zurückzukehren. Nach deren Tod blieb sie allein zurück und hat sich im August entschieden, wieder in die Schweiz zu kommen. Aufgrund ihrer plausiblen und nachvollziehbaren Geschichte hat sie den Status S in kurzer Zeit wieder erhalten und nun auch bereits eine Arbeit gefunden.

31. Oktober 2024 - 23:30

Die aktuelle militärische Lage ist für die Ukraine sehr, sehr schwierig. Zugesicherte Hilfen aus den USA und andern Ländern treffen verspätet oder nur in Teilen ein, es wird viel diskutiert, aber nur wenig gehandelt. Die ukrainischen Streitkräfte sind im Dauereinsatz, Rotationen zur Erholung werden kürzer und kürzer.

Die Kurznachricht auf SRF.ch bringt es auf den Punkt: Man müsse der Ukraine unbedingt helfen, sagte der im Exil lebende russische Bürgerrechtler Oleg Orlow der Deutschen Presse-Agentur. Denn: «Eine Niederlage hätte schreckliche Folgen für sie wie auch für mein Land.» Der 71-Jährige mahnte die europäischen Länder, sich nicht vom russischen Präsidenten Wladimir Putin einschüchtern zu lassen, und warnte vor falschen Kompromissen. In der Unterstützung für die Ukraine und einer möglichen Niederlage Moskaus liege die wichtigste Chance für eine künftige Demokratisierung Russlands. Ein Sieg Russlands bedeute jedoch, dass «nach Putin wieder Putin kommt».

30. Oktober 2024 - 22:00

Lenas Mutter hat heute noch etwas ausführlicher von ihrer Reise in die Ukraine berichtet. Speziell aufgefallen sind ihr die gestiegenen Preise: praktisch alles ist in den letzten zwei Jahren massiv teurer geworden. So war zum Beispiel bis zum Krieg der städtische öffentliche Verkehr für Pensionierte kostenlos. Nun bezahlen sie den halben Tarif. Die Ticketpreise haben sich mehr als verdoppelt. Das Beispiel liesse sich auf x andere Lebensbereiche ausdehnen.

29. Oktober 2024 - 23:15

In einem Zeitungsartikel wurden der nordkoreanische und der russische Diktator kürzlich als "Diktatoren-Traumpaar" bezeichnet. Wie lange die Traumpaar-Beziehung hält ist mehr als fraglich. Aktuell sind sie offenbar aufeinander angewiesen, gleichzeitig geht es nur um den eigenen Machterhalt. Unklar, welche Dynamik sich entwickelt, wenn nordkoreanische Soldaten tatsächlich im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine auftauchen. Frieden sieht definitiv anders aus!

28. Oktober 2024 - 23:30

In Moldau und in Georgien fanden in den letzten zwei Wochen Wahlen statt. In beiden Ländern ist die Einflussnahme Russlands unverkennbar. In beiden Ländern gab es nach dem Zerfall der Sowjetunion zwar kurze, aber intensive von Russland provozierte Kriege. Das Resultat ist in beiden Fällen ein eingefrorener Konflikt, der es Russland ermöglicht, die beiden Länder fast nach Belieben zu beeinflussen und zu destabilisieren. So geschehen in den letzten Wochen rund um die Wahlen. Zwei Beispiele, die gut illustrieren, was Russland unter völkerrechtlich anerkannten Grenzen, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie versteht...

Artikel vom 29. Februar 2024 auf dw.de zur Moldau

Über den Georgienkrieg von 2008 auf lpb-bw.de

27. Oktober 2024 - 17:30

Lenas Mutter Luba ist gestern sehr müde, aber gut wieder in der Schweiz angekommen. Müde deshalb, weil sie in der Ukraine nebst dem Besuch der Familie ein recht anstrengendes und zum Teil zeitraubendes Programm hatte (Zahnarztbesuch, SIM-Karte ersetzen, Bankkonto bereinigen usw.). Dazu kommt, dass sie bei der Ausreise aus der Ukraine 12 Stunden an der Grenze warten musste. Normalerweise legt der Fernbus die Strecke in wenigen Stunden zurück. Der Grenzübertritt bleibt jedoch unberechenbar.

Aber das wichtigste ist, dass alles wie geplant geklappt hat und sie gut wieder hier angekommen ist. Willkommen zurück!

26. Oktober 2024 - 22:45

Freunde haben uns heute gefragt, ob wir noch Kontakt zu unseren Verwandten in Russland hätten. Die Antwort ist: ja. Allerdings grösstenteils reduziert auf "Small talk", d.h. Gratulationen zum Geburtstag oder ein kurzer Austausch an Feiertagen.

Wir können nicht sagen, was sie wirklich über den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wissen und noch weniger, wie sie darüber denken. Das Thema anzusprechen ist heikel und könnte sie in ernsthafte Schwierigkeiten bringen. Freie Meinungsäusserung ist innerhalb von Russland nur noch im geschützten Umfeld möglich. Online und erst recht mit Personen im "feindlichen" Ausland ist zum Selbstschutz grösste Vorsicht geboten.

Wir gehen davon aus, dass die meisten unserer Verwandten wohl zum russischen Mainstream gehören, die versuchen, den Angriffskrieg, den ihr Land gegen ihr Nachbarland führt, zu verdrängen.

25. Oktober 2024 - 23:30

Die US-amerikanisch-polnische Journalistin, Kolumnistin und Historikerin Anne Applebaum erhielt kürzlich den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. In ihrer Dankesrede rief sie zu anhaltendem Widerstand gegen Russlands Aggression auf und sagte unter anderem:

„Die Russen haben diesen Krieg doch längst eskalieren lassen. Sie haben Konzentrationslager in der Ukraine errichtet. Sie entführen Kinder. Sie haben einen Damm zerstört, was unbeschreibliche ökologische Schäden angerichtet hat. Sie bombardieren Städte und zivile Infrastruktur. Sie begehen Verbrechen, für die der Begriff »Menschenrechtsverletzung« viel zu schwach ist. Das sind totalitäre Praktiken. Es ist ein Ausmass der Zerstörung, wie wir es in Europa seit 1945 nicht gesehen haben. Wenn wir Putin erlauben, uns zu drohen, zu definieren, was Eskalation bedeutet, dann verlieren wir.“

Geheimdienste rechnen damit, dass bereits in den nächsten Tagen nordkoreanische Soldaten an der Seite Russlands in der Ukraine kämpfen werden. Schaut der Westen auch hier einfach zu oder wird diese weitere eklatante Eskalation endlich zum Weckruf?

24. Oktober 2024 - 22:45

Ein kürzlich unter dem Titel "Russen machen Jagd auf Zivilisten in Cherson" veröffentlichter Beitrag über Cherson zeichnet ein sehr düsteres Bild.

Der Artikel endet mit dem Satz "Nachdem die russischen Angreifer die Stadt nicht halten konnten, zerstören und entvölkern sie sie nach und nach. Vom ursprünglichen Ziel, die Ukraine zu erobern, sind sie – wie das Beispiel Cherson zeigt – zur offenen Vernichtung der Zivilbevölkerung übergegangen.".

23. Oktober 2024 - 23:15

Wir haben für die Ukrainerin, die vor einigen Monaten in die Ukraine zurückgekehrt ist und nun aufgrund der nach wie vor unerträglichen Situation gerne wieder zurückkommen würde, abgeklärt, wie die Schweiz solche Fälle handhabt: falls sie in keinem anderen Land einen Schutzstatus beantragt und erhalten hat stehen die Chancen gut, dass sie hier erneut den Status S erhält. Im Gegensatz zu den ersten Kriegsmonaten werden allerdings viel umfangreichere Abklärungen gemacht, bevor die Gesuche bewilligt werden. Das kann Wochen bis Monate dauern. In dieser Zeit hat sie kaum Chancen auf eine eigene Wohnung, sie wäre also in einer Asylunterkunft untergebracht. Sie darf nicht arbeiten und kann auch kein Bankkonto eröffnen.

Aktuell scheint uns der Verzicht auf den Status S wirklich nur dann sinnvoll, wenn man sich ein exaktes Bild der Lage am Rückkehrort gemacht hat und die Ausreisenden einen Plan haben, wie sie den Lebensunterhalt verdienen und den Alltag gestalten können. Ob der Plan aufgeht ist dann nochmal eine andere Frage. Er kann sich rasch in Luft auflösen - zum Beispiel weil sich die russischen Angreifer eine neue Stadt als Ziel für ihre Angriffe auf Zivilisten ausgesucht haben.

22. Oktober 2024 - 23:45

Per Zufall heute irgendwo in den sozialen Medien aufgeschnappt:

2019. Du bist 30 Jahre alt. Melitopol. Wir sind zu Hause. Glücklich. Zusammen.
2024. Heute wirst du 35 Jahre alt. Ich bin in Berlin. Du bist in russischer Gefangenschaft. Dein zweiter Geburtstag im russischen Gefängnis.

Wenn wir ukrainischen Flüchtlingen begegnen sollten wir uns immer bewusst sein, dass wir oft nur denjenigen Teil des Eisbergs sehen, der aus dem Wasser schaut. Unzählige Schicksale und traumatische Erlebnisse bleiben in der Tiefe verborgen.

21. Oktober 2024 - 22:00

Vor ein paar Tagen hat sich eine Ukrainerin gemeldet, die vor rund vier Monaten die Schweiz verlassen hat und in die Ukraine zurückgekehrt ist. Sie kommt aus dem Grossraum Kiev und ging davon aus, dass es die Situation dort zulässt, einigermassen normal zu leben. Dem ist leider nicht so. Sie sagt, mit den Stromausfällen und den Unterbrüchen bei der Wasserversorgung könne man sich noch einigermassen arrangieren. Die ständige Gefahr durch herumfliegende Drohnen und die Sirenenalarme kosteten hingegen sehr viel Energie. Sie bereut die Rückkehr und käme insbesondere für den Winter gerne wieder in die Schweiz. Wir wissen es nicht, bezweifeln aber, dass das so einfach möglich ist.

20. Oktober 2024 - 22:00

Lenas Mutter Luba ist gut bei Tochter Oksana in der Ukraine angekommen. Mit der langen Anreise - in die Ukraine gibt es seit Beginn der russischen Invasion keine Linienflüge mehr - bleibt netto nicht so viel Zeit.

So oder so dürfen Flüchtlinge aus der Ukraine mit Schutzstatus S sich maximal 15 Tage pro Quartal in der Ukraine aufhalten. Bleiben sie länger, wird ihnen der Schutzstatus S entzogen. Reisen sie innerhalb der Schengenstaaten, dann gilt eine maximale Aufenthaltsdauer ausserhalb der Schweiz von 90 Tagen pro Halbjahr. So soll verhindert werden, dass jemand Schweizer Asylsozialhilfe bezieht, aber seinen Lebensmittelpunkt anderswo hat.

19. Oktober 2024 - 22:15

Vor einem Jahr hat Ihor, der Cousin von Serhii, die Schweiz in Richtung Polen verlassen. Sein Ziel war, dort wieder in seinem Beruf als Matrose arbeiten zu können. Er lebt und arbeitet heute immer noch in Polen, mit der Stelle als Matrose hat es allerdings bis jetzt noch nicht geklappt.

18. Oktober 2024 - 23:00

Kürzlich sind wir auf einen Artikel gestossen, der vor fast genau zehn Jahren, am 31. August 2014, gleichzeitig in mehreren europäischen Medien erschienen ist. Verfasst hat ihn eine Gruppe polnischer Intellektueller.

Schon der Titel lässt aufhorchen: "Gestern Hitler und Danzig, heute Putin und Donezk". Es ist ein Appell, nicht die gleichen Fehler wie 75 Jahre zuvor, zu wiederholen. Leider verhallte der Appell weitgehend ungehört. Weniger als zehn Jahre nach der von Russland unterstützten Destabilisierung des Donbass und der Annektion der Krim ging die Aggression Russlands weiter. Und es gibt keine Anzeichen, dass es Russland nur auf die Ukraine abgesehen hat - im Gegenteil!

Auf welt.de kann der vollständige Artikel auf deutsch nachgelesen werden - lesenswert!

17. Oktober 2024 - 22:30

Wir sind mit MyPAR nun bereits seit einem Monat in den neuen Büro-Räumlichkeiten im Gebäude der Nexplore in Thun. Wir fühlen uns sehr wohl und gut aufgenommen. Am heutigen gemütlichen "Meet & Greet"-Apéro konnten wir den Austausch weiter vertiefen und "networken" - natürlich auf deutsch und teilweise sogar schon auf Bärndütsch.

16. Oktober 2024 - 22:15

"Wir müssen an die Westgrenze der Ukraine vordringen und eine Pufferzone auf dem Territorium (!!!) der NATO Staaten schaffen." So der Putin-Partei Duma Abgeordnete Andrej Gurolow kürzlich auf dem landesweiten Sender "Rossija 1". Andrej Gurolow ist schon früher aufgefallen mit ähnlichen Aussagen. So wollte er beispielsweise schon die Niederlande mit Atomwaffen angreifen, um die Energieinfrastruktur in Europa nachhaltig zu zerstören.

Wir sollten solche Aussagen nicht einfach als Spinnerei eines verrückten ehemaligen Militärs abtun. Einerseits gibt es tatsächlich nicht wenige, die diese Strategie durchaus in Betracht ziehen. Viel stärker ins Gewicht fällt, dass solche extreme Positionen die Grenzen des Sagbaren verschieben. Angriffe auf London, Berlin und Paris sind vielleicht schon etwas krass, Warschau und das Baltikum werden dadurch aber plötzlich "normal". Das ist Teil der perfiden Propagandastrategie Russlands.

15. Oktober 2024 - 22:00

Nach mehr als zwei Jahren in der Schweiz ist Lenas Mutter Luba heute zum ersten Mal in die Ukraine zurückgereist. Zuerst macht sie Halt bei ihrer Enkelin und den Urenkeln in Polen und reist von dort dann weiter zu Oksana, die mit ihrem Mann nach wie vor in Lviv (Lemberg) im Westen der Ukraine lebt. Insgesamt bleibt sie rund zehn Tage dort und kommt dann wieder zurück in die Schweiz. Wir wünschen eine gute Reise und eine schöne Zeit mit ihren Lieben.

14. Oktober 2024 - 21:45

In den letzten zwei Wochen hat sich in der Ukraine nichts Wesentliches verändert. Mit einem Minimum an Ressourcen verteidigt die Ukraine ihre Unabhängigkeit (und damit auch ein Stück weit unsere Freiheiten) während Russland nach wie vor in Kauf nimmt, dass pro Tag (!) um die 1'000 eigene Soldaten getötet werden.

Wie das den Alltag der Bevölkerung prägt und auch zermürbt zeigt exemplarisch der aktuelle Artikel des Fotografen Lesha Berezovskiy, der in unregelmässigen Abständen in der Republik übers Leben und Arbeiten in Kiew in Zeiten des Krieges berichtet.

PS: Die Republik gibt's aktuell zum reduzierten Preis - 222 CHF für ein Jahr unabhängigen, werbefreien Journalismus.

26. September 2024 - 23:45

An der UNO-Generalversammlung diese Woche gab es viele Statements für die Ukraine und zum Teil sehr unmissverständliche Worte in Richtung Moskau. Das ist gut, hilft der Ukraine aber leider nur wenig bei der Verteidigung ihrer völkerrechtlich anerkannten Grenzen. Es gibt auch viele warnende Stimmen, die im Falle einer Schwächung oder gar Niederlage der Ukraine weitere, westlicher gelegene Länder Europas bedroht sehen. Wir teilen diese Sicht. Das russische Regime kennt keine Grenzen, ein Grossteil der Bevölkerung ist abhängig oder gefügig oder gleichgültig gemacht worden. Je später der Westen das erkennt und vehement Gegensteuer gibt, desto teurer wird es uns zu stehen kommen.

In eigener Sache: Ab morgen sind wir für zwei Wochen in den Ferien. Der nächste Beitrag kommt deshalb erst am Montag, 14. Oktober.

25. September 2024 - 22:00

Ungefähr in 10 Minuten Fussdistanz von Galinas Wohnung in Cherson befand sich ein Supermarkt, wo wir oft einkauften. Das Geschäft gab es schon zu Sowjetzeiten - damals noch mit den grimmig drein schauenden Angestellten, die den Eindruck vermittelten, um jeden Preis verhindern zu wollen, dass man ihnen etwas abkauft. Die Liegenschaft wurde mehrmals umgebaut und beherbergte bei Kriegsbeginn einen gut frequentierten, mittelgrossen Laden, vergleichbar mit einem Aldi oder Lidl.

Heute schlug in unmittelbarer Nähe eine Drohne mit Sprengladung ein und zerstörte einen Teil des Geschäfts. Ob Menschen zu Schaden kamen und wie gross die Zerstörung ist, können wir nicht abschätzen. Aber es trifft einen schon noch einmal härter, wenn man sich den Ort genau vorstellen kann und man selber oft dort war. Wie viel schlimmer muss es für die Menschen sein, die dort gewohnt haben oder immer noch dort leben.

24. September 2024 - 22:45

Die Untersuchungskommission der UN zur Ukraine hat gestern auf ihrer Website ein Update ihrer Untersuchungen zu Menschenrechtsverletzungen publiziert. Nicht wirklich überraschend findet sie neue Beweise für systematische Foltermethoden russischer Behörden in den besetzten Gebieten. Sie weist auch darauf hin, dass die Zerstörung der Energieinfrastruktur insbesondere ältere Menschen und Menschen mit Beeinträchtigungen besonders stark trifft, weil sie beispielsweise im Notfall Schwierigkeiten haben, Notunterkünfte zu erreichen, weniger Zugang zu lebensrettenden medizinischen Geräten haben und zunehmend isoliert waren, was ihre Verletzlichkeit noch verstärkte.

Die Untersuchungskommission wurde am 4. März 2022, also unmittelbar nach der russischen Invasion, eingesetzt, um Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen des humanitären Völkerrechts und generell Verbrechen im Zusammenhang mit dem russischen Angriff auf die Ukraine zu untersuchen.

Mehr Informationen und viele Unterlagen finden sich auf der Website der "Independent International Commission of Inquiry on Ukraine".

23. September 2024 - 22:00

Falls jemand noch auf der Suche nach einem Lesestoff für die Herbstferien ist, können wir das "Tagebuch aus Cherson" empfehlen. Es geht um die Aufzeichnungen eines 73-jährigen Manns aus Cherson, die er seiner Tochter Anna regelmässig zukommen lässt. Anna lebt mit ihrer Familie in Israel. Er ist fest entschlossen, in Cherson zu bleiben - bis er sich im November 2022 doch entscheidet, zu seiner Tochter zu fliehen.

Keine leichte Strandlektüre, aber ein Zeitdokument, das eindrücklich zeigt, wie sich das Leben von Millionen von Menschen mit Beginn der russischen Invasion auf einen Schlag verändert hat.

22. September 2024 - 22:45

Der Jugoslawienkrieg dauerte insgesamt zehn Jahre, von 1991 bis 2001. Es gibt verschiedene Parallelen, aber natürlich auch grosse Unterschiede zum Krieg in der Ukraine. So haben zum Beispiel viele Menschen aus dem Balkan beim Kriegsausbruch in der Ukraine sofort gesagt, dass das lange dauern wird - auch sie hatten damals zu Beginn die Hoffnung, nach ein paar Monaten sei alles vorbei. Ein grosser Unterschied sind die Kommunikationsmöglichkeiten. Im Jugoslawienkrieg haben Familien zum Teil über Wochen nichts voneinander gehört, weil es schlicht keine Möglichkeit gab, in Verbindung zu treten. Den Ukrainekrieg kann man hingegen sozusagen live mitverfolgen - mit dem grossen Vorteil, dass der Kontakt untereinander in den allermeisten Fällen praktisch immer möglich ist.

Die 25-jährige Elma Softic hat bosnische Wurzeln und arbeitet als Reporterin bei SRF. Sie selber ist hier aufgewachsen, die Schweiz ist ihre Heimat. Die Generation ihrer Eltern hingegen zieht es oft zurück in die alte Heimat. In ihrem Artikel für SRF beschreibt sie, wie es ist, wenn man zwei Heimaten hat. In 10-20 Jahren dürften viele ukrainische Familien vor denselben Fragen und Herausforderungen stehen.

21. September 2024 - 22:30

In den letzten Tagen ist es der Ukraine gelungen, mehrere Munitionsdepots in Russland mit Drohnenangriffen zu zerstören. Im Moment ist die Ukraine auf russischem Territorium erfolgreicher als entlang der Frontlinie... Für Russland dürfte das in mehrerer Hinsicht problematisch sein: die eigene Bevölkerung ist direkt konfrontiert mit den Auswirkungen des Krieges, die russische Führung ringt nach Erklärungen, warum diese Depots nicht besser geschützt werden konnten. Und der Verlust der in die Luft geflogenen Munition schränkt den Nachschub empfindlich ein - und rettet damit Menschenleben und Infrastruktur in der Ukraine.

20. September 2024 - 21:15

Kurzer Besuch heute bei Sascha und Lena: Lena hatte eine Frage zu ihrem öV-Abo. Zuerst hätte sie mich anrufen wollen, dann sei sie aber an den Schalter gegangen und habe alles klären können. Sascha hat von seiner Arbeit erzählt - rund 30% der Wörter auf deutsch (darunter viele Fachbegriffe, die wir weder auf deutsch noch auf russisch verstehen...). Wir sind so stolz auf euch, was ihr erreicht habt!

Weniger gut geht es Hündin Sabbi. Mit ihren 17 Jahren steckt sie bereits weit in ihrem letzten Lebensabschnitt und man merkt ihr die Altersgebrechen an. Im Durchschnitt werden Labradore 10- bis 12-jährig.

19. September 2024 - 23:00

Die Zahl der in der Schweiz lebenden Ukrainerinnen und Ukrainer ist immer noch ziemlich konstant um die 66'000. Rund 29'000 haben ihren Status S beendet.

Die Bevölkerung in der Ukraine ist stark rückläufig: Als die Ukraine im Jahr 1991 unabhängig wurde, zählte sie noch 52 Millionen Einwohner. Zuletzt waren es noch knapp 35 Millionen. Rund 4 Millionen davon leben in russisch besetzten Gebieten. Prognosen gehen davon aus, dass die Bevölkerung in den nächsten Jahren weiter schrumpfen wird.

18. September 2024 - 22:15

Viele Wohnungen und Häuser von geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern stehen leer - im besten Fall! Heute hat eine Frau aus Henichesk, einer Kleinstadt am Asowschen Meer, nicht weit von Cherson, erzählt, sie hätte ihr Haus gratis einer Familie überlassen. Sie sei froh, wenn jemand dort wohne, während sie weit weg in der Schweiz sei. Es gehört zur systematischen Russifizierung, dass in unbewohnte Liegenschaften eingebrochen wird und sich neue Bewohner dort niederlassen.

17. September 2024 - 22:30

Das "Wall Street Journal" hat recherchiert und kommt zum Schluss, dass der Krieg in der Ukraine bisher über eine Million tote oder schwerverletzte Soldaten gefordert hat. Die Zeitung geht von weit höheren Verlusten auf russischer Seite aus. Russland schickt einfach immer wieder neue Soldaten an die Front - Überlebenschance gering. Was rechtfertigt diese hohen Opferzahlen? Eigentlich nichts. Ausser die fast an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, dass Russland nicht an den ukrainischen Grenzen Halt machen würde, wenn sich die Ukraine auf einen Waffenstillstand einlassen würde.

16. September 2024 - 22:15

Unter dem Titel "Tiefe Einblicke in Putins Lügenmaschine" ist heute auf tagesschau.de ein interessanter Artikel erschienen, der die Systematik zeigt, wie mit von Russland orchestrierten Desinformationskampagnen die Stimmung im Westen beeinflusst werden soll. Eine der dahinter steckenden russischen Agenturen macht kein Geheimnis daraus, wie sie vorgehen: "Informationen aus dem westlichen Medienbereich sammeln und analysieren, eigene Narrative entwickeln und diese in Content verpacken". Daraus entstehen Social Media Posts, die mit Bots verbreitet werden, Karikaturen, gefälschte Websites und sogar Graffiti-Vorlagen, die für jeden sichtbar auf Gebäude gesprüht werden sollen. Die Kampagnen richten sich insbesondere gegen Deutschland, Frankreich und die USA.

Vollständigen Artikel auf tagesschau.de lesen

15. September 2024 - 23:00

Satire und Humor helfen oft über die grausamsten Situationen hinweg. So gibt es auch zum Krieg in der Ukraine zahlreiche satirische Beiträge zum aktuellen Geschehen. Unter dem Pseudonym "Freeonis" publiziert ein ukrainischer Satiriker Animationen zum Krieg. Vor kurzem zum Beispiel zu den oft zitierten roten Linien des Kremls, deren Überschreitung bisher folgenlos blieb.

Link zum YouTube-Kanal: https://www.youtube.com/@freeonis
Die Animationen sind russisch oder ukrainisch vertont mit englischen Untertiteln. Die Untertitel können auch auf deutsch angezeigt werden.

14. September 2024 - 22:15

In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinden bedauert der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, «dass die Nato-Verbündeten und die Nato selbst nicht mehr getan haben, um die Ukraine früher zu stärken. ... Jetzt rüsten wir die Ukraine im Krieg aus, damals hätten wir die Ukraine ausrüsten können, um einen Krieg zu verhindern.». Im Nachhinein weiss man es natürlich immer besser. Aber aus heutiger Sicht kann man sich schon kaum erklären, wie wir im Westen, aber auch weite Teile der ukrainischen Bevölkerung, die seit 2014 andauernde Besetzung ukrainischer Gebiete einfach ignorieren konnten. Es ist zu hoffen, dass wir uns in ein paar Jahren nicht wundern werden, warum die Ukraine ab 2022 nicht stärker unterstützt wurde und sich der Westen nicht noch viel entschlossener gegen die russische Invasion in der Ukraine gestellt hat...

13. September 2024 - 22:00

2.3 Millionen Rubel oder umgerechnet gut 21'000 Schweizer Franken kriegt man in Moskau, wenn man für einen Einsatz im Krieg - oder nach russischer Lesart immer noch "Militärische Spezialoperation" - unterschreibt. Die Prämien wurden in den letzten zwei Jahren immer wieder erhöht, weil die Rekrutierung schwieriger wurde. Schwieriger heisst aber noch lange nicht unmöglich - Putin weiss haargenau, dass es immer noch genügend Nachschub gibt. In vielen Regionen Russlands ist der Dienst im Militär oft der einzige Weg für eine Familie, einigermassen über die Runden zu kommen. Perfides Kalkül.

12. September 2024 - 22:45

Tanjas Mutter geht es nach wie vor sehr gut in ihrem Zuhause in Oberdiessbach. Einzig eine grössere Zahnsanierung ist nötig geworden. Sie trägt das aber mit viel Geduld. Was wesentlich zu ihrem Wohlbefinden beiträgt sind die zahlreichen Besuche von vielen lieben Leuten. Ganz herzlichen Dank dafür!

11. September 2024 - 22:45

Heute konnten wir unsere neuen MyPAR-Büroräumlichkeiten als Untermieter bei der Firma Nexplore in Thun beziehen. Wir freuen uns, mehr Leute als bisher um uns zu haben und damit auch mehr Gelegenheiten für Vika, Roma und Sergej, die immer besseren Deutschkenntnisse auch im Alltag anzuwenden.

10. September 2024 - 22:45

Unfassbar hohe Zahlen, veröffentlicht heute Abend von SRF:

Landminen schmälern einer Schätzung zufolge das ukrainische Bruttoinlandsprodukt (BIP) um jährlich 11.2 Milliarden Dollar. Das entspricht etwa 5.6 Prozent des nationalen Wohlstands in der Ukraine gemessen an der Wirtschaftsleistung im Jahr 2021, wie aus einem Bericht des ukrainischen Wirtschaftsministeriums und des Tony Blair Institute for Global Change hervorgeht.

Die Studie ergab, dass die regionalen Steuereinnahmen aufgrund der Minen um etwa 1.1 Milliarden Dollar geringer ausfielen und der Wert der ukrainischen Exporte um etwa 8.9 Milliarden Dollar zurückging. Aus den Daten des Landwirtschaftsministeriums geht hervor, dass etwa 2.5 Prozent des Ackerlandes vermint und unbrauchbar geworden sind. Die Weltbank schätzt, dass etwa 34.6 Milliarden Dollar erforderlich wären, um die Ukraine sicher zu entminen.

9. September 2024 - 22:45

Gute Neuigkeiten von Romas Eltern: der defekte Stromgenerator konnte repariert werden - und kam prompt am Wochenende bereits zum ersten Mal zum Einsatz. Der Strom fiel für längere Zeit aus.

8. September 2024 - 22:15

Auf Play Suisse ist seit kurzem die zweite Staffel von "In Her Car" verfügbar. Die 10-teilige ukrainische Serie wurde 2023 in der Ukraine gedreht und von mehreren europäischen öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten mit finanziert. Im Zentrum steht die ukrainische Psychotherapeutin Lydia, die zu Beginn des Krieges mit ihrem Privatwagen Menschen zu deren Familien oder an die polnische Grenze bringt. Jede Episode zeigt die Geschichte eines Fahrgasts. Lydia ist eine fiktive Figur, die Episoden der Fahrgäste sind aber von wahren Begebenheiten inspiriert. Sehenswert!

7. September 2024 - 22:15

Ziemlich genau vor einem Jahr haben wir die Familie von Vikas Schwester zum ersten Mal gesehen, damals in der Kollektivunterkunft in Grindelwald. Seither ist vieles passiert: zuerst die perfekte Wohnung in Meiringen, nach kurzer Zeit der Schock, die Wohnung wieder verlassen zu müssen, weil der neue Eigentümer Eigenbedarf geltend machte, nach langer Suche eine neue Wohnung in Spiez, wo sie nun seit zwei Monaten leben. Die beiden älteren Kinder haben sich gut in den neuen Klassen eingelebt, der Vater kann nach wie vor arbeiten und nun hat Vikas Schwester ebenfalls eine Teilzeitstelle in einer Bäckerei erhalten. Schritt für Schritt geht's vorwärts.

6. September 2024 - 21:45

Auf Social Media sieht man ab und zu Ausschnitte aus russischen Talkshows, die zur besten Sendezeit ausgestrahlt werden. Eine auf den ersten Blick seriös anmutende Runde diskutiert irgendwelche abstrusen Szenarien. So forderte kürzlich einer der Propagandisten, Washington und London mit einer Bombe dem Erdboden gleich zu machen und das Geschehen live auf YouTube zu übertragen, damit die westliche Welt erkenne, dass mit Russland nicht zu spassen sei. Solche extreme Positionen werden ganz bewusst eingesetzt, um zu relativieren: die Haltung des Kreml wirkt daneben schon fast moderat.

Oftmals hört man in Interviews mit der russischen Bevölkerung, dass sie aufgehört hätten, die Nachrichten und Debatten am Fernseher zu verfolgen. Es mag sein, dass sich viele nicht mehr so bewusst vor den Fernseher setzen und Sendungen konsumieren. Auszüge dieser Sendungen sind aber omnipräsent: auf Social Media, auf öffentlichen Bildschirmen, überall. Dazu kommt, dass in vielen russischen Haushalten der Fernseher oft einfach eingeschaltet ist ohne dass man bewusst schaut. Ob man will oder nicht wird man mit der Propaganda berieselt und irgendwann bleibt irgendetwas hängen.

5. September 2024 - 23:00

Schon mal etwas von FSD gehört? Wir bis vor kurzem auch nicht. FSD steht für "Fondation Suisse de Déminage". Die FSD ist eine humanitäre Organisation, die 1997 gegründet wurde und ihren Sitz in Genf hat. Ihre Kernkompetenz liegt in der Minenräumung. Vor kurzem war die Organisation in den Medien, weil eines ihrer lokalen Büros in der Ukraine durch eine Rakete zerstört wurde.

Die Organisation beschäftigt derzeit rund 600 Mitarbeitende, um das Land in der Ukraine von Minen und Blindgängern zu räumen. Finanziert werden die Aktivitäten des FSD durch Spenden und öffentliche Gelder, u.a. auch aus der Schweiz. Die Entminung ist immens wichtig für die Sicherheit der Bevölkerung und die Landwirtschaft.

Mehr Informationen: Website des FSD

4. September 2024 - 22:45

Letzte Nacht wurde die westukrainische Stadt Lwiw, auf deutsch Lemberg, bombardiert. Die Stadt ist gerade mal 70 km von der polnischen Grenze entfernt. Sieben Menschen kamen ums Leben, darunter auch Kinder. Lenas Schwester Oksana und ihr Mann leben in etwa 20 Minuten Fussdistanz zu einer der beschossenen Stellen. Der Lärm sei ohrenbetäubend gewesen - und dann kommt natürlich sofort die Angst und Ungewissheit, ob jemand aus dem Umfeld zu Schaden gekommen ist.

Die Stellungnahme der SVP zur heute beschlossenen Verlängerung des Schutzstatus S ist vor diesem Hintergrund einfach nur zynisch und menschenverachtend.

3. September 2024 - 22:00

Auch in Russland hat das neue Schuljahr begonnen. Das Portal «Agentstwo», in dem oppositionsnahe russische Journalisten zusammenarbeiten, schreibt dazu, dass der Unterrichtsanteil, der sich als «Propaganda der Ideen des Kremls» werten lasse, sich in diesem Schuljahr auf etwa 1300 Stunden verdoppeln werde. So gibt es bspw. ein Modul «Militärische Ausbildung. Grundlagen des militärischen Wissens» im Fach «Grundlagen der Sicherheit und Verteidigung des Heimatlandes». Das ist nicht ganz neu: auch zu Sowjetzeiten hatte die militärische Ausbildung einen hohen Stellenwert. Patriotismus fördern und die Jugendlichen auf das Militär vorbereiten waren und sind nun wieder das Ziel. Erziehung zu kritischem Denken ist dagegen nicht gefragt. In den besetzten Gebieten der Ukraine wird dieser Lehrplan selbstverständlich ebenfalls mit aller Härte durchgesetzt.

2. September 2024 - 22:15

Am 1. September beginnt in der Ukraine das neue Schuljahr. Es ist bereits der dritte Schulstart unter Kriegsbedingungen! Wo immer möglich findet der Unterricht vor Ort statt, oft in unterirdischen Anlagen oder in der Nähe von Schutzräumen. In Cherson gibt es nach wie vor nur Online-Unterricht. Ziemlich sicher wird es Kinder geben, die während der ganzen Unterstufe nie ein Klassenzimmer von innen gesehen haben. Zuerst während der Pandemie und praktisch nahtlos folgte der Krieg. Das wirkt sich einerseits auf den Lernerfolg aus, andererseits - und das ist vermutlich noch wichtiger - auf das Sozialverhalten. Kein Schulweg, keine gemeinsamen Pausen, kein Klassenverband, kaum gemeinsames Spielen. Wie diese Kriegsgeneration je mal in ein normales Leben zurückfindet ist schwer vorstellbar.

29. August 2024 - 22:15

Eines der unzähligen russischen Propaganda-Narrative besagt, dass Russland gegen westliche Söldner und Privatarmeen, also de facto gegen die NATO kämpfe. Die Ukraine wäre ja gar nicht fähig, sich über so lange Zeit dem Gegner entgegenzusetzen. Fakt ist, dass der Westen Waffen liefert und zum Teil ukrainische Soldaten ausbildet. Das gab es bereits vor dem Krieg, aber natürlich nicht in diesem Ausmass. Fakt ist auch, dass es vereinzelt Legionäre aus dem Ausland gibt. Bisher gibt es jedoch null Hinweise, dass diese als private Truppen engagiert oder organisiert wären (anders als beispielsweise die tschetschenischen "Kadirovtsi" auf russischer Seite). Vielmehr sind sie in die ukrainischen Truppenverbände integriert. Die Motive für einen solchen Einsatz sind sehr unterschiedlich und nicht immer nachvollziehbar. Die hiesigen Behörden gehen aktuell von einer Handvoll Schweizern aus, die an der Front auf Seiten der Ukraine kämpfen. Einen davon hat die Rundschau diese Woche in einem Beitrag porträtiert.

In eigener Sache: wir sind über das Wochenende abwesend. Der nächste Beitrag folgt am Montag, 2. September.

28. August 2024 - 22:45

Christof Franzen, langjähriger SRF-Korrespondent in Russland, spricht mit Ukrainerinnen und Ukrainern in der Schweiz über den Schutzstatus S. Dieser gilt aktuell bis März 2025 - wie es weiter geht, ist im Moment noch unklar. Das belastet viele und macht die Arbeitssuche nicht einfacher.

Die Sendung "Reporter" zeigt ganz unterschiedliche Menschen und deren "neues" Leben in der Schweiz.

27. August 2024 - 22:30

Sowohl in der Ukraine wie auch in Russland ist Telegram der beliebteste Messenger, etwa ebenso verbreitet wie bei uns WhatsApp. Telegram gilt im Gegensatz zu WhatsApp als sicher, was die Privatsphäre seiner Nutzenden anbelangt. Man sagt, dass vor allem Russland den Messenger-Dienst oft auch für die Kommunikation an der Front nutzt.

Vor ein paar Tagen wurde der Gründer und CEO von Telegram, Pavel Durov, in Frankreich festgenommen. Ihm wird vorgeworfen,  zu wenig unternommen zu haben, um die kriminelle Verwendung von Telegram zu unterbinden. Die App habe mit den Behörden bezüglich der Bekämpfung von Menschenhandel, Betrug und sexueller Ausbeutung von Kindern nicht kooperiert. Es ist kompliziert: einerseits wünscht man sich den Schutz der eigenen Privatsphäre, gleichzeitig öffnet gerade das Tür und Tor für kriminelle Machenschaften.

Durov, der neben der russischen Staatsbürgerschaft auch Staatsbürger von Frankreich, den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie des karibischen Inselstaats Saint Kitts and Nevis ist, wurde bei der Einreise nach Frankreich festgenommen. Offenbar reiste er aus Aserbajdschan an, wo er sich gemäss Spekulationen mit Putin treffen wollte. Mit grosser Wahrscheinlichkeit geht es darum, ob und was für Daten Behörden gegenüber offengelegt werden müssen. Dasselbe Interesse haben natürlich auch westliche Behörden und Geheimdienste.

In der Vergangenheit hat sich Durov stark gemacht für die freie Meinungsäusserung und sich gegen den Kreml gestellt. Während der Maidanprotesten 2014 in der Ukraine hat er sich zum Beispiel geweigert, Daten von Demonstrierenden an die russischen Behörden zu liefern.

Es ist nicht auszuschliessen, dass er sich im Moment in einem französischen Gefängnis sicherer fühlt als irgendwo in Reichweite von Putins Schergen. Dass ihm die Verhaftung droht, dürfte er gewusst haben.

26. August 2024 - 22:45

Heute erlebte die Ukraine einen der schwersten Luftangriffe seit Kriegsbeginn vor zweieinhalb Jahren. 15 von 24 Regionen waren betroffen, mehr als 100 Raketen und etwa 100 Kampfdrohnen wurden abgefeuert. Ziel der Angriffe war einmal mehr die Energieinfrastruktur. Schon jetzt ist der Strom knapp, im Winter werden sehr viele Menschen frieren. Die Strategie ist offensichtlich: Zermürbung der ukrainischen Bevölkerung auf der einen Seite, Verunsicherung und Destabilisierung des Westens auf der andern. Sobald es kälter wird, wird die Ukraine kaum in der Lage sein, genügend Strom und Heizwärme bereitzustellen. Das wiederum könnte noch einmal eine Flüchtlingswelle in Richtung Westen auslösen. Ob die westlichen Länder immer noch mit derselben Einigkeit und Solidarität reagieren würden wie 2022 ist leider mehr als fraglich.

25. August 2024 - 21:45

Seit Kriegsbeginn hat der russische Staat über 40 neue repressive Gesetze verabschiedet. Am meisten zitiert wird hier dasjenige zu Falschaussagen über die Armee: Wer der offiziellen Sicht des Verteidigungsministeriums widerspricht, riskiert bis zu 15 Jahre Gefängnis. Verhaftungen und die Auslegung der Gesetze sind oft willkürlich.

Noch schlimmer wird es, wenn man erst mal verurteilt ist und in Haft sitzt. Ab dann gilt nur noch das Recht des Stärkeren. Auf SRF berichten ehemalige Gefangene von ihrer Erfahrung mit den russischen Strafvollzugsbehörden.

24. August 2024 - 16:45

Im 5. Stock des Hauses, in dem Tanja aufgewachsen ist, lebte eine Familie mit zwei erwachsenen Kindern. Nach einem Unfall vor über 20 Jahren ist der Mann sehr stark gehbehindert und kann die Wohnung ohne Rollstuhl nicht verlassen. Die Tochter lebte schon vor dem Krieg in den USA, hat eine Ausbildung im Pflegebereich. Als der Krieg ausbrach schien klar, dass die Eltern in die USA fliehen. Sie fürchteten jedoch die Distanz und zogen es vor zu bleiben. Auch unser Angebot, es doch immerhin bis in die Schweiz zu versuchen, war für sie nicht vorstellbar. Immerhin flohen sie aus Cherson und leben heute in Odessa.

Zum ersten Mal seit Pandemie und Kriegsausbruch reiste nun die Tochter nach Europa. Der Plan war, sich in Moldawien zu treffen, da ihr Mann Doppelbürger ist. Nebst dem US-Pass hat er auch noch die ukrainische Staatsbürgerschaft. Die Einreise in die Ukraine wäre für ihn zu riskant. Entgegen aller Vernunft hat nun aber der Vater keine Ausreisegenehmigung aus der Ukraine erhalten! Es könne ja sein, dass er simuliere und gar nicht behindert sei. Die Bürokratie macht auch vor einem Krieg nicht Halt...

23. August 2024 - 22:00

Nur gerade drei Monate vor dem Ausbruch des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wurde "The Kyiv Independent" gegründet, eine englischsprachige ukrainische Online-Zeitung. Auslöser für die Gründung war ein Team von Journalistinnen und Journalisten, die bei der damals bekannten Zeitung "Kyiv Post" entlassen wurden, weil sie sich für mehr Redefreiheit einsetzen. "Kyiv Post" war übernommen worden, der neue Eigner fand keinen Gefallen an allzu kritischer Berichterstattung...

Beim Ausbruch des Krieges beschloss das Team, vor Ort zu bleiben und weiter genau hinzuschauen und kritisch zu berichten. "The Kyiv Independent" wurde so zu einer wichtigen Stimme aus der Ukraine.

Seit kurzer Zeit gibt es einen Online-Shop, in dem T-Shirts, Sweatshirts, Taschen usw. gekauft werden können, teilweise von ukrainischen Künstlerinnen und Künstlern gestaltet. Zum Unabhängigkeitstag vom Samstag, 24. August, gibt es eine spezielle Kollektion. Mit dem Kauf wird das Journalisten-Team und damit die kritische, unabhängige Berichterstattung in und aus der Ukraine unterstützt.

Happy shopping auf https://store.kyivindependent.com/!

22. August 2024 - 23:45

Erstaunlich, dass es Russland nach wie vor nicht gelingt, die ukrainischen Vorstösse auf russisches Gebiet zu stoppen. Es zeigt sich immer deutlicher, dass das keine spontane Aktion, sondern eine akribisch vorbereitete Operation ist. Für den Kreml wird es immer ungemütlicher. Zumal sich immer mehr bestätigt, dass offenbar junge Rekruten in das Gebiet geschickt wurden - entgegen der Beteuerungen der russischen Militärführung, dass im Krieg gegen die Ukraine nur Vertragssoldaten eingesetzt würden.

Es ist schwer vorstellbar, dass die Ukraine die Geländegewinne über längere Zeit halten kann - aber allein die gestiftete Verunsicherung ist ein empfindlicher Nadelstich.

21. August 2024 - 23:30

Nach gut eineinhalb Jahren im Zentrum von Bern verlagern wir das MyPAR-Büro wieder nach Thun. Ab September dürfen wir als Untermieter bei der Firma Nexplore im Gwatt einziehen. Die Zeit mitten in Bern war super. Leider wird das Büro dort aufgelöst, sodass auch wir eine neue Lösung suchen mussten. Heute konnten wir in Thun einen ersten Augenschein nehmen - und freuen uns nun so richtig auf die Aussicht auf die Berge und die topmoderne Ausstattung.

20. August 2024 - 23:00

Man sagt, immer wenn's brenzlig werde, mache sich Putin aus dem Staub und tue so, als sei nichts geschehen. Genau so sieht es die letzten beiden Tage aus: zuerst offizieller Staatsbesuch in Aserbaidschan. Was er sich dort vom autoritären Regime im Nachbarstaat verspricht, beschreibt SRF in einem Artikel. Danach ging es weiter nach Tschetschenien und nach Beslan in der Republik Nordossetien-Alanien, wo vor 20 Jahren nordkaukasische Terroristen am ersten Schultag des neuen Schuljahres in einer Schule über 1'000 Geiseln nahmen. Mehr als 300 Geiseln, zum grössten Teil Kinder, wurden bei der offenbar chaotischen Stürmung des Gebäudes durch russische Eliteeinheiten getötet. Eine lückenlose Aufarbeitung gab es nie, vieles deutet eher auf Vertuschung hin. Für Details zur Geiselnahme von Beslan siehe Wikipedia-Artikel.

19. August 2024 - 23:00

Gute Neuigkeiten zum kurz nach dem Kauf kaputt gegangenen Stromgenerator von Romas Eltern: sie hatten ihn bei einem Bekannten gekauft, der ihnen den defekten Generator umtauschen wird - allerdings sind die Lieferfristen unklar. Es braucht also noch etwas Geduld...

18. August 2024 - 22:45

Zu Beginn des Krieges konnten die Flüchtenden ihre Haustiere, vor allem Hunde und Katzen, ohne Probleme mitnehmen. Hier in der Schweiz mussten sie einen Tierarzt aufsuchen und die Vierbeiner registrieren und je nachdem impfen lassen. Alles ging sehr unkompliziert.

Heute kann man mit Haustieren kaum mehr aus der Ukraine ausreisen. Das beginnt bereits bei der Buchung der Transportmittel: alle Busunternehmen verlangen bereits zahlreiche Nachweise und Papiere. Offenbar gab es Fälle, wo ganze Busse lange an der Grenze aufgehalten wurden wegen eines nicht korrekt geimpften Hundes oder einer nicht registrierten Katze. Das wollen die Transportunternehmen nicht mehr riskieren und verlangen deshalb wohl oft auch mehr als eigentlich nötig wäre. Seit Beginn des Krieges waren Haustiere manchmal ein Grund, nicht zu fliehen, heute kommt noch die zusätzliche finanzielle Belastung für alle Nachweise dazu.

Wie hier auch ist das Verlassen der Tiere für die wenigsten eine Option. Einzig ganz am Anfang als Viele noch davon ausgingen, dass sie nach ein paar Wochen zurückkehren würden, hat man den Hund, die Katze oder die Hühner den Nachbarn anvertraut, die bleiben wollten.

17. August 2024 - 23:45

Die vom SEM diese Woche publizierten Zahlen zu den ukrainischen Flüchtlingen zeigt nach wie vor einen sehr konstanten Verlauf. Seit längerem halten sich rund 66'000 Ukrainerinnen und Ukrainer mit Status S in der Schweiz auf. Zu- und Wegzüge halten sich in etwa die Waage.

Der deutsche Finanzminister hat in einem Interview davor gewarnt, die Militärhilfe an die Ukraine zu reduzieren. Ein Scheitern der Ukraine im Krieg resp. die Besetzung weiterer Gebiete durch Russland würde fast unweigerlich zu erneuten grossen Flüchtlingsströmen führen.

16. August 2024 - 23:15

Scrollt man durch die (sozialen) Medien könnte man meinen, der Krieg finde nur noch in der Region Kursk statt. Es ist viel zu früh, um über Erfolg oder Misserfolg des ukrainischen Überraschungsangriffs zu urteilen. Fakt ist, dass es für Putin heikel werden kann, wenn der Krieg plötzlich im eigenen Land stattfindet. Fakt ist aber auch, dass der Krieg an allen andern Fronten unvermindert weiter geht und dass die russische Bevölkerung ausserhalb der betroffenen Region nach wie vor sehr gut ist im Ignorieren und Wegschauen.

15. August 2024 - 23:45

Die Offensive in Kursk geht weiter. Auch nach über einer Woche ist es den Russen bisher nicht gelungen, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Gleichzeitig hat sich aber auch die Lage im Donbas nicht entschärft. Russland scheint bisher keine Truppen aus der Ostukraine in die Region Kursk abgezogen zu haben.

Auf welt.de gibt es heute einen ausführlichen Beitrag und Analysen dazug.

14. August 2024 - 23:00

Das Staatssekretariat für Migration SEM hat vor kurzem die Webseite "Ein Job in der Schweiz" mit Informationen und kurzen Video-Portraits aufgeschaltet. Arbeitgebende sollen ermuntert werden, das "Wagnis" einzugehen, jemanden mit nicht perfektem Lebenslauf einzustellen. Die Beispiele zeigen, dass es wichtig ist, einfach mal irgendwo einzusteigen - oft auch in einen Job, für den man eigentlich überqualifiziert ist. Alles weitere ergibt sich.

13. August 2024 - 22:30

Die Schwiegereltern unseres Freundes, die kurz vor unseren Ferien für zwei Wochen aus Cherson in die Schweiz gereist sind, sind gut wieder in ihrer Heimat angekommen. Empfangen wurden sie von russischen Drohnen... Ein Chat aus Cherson meldet, dass in den letzten 30 Tagen rund 3'500 Drohnen auf Cherson abgefeuert wurden. Das sind über 100 pro Tag oder ca. alle 15 Minuten eine Drohne - rund um die Uhr, pausenlos.

12. August 2024 - 22:45

Über die genauen Ziele des Vordringens auf russisches Gebiet äussert sich die Ukraine nach wie vor nur vage. Allein die Tatsache, dass es Russland nicht gelingt, ihr eigenes Gebiet zu schützen und die Aktion zeitnah zu beenden, zeigt, dass es sich um eine gut vorbereitete Operation handeln muss. Über 100'000 Menschen wurden aus der betroffenen Region Kursk evakuiert. Es sind ähnliche Bilder wie man sie aus der Ukraine kennt. In den sozialen Medien hat jemand ein Video aus derselben Gegend geteilt, welches vor gut zwei Jahren bereits einmal um die Welt ging: Menschen am Strassenrand, die den russischen Militärkolonnen unterwegs in die Ukraine zujubeln. Was geht wohl jetzt in den Köpfen dieser Leute vor, wenn sie selber ihr Hab und Gut verlassen müssen? Wen oder was genau haben sie bejubelt?

Wie immer findet der Krieg auch in den Medien statt. Putin gibt wie immer in solchen Situationen, zwar leicht angespannt, den Ton an, weist zurecht, benennt Schuldige. Die Lage wird schöngeredet, alles ist unter Kontrolle, zugegeben wird nur, was so offensichtlich ist, dass es nicht mehr geleugnet werden kann. Und immer wieder das Muster der Opfer-Täter-Umkehr: Die Ukraine als Marionette des Westens hat Russland überfallen, Russland will nur Frieden usw. usf.

Selenskis heutige Aussage, dass Putins Macht mit der Kursk begonnen habe und jetzt in Kursk enden werde zeigt, dass er über ein bedeutend kreativeres Kommunikationsteam verfügt: Er bezieht sich auf das heute vor 24 Jahren bei einem Militärmanöver gesunkene U-Boot Kursk, bei dem die gesamte 118-köpfige Besatzung wegen schludriger Rettungsmassnahmen ums Leben kam. Das war drei Monate, nachdem Putin seine erste Amtszeit als Präsident angetreten hatte. Wäre doch ein netter Abgang nach 24 Jahren... Träumen ist erlaubt, die Realität zeigt leider, dass totalitäre Systeme extrem robust sein können.

11. August 2024 - 22:45

Wir geniessen die warmen bis heissen Sommertage. Mit wenigen Ausnahmen - heute Sonntag zum Beispiel - findet man immer wieder ein kühles Plätzchen und dank der gut isolierten Häuser bleibt es drinnen einigermassen erträglich. Nicht so in der Ukraine: nach wie vor ist es extrem heiss, Strom bleibt Mangelware, mal ein wenig raus aus der Stadt bleibt Wunschdenken. Abhilfe schaffen Stromgeneratoren, die aber auch nicht immer zuverlässig sind oder selber unter der Hitze kollabieren. Romas Eltern haben sich vor ein paar Monaten einen Generator gekauft, der nun eben den Geist aufgegeben hat. Auf Garantie umtauschen ist Illusion, den Händler gibt's möglicherweise schon nicht mehr. Lebensmittel kühlen, Fernsehen, Handy laden werden zum Luxusgut.

10. August 2024 - 23:45

Diese Woche sind ukrainische Truppen in einigen Grenzregionen erstaunlich weit in russisches Gebiet vorgedrungen. Die genaue Absicht ist nicht klar, die ukrainische Führung hüllt sich in Schweigen. Ein Grund ist ganz sicher, Putin bloss zu stellen. Wenn der Krieg plötzlich im eigenen Land ist und sich die Bevölkerung nicht mehr sicher fühlt, kann die Stimmung möglicherweise schneller als erwartet kippen und der Machtzirkel rund um Putin ins Wanken bringen. Es bleibt interessant, den weiteren Verlauf zu verfolgen.

9. August 2024 - 22:00

Lesha Berezovskiy, ein Fotograf aus Kiev, schreibt in loser Folge für das Republik Magazin. Es sind immer eindrückliche Texte und Bilder, die Einblick geben in den Alltag der Menschen in der Ukraine, die zwar nicht in Frontnähe leben, aber trotzdem tagtäglich unter dem Krieg leiden.

Sein aktueller Beitrag: Leben in Trümmern - Hitzewellen

8. August 2024 - 23:15

Nun sind es bereits zwei Jahre her, dass Sascha seine Stelle bei Beosolar angetreten hat. Die Zeit vergeht unglaublich schnell! Mit jedem Monat Berufserfahrung hier in der Schweiz muss er sich weniger Sorgen machen, falls er sich mal umorientieren müsste. Das ist im Moment aber nicht der Fall - alles passt bestens.

7. August 2024 - 22:45

Seit dieser Woche besucht Roma wieder einen Deutschkurs. Wie bereits Vika und Sergej wurde auch ihm die Fortsetzung des Kurses genehmigt. Das Ziel ist, bis im November das Sprachzertifikat auf Level B1 zu erreichen. Wir wünschen viel Erfolg und Motivation!

6. August 2024 - 23:00

Direkt aus Cherson hören wir nicht mehr oft Neuigkeiten. Tanjas Mutter spricht ab und zu mit ehemaligen Nachbarinnen. Zu erzählen gäbe es kaum was: die meiste Zeit sitzen sie zu Hause und verlassen die Wohnung nur für die nötigsten Besorgungen. Die Geschäfte haben geöffnet, auch Busse fahren - trotzdem steht das Leben weitgehend still.

Nach wie vor werden regelmässig Häuser zerstört, gerade kürzlich in unmittelbarer Nachbarschaft von jemand entfernt Bekanntem. Das sind dann für die Angehörigen sehr lange Schreckmomente, weil nach Raketeneinschlägen oft Strom und Handyverbindungen ausfallen und man erst nach einigen Stunden erfährt, ob es den Nächsten gut geht.

5. August 2024 - 22:45

Halbzeit: diese Woche startet Yaroslav schon in das dritte Lehrjahr als Informatiker! Die ersten beiden Jahre hat er ohne grosse Schwierigkeiten gemeistert. Wir erinnern uns: im April 2022 kam er ohne Deutschkenntnisse in die Schweiz, vier Monate später beginnt er die Ausbildung. Er ist unglaublich diszipliniert und zielstrebig. Wir wünschen weiterhin viel Erfolg und Motivation.

19. Juli 2024 - 23:00

Eine überraschende Nachricht heute von Asyl Berner Oberland: die Integrationsberaterin von Tanjas Mutter schreibt uns, sie hätte sich mit der Immobilienverwaltung in Oberdiessbach abgesprochen und sie seien so verblieben, dass sie bei einem Wegzug informiert würden. Die monatliche Präsenzkontrolle könne deshalb entfallen. Wir sollten einfach alle ca. 6 Monate ein ärztliches Attest einreichen, wenn eh ein Arztbesuch anstehe. Wir freuen uns über die pragmatische Lösung.

In eigener Sache: ab morgen sind wir für zwei Wochen in den Ferien. Der nächste Beitrag kommt am Montag, 5. August.

18. Juli 2024 - 23:45

Digitale Kommunikationskanäle werden in Russland immer weiter eingeschränkt. Schon länger sind zum Beispiel Instagram, Facebook und auch das Business Netzwerk LinkedIn in Russland gesperrt. Nun gibt es Anzeichen, dass auch WhatsApp und Youtube eingeschränkt oder sogar ganz blockiert werden. Für die Kommunikation innnerhalb Russlands gibt es gute Alternativen, die hier kaum verbreitet sind, der Austausch mit dem Ausland wird hingegen immer stärker eingeschränkt. Genau diese Strategie führt dazu, dass die Mehrheit der russischen Bevölkerung die Einschränkungen hinnimmt: nicht einfach nur verbieten und abschalten, sondern Alternativen bieten, die aber vollständig vom Regime kontrolliert werden. Ein Beispiel ist Rutube, die russische Alternative zu Youtube. 2006 gegründet, 2008 von Gazprom Media Holdings übernommen, kurz darauf Auswechseln des Managements und Verlegen der Büros nach Moskau.

17. Juli 2024 - 22:30

Heute vor zehn Jahren wurde über der Ukraine eine Boeing 777 der Malaysia Airlines, unterwegs von Amsterdam nach Kuala Lumpur, abgeschossen. Alle 298 Insassen, darunter 80 Kinder, kamen dabei ums Leben. Obwohl die Beweislast erdrückend ist, leugnet Russland bis heute jede Schuld. Der Abschuss erfolgte einige Monate nach Ausbruch des Konflikts im Donbass.

Aus heutiger Sicht fragt man sich, warum politische Reaktionen weitgehend ausblieben. Für Russland dürfte das ein nicht unbedeutendes Signal gewesen sein, dass man sich quasi alles erlauben kann ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.

Bereits damals funktionierte die Desinformationsstrategie des Kremls. Hier eines von zahlreichen Beispielen im Zusammenhang mit dem Abschuss: Russland äusserte zum Schlussbericht der Untersuchungsbehörde insgesamt 74 Änderungswünsche, die sich im Ausmass deutlich von denjenigen der anderen Beteiligten unterschieden. Russland hatte im Rahmen der Untersuchung mit unterschrieben, dass „das Flugzeug am wahrscheinlichsten von einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen wurde“. Bei den Änderungswünschen zum Abschlussbericht fand sich dann trotzdem der Wunsch, „andere Szenarien“, also zum Beispiel einen Abschuss mit einer Luft-Luft-Lenkwaffe, nicht auszuschliessen. Der Leiter der Untersuchung erklärte, er habe den Eindruck, Russland versuche den Bericht womit auch immer zu unterminieren, darüber hinaus änderten die Russen andauernd ihre Meinung. Der niederländische Aussenminister sprach davon, dass Russland am Schlussbericht nicht interessiert sei, sondern nur daran, „Verwirrung zu säen“.

Im Westen waren wir spätestens ab dann bis zur russischen Invasion im Februar 2022 schon sehr gutgläubig bis naiv, was die Machenschaften und Absichten Russlands anbelangt... Aktuell wird man den Eindruck nicht ganz los, dass wir uns gerade wieder etwas einlullen lassen von der pro-russischen Propaganda. Das hätte fatale Folgen!

Weitere interessante Details zum MH17-Absturz finden sich auf Wikipedia

16. Juli 2024 - 22:15

Die Stadt Mykolajiw liegt zwischen Cherson und Odesa, etwa 100 km von Cherson entfernt. Der russische Plan im Februar 2022 war der Durchmarsch von der Krim über Cherson und Mykolajiw bis nach Odesa. Kurz vor Mykolajiw konnte die russische Armee gestoppt, später auch aus Cherson wieder zurückgedrängt werden. Die Spuren sind in Mykolajiw bis heute sichtbar, besonders kritisch bleibt die Wasserversorgung, wie ein kürzlich erschienener Artikel von SRF zeigt.

15. Juli 2024 - 23:00

Es wirkt befremdlich, wenn Viktor Orbán oder Recep Tayyip Erdoğan - beide Staatschefs von NATO-Mitgliedsländern - sich russlandfreundlich geben, ja sogar demonstrativ nach Moskau reisen, um sich mit Putin zu treffen. Abgesehen von der politischen Einstellung zeigt es auch, wie gross in gewissen Bereichen die Abhängigkeit zu Russland immer noch ist.

Der kürzlich gezeigte Dokumentarfilm "Atomkraft, Klima und Russland" geht der Frage nach, ob es für die Energiewende Kernenergie braucht und beleuchtet die Rolle Russlands als weltweit grösster Player im Kernkraftgeschäft. Und ja, wen wundert's: Ungarn und die Türkei haben auf die Karte Russland gesetzt bei der Deckung ihres Strombedarfs...

14. Juli 2024 - 22:30

Heute waren Olga und Vova zusammen mit unseren Freunden bei uns auf Besuch. Wir haben einen gemütlichen Nachmittag verbracht und nach langer Zeit wieder einmal aus erster Hand erfahren, wie die Situation in Cherson ist. Den beiden merkt man kaum an, dass sie noch vor weniger als einer Woche mitten im Kriegsgebiet waren. Zumindest äusserlich scheint es ihnen gut zu gelingen, den Aufenthalt hier in Ruhe und Sicherheit zu geniessen. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten sei sehr gut. Da Vieles über humanitäre Organisationen laufe, seien die Preise eher tiefer als früher. Ansonsten sei das Leben trist, man würde die Stadt kaum wiedererkennen, vor allem Pensionäre sind in der Stadt geblieben. Praktisch in allen Strassen gebe es zerstörte Gebäude. Zur Zukunft machen sie sich keine Illusionen: sie seien schon froh, wenn Cherson Ende Jahr noch ukrainisch sei und nicht wieder Russland in die Hände falle.

13. Juli 2024 - 23:00

Heute haben wir erfahren, dass die Coiffeuse aus Cherson, die uns bei unseren Besuchen in der Ukraine immer frisiert hat, in die Türkei geflüchtet ist. Vor rund einem Jahr hat sie sich erkundigt, ob die Schweiz nach wie vor Flüchtlinge aufnimmt und wie sie vorgehen müsste. Danach haben wir lange nichts mehr gehört. Wir hatten nie verstanden, warum sie mit ihrer schulpflichtigen Tochter nicht früher aus Cherson weggegangen ist. Warum sie jetzt in die Türkei gegangen ist, wissen wir ebenfalls nicht.

Manchmal würde uns schon interessieren, welche Überlegungen hinter bestimmten Entscheiden stehen. Und gleichzeitig können wir uns selber nicht vorstellen, wie wir uns in einer vergleichbaren Situation verhalten würden.

12. Juli 2024 - 22:30

Die Anzahl Ukrainerinnen und Ukrainer mit Status S in der Schweiz ist seit Anfang Jahr konstant bei ca. 66'000. Einzelne geben den Status S ab und verlassen die Schweiz, wenige kommen neu in die Schweiz. Die Anzahl erwerbstätiger Ukrainerinnen und Ukrainer steigt stetig, aber sehr langsam. Aktuell liegt die Quote bei knapp 26%. Die wichtigsten Branchen sind das Gastgewerbe (22%) und Planung/Beratung/Informatik (19%). Erstaunlich tief ist die Quote bei Pflegeberufen: nur ca. 4%. Da gibt es möglicherweise noch brachliegendes Potential.

Die Statistik berücksichtigt den Beschäftigungsgrad nicht und weist auch nicht aus, ob das Einkommen ausreicht, um keine Asylsozialhilfe mehr beziehen zu müssen. Sie zeigt also nur, wer über ein aktives Arbeitsverhältnis verfügt.

Seit ungefähr Anfang Jahr werden die Massnahmen zur Integration in den Arbeitsmarkt verstärkt. Im Vergleich zu andern Ländern, wo die Sozialleistungen wesentlich tiefer sind und der Druck entsprechend hoch ist, möglichst rasch eine Arbeit zu finden, geht die Schweiz umsichtiger mit der Integration um. Längerfristig dürfte es sich auszahlen, das Potenzial und die (Sprach-)kompetenzen zu fördern. Die Chance, auf sicherere und besser bezahlte Jobs steigt so und entsprechend kleiner ist das Risiko, später wieder in die Abhängigkeit der Sozialhilfe zu geraten.

11. Juli 2024 - 23:00

Heute hatte Tanjas Mutter eine "Audienz" bei Asyl Berner Oberland. Mindestens einmal pro Jahr müssen sich die Integrationsberater mit ihren Klienten treffen und deren Situation besprechen. Es geht darum, die Rechte und Pflichten zu erörtern und gemeinsam allfällige Veränderungen zu besprechen. Zudem müssen alle finanziellen Verhältnisse offengelegt werden. Da der bisherige Integrationsberater kürzlich pensioniert wurde war es gleichzeitig ein Kennenlernen der neuen zuständigen Integrationsberaterin, eine sympathische junge Dame, die sich sehr bemühte.

Man merkt, dass die Abläufe nun gut eingespielt sind, die immense Arbeitsbelastung von vor zwei Jahren hat sich gelegt. Nach wie vor gibt es je nach Fall noch Bereinigungen. So wurde zum Beispiel am Anfang nicht überprüft, ob die ukrainischen Flüchtlinge noch ein Einkommen oder eine Rente aus der Ukraine bezogen. Das wäre zu kompliziert und zu zeitaufwändig gewesen. Da wird nun berechtigterweise genauer hingeschaut und allfällige Einkünfte werden von der Asylsozialhilfe in Abzug gebracht.

10. Juli 2024 - 21:30

Olga und Vova, die Schwiegereltern unseres Freundes, der länger in der Ukraine gelebt hatte, sind unterwegs aus Cherson in die Schweiz. Die Etappe von Cherson nach Warschau haben sie bereits hinter sich: 20 Stunden Busfahrt und 6 Stunden Wartezeit an der Grenze. Morgen fliegen sie nach Zürich und bleiben ein paar Wochen hier. Nach wie vor ist es für sie kein Thema, in der Schweiz zu bleiben. Wir sind gespannt, was sie über den Alltag in Cherson erzählen werden.

9. Juli 2024 - 23:00

In Russland wird kaum über den gestrigen Beschuss des Kinderspitals in Kiev berichtet. Und wenn, dann war die ukrainische Luftabwehr dafür verantwortlich. Beweise dafür bleibt Russland schuldig. Die erdrückenden Hinweise, dass es ein gezielter Angriff war, werden als Fake abgetan.

Der Psychoterror des russischen Regimes kennt keine Grenzen. Die Skrupellosigkeit richtet sich auch gegen die eigene Bevölkerung: monatlich werden rund 30'000 Soldaten rekrutiert, gemäss verschiedenen Schätzungen kommen ebenso viele in der Ukraine ums Leben oder werden verletzt. Das sind 1'000 pro Tag oder 1 Kriegsopfer alle ca. 1.5 Minuten - seit Monaten. Trotz dieser unglaublichen Zahlen gelingt es der Propagandamaschine immer noch, die breite Bevölkerung ruhig zu halten. Wie lange noch?

8. Juli 2024 - 23:30

Sergejs Prüfung am Samstag ist gut verlaufen. Der schriftliche Teil sei allerdings schwieriger als erwartet gewesen. Nun heisst es rund sechs Wochen warten bis die Ergebnisse vorliegen.

Heute ging es gleich anstrengend weiter: Sergej und Vika haben ab dieser Woche einen Vor-Ort-Einsatz bei einem MyPAR-Kunden. Nach swisstopo im letzten Jahr haben wir mit dem Hogrefe-Verlag einen weiteren Kunden gefunden, der unser Experten-Wissen in Anspruch nimmt und gleichzeitig unseren beiden Mitarbeitenden Deutschpraxis im beruflichen Umfeld ermöglicht.

7. Juli 2024 - 23:30

In unserer Nachbarschaft wohnt ein ukrainisches Ehepaar zusammen mit ihrer erwachsenen Tochter. Wegen einer Muskelkrankheit kann sie sich nur mit ihrem Elektrorollstuhl fortbewegen. Schon seit dem Frühjahr sprechen sie davon, sie möchten endlich wieder mal ein paar Tage Ferien am Meer machen. Das liege jetzt auch finanziell drin dank der Teilzeitarbeit des Vaters. Bis heute konnten sie sich jedoch nicht durchringen, etwas zu buchen. Einerseits ist das aufgrund der Behinderung der Tochter etwas kompliziert. Uns scheint aber, dass sie auch noch mit ihrem Gewissen ringen, ob es ihnen überhaupt zusteht, in Urlaub zu fahren während viele ihrer Landsleute schon froh sind, wenn sie ein paar Stunden Strom haben pro Tag.

6. Juli 2024 - 22:00

Tanja ist im Austausch mit einer Ukrainerin in unserem Alter, die kürzlich aus der Schweiz in die Nähe von Kiev zurückgekehrt ist. Sie hat sich hier nie richtig heimisch gefühlt, hatte mehrfach Pech, letztmals bei der Wohnungsabgabe, als die Vermieter noch 30 Franken verlangten, weil der 20-jährige Kochherd noch einen Flecken gehabt haben soll.

Auf die Rückkehr in die Ukraine hat sie sich gut vorbereitet, sei dann aber doch sehr kalt geduscht worden von der Realität. Ihr Haus war komplett leer geräumt. Sie hatte es nach ihrer Flucht zeitweise untervermietet. Die Mieter waren offenbar davon ausgegangen, dass sie nie mehr in die Ukraine zurückkehren würde und haben alles mitgenommen. Dazu kommen im Moment die häufigen Stromausfälle - oder wohl besser gesagt, die sporadischen Stromeinschaltungen. Die Behörden bemühen sich, einen Zeitplan bekannt zu geben, wann der Strom ein- bzw. ausgeschaltet wird. Dieser stimmt aber mehr schlecht als recht. Ein Kühlschrank kann bei der momentanen Hitze gar nicht mehr betrieben werden, von Klimaanlagen ganz zu schweigen. Es sind ganz andere Probleme als hier, aber wirklich besser sei der Alltag für sie nicht geworden.

5. Juli 2024 - 23:00

Dieses Wochenende wird anstrengend für Sergej: er legt seine Deutschprüfung ab. Wenn alles gut kommt, erreicht er das Level B2. Das ist eine starke Leistung nach erst rund zwei Jahren in der Schweiz! Wir wünschen Glück und Erfolg!

4. Juli 2024 - 22:45

Gestern und heute fand in Astana, der Hauptstadt Kasachstans, der Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) statt. Es ist wohl das derzeit grösste Autokraten-Treffen und damit für Putin eine wichtige Plattform, um Verbündete zu gewinnen. Das deutsche Fernsehen zeigt in einem aufschlussreichen Beitrag die Bedeutung dieser Organisation.

Selbstverständlich nutzt Putin auch dort jede Gelegenheit, sein Narrativ des Ukraine-Krieges darzulegen. So hat er beispielsweise vor Journalisten erklärt, sie hätten sich zu Beginn des Krieges den Angriff auf Kiev auf Drängen des Westens abgebrochen und hätten sich zurückgezogen, weil ihnen ein Waffenstillstand angeboten worden sei. Sie seien aber leider durch das Kiever Regime mehrfach hintergangen worden und hätten die "militärische Spezialoperation" deshalb fortführen müssen. Das sei mit ein Grund, dass auch heute ein Waffenstillstand nicht in Frage komme. Das ganze tönt so plausibel, wie wenn es frisch gedruckt aus dem Geschichtsbuch käme, ist aber natürlich eine weitere Täter-Opfer-Umkehrung, wie sie der Kreml immer und immer wieder macht.

3. Juli 2024 - 23:15

Gemäss einer heute veröffentlichten Studie glauben nach wie vor 58 Prozent der ukrainischen Bevölkerung an einen militärischen Sieg über Russland. In Europa sind laut der Studie zwei Gruppen von Ländern erkennbar: die Völkerrechtsverfechter einerseits, die Besänftiger andererseits.

Erstere fordern, Russland müsse die eroberten Territorien freigeben und die Ukraine dürfe souverän entscheiden, ob sie der EU und der Nato beitritt. Polen, Briten, Esten und Schweden sind ausgeprägt dieser Ansicht.

Die zweite Gruppe will Moskau besänftigen und drängt die Ukraine zu Nachgiebigkeit gegenüber dem Kreml, in der Hoffnung, das führe rascher zum Frieden. Italiener, Bulgaren oder Griechen führen dieses Lager an.

Die Schweiz situiert sich bei vielen Fragestellungen weder klar im einen noch im anderen Lager, neigt aber eher den Besänftigern zu.

Die gute Nachricht für Kiew ist, dass die Unterstützung für die Ukraine, inklusive weitere Waffenlieferungen, noch breit ist.

Verfolgt man die Entwicklung Russlands während der Putin-Ära kommt ziemlich schnell zum Schluss, dass dieses Weltbild nicht dem entspricht, was wir uns hier vorstellen. Die Geschichte der letzten zwanzig Jahre zeigt ebenso, dass Putin beinahe zu allem bereit ist, um seine territorialen Ansprüche durchzusetzen. Das sollten wir mitbedenken, wenn es irgendwann um Zugeständnisse gegenüber Russlands gehen sollte.

Quelle: Artikel auf SRF.ch

2. Juli 2024 - 23:15

Vor zwei Jahren gab es Anfang Juli immer noch starke Fluchtbewegungen Richtung Westeuropa. So machten sich zum Beispiel Tanjas Freundin Luda mit ihrem Mann und ihrem Vater auf den beschwerlichen Weg quer durch Russland und die baltischen Staaten nach Polen. 80 Stunden waren sie damals für die rund 3'500 km unterwegs.

Vor einem Jahr Anfang Juli haben wir den Mietvertrag für Tanjas Mutter unterzeichnet und kurz darauf zog sie in ihre Wohnung in Oberdiessbach ein.

Auf der einen Seite ist alles noch sehr präsent. Gleichzeitig können wir es uns gar nicht mehr anders vorstellen als so, wie es heute ist.

Heute hatte Sergejs Mutter Natascha ihren ersten Arbeitstag bei der Bäckerei Linder. Sie war im Vorfeld extrem nervös, ob sie wohl alles richtig machen würde. Am Abend hat sie dann geschrieben, dass alles gut geklappt habe. Wir haben keinen Moment daran gezweifelt.

30. Juni 2024 - 22:45

Der Umzug von Vikas Schwester hat bestens geklappt. Alles ist gezügelt, die Formalitäten mit Gemeinde und Schule sind abgeschlossen. Die Wohnung ist zwar etwas kleiner als in Meiringen, dafür im Erdgeschoss, was mit den kleinen Kindern natürlich ein Vorteil ist. Zudem ist die Schule in unmittelbarer Nachbarschaft. 

29. Juni 2024 - 22:30

Dmytro Kuleba ist eine der Schlüsselfiguren in der Ukraine. Seit 2020 ist er Aussenminister. Ein Blick in seinen Lebenslauf zeigt, dass er für zahlreiche europäische Gremien tätig war. Seine Erfahrung und seine internationalen Beziehungen sind natürlich extrem hilfreich in der Situation, in der sich die Ukraine seit Februar 2022 befindet.

Dass er auch sehr bodenständig und realistisch ist, zeigt ein Interview, das er gestern der deutschen Fernsehjournalistin Katrin Eigendorf gegeben hat.

28. Juni 2024 - 22:30

Morgen fährt Sergej zusammen mit seiner Mutter nach Mailand, um für sie einen neuen Pass zu beantragen. Hier in der Schweiz muss man über zwei Monate warten, um einen Termin zu bekommen. Hintergrund ist, dass eine grössere Zahnbehandlung ansteht, die sie sich hier in der Schweiz nicht leisten kann und die auch nicht übernommen wird von der Asylsozialhilfe. Eine Behandlung im Ausland entschärft das Problem. Sie hat bisher jedoch nur einen ukrainischen Inlandpass. Mit dem "richtigen" Pass wird das Reisen etwas einfacher.

27. Juni 2024 - 22:45

Morgen ist es endlich soweit: Vikas Schwester und ihre Familie ziehen in die neue Wohnung in Spiez! Die Kinder können das Schuljahr in Meiringen beenden und starten dann im August am neuen Ort. Wir wünschen guten Umzug und viel Glück am neuen Ort!

26. Juni 2024 - 21:45

Der gestrige Beitrag fiel einer spätabendlichen Fahrt nach Basel zum Opfer: Sascha und Lena kehrten aus ihren Ferien zurück und landeten erst kurz vor Mitternacht am Euroairport. Sie haben eine gute Bekannte besucht, die aus Cherson nach Zypern geflüchtet war.

24. Juni 2024 - 23:45

Vor einem Jahr fand - eher überraschend - die Meuterei Prigoshins gegen die russische Militärführung statt. Nach knapp zwei Tagen war der Spuk vorbei. Es schien, als hätte man sich geeinigt. Ein paar Wochen später kam Prigoshin - was für ein Zufall... - bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Seither hört man von der Söldnertruppe Prigoshins kaum mehr etwas. Es war eine klare Machtdemonstration Putins, wer das Sagen hat im Land. Auch ein Jahr später gibt es kaum Anzeichen für nennenswerten Widerstand. Allerdings dürfte es schon recht brodeln unter der Oberfläche: die grossen militärischen Erfolge bleiben aus, immer wieder gibt es erfolgreiche Angriffe auf militärische Stützpunkte, die in Russland liegen. Die Terroranschläge der letzten Tage in Dagestan vermitteln zudem das Bild, dass die eigene Bevölkerung ungenügend geschützt ist. Man wundert sich, wie lange das noch so weitergehen kann...

23. Juni 2024 - 21:30

Heute kamen bei einem ukrainischen Angriff auf der von Russland seit 2014 besetzten Halbinsel Krim mehrere Menschen ums Leben, viele wurden verletzt. Offenbar fielen Trümmerteile einer abgefangenen Rakete auf einen gut besuchten Strand.

In Russland wird die Krim nach wie vor als beliebte Feriendestination beworben. Dass es auch dort brandgefährlich ist wird heruntergespielt. Viele russische Angriffe auf die Ukraine kommen von der Krim her, zahlreiche Militärstützpunkte und Logistikbasen befinden sich auf der besetzten Halbinsel. Die Ukraine betrachtet diese Standorte als legitime Ziele.

Egal, welche Seite es betrifft: es ist unfassbar tragisch, wenn Menschen unter solchen Umständen ihr Leben lassen müssen. Und unfassbar zynisch, wenn den Russen erholsame Sommerferien auf der Krim angepriesen werden.

22. Juni 2024 - 23:30

Heute war Roma bei uns zu Besuch - wie immer verbrachten wir einen gemütlichen Abend zusammen. Seinen Eltern geht es den Umständen entsprechend gut. Eine Tante ist gesundheitlich angeschlagen und braucht dringend medizinische Versorgung. Diese ist in den besetzten Gebieten aktuell kaum vorhanden. Mit einer Freiwilligenorganisation soll nun versucht werden, sie in ein ukrainisches Spital zu überführen. Ob das klappt ist ungewiss. 

21. Juni 2024 - 23:45

Heute hat die Ukraine ihr zweites EM-Spiel gegen die Slowakei gewonnen. Man kann sich natürlich fragen, ob die Teilnahme an einer sportlichen Grossveranstaltung Sinn macht, während im eigenen Land Krieg herrscht. Die Unterstützung für die ukrainische Nationalmannschaft scheint jedoch gross zu sein - der Sport bietet den Menschen die Möglichkeit, für ein paar Stunden etwas Distanz zu gewinnen.

20. Juni 2024 - 22:45

Höchstens eine Randnotiz in den Medien, aber vielleicht bedeutungsvoller als man denkt: die ukrainische Schifffahrtsgesellschaft "Ukrferry" hat angekündigt, ab Juli die Fährverbindung quer über das Schwarze Meer von Chornomorsk in der Nähe von Odessa nach Batumi in Georgien wieder aufzunehmen. Mit Beginn des Krieges kam die Schifffahrt praktisch vollständig zum Erliegen, da Russland mit der Schwarzmeerflotte die Ukraine auch vom Meer aus angriff. Dass der Transport übers Meer nun wieder möglich ist eröffnet der Ukraine Handlungsbeziehungen in Richtung Kaukasus und Zentralasien und zeigt, dass die russische Schwarzmeerflotte offenbar bedeutend geschwächt ist.

Die Fahrt dauert 60 Stunden und steht auch "gewöhnlichen" Passagieren zur Verfügung. Wir haben beste Erinnerungen ans Schwarze Meer: zum ersten Mal haben wir dort frei lebende Delfine gesehen - sehr eindrücklich.

19. Juni 2024 - 23:00

Heute vor einem Jahr hat Sergej seinen Vor-Ort-Einsatz bei swisstopo gestartet. Bis heute ist dieser Arbeitseinsatz in sehr guter Erinnerung. Gestern haben wir einen ähnlichen Auftrag erhalten: Vika und Sergej kommen im Juli zu einem Einsatz beim Hogrefe-Verlag in Bern.  Auch hier "tauschen" die beiden ihre Barrierefreiheit-Expertise gegen die temporäre Integration in ein deutsch sprechendes Team.

18. Juni 2024 - 23:30

Heute lassen wir wieder einmal Denis Trubetskoy, den Journalisten aus Kyiv, zu Wort kommen. Auf X (ehemals Twitter) schreibt er folgendes zum Friedensgipfel in der Schweiz:

1. Bei der Bewertung der Gipfelergebnisse sind realistische Erwartungen im Voraus wichtig. Man hätte es sich sicher im idealen Leben gewünscht, aber es war halt nie möglich, dass der gesamte globale Süden plötzlich bei der Konferenz erscheint und die ukrainische Sichtweise unterstützt. Auch ist es so, dass der Gipfel von Anfang an keinen richtigen Einfluss mindestens auf die nächsten, sagen wir mal, sechs bis neun Monate der Kampfhandlungen hätte haben können.

2. Von diesem Hintergrund sind 90+ Länder als Teilnehmer etwas, was sich Kyjiw als einen gewissen Erfolg veruchten könnte. Dass der Westen seine Unterstützung für die Ukraine wieder so deutlich demonstrierte, sollte auch nicht unterschätzt werden. Der realistische Erfolgsweg für die Ukraine ist, und da darf man ebenfalls keine Illusionen haben, immer stärker Teil des globalen Westens zu werden. Den globalen Süden komplett für sich zu gewinnen ist ein illusorisches Ziel, was nicht bedeutet, dass man keine Anstrengungen in die Richtung unternehmen sollte und es dort keine Partner zu finden sind. Man muss aber mit sich selbst über die Grenzen des Möglichen im Klaren sein.

3. Mit Chinas Nichtteilnahme sieht es so aus: Es ist einerseits weder überraschend noch so bedeutend wie es oft gemacht wird, wie auch immer das jetzt klingen mag. Kaum jemand in Kyjiw hatte die Hoffnung, Peking davon zu überzeugen, sozusagen die Teams zu wecheln. Es ist jedoch insofern enttäuschend, weil die Ukraine sich stets explizit bemühte, so korrekt wie möglich gegenüber China zu verhalten. Der blitzschnelle Rausschmiss des vorigen Sekretärs des Sicherheitsrates, der einen unglücklichen Scherz über einen hochrangigen chinesischen Diplomaten on air machte, ist ein gutes Beispiel dafür (nicht, dass Danilows Entlassung nicht sowieso in der Luft stand, aber eben nicht zwingend genau zu dem Zeitpunkt). Dass Peking seinerseits nicht nur nicht mal jemanden selbst mit dem sogenannten Beobachterstatus zur Konferenz schickte, sondern auch aktiv gegen die Teilnahme der anderen Länder im Hintergrund arbeitete, macht China als echten Vermittler im echten Verhandlungsprozess aus Kyjiwer Sicht vorerst für fast unmöglich. Es bedeutet nicht, dass gar kein Format vorstellbar wäre, welches zum Beispiel von der Türkei oder Saudi-Arabien angeführt wird und bei dem einerseits noch Frankreich oder Deutschland und andererseits China mit dabei sind. Das ist nicht ausgeschlossen, aber eben nicht sehr wahrscheinlich.

4. Am Wichtigsten ist am Ende, dass Länder wie Katar, die Türkei und Saudi-Arabien, die zu beiden Konfliktparteien recht gute Beziehungen pflegen, an der Konferenz teilgenommen haben (ob Saudi-Arabien dabei die Abschlusserklärung unterschrieben hat, ist letztlich zwar nicht egal, aber zweitrangig). Damit sehen wir grob die Auswahl der möglichen Vermittler. Ob und wie im Hintergrund darüber gesprochen wurde, wie der theoretische Waffenstillstand mal in der fenreren Zukunft aussehen könnte und wer denn in Frage käme, um diesen zu kontrollieren, wissen wir nicht. Doch eigentlich ist dies der relevanteste Aspekt jenseits des offiziellen Programms und gerade für solche Angelegenheiten käme auch die zweite Konferenz in Frage. Spoiler: Russland wird daran nicht teilnehmen. Die Ukraine und Russland wären realistischerweise erst in einem sehr kleinen Format an einem Tisch - und übrigens wohl nicht auf der Ebene von Selenskyj und Putin. Ein Waffenstillstand wird von anderen Funktionären unterschrieben, darüber hinaus gibt es ja etwa neben einem großen Gefangenenaustausch keinen Raum für einen vorstellbaren größeren Kompromiss.

5. Am Ende muss man eines klar und deutlich wiederholen, weil es wirklich dabei bleibt und darauf ankommt: Ein vorbedingungsloser Waffenstillstand wird erst dann möglich sein, wenn Russland endlich kapiert, dass die Fortsetzung der unendlichen und nicht zwingend erfolgreichen Angriffe wirklich keinen Sinn mehr macht und dass zumindest eine Pause notwendig ist (ja, das ist nicht ungefährlich, doch es wäre realitätsfern, zu behaupten, dass die Ukraine selbst gar keine Pause braucht, während es etwa vor allem ukrainische Infrastruktur ist, die tagtäglich von Russland zerstört wird). Das kann nur dann erreicht werden, wenn die Ukraine das Vorankommen Russlands auf dem Schlachtfeld endgültig stoppt und am besten die russische Armee an einigen Frontabschnitten etwas zurückschlägt. Das hat aktuell leider akute und eindeutige Priorität vor jeglichen Friedensgipfeln. Denn anders wird Russland vor seinen unrealistischen Vorbedingungen und Vorstellungen in dieser unschönen realen Welt nicht abkehren.

17. Juni 2024 - 22:45

Vika kann ihren Deutschkurs bis Ende Jahr fortsetzen. Es wird nun individuell geprüft, ob bessere Deutschkenntnisse die Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. In Ihrem Fall ist es so: um Kundenprojekte bei MyPAR selbstständig abwickeln zu können, muss natürlich die Kommunikation funktionieren auch wenn wir ein grosses Entgegenkommen und Verständnis seitens der Kundschaft feststellen.

16. Juni 2024 - 23:30

Zumindest für die Schweiz kann die Ukraine-Konferenz an diesem Wochenende als Erfolg bezeichnet werden: die beiden Tage mit hochrangigen Vertretungen aus rund 100 Ländern verlief ohne Zwischenfälle und wirkte professionell organisiert und durchgeführt.

Für die Ukraine ist es sicher kein Durchbruch, grosse und rasche Veränderungen sind nicht zu erwarten. Dass die Schlusserklärung von einigen Ländern nicht mitgetragen wird, war nicht anders zu erwarten - zu stark sind die Abhängigkeiten zu Russland. Dass die Erklärung klare Forderungen, wie zum Beispiel diejenige, dass alle verschleppten Kinder in die Ukraine zurückgebracht werden müssen, enthält und das über 80 der teilnehmenden Länder so sehen, kann trotz allem als Erfolg oder zumindest als Bestätigung verbucht werden.

Klar ist: der Weg zu Frieden und Stabilität ist noch sehr, sehr lang.

15. Juni 2024 - 23:15

Schöne Überraschung gestern Abend für Tanjas Mutter: sie war am späteren Abend noch auf ihrer Terrasse, als plötzlich der Wirt vom benachbarten Restaurant ihr ein Triamisu vorbei bringt. Sie sehen sich fast jeden morgen, wenn er zur Arbeit kommt und winken sich gegenseitig zu. Kürzlich haben ihr Nachbarn am Morgen spontan ein Gipfeli vorbei gebracht. Gesten, die so viel beitragen, dass sie sich wohl fühlt in ihrem Umfeld. Wir haben den Eindruck, dass sie sich kaum mehr zurücksehnt in letzter Zeit und hier angekommen ist.

14. Juni 2024 - 23:00

Russlands "Beitrag" zur Ukraine-Konferenz besteht nebst Störmanövern im Cyberbereich aus einem völlig abstrusen Vorschlag als Grundlage für Friedensverhandlungen: die Ukraine solle sich aus den vier Gebieten Donezk, Lugansk, Cherson und Zaporoshje vollständig zurückziehen und die Bezirke Russland überlassen. Wesentliche Teile dieser Gebiete sind und waren jedoch gar nie unter russischer Kontrolle! Völkerrechtswidrig besetzte Gebiete für sich zu reklamieren als Grundlage für einen Frieden, ist an sich schon dreist. Dann noch grosszügig Gebiete dazu zu verlangen schafft nur die russische Propagandamaschinerie.

13. Juni 2024 - 23:00

Nächstes Jahr ist es 40 Jahre her, dass sich der damalige US-Präsident Ronald Reagan und der Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) Michail Gorbatschow in Genf zum ersten Mal getroffen haben. Die so genannte Genfer Gipfelkonferenz gilt als ein Wendepunkt im Kalten Krieg.

Die Zeiten ändern sich und die Konstellation ist heute eine völlig andere. Es geht nicht mehr um ein "Gleichgewicht der Kräfte" wie im Kalten Krieg, sondern um einen brutalen Angriffskrieg auf einen souveränen Staat. Aber träumen darf man ja - wie damals von einem Ende des Kalten Krieges: wer weiss, vielleicht markiert die Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock auch einen Wendepunkt. Hinter den Kulissen geschieht wohl gerade mehr als das, was an die Öffentlichkeit gelangt. Gleichzeitig versucht Russland nach wie vor mit allen Mitteln, die Konferenz zu sabotieren.

Von der Ukraine-Konferenz ist noch nicht einmal die Gästeliste bekannt. Über das Genfer Gipfeltreffen gibt es hingegen sehr viele Informationen, zum Beispiel ein Artikel auf Wikipedia.

12. Juni 2024 - 23:00

Sergejs Vater Valentin arbeitet nun schon einen Monat zu 80% bei der Bäckerei Linder. Die Arbeit gefällt ihm sehr gut, am liebsten würde er das Bäckerhandwerk von Grund auf lernen. Mit der Sprache geht es zunehmend besser - allerdings mit lustigen Missverständnissen: kürzlich hat er anstatt "Pause" "nach Hause" verstanden und hat sich vorzeitig verabschiedet und gedacht, es gebe wohl an diesem Tag weniger zu tun. Alle haben es mit Humor genommen und sagen nun nicht mehr "Pause", sondern "Frühstück". Valentin war ganz erstaunt, dass das Missverständnis keine Konsequenzen hatte und er dafür nicht einmal eine Rüge erhalten hat.

11. Juni 2024 - 23:30

Bekanntlich werden Protest und Widerstand in Russland nicht toleriert und im Keim erstickt. Will man zeigen, dass man gegen das Regime und den Angriffskrieg in der Ukraine ist, muss man subtiler vorgehen. Eine einfache und verbreitete Art ist beispielsweise, dass man Wörter wie russland, präsident oder putin konsequent mit Kleinbuchstaben schreibt.

Ballerinas und Karpfen sind ebenfalls zu Symbolen des Widerstands geworden. Die Geschichten dahinter sind folgende: Starb ein sowjetischer Parteisekretär wurde im Fernsehen Tschaikowskis Ballett "Schwanensee" gezeigt, solange der Tod noch nicht offiziell war. Gezeichnete Ballerinas mit gekreuzten Armen wie im Schwanensee spielen darauf an, dass es an der Zeit wäre, den Schwanensee wieder einmal zeigen zu können... Die Assoziation mit dem Karpfen stammt aus neuerer Zeit: Im Dezember 2022 musste sich die Aktivistin Alisa Klimentova im sibirischen Tjumen vor Gericht verantworten, weil sie auf den Bürgersteig ein «Нет в***е!» – «Net w***e» geschrieben hatte. Der streng verbotene Slogan lautet «Net woine» – «Nein zum Krieg». Da Klimentova aber nur das W am Anfang und das e am Ende eines Wortes geschrieben hatte, konnte sie vor Gericht überzeugend darlegen, dass sie nicht «Net woine» habe sagen wollen, sondern vielmehr «Net woble» – «Nein zum Karpfen». Sie möge diesen Fisch nicht, argumentierte Alisa Klimentova. Seither verbreiten sich "Woblas" in allen Formen, als Sticker, Anhänger, Ohrringen usw.

Über diese und noch weitere subtile Formen des Widerstands berichtet SRF heute.

10. Juni 2024 - 21:15

Tanja hat heute mit einer Ukrainerin gesprochen, die ursprünglich aus Odessa stammt. Es ist sommerlich heiss im Süden der Ukraine. Die Menschen lassen es sich nicht nehmen, an den Stränden eine gewisse Normalität zu leben. Offenbar wurden vor allem die privaten Strände gereinigt und von Minen befreit, an den öffentlichen Stränden ist der Aufenthalt nicht zu empfehlen. Aufgrund der nach wie vor regelmässigen Angriffe auf die Stadt bleibt eine latente Gefahr.

Sehr mühsam sind aktuell die vielen Stromunterbrüche. Als Folge der von den Russen zerstörten Infrastruktur wird mehrere Stunden pro Tag der Strom abgeschaltet. Oft könne man Lebensmittel kaum mehr kühlen. Hitze und Stromunterbrüche bringen die Kühlschränke zum Erliegen.

9. Juni 2024 - 22:15

Ein Freudentag heute: Rebekka und Sergej haben ihre Verlobung gefeiert! Wir freuen uns mit ihnen und wünschen ihnen für den gemeinsamen Weg von Herzen nur das beste. Eine wunderschöne Geschichte.

8. Juni 2024 - 23:30

Wer denkt, Google habe die Internet-Suche erfunden, liegt nicht ganz richtig. Praktisch zeitgleich mit Google ging 1997 in Russland Yandex online. Beide Suchmaschinen der ersten Stunde entwickelten sich zu grossen Konzernen und "Datenkraken". Es gibt aber einen grossen Unterschied: Schon 2008 kam Yandex News in den Fokus des Kremls zwecks Informationskontrolle. Das Unternehmen verhielt sich bewusst unpolitisch und versuchte sich so dem Einfluss des Kremls zu entziehen. Die Rechnung ging nicht auf: spätestens mit dem Beginn des Angriffkrieges gegen die Ukraine wurde Yandex zum grössten Propagandainstrument und zur Echokammer des Kremls. Die meist besuchte Newsseite Russlands zeigt nur Beiträge, die vom russischen Regime abgesegnet sind. Einer der drei Gründer von Yandex starb bereits 2013 an Krebs, die beiden andern zogen sich kurz nach Beginn des Krieges aus dem Unternehmen zurück, rund 10% der Belegschaft floh ins Ausland.

Warum uns das interessieren sollte? Wie Google ist Yandex einer der grossen weltweiten Player im Werbemarkt. Gehandelt wird mit unseren Daten, also mit allem, was wir preisgeben, wenn wir uns im digitalen Raum bewegen. Und das ist mehr als uns lieb und bewusst ist: Standortdaten, Surfverhalten, Präferenzen und vieles mehr. Schweizer Medienhäuser nutzen sowohl die Dienste von Google wie auch von Yandex. Bis vor kurzem wickelte Yandex dieses Geschäft in den Niederlanden ab und war so dem europäischen Datenschutzrecht unterworfen. Im Februar 2024 verkaufte Yandex jedoch alle seine russischen Produkte - inkl. dem gesamten Online-Werbebereich - an ein staatsnahes Unternehmens­konsortium in Russland. Seit geraumer Zeit verlangt der russische Geheimdienst FSB die regelmässige Herausgabe sämtlicher Nutzerdaten von Yandex, was gleichbedeutend ist, dass unsere Nutzerdaten mehr oder weniger direkt auf den Bürotischen resp. den Bildschirmen des russischen Geheimdiensts landen. Die grösseren Medienhäuser haben inzwischen die Zusammenarbeit abgebrochen und die Yandex-Technologien aus ihren Produkten entfernt. In einem Artikel von letzter Woche zeigt die Republik, dass diverse lokale Medienportale auch nach dem Verkauf im Februar die Dienste nutzten und so Daten an den russischen Geheimdienst flossen.

Das Beispiel zeigt, dass die Einflussnahme Russlands im Westen sehr real ist. Man muss dafür nicht einmal mehr Spione schicken - die Technologie macht's möglich.

7. Juni 2024 - 23:30

Nach wie vor geben leicht mehr ukrainische Flüchtlinge den Status S ab als neue dazukommen. Die Zahl in der Schweiz lebender aus der Ukraine geflüchteter Menschen bleibt konstant bei ungefähr 65'000. Die Erwerbsquote steigt kontinuierlich an und liegt aktuell bei knapp 25%. Immer noch ein gutes Stück von den bis Ende Jahr angestrebten 40% entfernt, aber auch schon deutlich mehr als Anfang Jahr.

6. Juni 2024 - 23:45

Noch am 23. Februar 2022 waren wir überzeugt, dass es sich nur um ein Säbelrasseln handelt und sicher kein Krieg ausbrechen würde. Genauso überzeugt waren wir bis heute vor einem Jahr, dass die Zerstörung des Staudamms oberhalb von Cherson eine rote Linie markiert, die nicht einmal die russischen Besatzer überschreiten würden. Wir hatten uns erneut getäuscht.

Gut 18 Kubikkilometer Wasser flossen innerhalb von etwa vier Tagen ab. Mehr als 60 Menschen starben. Zehntausende Tiere verendeten. Seltene Ameisenpopulationen, Reptilien und Amphibien, Nistplätze für Vögel, aber auch Säugetiere sind vernichtet worden. Ganz zu schweigen von den Tausenden überschwemmten Häusern, die bis heute nicht mehr bewohnbar sind.

Wir sollten uns bewusst sein, dass der Kreml keine roten Linien kennt.

5. Juni 2024 - 22:30

Dima, der Sohn von Luda und Juri, lebt zusammen mit seiner Freundin in Polen. Ihre Mutter ist in Cherson geblieben und hat die beiden nun kürzlich in Polen besucht. Sie berichtet, einer der Gründe, weshalb die Leute ihre Wohnungen kaum verlassen, seien die vielen herumfliegenden Drohnen. Teilweise gibt es Angriffe, sehr oft dienen sie einfach der Aufklärung. So oder so ein beklemmendes Gefühl, ständig unter Beobachtung zu stehen und jederzeit damit rechnen zu müssen, dass in der Nähe eine Drohne einschlägt.

4. Juni 2024 - 22:45

Im Vorfeld der Ukraine-Konferenz Mitte Juni auf dem Bürgenstock unternimmt der Kreml alles, um das Treffen zu torpedieren. Dazu gehört unter anderem auch eine Diffamierungskampagne im russischen Staatsfernsehen gegen Bundespräsidentin Viola Amherd. Die Vorwürfe sind in unserem Verständnis völlig abstrus und beleidigend, für Russlands Propagandafernsehen jedoch völlig normal.

Auszüge und eine Einordnung siehe Artikel und Podcast auf SRF.

3. Juni 2024 - 23:00

0:0 endet das Testspiel Deutschland - Ukraine vor der Fussball-Europameisterschaft. In der Ukraine konnten viele das Spiel wohl nicht unterbruchsfrei verfolgen: zu häufig sind die Stromunterbrüche geworden.

Aus Cherson hören wir intensivere Warnungen vor bevorstehenden Angriffen als auch schon. Ob sich die Meldungen einfach rasch verbreiten oder ob sich tatsächlich eine grössere Offensive der Russen anbahnt ist kaum zu beurteilen - erst recht nicht von hier aus.

2. Juni 2024 - 22:00

Tatsächlich haben die USA und weitere westliche Verbündete zugestimmt, dass die Ukraine mit westlichen Waffen auch Ziele angreifen darf, die in Russland liegen. Das dürfte die Situation in Charkow deutlich entspannen. Die Herausforderungen bleiben trotzdem riesig: nach wie vor greifen die Russen systematisch zivile Infrastruktur an, die Stromversorgung wird vielerorts prekär. Der Staudamm eines Wasserkraftwerks, das vor einigen Wochen stark beschädigt wurde, droht zu bersten. Ganz offensichtlich setzt man immer noch auf Zermürbung. Diese Taktik war bisher weitgehend erfolglos - und dürfte es auch bleiben...

1. Juni 2024 - 23:30

In Kürze jährt sich die Zerstörung des Staudamms von Kachowka, der weite Gebiete um Cherson überflutete. Die Folgen für die Menschen vor Ort sind immer noch immens, Viele haben ihr gesamtes Hab und Gut verloren. Immerhin: die anfangs befürchtete grossflächige Wüstenbildung ist ausgeblieben, die Ökosysteme scheinen sich zu erholen.

Details dazu finden sich (auf Englisch) auf der Website der UNCG (Ukrainian Nature Conservation Group).

31. Mai 2024 - 22:45

Kürzlich haben wir mit einem entfernt bekannten Schweizer gesprochen, der bis heute die meiste Zeit in Odessa lebt und sich dort zusammen mit einem Hilfswerk vor allem um ältere Menschen kümmert.

Er berichtet, dass das Leben in Odessa im Vergleich zu den ersten sechs Kriegsmonaten, als Odessa massiv angegriffen wurde, heute wieder einigermassen normal verlaufe. Restaurants und Geschäfte seien geöffnet, vieles werde wieder aufgebaut und renoviert. Es gibt zwar nach wie vor Luftalarme, wertvolle Denkmäler sind immer noch mit Sandsäcken geschützt. Daran gewöhne man sich aber und lebe damit.

In Odessa haben sich offenbar sehr viele Hilfsorganisationen niedergelassen, die Bedürftige unterstützen und beim Wiederaufbau helfen. Wir vergessen hier manchmal, dass es abgesehen von den ins Ausland Geflüchteten auch mehrere Millionen Binnenflüchtlinge gibt.

Odessa ist nur rund 200 km von Cherson entfernt. Der Alltag ist ein völlig anderer.

30. Mai 2024 - 22:45

Heute Abend zeigte SRF den Dokumentarfilm "Weiterleben in Putins Russland" von Christof Franzen, dem ehemaligen Russlandkorrespondenten. In vielen Begegnungen versucht er zu ergründen, wie die russische Bevölkerung unter den aktuellen Umständen "tickt". Sehenswert!

29. Mai 2024 - 23:45

Wir freuen uns immer wieder, wie gut es Tanjas Mutter mit ihren 87 Jahren geht. Einzig gegen die Phantomschmerzen ihres amputierten Beins muss sie regelmässig Medikamente nehmen. In der Ukraine traten die Schmerzen immer wieder auf. Nach ihrer Flucht in die Schweiz erhielt sie ein anderes Medikament, das die Schmerzen praktisch vollständig zum Verschwinden brachten - ein Riesengewinn an Lebensqualität!

Aus nicht bekannten Gründen hat ihr der Arzt kürzlich ein anderes Medikament verschrieben, nach dessen Einnahme die Schmerzen sofort wieder da waren. Nach zwei fast schlaflosen Nächten konnte sie wieder zum alten Medikament zurück und die Schmerzen waren weg. Dieser Zwischenfall hat uns einmal mehr gezeigt, dass es alles anderes als selbstverständlich ist, in diesem Alter noch so rüstig und selbstständig zu sein.

28. Mai 2024 - 22:15

Es scheint sich etwas zu bewegen betreffend westlicher Unterstützung. Es geht um die Verteidigung von Charkow, der Stadt im Nordosten der Ukraine, die nur etwa 30 km von der russischen Grenze entfernt ist. Einerseits braucht die Ukraine dringend Abwehrsysteme, andererseits geht es um die Frage, ob der Ukraine erlaubt sein soll, mit westlichen Waffen Ziele auf russischem Territorium anzugreifen. Die russischen Angriffe auf Charkow erfolgen nämlich grösstenteils von Basen jenseits der Grenze.

Nun scheint man sich der Dringlichkeit langsam bewusst zu werden und es sieht danach aus, dass die Ukraine tatsächlich rasch weitere Unterstützung erhält. In unserer Nachbarschaft wohnhafte Ukrainer haben beim Angriff auf den Baumarkt in Charkow einen guten Bekannten verloren, der zur falschen Zeit am falschen Ort war. Es geht darum, solche tragischen Schicksale zu verhindern. Derweil teilt Putin unverfroren mit, dass der Westen mit seinen Provokationen die alleinige Schuld an dem Angriff auf den Baumarkt trage.

27. Mai 2024 - 22:30

Vor einem Jahr hatten wir geschrieben, dass der Mai 2023 einer der Monate mit den stärksten russischen Angriffen auf verschiedene ukrainische Städte war, glücklicherweise jedoch die Luftabwehr dank der westlichen Aufrüstung fast alles abwehren konnte.

Schon jetzt ist klar, dass auch der Mai 2024 einer der heftigsten Monate seit Beginn des russischen Angriffskriegs wird. Leider mit einem Unterschied: die westliche Aufrüstung ist ins Stocken geraten - mit tragischen Folgen, wie der kürzliche Angriff auf einen Baumarkt in Charkow mit vielen Todesopfer zeigt.

26. Mai 2024 - 22:45

Wir haben heute unsere Freunde - er Schweizer, sie Ukrainerin aus Cherson - getroffen, die am Tag vor dem russischen Angriff mit dem letzten Flug aus der Ukraine ausgereist sind. Mal in der Schweiz zu leben war nie ganz ausgeschlossen, Hals über Kopf die Ukraine verlassen zu müssen war aber definitiv nicht der Plan... Ihre knapp vierjährige Tochter versteht heute sowohl ukrainisch wie auch deutsch, spricht aber vor allem ukrainisch. Mit der Einschulung im nächsten Jahr wird deutsch ganz automatisch dazu kommen.

Die Eltern - beide Ärzte - leben nach wie vor in Cherson. 1-2 Mal pro Jahr kommen sie für ein paar Wochen in die Schweiz. Schon die Reise ist extrem anstrengend, was es emotional bedeutet können wir nur erahnen.

25. Mai 2024 - 23:00

Im Vorfeld der Ukraine-Konferenz streut Russland Gerüchte, wonach Putin bereit sei für einen Waffenstillstand. Einziger Zweck ist, damit die Konferenz als überflüssig darzustellen. Wäre es dem Diktator im Kreml ernst könnte er ja mal veranlassen, die so genannten «double tap strikes» - also kurz hintereinander ausgeführte Angriffe auf dasselbe Ziel - einzustellen. Diese gelten als Kriegsverbrechen und treffen oft Rettungskräfte. SRF hat kürzlich im Artikel «Wie ukrainische Rettungskräfte ihr Leben aufs Spiel setzen» darüber berichtet.

24. Mai 2024 - 23:15

Roma hat ein Lern-Wochenende vor sich: nächste Woche hat er seine Deutsch-Abschlussprüfung. Wir drücken die Daumen und wünschen schon jetzt gutes Gelingen und Glück bei der Themenwahl. Er meinte, je nach Thema, über das er befragt werde, könne es in die eine oder andere Richtung gehen...

23. Mai 2024 - 22:45

Der Kyiv Independent, eine wenige Monate vor Kriegsausbruch in der Ukraine gegründete englischsprachige Zeitung, berichtet heute, dass unter Vermittlung von Qatar 13 nach Russland verschleppte Kinder in die Ukraine zurückkehren konnten.

Seit Beginn der Russischen Invasion wurden 19'500 Verschleppungen von Kindern dokumentiert, weniger als 400 konnten bisher zurückgeführt werden. Russland bezeichnet die Entführungen als "humanitäre Hilfe zum Schutz russischer Bürger". Eine Tragödie für die betroffenen Familien.

22. Mai 2024 - 23:00

In weniger als einem Monat findet auf dem Bürgenstock die Ukraine Friedenskonferenz statt. Das heute kommunizierte Sicherheitsdispositiv ist immens. Das könnte ein Indiz sein, dass die Konferenz hochrangig besetzt sein wird. Und dann hoffentlich auch Wirkung zeigt.

Die Angriffe Russlands sind vor allem rund um Charkiv im Osten der Ukraine intensiv und brutal. An der Grenze geht das Säbelrasseln mit einer Übung mit Nuklearwaffen weiter. Auf allen Ebenen muss die Ukraine unterstützt werden, diesen Krieg so rasch wie möglich zu gewinnen. Das ist auch in unserem Interesse. Russland wird nicht Halt machen an den Grenzen der Ukraine.

21. Mai 2024 - 22:45

"11'000 Ukrainer in der Schweiz könnten mobilisiert werden" - so der Titel eines SRF-Beitrags. Es geht um das Mobilisierungsgesetz, welches seit kurzem in der Ukraine in Kraft ist und von allen wehrpflichtigen Ukrainern - egal wo sie leben - verlangt, sich zu registrieren. Das bedeutet noch lange nicht, dass sie dann tatsächlich eingezogen würden. Trotzdem für alle Seiten eine schwierige Situation: die Ukraine braucht genügend Ressourcen, um dem Aggressor entgegenhalten zu können, viele Ukrainer, die in der Ukraine geblieben sind, fühlen sich hintergangen von denjenigen, die geflüchtet sind. Gleichzeitig unterstützt ein grosser Teil der Geflüchteten die Ukraine in irgendeiner Art.

Das Dilemma liesse sich zumindest entschärfen mit entschlossenerer Unterstützung des Westens für die Ukraine. Sogar wenn weitere Soldaten bereit wären, in den Krieg zu ziehen, fehlt es der Ukraine an Ausrüstung und Waffen.

20. Mai 2024 - 22:15

Heute haben wir mit Tanjas Frendin Luda gesprochen. Yuri, ihr Mann, altersmässig bereits im Pensionsalter, hat einen Teilzeit-Job in Polen erhalten. Die Option bestand bereits als sie uns über Ostern besuchten, hat sich nun aber noch etwas in die Länge gezogen.

Weniger erfreulich sind die Neuigkeiten, die Luda von ihren ehemaligen Arbeitskollegen aus Cherson hört: offenbar haben Geschosse in das Gebäude der städtischen Steuerverwaltung eingeschlagen. Glücklicherweise wurde niemand schwer verletzt, der Schock sitzt trotzdem tief. Einerseits sollen gerade auch Behördenleistungen weiter angeboten werden können. Der Preis dafür ist aber unter Umständen hoch. Es ist nach wie vor nirgends sicher in und um Cherson.

19. Mai 2024 - 22:45

Sascha arbeitet immer noch als Monteur bei Beosolar. Es gefällt ihm nach wie vor sehr gut und er hat mittlerweilen seinen festen Platz im Team. Mit einem Augenzwinkern sagt er, die grösste Herausforderung seien die komplizierten und oft ähnlich klingeneden Ortsnamen wie Blumenstein und Burgistein. Er müsse immer gut hinschauen, dass er auf der richtigen Baustelle lande.

18. Mai 2024 - 23:00

Bei einem kurzen, spontanen Besuch hat uns Roma heute erzählt, wie es seinen Eltern geht: Grundsätzlich geht es ihnen nicht schlecht. Eigentlich wäre jetzt wieder Pflanzzeit. Wie schon in den letzten beiden Jahren ist nicht daran zu denken, im grösseren Stil Gemüse anzubauen. Sie beschränken sich auf das, was sie für den eigenen Gebrauch benötigen.

Für das bei der Überschwemmung nach der Sprengung des Staudamms zerstörte Haus und Grundstück haben sie von den russischen Besatzern eine Entschädigung von umgerechnet 1'000 USD erhalten. Das deckt natürlich nur einen Bruchteil des Schadens ab - dafür dürfte sich Russland damit von allen künftigen Forderungen freikaufen. Die Menschen haben keine Wahl. Es fehlt die Existenzgrundlage und von etwas müssen sie ja leben. So willigen viele in den schlechten Deal ein.

17. Mai 2024 - 23:45

Schon seit Monaten haben wir keinen Kontakt mehr zum Software-Entwickler aus der Nähe von Cherson. Soweit wir wissen, ist er immer noch vor Ort, hat aber oft keinen Strom und entsprechend auch keine Internetverbindung. Arbeiten ist so natürlich nicht möglich. Bereits vor dem Krieg war uns bewusst, dass es ein Risiko ist, wenn sich zu viel Knowhow auf eine Person konzentriert. "Irgendwann" müssen wir das angehen, lautete damals die Devise. Nun ist das Risiko eingetroffen und wir werden uns langsam, aber sicher nach einer anderen Lösung umsehen müssen. Es läuft zwar ganz gut bei MyPAR im Moment, aber übrige Zeit oder finanzielle Mittel für grössere Investitionen haben wir dann auch wieder nicht. Wir stehen da wohl auch nicht alleine da: gerade im IT-Bereich haben viele westliche Firmen mit ukrainischen Unternehmen zusammengearbeitet. Zu Beginn des Krieges war die Solidarität riesig und man nahm einige Extrameilen, um den Betrieb aufrecht zu erhalten und die Arbeitsplätze zu sichern. Man nahm auch mal in Kauf, wenn es länger dauerte. Auf lange Sicht geht das natürlich nicht, auch wenn die IT-Branche auf Fachkräfte aus andern Ländern angewiesen ist. Aus dieser Sicht haben wir ebenfalls ein grosses Interesse, dass sich die Lage in der Ukraine möglichst rasch stabilisiert, nicht noch mehr kritische Infrastruktur zerstört wird und der Konflikt nicht in weitere Länder eskaliert.

16. Mai 2024 - 23:00

Gute Neuigkeiten auch von Vikas Schwester: wenn alles klappt - was wir sehr hoffen - können sie ab dem 1. Juli in Spiez eine neue Wohnung beziehen! So können die Kinder das Schuljahr noch in Meiringen abschliessen und dann im August einmal mehr den Neustart im neuen Umfeld wagen. Dieses Mal hoffentlich dauerhafter.

15. Mai 2024 - 21:45

Sehr gute Neuigkeiten aus dem Hause Matvieiev: Valentin, Sergejs Vater, kann ab sofort sein Arbeitspensum bei der Bäckerei Linder auf 80% aufstocken. Und ab Juli kann auch Natalja, Sergejs Mutter, bei der Bäckerei in einem Teilzeitpensum arbeiten. Nach weniger als eineinhalb Jahren in der Schweiz werden also auch sie sich von der Asylsozialhilfe verabschieden können.

14. Mai 2024 - 23:30

Nach wie vor besuchen viele hochrangige Politikerinnen und Politiker die Ukraine, heute zum Beispiel der US-Aussenminister Antony Blinken. Diese Besuche und die direkten Gespräche sind für die Unterstützung der Ukraine extrem wichtig. Allerdings zählen im Moment vor allem Taten, nicht Worte oder Gesten. Und da nimmt nach wie vor Deutschland eine Führungsrolle innerhalb Europas wahr. Die Kommunikation des Kanzlers mag zwar grottenschlecht sein - die nicht nur in Aussicht gestellten, sondern auch tatsächlich gelieferten Flugabwehrsysteme retten hingegen täglich Leben. Es bleibt zu hoffen, dass Blinkens Besuch nicht nur der Imagepolitur diente...

13. Mai 2024 - 23:00

Die militärische Lage in der Ukraine ist so schwierig wie schon lange nicht mehr. Das wirkt sich auch auf die Befindlichkeit vieler Ukrainer im Ausland aus: viele kennen direkt oder indirekt jemanden, wer an der Front kämpft oder sogar verletzt oder gefallen ist. Bisher ist die angekündigte Unterstützung aus dem Westen noch nicht in dem versprochenen Ausmass eingetroffen. Derweil stellt sich Russland konsequent weiter auf einen langen Krieg ein. Propaganda und Repression gegen die eigene Bevölkerung, ein Verteidigungsminister, der zwar nicht viel Ahnung von Militär hat, dafür weiss, wie die Wirtschaft trotz Krieg in Schwung gehalten werden kann und intensivierte Cyberangriffe in ganz Europa.

8. Mai 2024 - 23:15

Heute hat der Bundesrat weitere Massnahmen zur besseren Integration der ukrainischen Flüchtlinge in den Schweizer Arbeitsmarkt beschlossen. Nach wie vor gilt das Ziel, die Quote bis Ende Jahr von aktuell 25 auf 40% zu erhöhen. Der Kontakt zu Firmen soll intensiviert und in der Ukraine erworbene Qualifikationen sollen besser anerkannt werden. Zudem soll die Vermittlung durch die regionalen Arbeitsvermittlungszentren verstärkt werden.

Bereits in den letzten Wochen konnten wir feststellen, dass die Asylsozialbehörden verstärkt auf die Arbeitsmarktintegration hinwirken. Das ist grundsätzlich der richtige Weg. Allerdings gibt es zwei Punkte, wo wir noch Nachbesserungsbedarf sehen: zum ersten muss sowohl für die Arbeitgebebenden wie auch für die ukrainischen Arbeitnehmenden genügend Sicherheit betreffend des Aufenthaltsstatus bestehen. Die Diskussion geht in die richtige Richtung: Aufenthaltsbewilligung B für alle mit einem festen Job. Beschlossen ist das noch nicht. Zudem stellen wir fest, dass unabhängig von der Qualifikation auf Arbeiten z.B. in der Gastronomie abgezielt wird. Kurzfristig mag das Sinn ergeben. Gerade bei jüngeren Menschen sollten jedoch unbedingt das vorhandene Potential und allfällige ukrainische Ausbildungen mitberücksichtigt werden.

Und last but not least: in der Schweiz leben auch ganz viele geflüchtete Menschen aus anderen Ländern. Für sie sollten selbstverständlich dieselben Möglichkeiten ebenfalls bestehen.

In eigener Sache: der Blog macht über Auffahrt Pause. Der nächste Beitrag kommt am Montag, 13. Mai.

7. Mai 2024 - 22:45

Heute hat Yaroslav einen neuen ukrainischen Pass mit 10-jähriger Gültigkeit erhalten. Was bei uns ein normaler Behördenvorgang ist, ist für viele Ukrainer im Moment nicht ganz selbstverständlich: die Ukraine hat vor kurzem alle konsularischen Dienste für im Ausland lebende wehrpflichtige Männer gestoppt. Yaroslav und Sascha haben das kommen sehen und im März die Verlängerung beantragt. Sascha hat den Antrag rund zwei Wochen nach Yaroslav eingereicht - es bleibt also spannend, ob die Verlängerung für ihn ebenso problemlos klappt.

Es ist zwiespältig: Beide sind 2022 legal aus der Ukraine ausgereist - Yaroslav als Minderjähriger, Sascha als Begleitperson seiner Mutter im Rollstuhl. Sie haben eine gültige Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz. Dass sie plötzlich ihre Pässe nicht mehr verlängern können sollen, grenzt an Schikane. Andererseits ist nachvollziehbar, dass die Ukraine vor allem aus innenpolitischen Gründen den Druck erhöht. Niemand rechnet ernsthaft mit Konsequenzen, ist trotzdem mühsam. Für Yaroslav zum Glück für die nächsten zehn Jahre erledigt.

6. Mai 2024 - 22:15

Nach langer Funkstille endlich wieder mal ein Lebenszeichen von Tanjas Jugendfreundin Natascha. Zusammen mit Luda - jetzt in Polen - Sveta - nach Moldawien geflüchtet - und Olga - schon seit den 90er Jahren in den USA - waren sie in jungen Jahren sehr oft zusammen unterwegs. Natascha ist nun also die einzige, die zusammen mit ihrem Mann noch in der Ukraine geblieben ist. Luda konnte kürzlich mit ihr telefonieren. Wie wir schon früher berichtet hatten, hatten sie sich schon ein paar Mal vorgenommen, zu fliehen. Nach wie vor sitzen sie auf ihrer Datscha am russisch besetzten Ufer des Dnjeprs fest. Das Gespräch sei eher schleppend verlaufen. Gleich zu Beginn habe sie Luda gebeten, gut zu überlegen, was sie sage - es höre sicher jemand mit. Am Ende hat sie festgestellt, dass sie gar nicht mehr gewohnt sei, mit Leuten zu sprechen. Es gebe kaum Gelegenheit für Gespräche. Einmal mehr ein Beispiel, wie unvorstellbar die Lebensrealität für viele Ukrainerinnen und Ukrainer zurzeit ist.

5. Mai 2024 - 22:45

Auch über Ostern haben die Angriffe Russlands kaum nachgelassen. Trotzdem haben es sich viele Menschen in der Ukraine nicht nehmen lassen, das Osterfest traditionell zu feiern: in der Familie oder auch beim Besuch einer Kirche.

Derweil nimmt Putin in Moskau an einem Gottesdienst zum orthodoxen Osterfest teil, in dem Patriarch Kyrill, enger Verbündeter von Putin und Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, in seinen Gebeten um den Schutz der «heiligen Grenzen» Russlands einsteht. Zynischer geht kaum mehr.

4. Mai 2024 - 22:45

Nach der Verabschiedung des US-Hilfspakets für die Ukraine war befürchtet worden, dass die Intensität der Angriffe Russlands zunehmen wird. Das bestätigt sich leider in den letzten Tagen. Insbesondere in Charkiw, mit fast 1.5 Mio. Einwohnern die zweitgrösste Stadt der Ukraine, leidet die Bevölkerung unter dem fast pausenlosen Beschuss. Erneut werden vor allem auch zivile Ziele angegriffen.

3. Mai 2024 - 21:30

An diesem Wochenende feiert die orthodoxe Welt Ostern. Während Weihnachten an unseren Kalender angeglichen wurde, bleibt Ostern in der Ukraine vorerst noch gleich wie in vielen andern orthodox geprägten Ländern.

2. Mai 2024 - 23:45

Bisher weitgehend unbeachtet von den hiesigen Medien finden in Tiflis, der Hauptstadt Georgiens, täglich grosse Protestaktionen statt. Es geht um die Verabschiedung eines umstrittenen Gesetzes, das nach Auffassung seiner Gegner wie in Russland zur Kontrolle der Zivilgesellschaft eingesetzt werden soll. Der Entwurf sieht vor, dass Nichtregierungsorganisationen ausländische Geldquellen offenlegen müssen. Die Regierungspartei sagt offen, damit die ausländische Einflussnahme kontrollieren zu wollen. Viele Projekte zur Demokratieförderung in Georgien werden vom Westen finanziert. Kritiker befürchten, dass dieses Gesetz nach Moskauer Vorbild missbraucht werden soll, um Geldflüsse zu stoppen und prowestliche Kräfte zu verfolgen. Georgien ist EU-Beitrittskandidat, die Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich die weitere Annäherung an den Westen.

Parallelen erkannt?

Bei den Maidanprotesten in der Ukraine Ende 2013 / Anfang 2014 ging es exakt um dieselbe Frage: Orientierung an westlichen oder russischen Werten? In der Ukraine stand der damalige Präsident Janukowytsch hinter der Annäherung an Russland und löste damit die Proteste der Bevölkerung aus, die ein bereits unterschriftsreifes Assoziierungsabkommen mit der EU befürwortete. Trotz grosser Repression gelang es ihm nicht, die Proteste zu unterbinden. Letztlich floh er nach Russland und wurde seines Amtes enthoben. Kurz darauf begannen die Destabilisierung im Donbass und die Annektion der Krim.

In Georgien steht die Präsidentin Surabischwili aufseiten der proeuropäischen Demonstranten. Starke Figur hinter der Partei, die das neue Gesetzt durchpauken will, ist der Milliardär Bidsina Iwanischwili. Sein Porträt auf Wikipedia und ein Artikel der NZZ von Anfang Februar zeigen die undurchsichtige Situation, die sich nun weiter zuspitzt. Es würde nicht wundern, wenn Russland hier gerade ein weiteres Ablenkungsmanöver lanciert...

1. Mai 2024 - 23:00

Am heutigen 1. Mai hat Denis Trubetskoy, Journalist aus Kiev, einen längeren Post auf X (vormals Twitter) mit einem aktuellen Stimmungsbild publiziert. Er spricht dabei unter anderem die Mobilisierungsreform an, die besonders bei Ukrainern im Ausland grosse Wellen geworfen hat. Sie sieht vor, dass im Ausland lebende Männer im wehrpflichtigen Alter keine konsularischen Dienste mehr in Anspruch nehmen können, solange sie sich nicht registriert haben. Dafür haben sie 60 Tage Zeit. Die einzige Möglichkeit, um z.B. einen Pass zu erneuern, wäre die Reise in die Ukraine. Eine Ausreise wäre aufgrund des Ausreiseverbots für wehrpflichtige Männer danach nicht mehr möglich. Das hat natürlich Ängste ausgelöst, dann gleich in die Armee eingezogen zu werden. Denis Trubetskoy schätzt es so ein, dass es innenpolitisch undenkbar gewesen wäre, die im Ausland lebenden Ukrainern von der Registrierungspflicht zu befreien. Gleichzeitig dürfte allen klar sein, dass aktuell kaum jemand freiwillig in die Ukraine zurückkehrt. Wie heiss das gegessen wird, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Es scheint naheliegend, dass es in erster Linie darum ging, überhaupt mal ein vollständiges Register zu haben. Das gab es bisher nämlich in der Ukraine nicht. Soweit bekannt ist, wuden bisher jedoch nur gut ausgebildete (Berufs)militär an die Front geschickt. Aber es ist schon klar, dass irgendwann die Ressourcen fehlen werden.

Auch die übrigen Einschätzungen im erwähnten Post von Denis Trubetskoy tönen plausibel und beschreibt die aktuelle Lage wohl recht zutreffend.

30. April 2024 - 21:45

Heute Nachmittag ist nun auch Lenas Schwester Oksana wieder abgereist. Sie fliegt von Basel nach Krakau, wo ihre beiden Töchter leben. In ein paar Tagen reist sie weiter nach Lviv (Lemberg), wo sie mit ihrem Mann wohnt.

29. April 2024 - 23:00

Der Krieg in der Ukraine wird auf der einen Seite auf brutalste Weise auf dem Schlachtfeld geführt. Die Opfer auf beiden Seiten sind immens, das Leiden der betroffenen Zivilbevölkerung unvorstellbar.

Gleichzeitig spielt sich der Krieg auch an andern Fronten ab: nach wie vor versucht Russland ganz gezielt mit Desinformationskampagnen Verunsicherung zu stiften und dreht die Wahrnehmung von Russland als Aggressor ins Gegenteil. Nun hat Putin - offenbar höchstpersönlich - eine weitere Front eröffnet: Video-Spielkonsolen und Gaming-Plattformen. Was auf den ersten Blick komisch klingt, hat einen simplen Grund: Viele Videospiele drehen sich um Krieg und Kampf. Entsprechend können politische Narrative und Botschaften eingebaut und so die spielende Bevölkerung auf Kreml-Kurs getrimmt werden. Ein Artikel auf SRF.ch zeigt, dass das wohl nicht von heute auf morgen gelingt. Das dürfte Moskau auch klar sein. Ein weiteres Indiz, dass Russland sich auf eine lange Konfrontation einstellt.

28. April 2024 - 22:15

Kaum willkommen geheissen hiess es heute schon wieder Abschied nehmen! Dasha, Juri und Olivia sind bereits wieder zu Hause in Tschechien. Der Aufenthalt war kurz, aber intensiv. Dank der attraktiven Frühlingsaktion der BLS konnten sie innert drei Tagen eine Schifffahrt auf dem Thunersee und die Aussicht vom Niesen und vom Stockhorn geniessen. Olivia war hin und weg vom vielen Schnee! Sogar das Wetter hat ideal mitgespielt.

Wir freuen uns, sie bald wiederzusehen.

27. April 2024 - 22:30

Heute hatten wir einen Wohnungsbesichtigungstermin für die Familie von Vikas Schwester. Niemand ist erschienen, telefonisch niemand erreichbar. Zusammen mit zwei weiteren Parteien, die die Wohnung ebenfalls besichtigen wollten, zogen wir unverrichteter Dinge wieder ab.

Wie wenn die ganze Situation nicht schon genügend zermürbend wäre...

26. April 2024 - 22:45

Heute vor 38 Jahren dürften wie ich viele meiner Generation zum ersten Mal etwas von der Ukraine gehört haben: damals ereignete sich im Atomkraftwerk von Tschernobyl die Reaktorkatastrophe. Dass dieses Ereignis in der Geschichte dieses Landes nicht die grösste Katastrophe bleiben würde war damals undenkbar - etwas Schlimmeres konnte man sich nicht vorstellen.

25. April 2024 - 23:15

Auch andere Länder machen sich Gedanken über die Zukunft des Schutzstatus für Geflüchtete aus der Ukraine. Österreich zum Beispiel plant, den Schutzstatus in einen Aufenthaltsstatus umzuwandeln, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: Die Flüchtlinge müssen arbeiten. Sie müssen damit ihre Familie ernähren können. Sie müssen die Landessprache sprechen. Ein längerfristiges Aufenthaltsrecht bietet sowohl den Flüchtlingen wie auch der Wirtschaft mehr Verlässlichkeit. Die Quote der Flüchtlinge, die arbeiten, dürfte so signifikant erhöht werden können.

Bundesrat Beat Jans hat angekündigt, dass er sich ein ähnliches Modell für die Schweiz vorstellen könnte. Man darf gespannt sein auf die Reaktionen. Wir sind überzeugt, dass dieser Weg der aktuellen Situation am ehesten gerecht wird. Niemand kann heute sagen, wie lange eine Rückkehr unzumutbar bleibt. Alle Massnahmen, die zur Unabhängigkeit von der Asylsozialhilfe führen, entlastet nicht nur unser Sozialwesen, sondern gibt den Menschen ihre Selbstbestimmung zurück. Und das ist letztlich eine wichtige Voraussetzung, um irgendwann den Entscheid zu treffen, wieder in die Ukraine zurückzukehren oder im Gastland bzw. der neuen Heimat Wurzeln zu schlagen.

24. April 2024 - 22:45

Gestern ist Sasha und Lenas Tochter Dasha aus Tschechien mit Mann und Töchterchen hier angekommen. Dieses Mal können sie leider nur ein paar Tage in der Schweiz bleiben. Im Vergleich zu früher aber schon ein grosser Schritt: dank der geografischen Nähe, der besseren Verkehrsverbindungen und letztlich auch dank der besseren wirtschaftlichen Verhältnisse kann sich die Familie nun viel häufiger sehen als noch vor dem Krieg. Nun sollte einfach das Wetter noch ein wenig mitspielen...

23. April 2024 - 23:15

Die Ukraine erhöht den Druck auf wehrpflichtige Männer, die ins Ausland geflohen sind: sie sollen vorläufig keine konsularischen Dienste erhalten, also zum Beispiel keine Verlängerung des Reisepasses. Die Begründung lautet, dass der Aufenthalt im Ausland die Pflichten gegenüber dem Vaterland nicht aufhebe. Aus Sicht der Ukraine ist dieser Schritt angesichts der aktuellen Kriegslage nachvollziehbar. Langfristig dürfte er kaum durchsetzbar sein. Wer sich im Ausland eine neue Existenz aufgebaut hat - egal ob bereits vor oder erst während dem Krieg ausgereist - wird sich davon sicher nicht in die Ukraine zurück locken lassen. Gerade beim späteren Wiederaufbau wird die Ukraine zudem auf die Expats angewiesen sein, die in beiden Welten zu Hause sind. Wir sehen es im Moment eher als Schikane, vielleicht auch, um gegenüber der Bevölkerung, die in der Ukraine geblieben ist, Härte zu zeigen.

22. April 2024 - 22:45

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine sind ungefähr 3 Mio. Hektar Waldfläche zerstört worden. Das ist rund 2.5 Mal die gesamte Waldfläche der Schweiz. Die Zerstörung des Staudamms im letzten Jahr hat ca. 620 km2 Land überschwemmt. Das entspricht etwa 13 Mal der Fläche des Thunersees. Zusätzlich zum Leid des Krieges muss die Ukraine auch mit immensen Umweltschäden fertig werden.

21. April 2024 - 22:15

Entlang des Flusses Ural, also rund 1'500 km östlich von Moskau, kam es seit Anfang April wegen steigender Temperaturen und starker Regenfälle in mehreren Regionen zu Dammbrüchen und als Folge zu den schlimmsten Überschwemmungen seit 80 Jahren. Tausende Häuser wurden zerstört, zehntausende Menschen mussten evakuiert werden. Bewohner der betroffenen russischen Regionen klagen, dass die Behörden die drohende Gefahr sehr lange ignoriert hätten.

Mit dem Geld, das jeden Tag für einen sinnlosen Eroberungskrieg ausgegeben wird, könnten in ganz Russland Schutzmassnahmen umgesetzt werden. Aber Moskau hat seine eigenen Prioritäten...

Für die betroffenen Menschen ist das doppelt verheerend: abgesehen davon, dass Russland sich lieber neue Gebiete einverleibt als die eigenen Territorien angemessen zu schützen, gibt es auch kaum internationale Hilfe. Hätte es diese Überschwemmungen vor drei Jahren gegeben, wäre die weltweite Solidarität gross gewesen. Heute wird nicht einmal gross darüber berichtet.

Man könnte erwarten, dass das zu einem Umdenken und Widerstand in der russischen Bevölkerung führt. Das ist leider nur ansatzweise der Fall: kritisiert werden in erster Linie die lokalen Behörden. Und der Kreml pflichtet bei: schuld ist selbstverständlich nicht die Moskauer Zentrale, sondern korrupte Beamte vor Ort, die versagt haben. Diese kann man einfach entlassen oder verschwinden lassen.

20. April 2024 - 23:30

Rund zwei Jahre nach der Flucht stehen viele Menschen aus der Ukraine vor Aufgaben, die normalerweise einfach zu lösen sind, nun aber plötzlich zur Herausforderung werden: zum Beispiel Pässe, die ablaufen. Grundsätzlich ist es zwar möglich, diese auch im Ausland zu verlängern. Die Wartezeiten und der bürokratische Aufwand sind aber beträchtlich. Dazu kommt, dass vor allem ältere Leute gar keinen Ausland-Pass besitzen. Für die Flucht reichte der Inland-Pass (vergleichbar mit unserer Identitätskarte), je nach Aktivität kann das nun zum Problem werden.

Für Sascha stellt sich langsam, aber sicher die Frage, was er mit seinem Auto, mit dem sie in die Schweiz geflüchtet sind, tun soll. Aktuell drücken die Behörden noch viele Augen zu: offiziell darf ein Fahrzeug mit ausländischen Kennzeichen maximal ein Jahr in der Schweiz gefahren werden. Danach muss es hier eingelöst werden. Das bedeutet, dass es eingeführt, verzollt und geprüft werden muss. Das lohnt sich für den alten VW Touran nicht mehr. Uns sind keine Fälle bekannt, dass Autos mit ukrainischen Kennzeichen aus dem Verkehr gezogen wurden. Wie es in einem Schadenfall aussehen würde, ist aber nicht abschliessend klar. Jedenfalls benutzt Sascha das Auto kaum mehr. Eine Idee ist, das Fahrzeug irgendwie wieder zurück in die Ukraine zu bringen. Dort würde es definitiv noch gute Dienste leisten. Ob das überhaupt möglich ist, wollen wir in der nächsten Zeit mal abklären.

19. April 2024 - 23:15

Diese Woche hat für Sergejs Vater Valentin der vom RAV vermittelte Integrationskurs gestartet, bei dem es um eine raschmögliche Integration in den Arbeitsmarkt geht. Er wird unterstützt beim Zusammenstellen eines Bewerbungsdossiers, übt Bewerbungsgespräche und lernt arbeits- und branchenbezogenes deutsches Vokabular. Dank seinem handwerklichen Geschick scheint es uns realistisch, dass er in absehbarer Zeit eine Anstellung mit höherem Pensum findet.

18. April 2024 - 22:45

Luda und Juri haben sich wieder gut eingelebt in Lublin. Sie haben einige Tage gebraucht, um alle Eindrücke zu verarbeiten und wieder in ihrem Alltag anzukommen. Wir haben viel gemeinsam erlebt, sind viel draussen gewesen und haben von tiefem Winter bis zu vorsommerlichem Wetter alles gesehen - so richtig Ferien halt. Zusätzlich haben die beiden natürlich auch mitbekommen, wie für die ukrainischen Flüchtlinge hier in der Schweiz vergleichsweise gut gesorgt wird. Auch wenn sich ab und an Fragen stellen und man nicht alles versteht, dürfen wir insgesamt schon ein wenig stolz sein, wie wir die viel zitierte humanitäre Tradition der Schweiz leben.

17. April 2024 - 21:00

Seit Monaten streitet man sich in den USA um weitere Unterstützung der Ukraine. Nun scheint etwas Bewegung in die Sache zu kommen: die Verabschiedung eines weiteren Hilfspakets in Millionenhöhe wird konkreter. Der ukrainische Präsident Zelensky hat es heute klar und deutlich zum Ausdruck gebracht: ohne weitere ausländische Hilfe wird es ganz, ganz schwierig, Russland über längere Zeit im Zaum zu halten, geschweige denn die Aggression zu stoppen. Das deckt sich mit Informationen, die wir aus der Ukraine hören: die Truppen sind extrem müde.

16. April 2024 - 23:30

Dieser Tage ist es genau zwei Jahre her, seit Sascha, Lena, Yaroslav und Galina in der Schweiz eingetroffen sind. Einerseits sind die ersten Tage und Wochen noch sehr präsent - unglaublich, was in kürzester Zeit alles abgeklärt, erledigt, organisiert werden musste! Auf der anderen Seite können wir es uns gar nicht mehr vorstellen, dass wir nicht alle in derselben Gegend leben.

15. April 2024 - 22:45

Bis Ende Jahr sollen 40 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge in der Schweiz arbeiten. Dieses Ziel hat der Bundesrat bereits vor ein paar Monaten beschlossen. Zurzeit gehen gut halb so viele einer Arbeit nach. Ist das Ziel überhaupt realistisch? Dazu gab es heute Mittag einen Beitrag auf SRF1. Was wir bereits länger vermuten wird im Beitrag ebenfalls erwähnt: wer Arbeit hat dürfte es in Zukunft einfacher haben mit der Aufenthaltsbewilligung. Das ist einerseits ein Anreiz für die Geflüchteten, andererseits auch Sicherheit für die Arbeitgebenden.

14. April 2024 - 21:45

Zugegeben etwas zynisch: der erste Gedanke beim Lesen der News heute früh war, dass die 300 vom Iran auf Israel abgefeuerten Geschosse immerhin nicht via Russland in der Ukraine landen. Israel scheint gut auf den Angriff vorbereitet gewesen zu sein und konnte Schäden zum Glück weitgehend verhindern.

Als Vergleich: Israel ist mit 22'145 km² flächenmässig etwas kleiner als die Oblast ("Kanton") Cherson mit 28'461 km². Gemäss Statistik (die wir nicht verifizieren können) wurden auf die Oblast Cherson seit Anfang Jahr rund 66'000 Geschosse abgefeuert. Das sind im Tagesdurchschnitt (!) rund doppelt soviel wie beim gestrigen Angriff des Irans auf Israel. Cherson macht weniger als 5% der Fläche der Ukraine aus. Solche Rechenspiele zeigen die unglaublichen Dimensionen auf, sollen aber bestimmt nicht zwei unvorstellbare Tragödien gegeneinander abwägen.

Höchstwahrscheinlich geht es eh um etwas ganz anderes: Aufmerksamkeit. Der Angriff Irans war ganz bestimmt mit Moskau abgesprochen, wenn nicht sogar vom Kreml mit orchestriert. Während sich die Weltöffentlichkeit und die politischen Institutionen damit auseinandersetzen müssen, können anderswo - zum Beispiel in der Ukraine - die brutalen Ziele ohne grosse Beachtung weitergeführt werden.

13. April 2024 - 23:00

Diese Woche hat Russland einmal mehr gezielt zivile Infrastruktur angegriffen und grosse Zerstörung angerichtet: im Fokus standen unter anderem Kraftwerke. Schon jetzt hört man, dass bis zum Beginn des nächsten Winters nicht alles wiederhergestellt werden kann. Die Bevölkerung muss mit noch mehr Stromunterbrüchen leben und sich wohl schon jetzt auf kalte Wohnungen gegen Ende Jahr einstellen.

Viele Städte werden immer noch tagtäglich angegriffen. Das bedeutet wenig Schlaf und ständige Ungewissheit, wen es als nächstes treffen könnte. Zum eigenen Schutz sollte man sich möglichst weit weg von Fenstern aufhalten. Naturgemäss sind das oft Korridore oder Badezimmer. Nicht selten dienen Badewannen als Nachtlager. Auch wenn weniger berichtet wird in den westlichen Medien: der Krieg tobt nach wie vor grausam entlang der Frontlinien und in vielen Städten der Ukraine.

12. April 2024 - 21:00

Bisher war die Wohnungssuche für Vikas Schwester mit Familie leider noch erfolglos. Längst haben sie den Suchradius ausgeweitet - von Bern bis Meiringen kommt alles in Frage. Diverse Wohnungen konnten sie besichtigen, der Durchbruch steht noch aus.

11. April 2024 - 23:30

Heute in einer Woche kommt Lenas Schwester Oksana für knapp zwei Wochen in die Schweiz. Sie lebt mit ihrem Mann nach wie vor in Lviv und pendelt regelmässig zu ihren Töchtern nach Polen. Auslandreisen gehen nur alleine - Männern unter 60 ist die Ausreise seit Beginn untersagt.

Ein paar Tage später kommen dann auch Dascha mit Mann und Töchterchen für ein verlängertes Wochenend aus Tschechien.

Für die Familie von Lena und Sascha sind die Möglichkeiten, sich zu treffen und etwas gemeinsam zu unternehmen einfacher und auch erschwinglicher geworden. Trotzdem bleibt natürlich ein riesiger Wermutstropfen: ein Besuch oder gar eine Rückreise ins Heimatland ist aktuell undenkbar.

10. April 2024 - 22:30

Sergejs Vater Valentin hatte diese Woche ein vielversprechendes Gespräch mit seinem aktuellen Arbeitgeber, der Bäckerei Linder. Es besteht die Möglichkeit, dass er in einiger Zeit sein Arbeitspensum erhöhen kann. Es braucht wohl noch etwas Geduld. Wir sind zuversichtlich, dass das zusammen mit der Integrationsbegleitung durch das RAV zum Erfolg - sprich zur Unabhängigkeit von der Asylsozialhilfe - führt.

9. April 2024 - 23:30

«Unsere Partner haben bestimmte Waffen, die wir heute brauchen, um zu überleben. Und ich verstehe einfach nicht, warum wir diese Waffen nicht bekommen», sagte Präsident Selenski heute in einem Interview in der Region Charkow, die aktuell wieder unter starkem Beschuss steht.

Im März sind der UNO-Beobachtungsmission zufolge in der Ukraine mindestens 604 Zivilisten getötet oder verletzt worden. Dies entspreche einem Anstieg von 20 Prozent gegenüber Februar, teilt das UNO-Menschenrechtsbüro mit.

Was verstehen wir im Westen (noch) nicht?

8. April 2024 - 22:00

Bis jetzt konnte Luda ihre Stelle bei der städtischen Steuerverwaltung in Cherson behalten. Ihr unbezahlter Urlaub wird von Mal zu Mal verlängert. Allerdings nehme der Druck zu, entweder nach Cherson zurückzukehren oder die Stelle zu kündigen. Die Urlaubsverlängerungen würden nur noch für kurze Zeiträume bewilligt. Für Luda ist ist im Moment eine Rückkehr ausgeschlossen, zu gefährlich ist die Situation vor Ort.

Für die ukrainischen Behörden ist es ein Dilemma: die Verwaltung muss für die Menschen, die noch vor Ort sind, funktionieren - idealerweise mindestens ebenso gut wie vor dem Krieg. Gleichzeitig ist an ein normales Arbeiten nicht zu denken. Einige von Ludas Arbeitskolleginnen und -kollegen sind innerhalb der Ukraine geflüchtet und haben zum Teil neue Jobs in andern Städten gefunden. Bei ihnen ist die Rückkehr nach Cherson vermutlich noch unwahrscheinlicher, dafür bleiben sie dem ukrainischen Arbeitsmarkt erhalten. Auch für die ukrainischen Behörden ist der Krieg extrem herausfordernd.

7. April 2024 - 20:45

Luda und Juri sind gut wieder in Lublin angekommen. Über sie können wir endlich auch wieder direkt in Cherson Hilfe leisten: Juri hat aus erster Ehe zwei erwachsene Kinder, die beide mit ihren Familien bis heute in Cherson geblieben sind. Was sie genau in Cherson hält, ist uns schleierhaft. Es scheint so, als hätten viele einfach den richtigen Zeitpunkt verpasst und sich dann wie selbstverständlich fürs "Aussitzen" entschieden. Wie und wann sie und ihre schulpflichtigen Kinder je wieder in einen normalen Alltag zurückfinden sollen ist weit, weit weg.

Wir haben Luda und Juri etwas Bargeld mitgegeben, das sie dann aus Polen an die beiden Familien in Cherson überweisen können. Ein Tropfen auf den heissen Stein, aber hoffentlich ein kleiner Lichtblick und eine Möglichkeit, sich eine kleine Abwechslung vom Alltag zu gönnen.

6. April 2024 - 23:45

Unsere Terrasse ist seit heute Nachmittag komplett frei von Unkraut. Kurz entschlossen erledigt von Tanjas Mutter. Es ist sehr beeindruckend, mit welchem Enthusiasmus sie trotz ihrer Behinderung ans Werk geht. So viel Kraft und Ausdauer möchten wir mit 87 Jahren auch noch haben...

Nachdem sie in den ersten eineinhalb Jahren oft mit der Situation gehadert hat und lieber heute als morgen nach Cherson zurückgekehrt wäre haben wir den Eindruck, dass sie sich nun heimisch fühlt und die vielen Abwechslungen, die ihr der Schweizer Alltag bietet, geniesst.

5. April 2024 - 21:45

Sergejs Vater Valentin hatte heute einen ersten Termin beim RAV, der regionalen Arbeitsvermittlung. Er arbeitet zwar nach wie vor rund 25% bei der Bäckerei Linder, möchte aber gerne ein Vollzeitpensum, um möglichst aus der Asylsozialhilfe aussteigen zu können. Das RAV bietet zwar keine Stellenvermittlung, unterstützt aber bei Integrationsmassnahmen. Zuerst geht es darum, herauszufinden, in welchem Bereich es Chancen für eine Anstellung gibt und ein Bewerbungsdossier zusammenzustellen. Dann gibt es ein breites Kursangebot, um allfällige Wissenslücken füllen zu können. Der erste Schritt ist gemacht, wir drücken die Daumen, dass es bald klappt mit einem Vollzeit-Job.

4. April 2024 - 22:30

Bis heute waren wir noch zur Hälfte im Ferienmodus. Morgen früh reisen Luda und ihr Mann Juri zurück nach Lublin. Wir haben eine sehr gute Zeit zusammen verbracht, viel gesehen und erlebt und uns scheint, dass den beiden der Tapetenwechsel gut getan hat. Wir wünschen eine gute Rückreise und hoffen, dass das Erlebte noch etwas nachklingt.

2. April 2024 - 23:30

Die Schlichtungsverhandlung bezüglich der Wohnung von Vikas Schwester hat nicht wirklich Klarheit gebracht: beide Parteien - der bisherige Eigentümer der Liegenschaft und der Sozialarbeiter - behaupten, nichts vom geplanten Verkauf gewusst zu haben resp. dass dieser angekündigt war. Immerhin: die Familie darf bis im Sommer in der Wohnung bleiben. Die Suche nach einem neuen Zuhause geht trotzdem weiter. Kurz vor Ostern konnten sie noch einige Objekte besichtigen. Wir warten auf hoffentlich positiven Bescheid.

23. März 2024 - 23:00

Morgen geht's los Richtung Mailand. Luda und ihr Mann Juri fliegen von Lublin nach Bergamo und wir holen sie dort ab. Sie bleiben knapp zwei Wochen. Der Blog macht Pause bis nach Ostern.

22. März 2024 - 22:00

Premiere heute bei MyPAR: Vika und Sergej haben praktisch alleine einen ganztägigen Workshop mit einer Kundin durchgeführt! Noch vor ein paar Monaten hätten wir das nicht in Betracht ziehen können - die Sprachkenntnisse hätten nicht gereicht. Ein schöner und grosser Schritt für die beiden und für MyPAR. 

21. März 2024 - 22:45

Letzte Nacht wurde Kiev in einem Ausmass angegriffen wie es schon seit mehreren Monaten nicht mehr vorkam. Es gab viele verletzte Zivilisten. Denis Trubetskoy, der Journalist aus Kiev, dessen Berichterstattung wir folgen, schreibt, dass man sich nie an diese Geräusche gewöhnen würde: zuerst der Lärm der Raketen, kurz darauf das Geräusch, wenn sie abgefangen werden. Für einige lange Sekunden bleibt die Ungewissheit, ob in der Nähe Trümmer abstürzen. In Cherson ist das tagtäglich der Fall. Wie es die Menschen dort aushalten ist ein Mysterium.

20. März 2024 - 23:00

Das "Echo der Zeit" sendete heute einen Beitrag mit dem ehemaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko anlässlich seines Besuchs am Europainstitut an der Universität Zürich von letzter Woche. 2004 wurde er Opfer eines Giftanschlags (die Spuren führen - wen wundert's - nach Moskau), der sein Gesicht entstellte. So dürfte er einigen hier noch in Erinnerung sein. Während seiner Präsidentschaft von 2005 und 2010 hat er die Ukraine auf Westkurs gebracht. In der Ukraine war er (wie alle Präsidenten vor und nach ihm mit Ausnahme von Zelenskyy) nicht sonderlich beliebt. Wirtschaftlich war es schwierig, die Korruption an allen Ecken und Enden präsent. Gleichzeitig waren es auch die Jahre der Identitätsfindung. Wollte man ähnlich wie Weissrussland Vorzimmer von Moskau werden? Sich westlichen Vorstellungen annähern? Gibt es DIE Ukraine überhaupt oder sind der Osten und Westen des Landes doch zu unterschiedlich? Diese Fragen trieb die Ukraine in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts um. Und die Menschen wollten damals vor allem endlich auf einen grünen Zweig kommen, ein sicheres Einkommen und eine Perspektive haben.

19. März 2024 - 23:45

Im März ist die Anzahl Ukrainer mit Schutzstatus S in der Schweiz erstmals seit September 2022 unter 65'000 gesunken. Um die 100 Ukrainerinnen und Ukrainer verlassen wöchentlich die Schweiz resp. geben den Status S ab. Wie es mit dem Status S weiter geht, ist aktuell noch unklar. Es zeichnet sich ab, dass er nach drei Jahren, also im Frühjahr 2025, aufgehoben werden soll, da er für kurzfristige Aufenthalte mit rascher Rückkehr ins Heimatland konzipiert wurde. Welchen Aufenthaltsstatus die Ukrainerinnen und Ukrainer danach erhalten werden, wird sich zeigen. Klar scheint, dass eine rasche Rückkehr nicht möglich und auch nicht im Interesse der Schweiz sein wird. Wenn auch langsam sind doch immer mehr Flüchtlinge unabhängig von der Asylsozialhilfe, können ihren Lebensunterhalt selber bestreiten und leisten so einen wichtigen Beitrag in unserer Gesellschaft.

18. März 2024 - 22:15

Heute jährt sich die Annexion der Krim zum zehnten Mal. Was sich damals - weitgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit - abspielte, markiert aus heutiger Sicht den Beginn der russischen Invasion in der Ukraine.

17. März 2024 - 21:00

Genau vor einem Jahr hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag einen Haftbefehl gegen Putin wegen Kriegsverbrechen erlassen. Heute lässt sich der Angeklagte für weitere sechs Jahre als Machthaber Russlands "wählen". Immerhin: die Aktion "Mittag gegen Putin" hat weltweit doch einige Aufmerksamkeit erregt, was dem Kreml nicht so genehm sein dürfte. Auch in Bern gab es um den Mittag herum lange Warteschlangen vor der russischen Botschaft. Dass das für die Teilnehmenden nicht ganz ungefährlich sein kann, zeigen der Bericht und das Interview mit dem ehemaligen Chef des schweizerischen Nachrichtendienstes auf TeleBärn.

16. März 2024 - 23:15

Auch in den besetzten Gebieten finden dieses Wochen russische Schein-Wahlen statt. Man hört, dass Tausende von Russen in die besetzten Gebiete transportiert wurden, um den Anschein zu erwecken, dass die Wahlbeteiligung hoch ist. Weder in Russland selber noch in den besetzten Gebieten kann auch nur ansatzweise von fairen Wahlen gesprochen werden.

15. März 2024 - 23:15

Uns fehlen grad etwas die Worte: der Asylsozialarbeiter, welcher Vikas Schwester und ihrer Familie die Wohnung vermittelt hatte, hat offenbar gewusst, dass der Verkauf der Liegenschaft geplant war! Eigentlich wollte der Eigentümer die Wohnung gar nicht mehr vermieten, liess sich dann aber überreden. Gegenüber der Familie hat der Sozialarbeiter kein Wort gesagt, dass es sich nur um eine kurze Übergangslösung handelt. Nächste Woche kommt es nun zu einer Schlichtungsverhandlung. Es ist und bleibt verworren - und für die Familie belastend.

14. März 2024 - 23:15

Die Wahlinszenierung am kommenden Wochenende in Russland wirft ihre Schatten voraus: die Ukraine hat in den letzten Tagen gezielt russische Ölraffinerien angegriffen. In den nahe der ukrainischen Grenze gelegenen russischen Städten Kursk und Belgorod gibt es Scharmützel zwischen der russischen Armee und russischen Partisanen, die als «Legion Freiheit Russlands» auftreten, grösstenteils aus rechtsradikalem, äusserst zweifelhaftem Umfeld. Für die Ukraine sind Angriffe in Russland selber seit Beginn des Krieges eine Gratwanderung. Aktuell sollen sie wohl einfach Unruhe stiften und im Kreml für schlechte Laune sorgen. Eine allzu grosse Wirkung darf man wohl nicht erwarten.

13. März 2024 - 21:15

Gestern waren drei ältere Damen aus demselben Haus bei Tanjas Mutter zu Gast. Sie hat sie mit Blinis (Crêpes) verwöhnt. In unserer Familie herrscht Konsens, dass man Blinis zu jeder Jahres- und Tageszeit geniessen kann... Besonders beliebt sind sie in der Woche vor Beginn der orthodoxen Fastenzeit, der so genannten Masleniza ("Butterwoche"). Dabei handelt es sich um einen uralten Brauch zur Verabschiedung des Winters. Mehr zum Hintergrund weiss Wikipedia.

Eine der Nachbarinnen hat schon länger gesagt, sie wolle Galina helfen, deutsch zu lernen. Gestern hat sie ihr Zeichnungen mit Tieren mitgebracht mit entsprechender deutscher Beschriftung. Und heute ist sie nochmal vorbeigekommen und hat übergeprüft, ob Galina bereits gelernt hat...

12. März 2024 - 23:15

Michail Bulgakows Roman «Der Meister und Margarita» ist ein Klassiker des 20. Jahrhunderts. Darin erscheint der Teufel mit seiner teuflischen Entourage im stalinistischen Moskau, wo er Chaos und Verwirrung stiftet. Bulgakow vermischt im Roman seine Gedanken zu Religion, Kunst, Gut und Böse in der Stalinzeit, in der er lebte. Das Buch wurde erst lange nach seinem Tod veröffentlicht, vorher verhinderten die sowjetischen Behörden die Publikation.

Noch vor dem Krieg wurde der Roman - mitfinanziert vom russischen Staat - verfilmt und läuft nun sehr erfolgreich in den Kinos in Russland. Dumm nur, dass der Film offensichtliche Anspielungen auf das Putin-System, etwa auf die Annexion der Krim enthält. Die Erzählung über die stalinistische Repression und Zensur ist im heutigen Russland plötzlich sehr viel relevanter als es sich das Regime im Kreml wohl vorgestellt hat. Verbieten kann man den Film im Nachhinein nicht mehr - das würde ihn nur noch beliebter machen.

Ein schönes Beispiel, wie Kunst und Kultur sogar dem riesigen Machtapparat in Russland ein Schnippchen schlagen kann. Und es nährt die Hoffnung, dass bei den Menschen, die den Film schauen, etwas hängen bleibt und Kräfte erstarken lassen, die dem diktatorischen Regime etwas entgegensetzen können.

11. März 2024 - 22:30

Der Dokumentarfilm "20 Tage in Mariupol" gewann letzte Nacht den Oscar als "Bester Dokumentarfilm" - als erster ukrainischer Film überhaupt. Der Film dokumentiert 20 Tage, während der ein Team ukrainischer Journalisten in der von russischen Truppen belagerten Stadt Mariupol festsitzt. Als letztes internationales Reporterteam bemühen sie sich, die Gräueltaten der russischen Invasion zu dokumentieren und fangen ein, was später zu den prägendsten Bildern des Krieges wird: sterbende Kinder, Massengräber, die Bombardierung einer Entbindungsklinik usw.

Ein schwer zu ertragender Film, den es eigentlich nicht geben dürfte. Gleichzeitig ein wichtiges Zeitdokument, um der russischen Propaganda entgegenzutreten.

10. März 2024 - 22:45

Ob die Aussage des Papstes, die Ukraine möge sich doch bitte ergeben, nun tatsächlich so gemeint oder einfach unglücklich formuliert, aus dem Kontext gerissen oder vielleicht auch einfach falsch übersetzt war, bleibe dahingestellt. Die Empörung in der Ukraine können wir gut nachvollziehen. Der Alltag der Ukrainerinnen und Ukrainer in den besetzten Gebieten ist demütigend und weit von den Freiheiten entfernt, die in der Ukraine seit mindestens einem Jahrzehnt gesichert sind. Nur ein "kleines" Beispiel: Rentnern in den besetzten Gebieten wird damit gedroht, dass sie die Rente nicht ausbezahlt bekommen, wenn sie nicht an den russischen Präsidentschafts"wahlen" teilnehmen. Zur Auswahl steht genau ein Kandidat.

9. März 2024 - 23:00

Offenbar konnte die Ukraine am linken Ufer des Dnjeprs in der Nähe von Cherson heute nach längerer Zeit wieder Geländegewinne erzielen. Für die Motivation ist das ganz wichtig. Ob es militärisch von Bedeutung ist, wird sich zeigen müssen.

Wer etwas Zeit hat: wir empfehlen den SRF-Podcast mit Wladimir Kaminer, einem russisch-deutschen Schriftsteller, der in Moskau geboren ist und seit 30 Jahren in Berlin lebt. Mit beissendem bis schwarzem Humor kritisiert er das russische Regime und die Gleichgültigkeit der russischen Gesellschaft gegenüber dem Krieg.

8. März 2024 - 22:30

Zum heutigen 8. März, dem Internationalen Frauentag, hat uns Vika mit einer leckeren ukrainischen Torte verwöhnt. Eigentlich werden ja an diesem Tag die Frauen verwöhnt - das ist in der Ukraine und natürlich auch bei den Ukrainern, die hier sind, im Blut. Aber eine Torte von Vika geht immer - sogar am 8. März...

7. März 2024 - 23:00

Ehrlich gesagt war uns nie bewusst, wie gross der Agrarsektor der Ukraine vor der russischen Invasion war. Klar, die riesigen Felder waren immer wieder beeindruckend. Irgendwie hatten wir aber die Bilder der maroden Betriebe aus den 1990er-Jahren nie richtig abgelegt.

10 Millionen Tonnen Weizen soll Russland in den letzten zwei Jahren aus den besetzten Gebieten gestohlen haben. Die Schäden und Verluste der ukrainischen Landwirtschaft werden auf mehr als unvorstellbare 80 Milliarden Dollar geschätzt. Diese Zahlen zeigen die Dimension und letztlich auch den Erfolg der letzten zwei Jahrzehnte.

Aufgeben ist keine Option. Zwei Beispiele zeigen das eindrücklich:

6. März 2024 - 22:30

Für die junge Ukrainerin aus Odessa, die Tanja kürzlich bei einem Übersetzungseinsatz kennengelernt hat, haben wir in der Zwischenzeit einiges an Möbeln und weiterer Wohnungseinrichtung gefunden und vermitteln können. Sie ist nun seit rund vier Monaten in der Schweiz, seit ein paar Wochen in einer WG mit einer Schweizerin und deren Kind.

Die junge Frau hat bisher die definitive Bestätigung für den Status S noch nicht erhalten. Vor zwei Jahren hat die Ausstellung 4 bis 6 Wochen in Anspruch genommen. Aktuell dauert es viel länger. Grund dafür ist, dass viel intensiver recherchiert wird, ob tatsächlich ein Anrecht auf den Schutzstatus besteht. Die Missbrauchsfälle haben deutlich zugenommen. Es scheint ganze Gruppen zu geben, die mit gekauften ukrainischen Pässen in die Schweiz einreisen, obwohl sie weder ukrainische Staatsangehörige sind, noch je dort gelebt haben. Dreist und skrupellos, wie hier Notsituationen auf der einen und Hilfsbereitschaft auf der andern Seite ausgenutzt werden!

5. März 2024 - 23:30

Schon länger haben wir Tanjas Freundin Luda vorgeschlagen, uns zu besuchen. Heute haben wir Nägel mit Köpfen gemacht: zusammen mit ihrem Mann kommt sie über Ostern für rund 10 Tage in die Schweiz. Die beste und günstigste Flugverbindung aus Lublin (Polen) geht nach Mailand. Wir verbinden das mit ein paar Urlaubstagen und werden sie dort abholen. Für Luda wird es der dritte Besuch in der Schweiz, ihr Mann Yurii war noch nie hier. Wir freuen uns schon heute auf die gemeinsame Zeit.

4. März 2024 - 22:30

Für Serhii startete heute wieder ein Intensiv-Deutschkurs. Er musste ziemlich kämpfen, dass ihm ein Kurs zum Niveau B2 bewilligt wurde. Gleichzeitig ist B2 praktisch überall die Voraussetzung für ein Studium oder eine Lehre. Etwas widersprüchlich, dass wir einerseits möglichst viele Menschen aus der Ukraine in den Arbeitsmarkt integrieren wollen, andererseits das initiale Investment scheuen... Nun ja - das Wichtigste ist, dass es nun geklappt hat. Die nächsten Monate kann er also wie bisher an vier Halbtagen pro Woche sein Deutsch weiter perfektionieren.

3. März 2024 - 22:15

Bezüglich der Wohnsituation von Vikas Schwester mit Familie hat sich bisher nichts verändert. Die Sache ist undurchsichtig: es ist nach wie vor nicht ganz klar, ob und wann genau sie die Wohnung verlassen müssen. Die Suche nach einer neuen Bleibe geht vorerst weiter.

Dafür haben sowohl Vikas Schwester wie auch ihr Mann eine Arbeit gefunden! Dank flexibler Arbeitseinsätze können sie sich die Kinderbetreuung aufteilen.

2. März 2024 - 23:00

Vika und Roma wohnen nun schon etwas mehr als ein Jahr in der gemeinsamen Wohnung in Steffisburg. Wie schnell die Zeit vergeht! Wir waren heute bei ihnen eingeladen und durften einen gemütlichen Abend mit leckerem Nachtessen verbringen.

1. März 2024 - 22:45

Im Fokus stand heute das Begräbnis des russischen Oppositionspolitikers Alexei Navalny in Moskau. Überraschenderweise gab es Tausende von Menschen, die ihm nicht nur die letzte Ehre erweisen wollten, sondern sich auch erstaunlich kritisch zeigten. Das ist einerseits bemerkenswert, weil der Tod Navalnys in den russischen Staatsmedien kaum ein Thema war, und andererseits aufgrund der Repression bei den geringsten kritischen Aussagen zum Krieg. Dass Navalnys Frau und seine Kinder aus Furcht vor Konsequenzen nicht zum Begräbnis nach Russland gereist sind, spricht für sich. Ein weiteres Beispiel, wie unzimperlich das russische Regime mit Menschenleben umgeht, zeigt ein heute Mittag im Radio ausgestrahlter Beitrag über Nepalesen an der Front in der Ukraine.

29. Februar 2024 - 22:45

Derzeit gibt es zur Situation in der Ukraine leider kaum Lichtblicke. Immerhin kann gesagt werden, dass die kritische Infrastruktur, also die Versorgung mit Gas, Wasser, Heizung und Elektrizität, in diesem Winter wesentlich verlässlicher war als im letzten Jahr.

28. Februar 2024 - 22:45

Luba konnte heute - an ihrem Geburtstag - nach langem Unterbruch endlich wieder einmal mit ihrem Partner sprechen, mit dem sie nach dem Tod ihres Mannes in der Ukraine zusammengelebt hat. Bei der Flucht vor zwei Jahren wollte er die Ukraine unter keinen Umständen verlassen. Er und eines seiner erwachsenen Kinder blieben als einzige der Familie im von Russland besetzten Gebiet, um das Haus zu beschützen. Es sei alles gut - einzig das Haus dürfe man nicht mehr verlassen, da die Front immer noch in der Nähe verlaufe. Versammlungen von mehr als drei Personen im Freien seien zudem untersagt. Deshalb gebe es auch keinen Markt mehr wie früher, man müsse das geerntete Gemüse halt jetzt untereinander teilen. Er schlug Luba vor, ob sie nicht zurückkommen wolle, auf der Krim werde offenbar Land verteilt an Leute, die sich dort niederlassen möchten. Luba hat dankend abgelehnt...

27. Februar 2024 - 22:45

Heute stand wieder einmal ein Fest auf dem Programm: Tanjas Mutter feierte ihren 87. Geburtstag - bei bester Laune und bester Gesundheit. Wir durften einen gemütlichen Abend im Familienkreis mit kulinarischen Köstlichkeiten aus beiden Kulturen verbringen. Und morgen geht's gleich weiter: Lena's Mutter Luba feiert morgen ebenfalls Geburtstag. Wir wünschen den beiden rüstigen Seniorinnen alles Gute und vor allem weiterhin gute Gesundheit!

26. Februar 2024 - 23:15

In den Nachrichten und auf den Titelseiten ist der Krieg in der Ukraine in den Hintergrund gerückt. Dafür gibt es zahlreiche gut recherchierte Hintergrundberichte und Dokumentationen. Ein besonderes Highlight ist die Serie "In Her Car", die letztes Jahr, also bereits während des Krieges, in der Ukraine gedreht wurde. Die Serie ist inspiriert von den vielen Ukrainerinnen und Ukrainern, die zu Beginn des Krieges Fahrdienste mit ihren privaten Autos anboten und dabei teilweise ihr Leben riskierten, wenn sie Menschen aus zerbombten Städten in weiter entlegene Gebiete oder zur Grenze nach Polen chauffierten. Mit den persönlichen Schicksalen der Menschen vermittelt sie eine andere, sehr direkte Perspektive auf den Krieg.

25. Februar 2024 - 23:15

Marcus Keupp, deutscher Militärökonom und Dozent an der Militärakademie der ETH Zürich, hatte vor rund einem Jahr prognostiziert, dass Russland spätestens im Oktober 2023 strategisch am Ende sei. Leider hat sich das bisher nicht bewahrheitet. Ein Beitrag auf WELT TV zeigt zuerst die Beteuerungen der UNO und vieler westlicher Länder, die Ukraine weiterhin zu unterstützen, und im zweiten Teil ein Interview, in dem Marcus Keupp die aktuelle Situation einschätzt und erklärt, warum er mit seiner Einschätzung falsch lag respektive was sich anders als erwartet entwickelt hat.

24. Februar 2024 - 23:00

Heute jährt sich der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zum zweiten Mal. Die Berichterstattung war in den letzten Tagen aufgrund des Jahrestages wieder etwas stärker auf die Ukraine gerichtet. Es ist zu hoffen, dass den schönen Worten der europäischen Leader auch Taten folgen. Die Ukraine ist darauf angewiesen und wir tun gut daran, Russland in die Schranken zu weisen.

Viele geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer haben sich inzwischen darauf eingestellt, dass eine Rückkehr wohl noch länger nicht möglich sein wird. Die Integration klappt meist gut, auch nach zwei Jahren ist die Solidarität nach wie vor gross. Ein Beispiel dafür zeigte 10 vor 10 diese Woche aus Melchnau, einer kleinen Gemeinde im Kanton Bern, deren Einwohnerzahl aufgrund der 70 ukrainischen Flüchtlinge schlagartig um 5% zunahm. 

16. Februar 2024 - 23:15

Die Nachricht vom Tod Alexei Navalnys, dem bekanntesten russischen Oppositionspolitiker, kam überraschend - und irgendwie doch nicht. Es war absehbar, dass er mit seiner Hartnäckigkeit und seinem Mut eines Tages zu unbequem für das Regime werden würde. Dank seinem Charisma und seiner landesweiten Bekanntheit gingen viele davon aus, dass er eines Tages Putin beerben und Russland auf den Weg zurück in die Rechtsstaatlichkeit führen könnte. Den Krieg gegen die Ukraine hat er stets verurteilt, vertrat teils aber auch sehr nationalistische Positionen. Einfach wäre es mit ihm an der Spitze Russlands wohl auch nicht geworden - aber ganz sicher um Längen demokratischer und (welt)offener.

In eigener Sache: ferienbedingt folgt der nächste Blog-Beitrag morgen in einer Woche - am zweiten Jahrestag des russischen Angriffkrieges auf die Ukraine.

15. Februar 2024 - 22:45

Heute konnte Tanja einer jungen Ukrainerin aus Odessa, die sie kürzlich bei einem Übersetzungseinsatz kennengelernt hat, Geschirr, Schuhe und Kleider vorbei bringen. Sie hat bis vor kurzem im Containerdorf in Bern gelebt und hat nun ein Zimmer in einer WG zusammen mit einer Schweizerin. Sie spricht gut Englisch und freut sich darauf, nun auch vermehrt Deutsch zu sprechen mit ihrer Mitbewohnerin.

Ein erster Schritt in Richtung wieder erlangter Selbstständigkeit.

Falls jemand jemanden kennt, wer Möbel loswerden möchte, dann hätten wir einmal mehr eine dankbare Abnehmerin.

14. Februar 2024 - 23:00

Erfolg für Sergej: er hat heute sein Deutsch-Zertifikat, Level B1, erhalten! Wir gratulieren herzlich!

Das ist ein wichtiger Schritt, zum Beispiel wenn es um eine Weiterbildung geht. Da werden heute oft Sprachnachweise mit einem anerkannten Zertifikat verlangt. Und natürlich ist es auch eine schöne Bestätigung für den geleisteten Einsatz in den letzten Monaten.

13. Februar 2024 - 23:15

"Wir erleben nicht einen Krieg Russlands gegen die Ukraine, sondern es ist der erste Schritt zur Herstellung einer russischen Hegemonie über den ganzen Kontinent. Das wird in Russland ganz offen gesagt. Dann muss man handeln: Nur wenn wir schnell eine Abschreckung gegenüber Russland erreichen, wird Russland aufhören, als Kriegstreiber in Europa aufzutreten. Gelingt das nicht und kommt Trump im Herbst an die Macht, wird es eine sehr gefährliche Situation geben und dies wahrscheinlich viel schneller, als die meisten von uns erwarten.", sagt Oliver Jens Schmitt, Professor für osteuropäische Geschichte der Universität Wien in einem Interview bei SRF. Es ist klar, dass nicht alle Experten diese Meinung teilen. Es gibt auch Vermutungen, dass Russland vor allem uraltes Kriegsmaterial verpulvert, das bald zur Neige gehe.

Fakt ist, dass Russland seine Wirtschaft seit dem letzten Jahr komplett auf Krieg umgestellt hat. Das bedeutet, dass Industriebetriebe, die vorher Autos oder Haushaltgeräte hergestellt haben, heute Waffen und Munition produzieren - oft rund um die Uhr.

Belegt ist ebenfalls, dass Putin noch 2022 "garantiert" hat, dass er keine Absicht habe, die Ukraine anzugreifen. In den nächsten Tagen jährt sich die Invasion Russlands in die Ukraine zum zweiten Mal. Heute beteuert er, dass er "niemals" einen Krieg mit den baltischen Staaten oder Polen anzetteln würde. Wer's glaubt möge weiter träumen.

12. Februar 2024 - 22:15

Darf man überhaupt noch was anderes tun als an der Front zu kämpfen, wenn das eigene Land überfallen wird? Für viele Ukrainerinnen und Ukrainer wurde das in den letzten zwei Jahren zur Gewissensfrage.

Der gestern bei SRF gezeigte Film "Charkiw - Mit Musik gegen den Krieg" begleitet junge Musikerinnen und Musiker, die - wie sie sagen - an der musikalischen Front kämpfen und zeigt eindrücklich, wie viel Kraft und Energie es braucht, trotz allem an die Kraft der Musik zu glauben.

11. Februar 2024 - 21:30

Der Kontakt zu Romans Eltern ist schwieriger geworden. Die Verbindung funktioniert grundsätzlich schlechter als noch vor einem Jahr. Dazu kommt, dass das Smartphone, das sie früher genutzt haben, kaputt gegangen ist. Im Moment funktioniert der Austausch nur noch über Sprach- oder Textnachrichten. Klar: sie sehnen sich nach ihrem Zuhause, den Umständen entsprechend geht es ihnen aber recht gut. Es ist ruhig in ihrer Gegend. Das kleine Dorf liegt weder an einer Durchgangsstrasse, noch wäre es sonst von Interesse für die russischen Besatzer. Ab und zu sehe man russische Soldaten, die in einem Haus in der Nähe übernachten, aber meist nach einem Tag wieder weg seien.

Von einem normalen Alltag ist das Leben dort weit entfernt. Der Bewegungsradius ist nach wie vor auf das Notwendige beschränkt, Arbeit gibt es kaum. Was anzupflanzen macht nur wenig Sinn, da die Erde dort, wo sie jetzt sind, nur wenig Ertrag liefert und kaum bewässert werden kann, da es immer noch nur sporadisch Strom gibt.

10. Februar 2024 - 22:45

Mehrmals pro Woche telefoniert Tanjas Mutter mit ihrer Schwester in Moskau. Die Verbindung funktioniert genauso problemlos wie vor dem Krieg. Die Thematik des Krieges und die aktuelle politische Lage werden in den Gesprächen weitgehend ausgeblendet. Es geht um die alltäglichen Freuden und Sorgen und darum, sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung ist. Wenn wir zufällig dabei sind, dann sagen wir natürlich kurz hallo. Weitergehenden Kontakt mit den Verwandten in Russland haben wir nach wie vor nicht. Wir wissen wenig, wie stark sie von der Propaganda beeinflusst sind und halten uns lieber zurück.

9. Februar 2024 - 22:45

Wir hatten in Cherson eine "Privat-Schneiderin", Tonia, die für uns viele Kleider auf Mass geschneidert hat. Ihr Mann hat schon vor der Besatzung der Krim im Jahr 2015 im Sommer jeweils auf der Halbinsel in einer Feriensiedlung als Koch gearbeitet. Sie sind nun dorthin geflüchtet. Heute hat Tanjas Mutter mit ihr telefoniert. Es geht ihr und ihrem Mann verhältnismässig gut. Er habe Arbeit, sie hat ab und zu Aufträge. In ihrer Gegend sei es ruhig.

In Cherson wohnten sie in einem Quartier mit vorwiegend kleinen, älteren Einfamilienhäusern. Oft ist dort der Umschwung wesentlich grösser als das Haus selber. Viele Bewohner sind mit Hühnern und Garten praktisch Selbstversorger. Die Häuser sind meist nur einstöckig. Hier in der Schweiz würde man sie wahrscheinlich als baufällig bezeichnen.

Wer genügend Geld hatte, hat aus der baufälligen Hütte ein Haus oder sogar eine Villa gebaut - die Grundstücke waren genügend gross. Vor allem diese besser aussehenden Behausungen sind während der Besatzung von Cherson geplündert worden. Tonias Häuschen steht hingegen noch und sei unversehrt.

Vor dem Krieg haben gegen "normale" Diebe Zaun und Hund gereicht. Während den ersten Kriegsmonaten hat man ganze Lastwagenzüge mit geplünderten Waren gesehen, die Richtung Russland unterwegs waren.

8. Februar 2024 - 22:30

Christof Franzen, langjähriger SRF-Korrespondent in Russland, hat ein interessantes Porträt eines Schweizers gedreht, der seit 2016 in Sibirien lebt. Es ist gleichzeitig ein Stimmungsbild der russischen Gesellschaft, das nachdenklich stimmt. Egal, ob die befragten Leute die Ukraine als Teil des von der Propaganda heraufbeschworenen "Russischen Reichs" sehen oder nicht: irgendwie tief drin scheinen die meisten zu verstehen, dass das, was ihr Land im Moment grad anrichtet, nicht richtig ist. Und trotzdem wird es akzeptiert oder sogar unterstützt. Einfach Wegschauen? Hilflosigkeit? Angst? Für uns schwer nachvollziehbar, was eine Gesellschaft so stark prägt, dass praktisch widerstandslos hingenommen wird, dass so viele Menschen sinnlos in den Krieg ziehen müssen.

7. Februar 2024 - 22:00

Heute hat Tanja mit einer ehemaligen Schulkollegin geschrieben, die nach wie vor in Cherson lebt. Sie sagt, für sie sei das Ganze aufgrund ihrer Behinderung erträglicher: sie ist taub und entsprechend verschont vom dauernden Lärm der täglichen Angriffe auf die Stadt. Die Zeit vertreibt sie sich mit Brot backen. Sie hat Bilder ihrer "Kollektion" geschickt. Alles in allem sei es aber schon sehr anstrengend. Auf Tanjas Frage, warum sie nicht hierher komme, folgt einmal mehr die Antwort: meine Mutter ist nicht von hier wegzubringen - ich kann sie doch nicht allein lassen.

6. Februar 2024 - 23:00

Leider klappt es mit der Wohnungsbesichtigung morgen in Meiringen nicht. Der Vermieter hat heute den Termin abgesagt. Sie hätten das innerhalb der Agentur nochmal besprochen und seien zum Schluss gekommen, dass die Wohnung von der Grösse und vom Ausbaustandard nicht geeignet sei für eine Familie mit vier noch recht kleinen Kindern.

Dieses Mal kam die Absage immerhin bevor die Familie eingezogen ist...

5. Februar 2024 - 22:00

Yaroslav hat bereits 1.5 Jahre seiner Lehre hinter sich - beinahe die Hälfte! Es läuft sehr gut, soeben hat er das Semesterzeugnis erhalten mit sehr guten Noten. Von einigen Fächern wurde er dispensiert, da er bereits die ukrainische Matura bestanden hat. Das motiviert ihn zusätzlich, da er an diesem Tag im Homeoffice arbeiten kann. Nach wie vor ist sein Ziel, zu studieren. Er ist auf bestem Weg dorthin.

4. Februar 2024 - 22:15

Vor kurzem hatte Sascha bei Beosolar sein Mitarbeitergespräch. Bisher war bei wichtigen Gesprächen immer jemand von uns dabei, um wenn nötig zu übersetzen. Dieses Mal ging das problemlos ohne Unterstützung. Noch vor ein paar Monaten wäre das kaum denkbar gewesen. Anhand solcher Situationen sind die steten Fortschritte sichtbar, die er - und viele Ukrainer - mit der Sprache machen.

3. Februar 2024 - 22:45

Heute haben wir einen gemütlichen Abend verbracht bei einer ukrainischen Familie aus Charkow. Obwohl es nun schon fast zwei Jahre her ist, ist die erste Zeit des Krieges und die Flucht in die Schweiz immer noch sehr präsent. Im Gegensatz zu Cherson, wo die Stadt selber weitgehend verschont blieb, wurden Teile von Charkow dem Erdboden gleich gemacht. Die Grenze zu Russland liegt weniger als 50 km entfernt. Entsprechend war die Angst in der Bevölkerung riesig. Hier verstand man noch weniger als in andern Teilen der Ukraine, was gerade vor sich ging: Charkow galt als die "russischste" Stadt der Ukraine. Es gab einen regen Austausch zu Belgorod, der ersten grösseren Stadt auf der russischen Seite. Das wird auf Jahrzehnte wohl nicht mehr so sein.

2. Februar 2024 - 21:45

Heute haben wir einen Termin für eine Wohnungsbesichtigung in Meiringen erhalten! Am nächsten Mittwoch kann die Familie von Vikas Schwester die Wohnung im Zentrum besichtigen. Wir hoffen sehr, dass die Wohnung passt und es klappt. Für die Familie wäre es ein Highlight in Meiringen bleiben zu können.

1. Februar 2024 - 22:00

Letze Woche bereiste der Flüchtlingshochkommissar der Vereinten Nationen, Filippo Grandi, während einer Woche die Ukraine, um sich ein Bild der aktuellen Lage zu machen. Innerhalb der Ukraine gibt es ebenfalls Hunderttausende von Flüchtlingen, die auf Unterstützung angewiesen sind. Das UNHCR setzt sich einerseits für diese Menschen ein und unterstützt andererseits auch solche, die sich für eine Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete entscheiden. Der Bericht auf der Website des UNHCR zeigt eindrücklich, was vor Ort geleistet wird.

31. Januar 2024 - 22:15

Der erste Monat des neuen Jahres ist schon wieder Geschichte! Nachdem die ersten beiden Wochen noch recht ruhig waren, konnten wir bei MyPAR in der zweiten Hälfte Januar bereits wieder ein paar kleine, aber feine Aufträge entgegennehmen und abwickeln. Es darf so weitergehen...

30. Januar 2024 - 22:45

Bezüglich der Wohnsituation von Vikas Schwester und ihrer Familie gibt es leider keine Fortschritte. Was wir schon etwas befürchtet hatten, ist nun tatsächlich eingetroffen: Asyl Berner Oberland hat sich bisher offensichtlich nicht wirklich dafür eingesetzt, die Familie bestmöglich - auch mit juristischen Mitteln - zu unterstützen, obwohl die Kündigung ganz klar Mängel aufweist und so nicht rechtens ist. Wir hatten auf Firsten und mögliche Vorgehen hingewiesen, konnten/wollten uns selber aber nicht einmischen.

Die volle Energie muss nun darauf eingesetzt werden, dass die Familie so rasch wie möglich wieder eine Perspektive für ein neues Zuhause erhält.

29. Januar 2024 - 21:45

Ein guter Freund von Tanjas Bruder lebt nach wie vor in der Gegend von Cherson. Er hat auch schon in Betracht gezogen aus der Gegend zu fliehen. Bisher gab es aber immer noch mehr Gründe, die ihn zurückhielten als solche, die ihn zur Flucht bewegten. Wie in vielen Fällen ist seine gebrechliche Mutter einer der ausschlaggebenden Faktoren, um zu bleiben. Die Flucht ist für niemanden ein Spaziergang. Doch je älter und verwurzelter jemand ist, desto schwerer fällt der Entscheid, die Heimat zu verlassen. Tanjas Mutter ist die grosse Ausnahme: es brauchte relativ wenig Überzeugungskraft, sie zum Weggehen zu bewegen. Und es scheint uns, dass sie sich hier noch einmal in ihrem Leben ein neues Umfeld und ja sogar ein wenig eine neue Heimat aufgebaut hat.

Der eingangs erwähnte Freund benötigt eine medizinische Behandlung, die er nicht selber finanzieren kann. Wir sind froh, dass wir über unser Spendenkonto hier endlich wieder einmal ganz konkret helfen können.

28. Januar 2024 - 21:45

Noch einmal etwas Statistik: Aktuell (Stand vom 26. Januar 2024) leben in der Schweiz 65'575 Ukrainerinnen und Ukrainer mit Schutzstatus S. Diese Zahl ist ganz leicht rückläufig. Bei ca. 21'000 Personen wurde der Status S beendet, entweder weil sie in die Ukraine zurückgekehrt oder in ein anderes Land umgezogen sind.

27. Januar 2024 - 22:45

Gemäss der wöchentlich publizierten Statistik des Staatssekretariats für Migration SEM liegt die Erwerbstätigkeitsquote für Ukrainer mit Status S bei 21.65%. Das ist noch deutlich unter den angestrebten 40%, aber bereits wesentlich höher als vor einem Jahr. Damals lag die Quote bei 14.61%. Quelle: SEM, Statistiken vom 26.01.2023 und vom 25.01.2024.

Das bedeutet, dass aktuell nur rund jede fünfte Person im erwerbsfähigen Alter tatsächlich einen Job hat. Die Zahl widerspiegelt einerseits, dass es überproportional viele Frauen mit kleinen Kindern hat, die Betreuung/Schule und Arbeit nur schwer vereinen können. Andererseits veranschaulicht sie, wie hoch die Eintrittshürde in den Schweizer Arbeitsmarkt ist. Das hatten zu Beginn der Flüchtlingswelle wohl alle unterschätzt. Man ging davon aus, dass viele gut Ausgebildete in die Schweiz kommen, die rasch Fuss fassen und Arbeit finden würden. Die Sprachkenntnisse erweisen sich oft als hohe Hürde - und gleichzeitig als Huhn-Ei-Problem: Ohne Praxis wird die Sprache nicht besser, zu geringe Sprachkenntnisse führen zu Absagen bei Bewerbungen. Wir wünschen uns hier etwas mehr Mut und Nachsicht seitens Arbeitgebenden. Gleichzeitig dürfen Arbeitgebende auch fordern (und fördern), dass die Sprachkenntnisse besser und besser werden.

26. Januar 2024 - 21:45

700 Tage dauert der Krieg in der Ukraine nun schon. Auf dem Schlachtfeld wird der Krieg teilweise sehr konventionell, fast wie im ersten Weltkrieg, geführt. Gleichzeitig kommt modernste Technologie zum Einsatz, Innovationen werden staatlich stark gefördert.

Parallel läuft ein weiterer Krieg, der keine Landesgrenzen kennt und dem wir möglicherweise noch zu wenig Beachtung schenken: der Krieg mit Desinformation. Der "Spiegel" berichtet heute, dass Spezialisten des Auswärtigen Amtes in Deutschland auf eine grosse und systematische russische Desinformationskampagne gestossen sind. Radio SRF hat heute Mittag dazu einen interessanten Beitrag gesendet.

25. Januar 2024 - 23:00

Tanjas Freundin Luda hat bis zum Krieg in der städtischen Steuerbehörde gearbeitet. Mit der Besetzung wurde die öffentliche Hand praktisch lahmgelegt. Erst nach der Befreiung nahm die Stadtverwaltung ihre Tätigkeit langsam wieder auf - natürlich unter stark erschwerten Bedingungen: viele Mitarbeitende haben die Stadt verlassen, die russischen Besatzer haben viele Unterlagen zerstört und bis heute ist es brandgefährlich, sich in der Stadt zu bewegen.

Nichtsdestotrotz arbeiten die verbliebenen Mitarbeitenden wieder in ihren Büros. Der Arbeitsweg ist jeder Tag ein Risiko, oft muss er zu Fuss zurückgelegt werden, weil die Busse nur sporadisch während einem kurzen Zeitfenster am Tag fahren.

Vor dem Krieg haben wir uns manchmal gewundert, wie die Ukraine mit all ihren Problemen - Arbeitslosigkeit, Korruption, mangelnde Infrastruktur - überhaupt überlebt. Die Antwort lautet heute wie damals: dank dem unerschütterlichen Willen so vieler Menschen, die sich für ihre Freiheit und ihr Land einsetzen.

24. Januar 2024 - 22:30

Heute hat Tanja für einen Ukrainer aus Novaja Kachovka in der Nähe von Cherson übersetzt. Er ging bei Beginn des Krieges als Freiwilliger an die Front und hat die Schrecken und Massaker in den Vorstädten von Kiev in den ersten Kriegswochen miterlebt. Letztes Jahr wurde er verletzt und ist im Herbst mit seiner Frau in die Schweiz geflüchtet. Als Kriegsverletzter darf er legal aus der Ukraine ausreisen.

Zu Beginn seien sie extrem schlecht ausgerüstet gewesen. Nach rund drei Monaten habe sich das aber stark verbessert und sie hätten alles Nötige gehabt. Die sichtbaren Folgen der Verletzung sind das eine. Unergründlich sind die Spuren, die das Erlebte hinterlassen haben.

23. Januar 2024 - 23:30

Wenn wir schreiben, dass Cherson stark unter Beschuss steht, kann man sich das manchmal nur schwer vorstellen. Wir publizieren bewusst auch keine Bilder der Zerstörung - davon sieht man in den Medien genug. Einen kleinen Eindruck der Kriegsaktivitäten vermitteln die regelmässig veröffentlichten Karten der verschiedenen Frontabschnitte. Auf dem Kartenausschnitt von heute sieht man auf der linken Seite die Beschüsse der Stadt Cherson und der Ortschaften entlang des Dnjeprs. Oben rechts befindet sich der zerstörte Staudamm. Das rot eingefärbte Gebiet ist von Russland besetzt.

Einer unserer letzten Ausflüge vor dem Krieg führten uns in die Oleshky-Wüste, gut sichtbar in der Mitte des Kartenausschnitts. Sehr faszinierend: fast auf Schritt und Tritt findet man in dieser Wüste alte Münzen. Der Führer hat uns damals erklärt, dass man daran sieht, wie die Wüste lebt. Der Sand bewegt sich und fördert immer wieder neue Gegenstände an die Oberfläche.

Das Gebiet kann wohl auf Jahre hinaus nicht mehr betreten werden. Wie früher die Münzen befinden sich nun Minen und Blindgänger im Sand.

22. Januar 2024 - 21:45

Vikas Schwester und ihre Familie haben nach dem ersten Schock über die Kündigung notgedrungen die Wohnungssuche wieder aufgenommen. Es ist zwar denkbar, dass sie eine Mieterstreckung mindestens bis zum Ende des Schuljahres erwirken können. Trotzdem möchten sie natürlich möglichst schnell Gewissheit haben, wie es weiter geht. In Meiringen ein passendes Objekt zu finden wird schwierig. Deshalb suchen sie in einem weiträumigeren Radius - was natürlich zur Folge hätte, dass sie sich noch einmal in einem neuen Umfeld zurechtfinden müssten.

21. Januar 2024 - 21:30

Tanjas Mutter lebt nun bereits ein halbes Jahr in ihrer eigenen Wohnung in Oberdiessbach. Sie kann nicht nur selbstständig für sich sorgen, sie beharrt auch darauf, alle Gäste zu bewirten, die sie besuchen. Und Besuch hat sie oft! An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön allen, die sich regelmässig Zeit dafür nehmen!

20. Januar 2024 - 22:45

Nach längerem haben wir heute wieder einmal mit Tanjas Freundin Luda in Polen gesprochen. Es geht ihr und ihrem Mann grundsätzlich gut. Leider hat sie bis jetzt immer noch keine Arbeit gefunden, was verständlicherweise auf die Stimmung drückt.

Ihre Wohnung in der Ukraine ist mittlerweile wohl nicht mehr bewohnbar: schon länger sind alle Fensterscheiben aufgrund von Druckwellen von in der Nähe eingeschlagenen Bomben zerborsten, alles ist feucht und es riecht muffig. Im ganzen Wohnblock ist nur noch eine einzige Wohnung ständig bewohnt. Alle andern kommen nur noch sporadisch vorbei oder sind wie Luda und ihr Mann ganz geflüchtet.

19. Januar 2024 - 22:15

Eine weitere Aufgabe kann abgehäkelt werden: Sergej hat heute die Kontrollfahrt bestanden und erhält damit den Schweizer Führerschein. Mit einem ausländischen Führerschein darf man höchstens ein Jahr hier ein Auto lenken. Danach muss man mit einer Kontrollfahrt beweisen, dass man sich im Schweizer Verkehr zurechtfindet. Besteht man diese nicht, muss man sich von Nothelferkurs über Theorie bis zur praktischen Prüfung alles nach Schweizer Ablauf neu erarbeiten.

18. Januar 2024 - 22:15

Insbesondere in den umliegenden Ortschaften von Cherson ist die Lage unerträglich. Sie sind unter Dauerbeschuss. Oft sind die Häuser auch weniger robust gebaut. Viele verschanzen sich im Keller, der eigentlich für die Vorräte gedacht ist. Wir wissen von einer Familie, die praktisch nur noch im Keller lebt, behelfsmässig ausgebaut mit einem Ofen. Die Zerstörung ist immens.

Wie viele Menschen täglich zu Schaden kommen und wie sie je wieder in einen normalen Alltag zurückfinden können, darf man sich gar nicht vorstellen.

17. Januar 2024 - 22:30

Bereits im letzten Jahr erhielt die Ukraine am WEF in Davos grosse Aufmerksamkeit. Mit dem Besuch von Präsident Zelenskyy wurde das dieses Jahr noch übertroffen. Während im letzten Jahr die Solidarität fast lückenlos schien rund um die Welt, geht es heute primär darum, Länder wie zum Beispiel Brasilien zu überzeugen, sich auf die Seite der Ukraine oder zumindest nicht dagegen zu stellen und denjenigen Ländern, die noch vor einem Jahr geschlossen hinter der Ukraine standen, die Gewissheit zu geben, dass ihre Unterstützung immer noch unverzichtbar ist.

Das scheint dem Präsidenten und der grossen angereisten Delegation recht gut gelungen zu sein. "Ob den schönen Worten dann auch Taten folgen bleibt abzuwarten.", hatten wir im letzten Jahr geschrieben - das gilt immer noch...

16. Januar 2024 - 23:00

Heute haben wir von einem Fall erfahren, der nahe geht: zwei Schwestern sind mit ihren je zwei Kindern in die Schweiz geflüchtet. Vor rund zwei Monaten hat eine der beiden den Schutzstatus S abgegeben und ist nach Kiew zurückgekehrt in der Annahme, dass es dort wieder einigermassen sicher sei. Sie und ihr Mann kamen bei einem der heftigen Angriffe über den Jahreswechsel ums Leben, die beiden Kinder bleiben ohne Eltern zurück. Die Schwester versucht nun, die beiden Kinder wieder in die Schweiz zu holen. Da die Mutter bisher nicht abschliessend identifiziert werden konnte, kann die Vormundschaft und damit die Ausreise aus der Ukraine noch nicht geregelt werden.

Nach wie vor ist kein Ort in der Ukraine wirklich sicher.

15. Januar 2024 - 22:15

Grosse Aufmachung heute in Bern rund um den Besuch von Präsident Zelenskyy in der Schweiz. Solche Sicherheitsvorkehrungen sind hier - zum Glück - die absolute Ausnahme. Das Sicherheitsdispositiv illustriert, von welchen Bedrohungsszenarien man offensichtlich ausgeht. Vor allem zu Beginn des Krieges gab es immer wieder Meldungen von vereitelten Attentaten. Es ist anzunehmen, dass Russland nach wie vor jede günstige Gelegenheit wahrnehmen würde, Zelenskyy aus dem Weg zu räumen. Vermutlich nicht einmal aus persönlichen Motiven, sondern einfach, um das Land noch weiter zu destabilisieren.

Für uns ist der Spuk glücklicherweise nach ein paar Stunden wieder vorbei - und es bleibt nach heute etwas Hoffnung, dass die Schweiz tatsächlich einen gewichtigen Beitrag leisten könnte hin zu einem dauerhaften Frieden. Träumen erlaubt.

14. Januar 2024 - 21:30

Am gestern beschriebenen "alten neuen Jahr" ist dann auch der Zeitpunkt, wenn man die Christbäume wegräumt. Genau das haben wir heute bei Tanjas Mutter gemacht. Gestern waren Sascha und Familie bei ihr auf Besuch und wurden traditionell kulinarisch mit Pfannkuchen verwöhnt. Es ist immer wieder beeindruckend, wie viel Energie sie immer noch hat, um nicht nur für sich selber zu sorgen, sondern auch noch, um Gäste zu bewirten.

13. Januar 2024 - 22:15

Am 13./14. Januar begeht die orthodoxe Welt das "alte neue Jahr". Das geht wie Weihnachten auf den julianischen Kalender zurück und ist deshalb zwei Wochen verschoben. Die nicht christlichen Feiertage wie eben zum Beispiel Neujahr werden seit über 100 Jahren wie bei uns nach dem gregorianischen Kalender geführt, was dann zu dieser etwas paradoxen Formulierung "altes neues Jahr" geführt hat. Was macht man nicht alles, um einen Grund zum Feiern zu haben...

In einem Artikel auf Wikipedia sind die ukrainischen Bräuche rund um Weihnachten interessant beschrieben. Allerdings haben wir das so nie wirklich erlebt oder gefeiert. Diese Traditionen dürften eher in ländlichen Gegenden im Westen der Ukraine noch hochgehalten werden.

12. Januar 2024 - 22:00

Heute vor genau einem Jahr sind Sergejs Eltern in der Schweiz eingetroffen. Die Zeit vergeht unglaublich schnell! Sie haben sich gut in Einigen eingelebt, besuchen beide einen Deutschkurs und Valentin arbeitet nach wie vor in der Bäckerei. Leider immer noch nicht ein volles Pensum, sodass sie zurzeit noch auf die Asylsozialhilfe angewiesen sind. Mit zunehmender Erfahrung und immer besseren Deutschkenntnissen steigen die Chancen, das Arbeitspensum bald erhöhen zu können.

11. Januar 2024 - 22:45

In der ganzen Ukraine ist es jetzt so richtig kalt. Im Süden kommt oft noch ein steifer Wind dazu, sodass sich die Temperatur nochmal tiefer anfühlt. Wir haben uns ein paar Mal eine schöne Erkältung geholt, wenn wir im Winter nach Cherson reisten. Die Häuser sind viel schlechter isoliert. In den Wohnungen war es deshalb deutlich kühler als hier in der Schweiz. Dazu kommt, dass man auch etwas aufs Geld schauen musste und zusätzlich zur Fernwärme nicht noch diverse Heizstrahler betrieb. Man kann sich ja schliesslich einen Pullover mehr anziehen. Kurz: wir haben unsere Reisen immer mehr auf die wärmeren Jahreszeiten gelegt, da es uns verwöhnte Schweizer immer etwas "tschuderet" hat.

Was die Menschen jetzt durchmachen steht in keinem Verhältnis. Keine 15 Grad in den Wohnungen, kaum mehr Bewegung, ständige Angst, dass die Fensterscheiben wegen der Druckwelle einer nahen Explosion bersten.

10. Januar 2024 - 23:00

Vor kurzem hat im Hof vor dem Haus, in dem Tanja aufgewachsen ist und ihre Mutter Galina bis zur Flucht gelebt hat, eine Granate eingeschlagen. Auf der breite von zwei Hauseingängen und bis ungefähr in den 6. Stock sind praktisch alle Fenster zerborsten. Die Ausrichtung von Galinas Wohnung zeigt auf die andere Seite und blieb verschont. Verletzt wurde gemäss den uns vorliegenden Informationen zum Glück niemand.

9. Januar 2024 - 22:00

Die Familie von Vikas Schwester hat heute einen eingeschriebenen Brief mit der Kündigung ihrer Wohnung erhalten! Wir sind fassungslos. Die Begründung des Eigentümers ist, dass er die Liegenschaft verkauft habe. Erst Anfang November haben sie den Mietvertrag unterzeichnet, vor gut einem Monat sind sie eingezogen, diese Woche besuchten die Kinder erstmals die Schule in Meiringen. Es tut uns so leid für die Familie.

8. Januar 2024 - 22:15

Die westlichen Sanktionen gegen Russland sind nach wie vor ein wichtiges Instrument und starkes Zeichen, dass der Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht einfach so hingenommen wird. Vom prognostizierten raschen Zusammenbruch der russischen Wirtschaft ist bisher jedoch nichts zu sehen - im Gegenteil: in den Grossstädten Moskau und St. Petersburg pulsiert das Leben und vom Krieg ist nach wie vor kaum etwas spürbar.

Das liegt einerseits daran, dass die Sanktionen nach wie vor lückenhaft sind - die Schweiz exportierte beispielsweise gemäss statista.com im ersten Kriegsjahr nur etwa 10% weniger als im Jahr zuvor. Dank Parallelimporten sind westliche Produkte in den Metropolen nach wie vor fast uneingeschränkt verfügbar. Internationale Ketten wie Starbucks oder McDonalds wurden durch russische "Kopien" ersetzt - und appellieren an den Patriotismus. Zudem wurde die inländische Rüstungsindustrie massiv hochgefahren, was wiederum die Wirtschaft ankurbelt.

Sehr skurill mutet die Ausstellung Rossija an, die derzeit in Moskau stattfindet und die Regionen Russlands im schönsten Licht darstellt - inklusive der "neuen" - sprich annektierten - Regionen der Ukraine! Wie der Bericht auf srf.ch und der Artikel auf taz.de zeigen, kommt das bei den Leuten gut an und lenkt von der Wirklichkeit ab. Wegschauen, ausblenden, ignorieren haben ein sehr erschreckendes Ausmass angenommen in der russischen Gesellschaft.

7. Januar 2024 - 20:30

Heute waren wir bei Vikas Schwester in Meiringen eingeladen und wurden kulinarisch verwöhnt. Die Familie hat sich gut in ihrem neuen Zuhause eingelebt. Die beiden Zwillinge sind zwei aufgeweckte Jungs. Seit unserem letzten Besuch sind sie schon wieder ein gutes Stück gewachsen. Von den Kugeln am Tannenbaum zur Schokolade auf dem Tisch ist nichts mehr vor ihnen sicher.

Für die älteren Kinder beginnt morgen die Schule. Sie wurden beide in Klassen eingeteilt, die ein Jahr unter der ukrainischen Klasse liegen, die sie bisher (online) besuchten. Zusammen mit der Sprache wird das am Anfang sicher eine rechte Herausforderung sein. Vika muss nebst dem Deutsch vier Jahre französisch aufholen. Für Max wird die Tagesstruktur ganz neu sein. Mit Pandemie und Krieg hatte er in seinen ersten sechs Lebensjahren bisher nie wirklich über eine längere Zeit einen regelmässigen Tagesablauf. Die Familie hat zudem die ersten Kriegsmonate noch in der Ukraine erlebt. Da wird vermutlich auch noch das eine oder andere hängen geblieben sein, was es zu verarbeiten gilt.

6. Januar 2024 - 22:45

Heute feiert die orthodoxe Welt Heilig Abend. Wie unheilig die russisch-orthodoxe Kirche auf dem Afrikanischen Kontinent vorgeht, zeigt ein Beitrag im 10vor10 von gestern. Betrifft uns das? Leider ja: es zeigt auf, wie unverfroren Russland vorgeht, um seine Einflussnahme in der Welt zu vergrössern. Das Narrativ zu Afrika ist schon länger bekannt: "Schaut, wie euch der Westen Europas während der Kolonialzeit behandelt hat. Wir stehen auf eurer Seite, eilen euch zu Hilfe, wenn es darum geht, eure traditionellen Werte zu schützen und zu bewahren."

5. Januar 2024 - 21:45

Es war schon wieder einiges los diese Woche: am Mittwoch feierte Roman seinen Geburtstag und wir waren zu einem feinen Znacht bei ihm eingeladen. Gestern Donnerstag ist Vika zusammen mit ihrem Bruder aus Polen zurückgekehrt. Er bleibt für rund zwei Wochen hier auf Besuch bei seinen beiden Schwestern. Und seit heute sind Lena, Sascha und Yaroslav aus Tschechien zurück. Sie haben die Festtage bei Tochter und Enkelin resp. Schwester und Nichte verbracht. In voraussichtlich viel geringerem Ausmass als in den Vorjahren wird morgen und übermorgen die orthodoxe Weihnachten gefeiert. Und ab nächster Woche geht dann der Alltag für alle definitiv wieder los.

4. Januar 2024 - 23:30

Kein "Happy New Year" in der Ukraine. In den letzten Tagen des letzten Jahres und auch an Neujahr gab es so heftige Beschüsse wie schon lange nicht mehr. In verschiedenen Städten gab es zivile Opfer und ein immenses Ausmass an Zerstörung. "Immerhin kann es nur noch besser werden dieses Jahr...", sagen viele.

3. Januar 2024 - 22:30

Wir haben den Jahreswechsel in Bratislava, der Hauptstadt der Slowakei, verbracht. Mitte der 1980er-Jahre hat Tanjas Familie rund zwei Jahre dort gelebt. Tanjas Vater wurde nach eingehender Prüfung durch den damaligen sowjetischen Geheimdienst KGB als vertrauenswürdig und genügend regimetreu beurteilt, um für einen Arbeitseinsatz ins sozialistische Ausland entsandt zu werden. Für die Familien gab es genaue Verhaltensanweisungen, die teilweise auch überprüft wurden. Zur slowakischen Bevölkerung gab es zwar Kontakte, die sowjetische Community wurde aber weitgehend abgeschotet. So lebten Tanja und Sascha zum Beispiel während der Woche in einem sowjetischen Internat und besuchten dort die Schule.

Der wohl grösste Unterschied zu vor vierzig Jahren ist der nicht mehr existente Zaun entlang der Donau, welche hier die Grenze zwischen der damaligen Tschechoslowakei und Österreich bildet. Ein Denkmal und einige Schautafeln erinnern noch an den "eisernen Vorhang". Da die Donau hier nicht sehr breit und nicht kanalisiert ist, versuchten einige an dieser Stelle die Flucht. An der slowakisch-österreichischen Grenze kamen zwischen 1945 und 1989 ca. 40 Menschen ums Leben, meist durch Erschiessen oder Stromschlag am Zaun.

Heute ist Bratislava eine lebendige und florierende Stadt am Dreiländereck zwischen Österreich, Ungarn und der Slowakei. Vergleichbar wie bei uns in Basel gibt es grenzüberschreitende Verbindungen und einen regen Austausch. Unvorstellbar, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass man den Grenzübertritt mit dem Leben bezahlen konnte.

Mit Blick auf die Ukraine müssen wir hier im Westen in diesem Jahr alles daran setzen, dass es nicht erneut zu einem eisernen Vorhang mit vergleichbaren Repressionen wie während dem Kalten Krieg kommt. Die Bedrohung dafür ist real und näher als viele denken.

25. Dezember 2023 - 23:00

Alexandra hat auf diese Weihnachten das berühmte ukrainische Weihnachtslied "Shchedryk", bei uns bekannter als "Carol of the Bells", geübt und vorgespielt. In Kiev wurde das Stück heute erstmals aufgeführt mit Begleitung der Glocken des Kiever Höhlenklosters. Beide Interpretationen sind wärmstens zu empfehlen.

In eigener Sache: Wir verbringen ab morgen ein paar Ferientage. Der nächste Beitrag folgt am 3. Januar 2024. Wir wünschen euch allen schöne Festtage und einen guten Rutsch ins neue Jahr!

24. Dezember 2023 - 24:00

Schon hier stellt man sich ja manchmal die Frage, wie angebracht es angesichts der Weltlage ist, fröhlich und ausschweifend zu feiern. In der Ukraine wird diese Frage natürlich noch viel intensiver diskutiert, weil ganz viele Familien die Feiertage getrennt feiern müssen.

Der Grundtenor ist aber auch in der Ukraine, dass es wichtig ist, zwischendurch zu sich selbst zu schauen und sich schöne Momente und Auszeiten zu gönnen. Wir haben das heute im Kreis der Familie getan.

23. Dezember 2023 - 22:30

Was sich bereits letztes Jahr abgezeichnet hat, ist nun Tatsache: die Ukraine feiert Weihnachten nun wie wir am 24./25. Dezember nach dem gregorianischen Kalender und nicht mehr wie bisher nach dem julianischen im Januar. Mit solchen eher symbolischen Anpassungen soll die Zugehörigkeit zum Westen Europas und die Distanzierung von Russland unterstrichen werden.

22. Dezember 2023 - 22:00

Nach wie vor müssen Arbeitsverträge für ukrainische Arbeitnehmende beim kantonalen Amt für Wirtschaft und Arbeit zur Bewilligung eingereicht werden. Das haben wir heute gemacht und nicht schlecht gestaunt, als wir nach weniger als zwei Stunden die Bestätigung erhielten, dass die Arbeitsverträge bewilligt sind und wir also auch 2024 wie geplant als MyPAR-Team weiter zusammenarbeiten können.

Es wird diskutiert, ob die Bewilligungspraxis gelockert werden soll. Das würde einerseits Bürokratie abbauen, andererseits aber auch das Risiko für Missbrauch erhöhen. Solange die Behörden so schnell und effizient wie in unserem Fall arbeiten, spricht im Prinzip nichts dagegen, dass noch jemand prüft, ob alles seine Richtigkeit hat. Trotzdem schreckt das vermutlich einige Arbeitgeber ab, weil man ja im voraus nicht weiss, ob wirklich alles schnell und reibungslos klappt. 

21. Dezember 2023 - 22:45

Vika und Sergej haben die Deutsch-Prüfung hinter sich gebracht. Die Resultate erfahren sie aber erst in drei bis vier Wochen. Wie so oft ist es schwierig, gleich unmittelbar an eine Prüfung einzuschätzen, wie's gelaufen ist und ob's reicht. Bei einem kleinen Apéro haben wir uns in die Weihnachtspause verabschiedet. Vika reist morgen zu ihren Eltern und ihrem Bruder nach Polen, Sergej und Roma bleiben in der Gegend.

20. Dezember 2023 - 23:30

Seit einem Jahr sind Vika, Roma und Sergej nun bereits bei der MyPAR GmbH hier in der Schweiz angestellt. Wir dürfen auf ein erfolgreiches Jahr zurückblicken mit einigen neu gewonnenen Kunden und vielen Aufgaben, die "unsere" Ukrainer neu übernehmen konnten.

Wir freuen uns, dass die Zusammenarbeit auch im nächsten Jahr weiter geht. Die Herausforderung ist auch schon klar: Dank solider Arbeit Umsatz und Ertrag soweit steigern, dass wir ein Lohnniveau erreichen, das die Unabhängigkeit von der Asylsozialhilfe ermöglicht. Wir sind bereit für viele spannende Projekte im Umfeld der digitalen Barrierefreiheit.

19. Dezember 2023 - 21:45

Vika und Sergej müssen sich die Weihnachtsfeiertage noch hart verdienen: am Donnerstag legen sie die Deutschprüfung ab, um das B1-Level gemäss GER (Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen) zu erreichen. Das bedeutet "Fortgeschrittene Sprachverwendung", also dass sie "die meisten Situationen bewältigen können, denen man auf Reisen im Sprachgebiet begegnet". Wir drücken die Daumen, dass es klappt und sie ihre Kenntnisse auch noch mit einem Zertifikat untermauern können.

Ab dem nächsten Jahr werden die Deutschkurse nicht mehr in diesem Ausmass finanziert werden. Gleichzeitig ist es gerade für junge Leute wichtig, noch einen Schritt weiter zu kommen (Level B2 oder C1), um in Beruf und Alltag richtig Fuss fassen zu können. Wir hoffen, dass sich irgendeine Möglichkeit bieten wird, dass sie weiter "dran bleiben" und Fortschritte erzielen können.

18. Dezember 2023 - 21:30

Heute wäre Tanjas Vater 85-jährig geworden. Er ist bereits vor einigen Jahren verstorben und liegt in Cherson begraben. An Feiertagen und eben auch an Geburtstagen ist ein Besuch auf dem Friedhof üblich. Wir wissen nicht, ob das je wieder möglich sein wird. Einerseits muss zuerst wieder Frieden herrschen, damit eine Reise in die Gegend überhaupt ein Thema wird. Andererseits liegt der Friedhof von Cherson zwischen der Stadt und dem Flughafen, der zu Beginn der russischen Invasion stark umkämpft war. Wie stark das Gebiet mit Minen und Blindgängern kontaminiert ist, wird wohl erst zu einem späteren Zeitpunkt klar.

Bei feinen ukrainischen Speisen haben wir uns an Boris erinnert - halt in der warmen Stube und nicht auf dem weitläufigen Friedhofsareal, wo es immer entweder zu heiss, zu windig oder zu kalt ist.

17. Dezember 2023 - 23:00

Weihnachtszeit - Reisezeit. Heute haben wir Sascha und Lena zum Flughafen begleitet. Sie werden Weihnachten und den Jahreswechsel bei Tochter, Schwiegersohn und Enkelin in Tschechien verbringen. Yaroslav reist später nach. Wir haben nicht gefragt, aber es dürfte einige Jahre her sein, dass die Familie den Jahreswechsel gemeinsam verbracht hat.

16. Dezember 2023 - 23:00

Heute war die Familie aus der Nachbarschaft, über die wir am 7. Dezember berichtet hatten, bei uns zu Besuch. Sie sind im April 2022 aus der Nähe von Charkow geflohen, nachdem sie die ersten zwei Kriegsmonate unter enormer Anspannung verbracht hatten: Tochter Julia kann sich nur mit Rollstuhl fortbewegen. Rechtzeitig einen Schutzraum zu erreichen, der zudem noch rollstuhlgängig war, war kaum möglich. So verbrachten sie die meiste Zeit bei einem Bekannten in einem Haus ohne nennenswerten Schutz vor Angriffen.

Der Entscheid zu fliehen fiel mehr oder weniger über Nacht, nachdem sie sich über längere Zeit uneins waren, ob fliehen oder bleiben die bessere Lösung wäre. Am Bahnhof hatten sie riesiges Glück: nachdem einige komplett überfüllte Züge abgefahren waren, wurden sie in einen leeren Zug eingewiesen, der kurz darauf losfuhr. Da der Beschuss immer näher kam, wurde entschieden, den Zug loszuschicken, obwohl er noch praktisch leer war. So konnte die Familie die rund 500km bis Kiew verhältnismässig komfortabel zurücklegen. Sie landeten zunächst in Polen. Eine hier in der Schweiz ansässige Gesellschaft, die sich für Menschen mit der seltenen Muskelkrankheit engagieren, von der auch Julia betroffen ist, ermöglichte später die Weiterreise in die Schweiz.

15. Dezember 2023 - 22:00

Bei Vikas Schwester funktioniert der Internet-Zugang auch nach 10 Tagen und mehreren Anrufen auf die Hotline immer noch nicht. Nun muss ein Elektriker her, weil offenbar mit der Leitung etwas nicht in Ordnung ist. Was für uns vor allem nervenaufreibend ist, bedeutet für ukrainische Familien oft eine fast unüberwindbare Herausforderung. Wie sich mit dem Support verständigen? Wo einen Elektriker finden und ihm erklären, was man will? Woher wissen, wer wofür zuständig ist und was bezahlt?

Nach wie vor fehlt hier oft das Bindeglied zwischen den Behörden und den ukrainischen Flüchtlingen. Die Hilfsbereitschaft nehmen wir nach wie vor als sehr gross wahr, vor allem, sobald Kontakte geknüpft sind. Wer sich noch nicht so gut verständigen kann und Hemmungen hat, auf die Leute zuzugehen, hat's hingegen oft nicht einfach.

14. Dezember 2023 - 22:00

Auf dem politischen Parkett war heute für die Ukraine ein Tag, der möglicherweise in die Geschichte eingehen wird: die EU hat entschieden, mit der Ukraine (und Moldau) Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. Das ist ein sehr wichtiges Signal, auch wenn es noch Jahre dauern wird, bis ein Beitritt dann Tatsache wird.

13. Dezember 2023 - 23:00

Seit einiger Zeit begleitet Tanja als Übersetzerin den Fall eines 1. Klässlers, der sich kategorisch weigerte, deutsch zu lernen. Sein bester Freund aus der Ukraine ist nach Deutschland geflüchtet und gemeinsam haben sie abgemacht, dass sie die Sprache nicht lernen würden. Mit schon fast beeindruckender Konsequenz haben sie das fast ein Jahr durchgezogen. Eine für die Eltern und für die Schule natürlich extrem herausfordernde und belastende Situation. Heute nun die grosse und überraschende Wende: er hat hier bei Gleichaltrigen Anschluss gefunden, versteht bereits einiges und beginnt deutsch zu sprechen. Die schulischen Leistungen zeigen steil nach oben. Er sei nun motiviert, die Sprache zu lernen.

Was genau die anfängliche Blockade verursacht hat und was zur Auflösung geführt hat ist schwer zu sagen. Das Beispiel zeigt, wie gross der "Rucksack" ist, den viele Kinder aus der Ukraine mitbringen und zuerst ablegen müssen, bevor ein Neu-Start möglich ist. Schön, wenn's gelingt und wir einen Beitrag dazu leisten können.

Sein Freund in Deutschland lebe übrigens nun in Polen und lerne dort polnisch.

12. Dezember 2023 - 22:30

Heute gab es massive Cyber-Angriffe in der Ukraine. Diese führten zu langen Unterbrüchen beim grössten Mobilfunkanbieter "Kyivstar". Gleichzeitig wurde die beliebte Online-Bank "Monobank" zeitweise lahmgelegt. Im Gegenzug sollen ukrainische Hacker das russische Steuersystem in die Knie gezwungen haben.

Das betrifft uns (noch) nicht, sollte uns aber hellhörig machen: Hacker kennen keine Landesgrenzen. Für Russland ist es verhältnismässig einfach, westliche Ziele zu attackieren und unter Umständen empfindlich zu treffen. Dass da bereits einiges läuft zeigt ein Artikel von SRF vom Juni 2023.

11. Dezember 2023 - 22:45

Seit Kriegsbeginn sind die Väter der beiden Jugendfreundinnen von Tanja gestorben. Svetas Vater kurz nach Kriegsbeginn in Cherson, Ludas Vater kürzlich in Polen. Wie hier in der Schweiz auch gibt es bei Todesfällen einiges zu regeln. Beide Väter lebten allein in ihren Eigentumswohnungen. Während Luda die Überschreibung der Wohnung in Lviv aus der Ferne erledigen konnte, ist das bei Sveta immer noch hängig. Die Situation in den ersten Wochen des Krieges war chaotisch, es gab kaum mehr eine Behördenstruktur. So ist bis heute unklar, ob die Wohnung jemals an sie überschrieben werden kann und wem die Wohnung aktuell gehört. Allein die Klärung der künftigen Eigentumsrechte wird eine Herkulesaufgabe. Während der Besatzung wurden systematisch Dokumente, ja ganze Archive zerstört.

10. Dezember 2023 - 21:00

Tanja hat heute länger mit ihrer Jugendfreundin Sveta gesprochen, die mit ihren Angehörigen nach wie vor in Chisinau, Moldau, ist. Sie haben sich gut dort eingelebt und es geht ihnen den Umständen entsprechend gut.

Wie ganz viele aus Cherson Geflüchtete muss auch sie sich langsam an den Gedanken gewöhnen, nie mehr in ihre Wohnung zurückkehren zu können. Im Vergleich zu andern Städten in Frontnähe ist Cherson selber zwar recht unversehrt geblieben. Doch die Witterung setzt vielen unbewohnten Wohnungen zu. Meist blieben die Wohnungen unbeheizt, oft sind Fensterscheiben in Brüche gegangen, veraltete Schächte und Leitungen ziehen allerlei Ungeziefer an, das die Wohnungen in Beschlag nimmt. Und bei Sveta kommen noch die Folgen des gesprengten Kachovka-Staudamms dazu: in ihrem Haus stand das Wasser bis zum ersten Stock, ihre Wohnung ist im fünften. Im Vergleich zu vielen benachbarten Liegenschaften seien sie aber noch glimpflich davon gekommen.

Der Wiederaufbau wird teuer werden und sehr, sehr lange dauern.

9. Dezember 2023 - 22:45

An der ukrainisch-polnischen Grenze stauen sich die Lastwagen kilometerlang. Grund sind Proteste polnischer Chauffeure, die sich gegenüber ihren ukrainischen Berufskollegen benachteiligt fühlen. Vor dem Krieg waren die Anzahl Fahrten kontingentiert. Mit dem Krieg hat man die Einschränkungen aufgehoben, damit die Ukraine trotz dem Krieg noch die Möglichkeit hat, Güter in den Westen zu exportieren. Die Ausfuhr auf dem Luft- und Seeweg sind seit Kriegsbeginn gar nicht mehr resp. nur noch in geringem Ausmass möglich.

Die Ukraine ist dringend auf die Exporte angewiesen, damit die Wirtschaft noch einigermassen läuft. Zudem führen die Lastwagen auf dem Rückweg oft dringend benötigte Hilfsgüter in die Ukraine.

Derweil labbert man im russischen Propagandafernsehen vom Marsch auf Lissabon - Baltikum, Warschau und Berlin sind wohl eh schon klar.

Wenn sich der Westen  in solchen "Nebenschauplätzen" verheddert, dann spielt das Putin in die Hände und seine Hypothese, dass die Unterstützung des Westens irgendwann abflaut, wenn er nur genügend Kanonenfutter an die Front schickt, geht auf. Das. Darf. Nicht. Passieren!

8. Dezember 2023 - 22:30

Nach mehreren Wochen Funkstille haben wir heute wieder mal mit Artem, dem Softwareentwickler, mit dem wir ab und zu zusammenarbeiten, Kontakt aufgenommen. Seite einem Monat ist er ohne Strom, fliessendes Wasser gibt es seit dem Dammbruch im Juni nicht mehr. Einzig die Gasversorgung funktioniert noch.

Nach einer Detonation in der Nähe hat Ludas Wohnung in Cherson seit einigen Tagen kein einziges ganzes Fenster mehr. Nachbarn, die noch vor Ort sind, haben die Rahmen notdürftig mit Holz abgedeckt. Trotzdem wird die Wohnung wohl aufgrund der Feuchtigkeit und der Temperaturen komplett saniert werden müssen, bevor sie irgendwann wieder bewohnt werden kann.

In Cherson wie auch in vielen andern Städten der Ukraine ist Krieg - auch wenn das hier gerade nicht mehr so wahrgenommen wird.

7. Dezember 2023 - 23:30

Im Nachbarquartier wohnt eine ukrainische Familie, deren Tochter Julia im Rollstuhl ist. Sie hat eine seltene Muskelkrankheit und kann schon seit ihrer frühen Kindheit nicht mehr gehen. Sie kamen nach Heimberg, weil hier eine junge Frau mit derselben Krankheit lebt. Kurz nach ihrer Flucht in die Schweiz erhielt Julia von ihr einen älteren elektrischen Rollstuhl. Später wurde ihr eine Spezialanfertigung von der IV finanziert. Für Menschen mit dieser Krankheit ist es extrem wichtig, dass der Rollstuhl exakt an ihren Körperbau angepasst ist.

Für den alten Rollstuhl gibt es keine Verwendung mehr. Was uns auf die Idee brachte, auszuprobieren, ob Tanjas Mutter damit zurecht käme. Sie absolviert jetzt mit 86 die ersten "Fahrstunden".

6. Dezember 2023 - 21:45

Heute wurde im Zentrum von Kiev der traditionelle Weihnachtsbaum aufgestellt. Auch dieses Jahr wird es natürlich keine grossen Advents-, Weihnachts- und Neujahrsfestivitäten geben, aber etwas Tradition und Normalität soll die Bevölkerung vor Ort trotz Krieg doch geniessen können.

5. Dezember 2023 - 22:30

In unmittelbarer Nähe von Sascha und Lenas Wohnung in Cherson haben gestern Raketen einen Kindergarten und ein Kino getroffen. Menschen wurden wie durch ein Wunder keine getötet, eine Frau wurde verletzt. Wie immer bei solchen Einschlägen zerbersten in den umliegenden Wohnhäusern zahlreiche Fensterscheiben - nicht ideal bei den winterlichen Temperaturen.

Das offizielle Russland behauptet nach wie vor, dass es diesen Krieg weder gewollt noch angezettelt hätte und stellt sich als Befreier dar. Kein Wort davon ist wahr. Russland wird sich auch mit der gesamten Ukraine nicht zufrieden geben. Wir tun gut daran, uns darauf einzustellen. Im Moment haben wir es noch in der Hand, wie weit in den Westen sich dieser Krieg erstrecken soll.

4. Dezember 2023 - 22:30

Luda hat von ihrer Reise nach Lviv erzählt: wenn man es nicht wisse, merke man nicht sehr viel vom Krieg, die Stadt sei sehr belebt. Beim genauer Hinschauen falle einem die starke Polizeipräsenz auf, besonders an Bahnhöfen, und die mit Sandsäcken geschützten Denkmäler. Und natürlich die Preise, die extrem gestiegen sind seit ihrer Flucht aus der Ukraine.

Sie sei überall sehr zuvorkommend, wohlwollend und verständnisvoll bedient worden und konnte dank dem die nötigen Behördengänge im Zusammenhang mit dem Tod ihres Vaters schneller als erwartet erledigen.

Auf der Rückfahrt hat sie sich dann so richtig erkältet, sie musste sehr lange auf den Bus warten. Das scheint noch ein Relikt aus den 90er Jahren zu sein: damals gab es kaum verlässliche Fahrpläne. Man wartete einfach an den Haltestellen, bis dann irgendwann ein Bus kam - vielleicht... Besonders nervenaufreibend war das jeweils für Fahrten zum Flughafen. Taxis waren nur für besonders Abenteuerlustige: die Taxifahrer übertrafen sich gegenseitig mit Kamikaze-Fahrstilen...

3. Dezember 2023 - 22:45

Tanjas Jugendfreundin Natascha, welche gegen Ende Sommer fest entschlossen war, vor dem Winter von der Datscha im besetzten Gebiet zu fliehen, da es weder Vorräte noch Holz zum Heizen und oft auch kein Strom und damit kein Licht gibt, sitzt immer noch dort. Es scheint immer noch tausend Gründe zu geben, warum es jetzt gerade noch zu früh ist. Offenbar sind sie und ihr Mann sich nun nicht einig, wohin es gehen soll. Er möchte in der Nähe bleiben, sie wäre bereit, auch weiter weg zu fliehen. Vor allem in den 90er- und 2000er-Jahren hatten wir oft das Gefühl, dass die Lebensrealitäten zwischen der Schweiz und der Ukraine von damals weit auseinanderlagen. Im Vergleich zu heute war das aber gar nichts... Wir können uns ihren Tagesablauf schlicht nicht mehr vorstellen und für sie ist das, was wir als normal anschauen, wohl auch weit weg.

2. Dezember 2023 - 21:00

Zusammen mit Vika haben wir heute noch einige Sachen nach Meiringen bringen können. Die Wohnung für die Familie ihrer Schwester ist wirklich ein Glücksfall! Sehr gut gelegen, ein idealer Grundriss für die Familie mit den vier Kindern. Die Voraussetzungen sind gut, dass sie sich bald heimisch fühlen in ihrem neuen Zuhause. Am Montag geht's für die beiden älteren Kinder mit der Schule in der neuen Klasse los.

1. Dezember 2023 - 22:30

Einmal pro Woche veröffentlicht das SEM die aktuellen Zahlen zu den ukrainischen Flüchtlingen. Per 1. Dezember weist die Statistik 66'022 Personen mit einem aktiven Status S aus, beinahe 20'000 haben ihren Status S beendet. Das heisst, sie sind in ein anderes Land weitergereist oder in die Ukraine zurückgekehrt.

Die Schweiz belegt damit den 15. Rang nach Anzahl Flüchtlingen. Am meisten Flüchtlinge leben in Deutschland und Polen (je ca. 1 Mio.), gefolgt von der Tschechischen Republik (ca. 370'000) und Grossbritannien (ca. 250'000). Russland weist ebenfalls mehr als 1 Mio. ukrainischer Flüchtlinge aus. Allerdings ist die Datengrundlage hier eher mit Vorsicht zu geniessen.

Quelle: SEM für die Schweizer Zahlen, UNHCR für die übrigen Länder

30. November 2023 - 22:45

Endlich! Heute konnte die Familie von Vikas Schwester ihre neue Wohnung in Meiringen beziehen. Der Umzug fand nicht gerade bei idealen Wetterbedingungen statt, es scheint aber alles bestens geklappt zu haben. Wir wünschen der Familie, dass sie sich gut in ihrem neuen Zuhause einlebt und sich wohl fühlt.

29. November 2023 - 23:30

Heute hat Präsident Zelenskyy die Städte Odesa, Mykolajiw und Cherson im Süden der Ukraine besucht. Seit Beginn des Krieges besucht er die Städte im Land, oft auch nahe der Front. In den ersten Monaten wurden solche Besuche oft medial sehr wirkungsvoll dargestellt, auch als totaler Gegenpol zu Putin, der sich komplett isoliert. In seiner heutigen Ansprache strich er die geführten Arbeitsgespräche heraus, verbunden mit Durchhalteparolen an die Bevölkerung. 

28. November 2023 - 23:45

Russland hat heute angekündigt, nächstes Jahr rund 40% der Staatsausgaben ins Militär und in die Sicherheitsdienste zu stecken. 40%! Das zeigt, wie ernst es Russland mit "Frieden" und "Verhandlungen" ist. Das hat nicht nur Konsequenzen für die Ukraine, sondern bedroht auch die Stabilität Europas. Erreicht Putin in der Ukraine seine Ziele trotz massiver Verletzung des Völkerrechts, dann wird er das als Einladung verstehen, sich weitere Länder einzuverleiben, zuerst wohl die Baltenstaaten Estland, Lettland und Litauen, danach Teile Polens usw. usf.

Es führt (leider) kein Weg daran vorbei, die Ukraine weiterhin militärisch zu unterstützen.

27. November 2023 - 22:15

Die Stürme in Osteuropa am vergangenen Wochenende haben auch Cherson heftig getroffen: es liegen viele umgestürzte Bäume in den Wohngebieten, ganze Stadtteile sind ohne Strom. Wie wenn die täglichen Beschüsse nicht schon genug wären... Es ist kalt und es liegt sogar etwas Schnee auf den Strassen. Den Menschen vor Ort bleibt wirklich nichts erspart!

26. November 2023 - 21:45

Eigentlich hätte Vikas Schwester mit ihrer Familie dieses Wochenende in die neue Wohnung in Meiringen einziehen sollen. Die Schlüsselübergabe hat sich jedoch verzögert und findet erst nächste Woche statt.

Zügeln ist immer stressig. In einem noch fremden Land und mit den sehr eingeschränkten Mitteln, die sie für den Umzug von der Asylsozialhilfe erhalten, umso mehr. Dank der vielen Zusicherungen für Möbel und Wohnungseinrichtung werden sie sich nach dem überwundenen Zügelstress rasch zu Hause fühlen.

25. November 2023 - 22:30

Diese Woche wurde Sascha auf der Arbeit von einem Schnupperlehrling begleitet: ein 15-jähriger Junge aus der Ukraine, der im nächsten August die Schule abschliesst und auf Lehrstellensuche ist. Energiewende in der Schweiz Made in Ukraine...

24. November 2023 - 23:30

Die Frage, wie es seinen Eltern gehe, konnte Roma heute nicht beantworten: diese Woche hatte er noch keinen Kontakt zu ihnen. Die Möglichkeiten, mit ihnen zu kommunizieren, sind sehr eingeschränkt. Schlechte oder gar keine Verbindung und Stromausfälle erschweren es, im Austausch zu bleiben. Alles in allem geht es ihnen aber den Umständen entsprechend gut.

23. November 2023 - 23:00

Luda ist gut wieder zu Hause in Lublin eingetroffen. Das ist nicht unbedingt selbstverständlich. Hier in der Schweiz sind wir uns gar nicht so bewusst, wie viel Strecken im Fernverkehr nicht mit dem Zug, sondern mit Bussen zurückgelegt werden. Nicht alle Busse (und leider auch nicht alle Fahrer) erwecken einen gleich vertrauensvollen Eindruck. Entscheidend ist oft einfach der Preis - verständlicherweise: der Grossteil der Ukrainerinnen und Ukrainer ist nach wie vor alles andere als auf Rosen gebettet.

22. November 2023 - 23:00

In Cherson herrschen mittlerweile winterliche Temperaturen. Es wird selten unter null Grad, aber oft geht ein bissiger Wind. Dazu kommt, dass die Häuser viel schlechter isoliert sind als hier. In den Wohnungen ist die Temperatur in den letzten Tagen unter 15 Grad gesunken. Langsam, aber sicher scheinen die Fernheizungen anzulaufen und es wird etwas wärmer. Es ist zu hoffen, dass die Infrastruktur einigermassen unbeschädigt bleibt und dass die Menschen vor Ort in den nächsten Monaten nicht allzu sehr unterm dem Wintereinfluss leiden.

21. November 2023 - 22:30

Tanjas Freundin Luda ist am letzten Sonntag von Lublin in Polen nach Lviv in die Ukraine gereist. Heute Abend hat sie geschrieben, dass sie bis auf die Übersetzung eines Dokuments bereits alles erledigen konnte. Obschon die Ukraine grosse Fortschritte bei der Behördeneffizienz gemacht hat, bleibt es immer noch eine Lotterie, wie rasch man einen Behördengang erledigen kann. Lange Schlangen, ein fehlender Stempel oder ein falsches Dokument können immer noch Gründe sein, um von Pontius zu Pilatus geschickt zu werden. Umso erfreulicher, dass bei Luda alles auf Anhieb geklappt hat.

20. November 2023 - 21:45

Neuigkeiten von Ihor: er hat in Polen Arbeit in einer Fabrik gefunden. Es geht ihm gut und es scheint alles nach Plan zu laufen: bis er wieder zur See fahren kann, verdient er sich den Lebensunterhalt mit einem "Brotjob".

19. November 2023 - 20:30

In einer Woche bezieht Vikas Schwester mit ihrer Familie die Wohnung in Meiringen. Die Zeit in der Kollektivunterkunft in Grindelwald neigt sich dem Ende zu. Einmal mehr fügt sich alles wunderbar: von vielen Seiten haben wir dieser Tage Angebote für Möbel und weiteres Wohnungsinventar erhalten. Ein riesiges Merci an alle, die sich - in welcher Form auch immer - nach wie vor solidarisch zeigen mit Geflüchteten aus der Ukraine und ganz grundsätzlich mit Menschen, denen es weniger gut geht.

18. November 2023 - 21:15

Ein Kollege von Sascha, der immer noch in Cherson ist, hat ihm kürzlich erzählt, sie gingen regelmässig Fischen. Auf Saschas Frage, ob das nicht zu gefährlich sei wegen der nach wie vor präsenten Scharfschützen, meinte er nur, man gewöhne sich daran und schickte ihm ein Video einer vorbei schwimmenden Mine.

Von einer anderen Familie, die am Rand von Cherson lebt, haben wir gehört, dass sie mit ihren zwei schulpflichtigen Kindern seit Monaten im Keller leben, weil es in den oberen Etagen zu gefährlich sei.

Tanjas Jugendfreundin Natascha lebt praktisch seit Kriegsbeginn auf ihrer Datscha ausserhalb von Cherson. Schon im Sommer hat sie gesagt, dass sie vor der kalten Jahreszeit fliehen würden, da es kein Brennholz gebe für den Winter. Kalt ist es geworden, Brennholz gibt's immer noch nicht - aber sie befindet sich zusammen mit ihrem Mann immer noch auf der Datscha.

So einschneidend und anstrengend die Flucht ist: bei solchen Beispielen fällt es manchmal schwer zu verstehen, was die Leute zurückhält. Gleichzeitig zeigt es, woran man sich offenbar gewöhnen kann und was man mit der Zeit sogar als normal anschaut.

17. November 2023 - 22:45

Schon ein paar Mal haben wir hier Denis Trubetskoy zitiert, weil er die Situation oft sehr gut auf den Punkt bringt. Wir tun das heute wieder - allerdings ist hier "auf den Punkt gebracht" etwas untertrieben. Leider liegt er vermutlich mit seinen Aussagen - einmal mehr - richtig:

"Gibt es nicht die Sorge, dass..." mit unzähligen Varianten bis zum Angriff der Marsianer auf die Westukraine (okay, das nicht) ist die Frage, die mir seit Monaten jedes Mal gestellt wird. Manch ein Gespräch besteht de facto nur aus dieser (eigentlich natürlichen und korrekten) Frage in unterschiedlicher Form. Man hat gefühlt bewusst oder unbewusst die Hoffnung, dass ich irgendwann sage, alles sei schlimm und das Leben habe keinen Sinn mehr.

Ich habe die allermeisten Sorgen, auf die ich angesprochen werde. Manch eine wird aus meiner Sicht überschätzt, manch andere unterschätzt. Die Frage ist halt: Was denn nun? Sollen wir uns hier jetzt sofort Russland unterwerfen oder gar uns proaktiv selber erschiessen? Es gibt keine grundsätzliche politische Lösung für diesen Konflikt. Jedenfalls nicht die, die Kyjiw initiieren kann. Denn Russland kann diesen Krieg weiterhin jederzeit beenden. Die Ukraine kann jedoch aus sehr vielen offensichtlichen Gründen nicht etwa Moskau umzingeln und Kapitulation Russlands erzwingen, damit es wirklich sicher vorerst vorbei ist. Wie mehrfach hier betont: Dass der Krieg nach dem faktischen Erreichen der Grenzen von 1991 automatisch aufhört, ist eine unbegründete Illusion.

Ähnlich sieht es mit einem Waffenstillstand aus. Diesen zuerst selbst vorzuschlagen, wäre das absolut katastrophalste Signal an Russland. Dies wäre das ultimative Zeichen der Schwäche an Putin, dass man jetzt aus russischer Sicht unbedingt eine richtige Kraftanstrengung unternehmen muss, um eigene Ziele hier und jetzt auf dem Schlachtfeld zu erreichen. Ja, der Waffenstillstand ist irgendwann möglich, wenn beide Seiten gleichzeitig merken, dass sie in absehbarer Zeit nicht mehr vorankommen können. Das ist aber objektiv gesehen aktuell überhaupt nicht die Sichtweise des Kremls, der aktive Kampfhandlungen mindestens bis in die Zeit tief nach der US-Wahl hinziehen möchte. Solche Signale aus Kyjiw wären die allergrößte Bestätigung für Moskau, dass seine Strategie aufgeht.

Nun, es gibt auch im Westen Leute, die natürlich sagen werden: Was für ein Quatsch, es gibt offensichtlich eine politische Lösung - gebt den Russen doch ihre Krim her oder was auch immer noch. Abgesehen davon, dass sowas in jeder Form nur ein Bruchteil von dem wäre, was Russland wirklich will, auch abgesehen von unserer Lage hier: Diese Leute sind, Entschuldigung, nicht besonders weitsichtig, weil sie die Konsequenzen des endgültigen und katastrophalen Scheiterns des Völkerrechts nicht für uns, sondern für sich selbst nicht sehen oder nicht sehen wollen. Das sind Menschen, die diesen Krieg gerne wieder vergessen und zur Tagesordnung rübergehen würden, was ich verstehe. Ich habe aber eine enttäuschende Nachricht für sie: In den nächsten Jahren wird es höchstwahrscheinlich Kriege geben, die die Ukrainer medial noch stärker als aktuelle Nahost-Eskalation überschatten werden. Das wird aber zum nicht unbedeutenden Teil eine direkte Folge von 2014 und 2022 sein - eben von den Ereignissen, die man so gerne ignorieren würde. Wenn ihr wirklich glaubt, dass ihr zur Ruhe kommt, wenn die Ukraine etwa die Krim als russisch anerkennt, dann: Tja, dann viel Spaß in der Zukunft, es wird für euch und für eure Kinder noch "interessanter".

Mir ist absolut bewusst, dass die aktuellen Aussichten eher düster als optimistisch sind. Nichts ist in Stein gemeißelt und es kann völlig anders kommen, aber ich tendiere stets dazu, ohne Alarmismus und Hysterie von einem realistischen schlechten Szenario auszugehen. Alles andere macht keinen praktischen Sinn. Es wird keine Katastrophe geben und Russland wird seine ganz großen strategischen Ziele nicht erreichen. Die Wahrscheinlichkeit ist aber hoch, dass die Ukraine die nächsten Jahrzehnte in einer oder anderen Form im kriegsähnlichen Zustand (nicht mit heißem Krieg zu verwechseln) verbringen werden muss, falls der Westen nicht für mutige Entscheidungen bereit ist, für die ich werbe, deren praktische Umsetzungsschwierigkeiten mir aber klar sind. Das erste Jahrzehnt ist ja eh in ein paar Monaten schon um. Es könnte reichlich Flüchtlinge geben, die nicht zurückkehren werden - und auch Menschen, die die Umzugschance sofort nutzen werden, sobald die Grenze sich irgendwann öffnet.

Das ist die mögliche Realität, aber nur ein Teil davon. Die ukrainische politische Nation befindet sich in einem historischen Schicksalsmoment, in dem sie schlicht und einfach nicht aufgeben kann, wie von einigen vom gemütlichen Sofa aus gewünscht. Und ja, es wird zäh und hart. Aber es gibt hier halt keinen wirklich Ausweg. Und ist das ist meine ausführliche Antwort an all die Menschen, die eine und dieselbe Frage immer aufs Neue stellen: Die Sorgen gibt es, doch sie ändern an der prinzipiellen Ausgangslage wenig bis nichts. Und wenn wirklich eine Katastrophe eintrifft, an die ich nicht glaube, und wir als Nation nicht überleben werden, dann haben auch die Menschen auf den Sofas ein Riesenproblem.

Quelle: Post auf X (vormals Twitter) vom 17.11.23

16. November 2023 - 23:30

Wir staunen immer wieder aufs Neue, wie gut sich Tanjas Mutter hier verständigen kann. Mit 86 nochmal eine Sprache von Grund auf neu zu lernen hat sie von Anfang an ausgeschlossen. Auf dem Handy hat sie eine App zum Vokabeln lernen installiert, mit der sie täglich übt. Allerdings nickt sich oft nach den ersten paar Wörtern ein - sehr zu unserem Vergnügen.

Sie kann aber problemlos mit jemandem einen Nachmittag verbringen, gemeinsam Mittag essen, spazieren oder einkaufen gehen und sich wunderbar unterhalten - alle Anwesenden in ihrer Sprache. Ein lebendiges Beispiel, dass Kommunikation nicht nur verbal ist und man sich sehr gut auch von Herz zu Herz verständigen kann.

15. November 2023 - 22:45

Im Oktober konnten wir bei MyPAR das 5-jährige Firmenjubiläum begehen. Heute haben wir das mit einem gemeinsamen Teamtag gefeiert. Bei der Gründung vor fünf Jahren sind wir klar davon ausgegangen, dass wir Teamanlässe und Firmenjubiläen entweder getrennt im Schweizer und Ukraine-Team begehen oder gemeinsam in der Ukraine...

14. November 2023 - 22:15

Tanjas Freundin Luda hat vor ihrer Flucht bei der städtischen Steuerverwaltung in Cherson gearbeitet. Sie ist nach wie vor in Kontakt mit ehemaligen Arbeitskollegen, die in Cherson geblieben sind. Offenbar hat die Steuerverwaltung ihre Arbeit wieder aufgenommen, die Mitarbeitenden arbeiten in den Büros vor Ort. Einerseits ist das natürlich gut und nötig, andererseits ist der tägliche Arbeitsweg ein Risiko, das im dümmsten Fall tödlich enden kann.

13. November 2023 - 22:45

Heute gab es in Cherson viele Verletzte und auch Tote. Besonders tragisch: ein Auto mit einem Baby an Bord wurde von einer Rakete getroffen. Das Kind hat eine Wunde am Kopf, die Mutter ist schwer verletzt. Der Grossvater, der das Auto fuhr, wurde getötet. Gemäss Berichten waren sie auf der Rückfahrt von einem Arztbesuch.

Auch wenn die Medien nicht mehr so oft und ausführlich darüber berichten: täglich werden zivile Ziele angegriffen und es gibt zivile Opfer. Nicht nur in Cherson, sondern entlang der ganzen Frontlinie. Nicht nur entlang der Frontlinie, sondern in allen grösseren Städten der Ukraine.

12. November 2023 - 22:30

Dieses Wochenende waren wir bei einer ukrainischen Familie eingeladen, als Dankeschön für eine Übersetzung. Der Mann hat früher als Koch auf einem Schiff gearbeitet. Bei Kriegsausbruch befand er sich in Portugal. Für ihn war sofort klar, dass er nicht zurück in die Ukraine konnte. Er hatte ukrainische Bekannte in München und in Spiez und hat sich dann entschieden, vorerst mal in die Schweiz zu kommen.

Seine Frau und der gemeinsame Sohn sind kurz darauf mit dem Auto aus der Ukraine geflüchtet. Sie hatte zwar früher mal den Führerschein gemacht, war aber kaum je Auto gefahren. Irgendwie hat sie es bis nach Budapest geschafft. Von dort hat sie ihr Mann abgeholt.

Innerhalb eines Monats fand er bei Frutiger AG eine Anstellung, wo er seither arbeitet. Der Sohn besucht in Wattenwil die 2. Klasse, die Frau arbeitet Teilzeit.

Viele Zufälle und Fügungen haben sie vor weniger als zwei Jahren hierher gebracht. Heute fühlen sie sich gut integriert und können sich eine Rückkehr kaum mehr vorstellen. Bei ihnen spürt man den starken Willen und das Engagement, sich hier eine neue Existenz aufzubauen. Gleichzeitig haben sie ganz viele helfende Menschen genannt, die sie bis heute begleiten.

11. November 2023 - 21:00

Seit heute vor genau einem Jahr ist die Stadt Cherson nach monatelanger Besatzung wieder unter ukrainischer Kontrolle. Der Rückzug der russischen Truppen lief damals einigermassen geordnet ab. Was hingegen während der Besatzung an Kriegsverbrechen geschehen ist, wird - wenn überhaupt - wohl erst nach dem Krieg aufgearbeitet werden können.

Auch nach der Befreiung ist das Leben noch nicht wirklich nach Cherson zurückgekehrt. In der Stadt lebt noch rund ein Drittel der Bevölkerung vor dem Krieg. Die Zerstörung des Staudamms von Kachovka hatte ebenfalls grosse Auswirkungen auf Cherson.

Zudem ist die Stadt bis heute praktisch täglich unter Beschuss. Die Grenze zu den besetzten Gebieten bildet immer noch der Dnjepr, der die Stadt im Osten begrenzt. Seit einiger Zeit hört man von ukrainischen Vorstössen am östlichen Ufer. Nennenswerte Geländegewinne konnten bisher jedoch nicht erzielt werden. Es ist davon auszugehen, dass es erst wieder aufwärts geht, wenn auch das Umland der Stadt wieder unter ukrainischer Kontrolle steht.

10. November 2023 - 23:15

Nachdem die Schweiz vor kurzem den Status S um ein weiteres Jahr verlängert hat und sich gleichzeitig ein höheres Ziel gesetzt hat, wie viele ukrainische Flüchtlinge in den Schweizer Arbeitsmarkt integriert werden sollen, folgen nun erste Massnahmen: der Bundesrat und die Kommission des Nationalrates schlagen vor, die Bewilligungspflicht für Arbeitsstellen aufzuheben und damit eine bürokratische Hürde abzubauen.

Nach wie vor muss natürlich sichergestellt sein, dass die Situation der Flüchtlinge nicht ausgenutzt wird und bspw. zu tiefe Löhne bezahlt werden. Mit der heute zwingenden Prüfung der Arbeitsverträge durch die kantonalen Ämter ist das gewährleistet. Fällt die Prüfung weg, dann kann das zu mehr Missbrauch führen. Man darf aber wohl davon ausgehen, dass die Sprachkenntnisse und die Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten in der Zwischenzeit ausreichen, damit sich Betroffene besser wehren können. Die Massnahme scheint uns deshalb vernünftig. 

9. November 2023 - 22:00

Luda, Tanjas Freundin in Polen, wird für ein paar Tage in die Ukraine, nach Lviv, reisen und dort bei Lenas Schwester übernachten. Hinsichtlich Digitalisierung ist die Ukraine in vielen Belangen weiter als die Schweiz. Aber trotzdem gibt es Fälle, die nur vor Ort gelöst werden können, zum Beispiel der Austausch defekter oder gesperrter SIM-Karten, Bankgeschäfte, das Ausstellen/Erneuern von Dokumenten und Ähnliches.

8. November 2023 - 21:45

Wie hier auch beginnt in Cherson dieser Tage die Heiz-Saison. Geheizt wird praktisch überall mit Fernwärme. Es wird zentral praktisch für die ganze Stadt entschieden, ab wann geheizt wird. Die Behörden haben versichert, dass alle Stadtteile - auch diejenigen, die aktuell unter starkem Beschuss stehen - beheizt würden. Ob das tatsächlich machbar ist oder ob es eher eine Beschwichtigungstaktik ist wird sich in den nächsten Wochen zeigen.

7. November 2023 - 23:15

Das hatten wir schon fast vergessen: vor genau einem Jahr ist Lenas Mutter unglücklich gestürzt und hat sich die Hand gebrochen. Alles ist bestens verheilt. Aktuell hören wir wenig über die Gesundheitsversorgung in Cherson. Für grössere Eingriffe muss man offenbar nach Mykolajiw (ca. 70 km) oder Odessa (ca. 200 km). Dass nicht so viel darüber berichtet wird heisst wohl auch, dass es keinen extremen Notstand gibt und genügend Medikamente in die Stadt gelangen. Das in der Stadt verbliebene medizinische Personal hat alle Hände voll zu tun, weil sehr viele gut ausgebildete Menschen geflüchtet sind.

6. November 2023 - 22:30

Von Ihor haben wir gehört, dass es vorwärts geht mit seinen Zulassungspapieren als Matrose in Polen und er davon ausgeht, schon bald arbeiten zu können. Er meldet sich alle paar Tage bei seiner ehemaligen Gastfamilie. Wir drücken ihm weiterhin die Daumen, dass es klappt mit einer guten Arbeitsstelle.

5. November 2023 - 22:30

Vor zwei Wochen ist Alexandra 18 Jahre alt geworden. Heute haben wir im Kreis der Familie nachgefeiert - mit fast dreissig Personen! Bei früheren Geburtstagen waren es jeweils viel weniger - der ukrainische Teil der Familie hat meistens gefehlt. Nun sind alle in der Gegend und es ist super, gemeinsam feiern zu dürfen. Zur "erweiterten" Familie gehören natürlich alle "unsere" Ukrainerinnen und Ukrainer.

4. November 2023 - 21:15

Vikas Schwester und ihre Familie haben die Wohnung in Meiringen definitiv erhalten! Am 25. November erhalten sie die Schlüssel und können dort einziehen. In der Kollektivunterkunft in Grindelwald wäre der Winter für die Familie mit den kleinen Kindern sehr anstrengend und herausfordernd geworden.

Auch wenn Meiringen nicht gerade um die Ecke ist werden wir natürlich versuchen, sie bestmöglich beim Umzug zu unterstützen.

3. November 2023 - 22:30

In den 90er-Jahren haben wir oft bei Verwandten, Mutter und Tochter, in Kiev Halt gemacht und viele schöne Tage verbracht. Sie wohnten damals mitten in Kiev, keine fünf Minuten vom Platz der Unabhängigkeit und dem berühmten "Goldenen Tor" entfernt.

Die Tochter lebt schon länger in Deutschland, ihr Sohn ist dort aufgewachsen. Die Wohnung in Kiev, in der sie zuletzt gelebt haben, ist zerstört, das Kinderzimmer zerbombt. Ein mulmiges Gefühl, auch wenn man schon längst nicht mehr dort ist. Die Mutter ist bis heute in Kiev geblieben. Im Gegensatz zu vielen ukrainischen Seniorinnen und Senioren ist sie nicht so versiert mit den heutigen Kommunikationsmitteln. Entsprechend herausfordernd ist es für die Tochter, regelmässig Kontakt zu pflegen. Schwierig war's schon vor dem Krieg, jetzt kommt die Angst dazu, wenn die Angriffe wieder mal intensiver waren.

2. November 2023 - 22:15

Tanjas Mutter hat mit verschiedenen Nachbarn aus der Ukraine gesprochen. Offenbar kehren erstaunlich viele Leute wieder zurück nach Cherson. In ihrem Hauseingang seien rund drei Viertel der Wohnungen wieder bewohnt. Oft ist die präkere finanzielle Situation der Auslöser: wer in eine andere Stadt in der Ukraine geflüchtet ist, musste dort eine Wohnung mieten, fand kaum Arbeit. Die Ersparnisse schmelzen so rasch dahin. Die Wohnungen in Cherson hingegen sind grösstenteils Eigentumswohnungen, die mit der Auflösung der Sowjetunion in den 90er-Jahren privatisiert wurden und die Eigentümer kaum mehr was kosten. Und so bleibt oft keine andere Wahl als die Rückkehr in der Hoffnung, dass sich die Situation zumindest nicht verschlimmert.

1. November 2023 - 21:45

Der Bundesrat hat an seiner heutigen Sitzung beschlossen, den Status S für die Flüchtlinge aus der Ukraine nicht vor dem 4. März 2025 aufzuheben. Das bedeutet eine Verlängerung um ein weiteres Jahr und schafft Klarheit für die Schutzsuchenden, die Kantone, Gemeinden und Arbeitgebende.

Erstmals hat der Bundesrat zudem ein Ziel für die Arbeitsmarktintegration definiert: Bis Ende 2024 sollen 40 Prozent der erwerbsfähigen Personen mit Status S einer Arbeit nachgehen. Der Bund schreibt dazu: "Die Förderung der Erwerbsintegration dient nicht nur der Senkung der Sozialhilfekosten. Schutzsuchende aus der Ukraine können und sollen durch Integrationsmassnahmen, Bildung und Erwerbsarbeit auch aktiv am sozialen Leben teilnehmen und Fähigkeiten im Hinblick auf eine künftige Rückkehr in die Heimat erhalten und aufbauen."

Abgesehen von der Sicherheit, hier bleiben zu können, bedeutet der heutige Entscheid auch, dass die Unterstützungsmassnahmen ebenfalls verlängert werden. Der Bund beteiligt sich weiterhin mit 3000 Franken pro Person und Jahr an diesen Massnahmen. Diese Mittel sollen insbesondere zur  Sprachförderung eingesetzt werden.

Das sind sehr gute Neuigkeiten gerade auch für diejenigen, die später in die Schweiz gekommen sind und entsprechend erst vor kurzem mit einem Sprachkurs begonnen haben.

Quelle: Medienmitteilung vom 1. November 2023 (ukrainische Fassung der Medienmitteilung)

31. Oktober 2023 - 22:30

Nach wie vor steht die Stadt Cherson unter Beschuss. In diesen Tagen wurde unter anderem die städtische Bibliotheke arg in Mitleidenschaft gezogen. Es handelt sich um ein imposantes Gebäude nahe des Stadtzentrums am Rande eines Parks, in dem wir oft flanierten. Es geht einzig darum, Schaden anzurichten. Wer glaubt die Mär von der Befreiung noch? Wer stoppt die Agression?

30. Oktober 2023 - 23:00

Von Ihor haben wir noch keine Neuigkeiten - ausser, dass er gut in Polen angekommen ist.

Er gehört nun zu den rund 18'000 Ukrainern, die ihren Schutzstatus S in der Schweiz abgegeben haben. Rund 66'000 Menschen aus der Ukraine leben aktuell noch in der Schweiz mit dem Status S.

29. Oktober 2023 - 22:15

Vor einem Jahr wurde die Frage diskutiert, wie man mit den Autos mit ukrainischen Kennzeichen umgehen soll. Normalerweise darf man nur ein halbes Jahr mit ausländischen Kennzeichen auf Schweizer Strassen unterwegs sein, wenn man seinen Wohnsitz in der Schweiz hat. Danach muss man sein Fahrzeug einführen und Schweizer Kennzeichen lösen. Die Kosten dafür sind beträchtlich und für die meisten Ukrainer nicht bezahlbar.

Bis heute sieht man viele Fahrzeuge mit ukrainischen Kennzeichen. Uns wäre nicht bekannt, dass jemand dafür angehalten oder gar gebüsst worden wäre. Wir sind ja recht gut im nicht-so-genau-Hinschauen bei heiklen Themen. Hier funktioniert das "Agreement" im Interesse von allen: die Ukrainer brauchen ihre Fahrzeuge nur für kurze oder wirklich benötigte Fahrten, da die Treibstoffkosten für sie hoch sind. Solange das Fahrzeug einigermassen fahrtüchtig ist, interessieren sich die Behörden nicht gross dafür, wie lange das Auto bereits auf Schweizer Strassen unterwegs ist. Win-Win...

28. Oktober 2023 - 23:15

Bei einem gemütlichen Abend bei Serhii und seiner Freundin Rebecca hat uns Serhii sein Projekt "bike2horizon" auf Instagram vorgestellt. Er kombiniert damit seine hier entdeckte Leidenschaft fürs Fahrrad fahren mit dem Engagement, die Ukraine in ihrem Freiheitskampf zu unterstützen. Man setzt sich selber ein monatliches Ziel, wie viele km man erreichen will und kann sich dann innerhalb der Community gegenseitig motivieren, Erfahrungen austauschen, gemeinsam Touren planen usw. Dafür bezahlt man einen Beitrag, der der Ukraine zugute kommt. Fahrrad-Fans - zögert nicht, euch zu registrieren!

Übrigens: Wenn es heisst, dass die ukrainischen Streitkräfte unterstützt werden, dann bedeutet das nicht, dass die Beiträge an die ukrainische Armee überwiesen werden. Die Ausrüstung, die die ukrainischen Soldaten von der Armee erhalten, ist minimal. Wird man eingezogen ist es deshalb eine Frage der Überlebenschance, zusätzliche Ausrüstung (Schutzweste, Schuhe, winterfeste Kleidung usw.) auf eigene Rechnung zu besorgen. Über die Rekrutierung und die Ängste vieler ukrainischer Männer, an die Front zu müssen, hat kürzlich 10 vor 10 berichtet.

27. Oktober 2023 - 23:00

Ganz spontan waren wir heute Abend mit Vika und Roma am "Thuner Wasserzauber". Vor einem Jahr hatten wir die Lichtshow auch besucht, da war Roma erst seit kurzem in der Schweiz. Seither ist unglaublich viel passiert!

Romas Eltern geht es den Umständen entsprechend. Die Kommunikation ist nach wie vor unzuverlässig. Mit dem Nötigsten sind sie versorgt, an die Bedürftigsten verteilt Russland humanitäre Hilfe.

26. Oktober 2023 - 22:45

So wie es aussieht werden die bisher von Bund und Kanton finanzierten Deutschkurse für die ukrainischen Flüchtlinge im nächsten Jahr eingestellt. Entsprechende Gerüchte hörte man schon länger. Nun scheint das zu bestätigen. Wir sehen uns bestätigt, dass es richtig war, dass wir "unsere" Ukrainer möglichst rasch in die angebotenen Deutschkurse "bugsiert" haben. Diejenigen, die noch nicht so lange da sind wie zum Beispiel die Familie von Vikas Schwester, haben dadurch natürlich einen Nachteil.

Grundsätzlich bestreitet niemand, dass die Sprache eine Grundvoraussetzung ist, um hier Fuss zu fassen. Mal schauen, wie sich das entwickelt. Gut denkbar, dass es Alternativangebote, zum Beispiel von kirchlichen Organisationen, geben wird.

25. Oktober 2023 - 23:30

Über 600 Tage dauert der Krieg in der Ukraine nun schon. Die Kämpfe gehen unvermindert weiter. Man rechnet in der Ukraine damit, dass verstärkt wieder kritische zivile Infrastruktur zum Ziel russischer Angriffe wird. Der Winter naht, Russland führt die Zermürbungstaktik rücksichtslos und unvermindert fort.

Es ist richtig und wichtig, dass im Moment andere Themen die Schlagzeilen beherrschen. Russlands übliche Strategie, Kriege "unsichtbar" zu machen, darf aber dieses Mal nicht aufgehen! Einerseits, um die Weiterexistenz der Ukraine als eigenständiger Stadt sicherzustellen. Aber auch, weil uns dieser Krieg mehr betrifft als wir im Moment wahrhaben wollen.

24. Oktober 2023 - 23:15

Heute wurde Ludas Vater in Lublin im Osten Polens beigesetzt. Stirbt ein lieber Mensch, ist das immer schwierig. Geschieht das dann noch in einem fremden Land mit andern Sitten und Gebräuchen, dann ist es noch viel belastender.

Auch hier in der Schweiz haben wir schon von Todesfällen geflüchteter Ukrainer gehört - naheliegend, weil ja auch ältere Menschen hier sind. Zwei grundsätzliche Fragen stellen sich: Erdbestattung oder Kremation, Ort der Bestattung.

In der Ukraine sind Erdbestattungen und die Beisetzung im Familiengrab der Normalfall. Aktuell ist das in den wenigsten Fällen machbar, wenn jemand hier verstirbt. Gerade ältere Menschen äussern aber oft den Wunsch, in ihrer Heimat bestattet zu werden. Schwierige Diskussionen bis hin zu Gewissenskonflikten sind vorprogrammiert...

Luda und ihr Vater haben keine Angehörigen mehr in der Ukraine. Das machte die Entscheidung, ihn in Polen beizusetzen, einfacher.

23. Oktober 2023 - 23:15

Langsam haben wir genug über Wahlen gehört und gesprochen und man kann sich wieder den wichtigen Dingen zuwenden... Das Thema Wahlen beschäftigt auch die Ukraine: und zwar die Frage, ob im nächsten Jahr Wahlen stattfinden sollen oder nicht. Die Haltung der Bevölkerung ist hier gespalten. Die einen sagen, man müsse jetzt alle zeitlichen und finanziellen Ressourcen in die Kriegsführung stecken. Andere sind der Meinung, dass gerade auch während dem Krieg die demokratischen Prozesse unbedingt aufrechterhalten werden müssen. Es ist knifflig und definitiv eine riesige Herausforderung, faire Wahlen durchführen zu können. Wie sollen die Millionen Geflüchteten wählen können? Wie die Menschen in den besetzten Gebieten oder an der Front? Präsident Selenskyi gibt sich im Moment bedeckt. Für ihn wären Wahlen sicher eher ein Vorteil. Die Art, wie er das Land in diesem Krieg vertritt, geniesst immer noch grosse Unterstützung.

22. Oktober 2023 - 21:15

Heute lassen wir wieder einmal Denis Trubetskoy, den Journalisten aus Kiev, aufgewachsen auf der Krim, zu Wort kommen. Seine Einschätzung der geopolitischen "Grosswetterlage" scheint uns sehr zutreffend:

"Wie reagieren denn die Ukrainer darauf, dass die gesamte Aufmerksamkeit gerade auf Israel gerichtet wird" ist natürlich die Frage, die mir aktuell am häufigsten im Radio usw. gestellt wird.

1. Wie schon mal gesagt: Die Solidarität mit Israel ist sowohl in der Regierung als auch in der Bevölkerung gross. Natürlich gibt es Randstimmen: Menschen, die darauf bestehen, dass man sich nur auf den eigenen Krieg konzentrieren sollte - und auch Leute, für die israelische Staatspolitik im Bezug auf den russischen Angriffskrieg alles negativ überschattet. Das sind aber eher marginale Erscheinungen.

2. Diese Solidarität resultiert einerseits daraus, Netanjahus Linie hin oder her, dass die Unterstützung der israelischen Bevölkerung an die Ukrainer doch ebenfalls gross war/ist - und dass z.B. die Zusammenarbeit der beiden Länder im Geheimdienstbereich trotz allem recht bedeutend ist. Das Wichtigste ist aber: Russland mag den HAMAS-Angriff nicht gesteuert haben, doch von der Ukraine aus versteht man es besser als woanders auf der Welt, dass viele aktuelle Prozesse erst durch die Krim-Annexion 2014 gestartet und im Februar 2022 durch den vollumfänglichen Krieg noch einmal beschleunigt wurden. Es geht global um eine neue Sicherheitsordnung - und ich denke, es ist gar nicht mehr abwegig, von einer Art "Drittem Weltkrieg" zu sprechen, auch wenn ich die Lage nicht überdramatisieren möchte. Wenn man aber schon mittendrin ist, ist es leichter als etwa von Berlin aus, sich selbst den Ernst der globalen Lage zuzugeben.

3. Was jetzt konkret das Thema Aufmerksamkeit anbetrifft: Hilfe ist eigentlich viel wichtiger als Aufmerksamkeit, auch wenn beides doch ein bisschen zusammenhängt. Das Abnehmen des Interesses ist eine natürliche Entwicklung, die auch ohne Israel zu beobachten war. Wir sind in einer Phase, in der abgesehen von den ganz krassen Frontentwicklungen nur schrecklichste Ereignisse wie der Schlag auf ein Dorf im Bezirk Charkiw mit mehr als 50 Toten richtig grosse Schlagzeilen machen. Es war, ist und bleibt ein Marathon - und es ist normal so. Die Welt dreht sich nicht um die Ukraine und es wird immer andere Themen geben. Es ist aber nach wie vor ein riesiger Krieg in Europa, der nicht komplett ignoriert werden kann. Zumindest auf der politischen Ebene nicht.

4. Die grössten Befürchtungen gibt es im praktischen Bereich. Wenn es schnell vorbei sein wird, wo ich selbst sehr unsicher bin, wird der Krieg im Nahost gar nicht so viele Auswirkungen auf die Ukraine-Hilfen haben - und vielleicht lässt die Verknüpfung der Ukraine- und Israel-Hilfen in den USA sogar einige der dortigen innenpolitischen Hindernisse aus dem Weg räumen (keine Ahnung, da sind US-Experten gefragt). Wenn der Krieg aber länger dauert und sich vielleicht auf weitere Fronten ausweitet, könnte es natürlich sein, dass Israel irgendwann massiv die gleichen Waffen und die gleiche Munition wie auch die Ukraine braucht. Und dass etwa die Produktion der Artilleriemunition im Westen sowieso noch lange nicht dort angekommen wo sie sein sollte, könnten Probleme entstehen, deren Folgen nicht kleinzureden sind.

5. Natürlich kommt all das in einer Zeit, in der die Ukrainer einerseits die letzten Illusionen aufgeben mussten, dass der Krieg vielleicht doch kürzer als gedacht dauert - und andererseits vor einer neuen Welle der russischen Angriffen auf Energieinfrastruktur. Zu sagen, dass es stimmungstechnisch keine Auswirkungen hat, wäre gelogen, auch wenn ich keine mittel- und gar langfristigen Gefahren für die Entschlossenheit der Gesellschaft feststellen kann. Es geht zu sehr um existenzielle Fragen, um sich allzu verunsichert zu führen.

Quelle: Post auf X, vormals Twitter, vom 19. Oktober 2023

21. Oktober 2023 - 23:00

Die Familie von Vikas Schwester hat eine Wohnung in Meiringen in Aussicht! Der Vertrag ist bisher noch nicht unterzeichnet, wir hoffen das beste, dass es dieses Mal klappt.

20. Oktober 2023 - 22:00

Nach langer Krankheit ist Ludas Vater gestern gestorben. Schon die Flucht aus der Ukraine nach Polen vor gut einem Jahr war für ihn sehr beschwerlich. Ganz erholt hat er sich seither nie mehr. In Gedanken sind wir bei Luda und ihrer Familie.

19. Oktober 2023 - 22:30

Ihor hat sich entschieden, die Schweiz zu verlassen und sich in Polen niederzulassen. Er möchte gerne wieder in seinem Beruf als Matrose arbeiten. Bei allen Perspektiven, die die Schweiz bietet, ist die Chance auf einen solchen Job hier naturgemäss sehr gering... Er geht zuerst zu Bekannten in der Nähe von Kattowitz nahe der Grenze zu Tschechien. Dort hat er die Möglichkeit, in einer Fabrik etwas Geld zu verdienen und plant, nach rund zwei Monaten, wenn alle benötigten Dokumente vorliegen, dann wieder zur See fahren zu können.

Heute haben wir uns bei einem feinen Nachtessen und gemütlichen Abend von ihm verabschiedet. Wir wünschen ihm von ganzem Herzen alles Gute und bleiben natürlich mit ihm im Kontakt. 

18. Oktober 2023 - 22:30

Heute hat Tanja mit Luda in Polen gesprochen. Die Situation mit ihrem kranken Vater ist sehr belastend. Alles liegt auf ihren Schultern, die Ärzte sagen, sie könnten nichts mehr für ihn tun und schicken ihn wieder nach Hause. Gestern hatte er Blutungen, die nicht mehr aufhören wollten. Eineinhalb Stunden mussten sie auf eine Ambulanz warten. Nachdem sie die Blutung gestillt hatten entschuldigten sie sich, dass sie ihm nirgends einen Pflegeplatz anbieten könnten.

Wir beklagen uns hier in der Schweiz - sicher teilweise mit gutem Grund - gerade sehr fleissig über unser teures Gesundheitswesen. Hört man solche Geschichten, dann macht das grad wieder etwas dankbarer.

17. Oktober 2023 - 22:45

Lena hat die Gelegenheit beim Besuch ihrer Schwester in Lemberg genutzt, einige Dinge, die ihr wichtig sind, aus Cherson in die Schweiz zu bringen. Zur Erinnerung: bei ihrer Flucht in die Schweiz konnten sie nicht mehr als ein paar kleine Rucksäcke mitnehmen - mehr Platz gab's nicht. Völlig klar, dass man da das eine oder andere vermisst.

Bereits vor dem Krieg war es gang und gäbe, dass man Waren jemandem im Zug mitgegeben hat und es am Zielbahnhof dann jemand entgegengenommen hat. Von Lemberg hat es Lena dann selber nach Polen gebracht und dort einem Ukrainer mitgegeben, der mit dem Auto in die Schweiz fuhr. Etwas kompliziert das Ganze, aber dafür natürlich viel günstiger als per Post oder Kurier.

16. Oktober 2023 - 22:15

In den letzten zwei Wochen ist Cherson wieder stärker unter Beschuss geraten. Beschädigt oder zerstört wurde vor allem zivile Infrastruktur. Vom Markt, den wir früher oft besuchten, ist offenbar nicht mehr viel übrig. Im Hinblick auf die kältere Jahreszeit soll die Bevölkerung wohl weiter zermürbt werden. Indem die Gas- und Stromversorgung beschädigt wird, fällt vielerorts auch die Heizung aus und es gibt kein warmes Wasser.

29. September 2023 - 22:30

Wir haben schon lange nichts mehr über unsere Firma MyPAR geschrieben. "Keine News sind gute News" trifft in diesem Fall zu. Was nicht heisst, dass alles einfach ist. Die Herausforderungen halten sich aber zum Glück im erwarteten Rahmen.

Eine der spannenden Herausforderungen ist, dass wir im Rahmen der jährlich stattfindenen Digitaltage im Rathaus Thun ein Referat zum Thema Digitale Barrierefreiheit halten dürfen. Wer schon immer etwas genauer wissen wollte, was wir machen, ist herzlich eingeladen!

Der Anlass richtet sich an ein breites Publikum und findet am Montag, 9. Oktober von 17.30 bis 18.30 Uhr im Rathaus in Thun statt. Es ist keine Anmeldung nötig, der Eintritt ist frei. Details sind auf der Website der Digitaltage Thun ersichtlich.

Das  Referat hält unsere liebe Kollegin Alena Bachmann. Wir gönnen uns nämlich ab morgen zwei Wochen Ferien 😎 Entsprechend macht der Ukraine-Blog Pause. Am Montag, 16. Oktober geht es weiter.

28. September 2023 - 22:15

Lena ist wieder nach Polen zurückgereist und gut dort angekommen. Sie verbringt nun noch ein paar Tage bei ihrer Nichte und kommt nächste Woche zurück in die Schweiz. Wir sind gespannt, was sie erzählen wird.

27. September 2023 - 22:00

Vor genau einem Jahr war Roma auf der Flucht und ist nun also schon ein Jahr in der Schweiz. Unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht! Er ist mit der Überzeugung gekommen, in wenigen Wochen oder Monaten wieder zurückkehren zu können. Entgegen der Hoffnung, dass sich die Lage rasch verbessert, ist es heute in der Region Cherson schwieriger denn je.

26. September 2023 - 22:15

Sascha hatte heute ein Mitarbeitergespräch mit seinem Chef bei Beosolar. Das Feedback zu seiner Arbeit und seiner Integration in die Firma und ins Team ist überaus positiv. Beosolar organisiert regelmässig interne Weiterbildungen, an denen Sascha künftig teilnehmen kann. Seine Sprachkenntnisse sind mittlerweilen auf einem Niveau, das ihm die fachliche Weiterentwicklung ermöglicht. Grundsätzlich würde ihm die Firma auch externe Fortbildungen offerieren. Dafür ist die Sprachbarriere im Moment noch zu hoch. Als Motivation und Perspektive aber auf jeden Fall ideal!

25. September 2023 - 22:15

Heute wurde der Dnjeprovski-Markt und nahe gelegene Wohnhäuser in Cherson bombardiert. Unzählige Male waren wir dort zum Einkaufen oder Flanieren. Der Markt ist etwa 15 Fussminuten von Tanjas Elternhaus entfernt. Der Schaden ist beträchtlich, es sollen auch Zivilisten ums Leben gekommen sein. Die Angriffe auf die Stadt haben in den letzten Wochen eher wieder etwas zugenommen. Auch hier geht es möglicherweise vor allem darum, die Energieversorgung im Hinblick auf die kalte Jahreszeit zu schwächen.

24. September 2023 - 22:00

Es läuft was bei den Seniorinnen und Senioren in Oberdiessbach: letzte Woche löste Tanjas Mutter beim Wasserkochen den Feueralarm aus. Und prompt kam die Feuerwehr. Es folgt ein leicht panischer Anruf bei uns: "Sie wollen mich mitnehmen, wahrscheinlich sperren sie mich ein, weil ich was falsch gemacht habe." Ein kurzes Wort mit dem bereits entspannten Einsatzleiter klärt die Situation. Es ging den Feuerwehrleuten einzig darum, sie aus der Gefahrenzone zu bringen bis klar war, dass nichts Schlimmes passiert war. Hinterher einmal mehr ein sprachliches Missverständnis, über das man herzlich lachen kann.

Für den Feueralarm konnte sie übrigens nichts, vermutlich sind die Feuermelder noch etwas sensibel eingestellt. Hausverwaltung und Feuerwehr nehmen es gelassen: das war grad eine ganz gute Übung, sogar noch mit jemandem mit Verständigungsproblemen.

23. September 2023 - 22:00

Wir durften einen sehr gemütlichen Abend bei Vika und Roma verbringen und wurden kulinarisch vom Feinsten verwöhnt. Ihre WG ist nun schon beinahe acht Monate alt und funktioniert bestens. Man fühlt sich rundum wohl bei ihnen.

22. September 2023 - 23:45

Diese Woche konnten wir zwei Wohnungen für Vikas Schwester und ihre Familie besichtigen, eine in Thun, eine in Steffisburg. Beides wären sehr gute Optionen und zeitnah verfügbar. Wir hoffen, dass es an einer der beiden Adressen klappt. Das sommerliche Wetter ist vorbei, es wird ungemütlicher in der Kollektivunterkunft in Grindelwald...

21. September 2023 - 22:30

Der heutige 21. September wurde vor über vierzig Jahren von den Vereinten Nationen zum Weltfriedenstag erklärt. Um diese Zeit herum findet jeweils die jährliche Vollversammlung der UNO statt. Der Tag soll genützt werden, «um die Idee des Friedens sowohl innerhalb der Länder und Völker als auch zwischen ihnen zu beobachten und zu stärken». An der gestrigen Vollversammlung hat man davon nicht allzu viel bemerkt. Bereits in den ersten Minuten hat der russische Botschafter Protest dagegen eingelegt, dass der ukrainische Präsident Selenski als erster Landesvertreter sprechen dürfe – noch vor den Mitgliedstaaten des Sicherheitsrates. Der albanische Ministerpräsident Edi Rama, derzeit Vorsitzender des Rates, hatte allerdings eine schlagfertige Antwort parat: «Sie stoppen den Krieg, und Präsident Selenski wird nicht das Wort ergreifen.»

Wohl kaum als Zeichen des Friedens kann interpretiert werden, dass letzte Nacht in mehreren Städten Energieinfrastruktur beschossen wurde. Wie schon im letzten Jahr soll die Ukraine in der kalten Jahreszeit frieren und so der Widerstand gebrochen werden.

20. September 2023 - 23:15

Gestern wurde unter anderem auch die Stadt Lviv bombardiert. Wir haben uns natürlich Sorgen gemacht um Lena und ihre Schwester. Sie konnten zum Glück rasch Entwarnung geben. Ihnen geht es gut. Die Detonationen seien aber auch in ihrem Wohnquartier gut zu hören gewesen.

19. September 2023 - 23:45

Fast 20'000 ukrainische Kinder und Jugendliche wurden seit Beginn des Krieges nach Russland oder in besetzte Gebiete verschleppt. Nur ein kleiner Teil konnte bisher zurückkehren. Meistens gehen die Kinder freiwillig und mit dem Einverständnis der Eltern, oft unter dem Vorwand eines Sommerlagers, um sich von den Kriegsstrapazen zu erholen. Aus den angekündigten zwei Wochen werden dann Monate... Der genaue Aufenthaltsort ist unklar, der Kontakt wird erschwert, gezielt werden die Kinder von ihrem bisherigen Umfeld entfremdet.

Cherson war vor allem im letzten Jahr stark betroffen. Den Kindern wurde ein Sommerlager auf der Krim versprochen - bis zur Annektion der Krim 2014 war das ganz normal. Sicher etwas gutgläubig, sein Kind den russischen Besetzern anzuvertrauen. Die Vorgehensweise ist jedoch sehr subtil und es ist gut nachvollziehbar, wenn man nach so vielen Monaten mitten im Krieg dem Kind etwas Erholung verschaffen will.

Im gestrigen 10 vor 10 hat Luzia Tschirky über dieses Thema berichtet.

Betroffen sind übrigens nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch ältere Menschen. Ihnen werden medizinische Behandlungen in Aussicht gestellt, denen oft nicht mehr endende "Erholungsaufenthalte" folgen. Wir kennen Fälle, bei denen kein Kontakt zu Angehörigen mehr besteht. Oft wird den Leuten gesagt, es wolle niemand mehr mit ihnen Kontakt haben.

18. September 2023 - 23:00

Lena hat noch etwas ausführlicher aus Lviv berichtet: grundsätzlich gibt es viel Früchte und Gemüse auf den Märkten - allerdings zu sehr hohen Preisen. Heute hat sie sich eine Wassermelone aus dem Süden der Ukraine, aus Mykolajiw gekauft. Nicht wie früher aus Cherson, aber doch immerhin aus der Nähe.

17. September 2023 - 22:00

Lena ist gestern per Bus aus Krakau weitergereist nach Lviv zu ihrer Schwester. Die Reise verlief problemlos. Der Grenzübertritt dauerte nur gerade eine Stunde. Viel mehr wissen wir nicht - die Internetverbindung liess nicht mehr zu. Wir hoffen, dass sie eine einigermassen ruhige Zeit verbringen kann.

16. September 2023 - 23:15

Bereits vor dem Krieg hat die Ukraine viel in die Digitalisierung von Behördengängen investiert. Dreh- und Angelpunkt ist die App Diia. Sie enthält offizielle Dokumente wie z.B. den Führerschein oder bietet Zugang zu Arztrezepten. Nach Ausbruch des Krieges wurden neue Dienstleistungen hinzugefügt. Beispielsweise können sich Menschen, die innerhalb des Landes vertrieben worden sind, online für staatliche Hilfe anmelden und haben Zugang zu digitalen Dokumenten. Auch beschädigtes Eigentum kann elektronisch registriert werden. Weiter kann Diia vor Gefahren durch Minen und andere Sprengstoffe warnen. Und wer ein verdächtiges Objekt bemerkt, kann online den Behörden Meldung machen. Vor allem dank Diia funktionieren viele Verwaltungen trotz Krieg.

Was wir nicht wussten: die Schweiz unterstützt die Ukraine bereits seit 2015 bei der Digitalisierung öffentlicher Dienste und hat gerade letzte Woche einen zusätzlichen Finanzierungsbeitrag von 15 Millionen Franken bewilligt.

15. September 2023 - 22:45

Nur wenige Tage nach dem behördlichen "Fotoshooting" hat die Familie von Vikas Schwester die offiziellen Ausweise erhalten. Wir sind immer noch etwas erstaunt darüber, weil das zu Beginn manchmal mehrere Wochen gedauert hat. Mittlerweilen kommen natürlich viel weniger Leute in die Schweiz und die Abläufe haben sich eingespielt. Die grösste Herausforderung sei das Fotografieren der 1-jährigen Zwillinge gewesen...

Ebenfalls herausfordernd bleibt die Wohnungssuche für die 6-köpfige Familie.

14. September 2023 - 23:30

Vor einem Jahr hatten wir geschrieben, dass es bezüglich der Rückeroberung von besetzten Gebieten rund um Cherson mehr Gerüchte als Fakten gäbe. Bis heute scheint die Kommunikation der ukrainischen Seite sehr viel disziplinierter als die russische. In letzter Zeit sind der Ukraine einige spektakuläre und viele kleinere Nadelstiche gelungen, die teils auf die Logistik der russischen Armee abzielen und teils auch einfach hohen symbolischen Wert haben. Damit solche Aktionen gelingen braucht es absolute Geheimhaltung im Vorfeld und klare Pläne, wer wann worüber Bescheid wissen muss und darf. Während die Ukraine das immer besser und effizienter zu machen scheint, ist Russland damit beschäftigt, immer wieder neue Narrative zu entwickeln, die den Krieg rechtfertigen... Wann endlich bricht dieses Kartenhaus zusammen?

13. September 2023 - 22:15

Heute hatten wir Kontakt mit Olga, einer ehemaligen Nachbarin aus Cherson, die mit Tanja zusammen aufgewachsen ist. Sie befindet sich mit ihrem Mann in Ismajil.

Noch nie etwas von Ismajil gehört? Das könnte sich möglicherweise ändern. Die Kleinstadt, knapp doppelt so gross wie Thun, wurde Anfang August und nun letzte Nacht wieder massiv angegriffen. Ismajil liegt am Unterlauf der Donau und beheimatet einen Hafen, der für die geplanten Ausweichrouten für Getreideexporte über Kroatien genutzt werden könnte. Die Angriffe zielen auf Getreidesilos und Hafenanlagen. Besonders brisant und brandgefährlich: Nur die Donau trennt Ismajil von Rumänien, nota bene Mitglied der EU und der NATO. Es wurden bereits Trümmerteile russischer Drohnen auf rumänischer Seite gefunden. Glücklicherweise ist das Grenzgebiet auf rumänischer Seite nur dünn besiedelt. Nicht auszudenken was geschieht, wenn ein russisches Geschoss sein Ziel um ein paar Kilometer verfehlt und auf rumänischer Seite Schaden anrichtet oder gar Menschen gefährdet.

Olga berichtet, dass sie zwar um 5 Uhr morgens jäh aus dem Schlaf gerissen wurde. Habe man so lange wie sie in Cherson ausgeharrt, könne einem aber kaum mehr etwas wirklich erschüttern. Die Bevölkerung von Ismajil habe hingegen schon einen rechten Schrecken gehabt heute früh...

Hoffen wir, dass Ismajil bleibt, was es war: eine ukrainische Kleinstadt, die kaum jemand kennt.

12. September 2023 - 23:30

Die Versorgungslage in Cherson ist sosolala. Lebensmittel scheint es dank der gut funktionierenden humanitären Hilfe genügend zu geben. Freiwillige versorgen ältere Menschen, die nicht mehr mobil sind. Problematischer ist die medizinische Versorgung: offenbar wird man auch für einfache Eingriffe oft in die ca. 70km entfernte Stadt Mykolajiw überführt.

11. September 2023 - 23:30

Tanjas Jugendfreundin Natascha befindet sich immer noch auf ihrer Datscha im besetzten Gebiet östlich des Dnjeprs. Zusammen mit rund einem Dutzend Familien bilden sie ein kleines Datschen-Dorf, weitgehend abgeschnitten von der Umwelt. Sie hatten bisher noch nie "Besuch" von den russischen Besatzern. Eine Familie um die andere verlässt nun jedoch die Siedlung. Weit und breit gibt es kein Brennholz mehr. Einen weiteren Winter dort zu verbringen wäre sehr ungemütlich wenn nicht sogar lebensbedrohend. Auch Natascha und ihr Mann bereiten sich vor, wegzugehen. Welche Pläne sie haben, verraten sie nicht. Entweder aus Angst, dass die Gespräche abgehört werden. Oder aber sie planen die Flucht nach Russland. Das hängt man natürlich nicht an die grosse Glocke. In ganz vielen Fällen ist das aber nachvollziehbar - schliesslich waren die Beziehungen zwischen den beiden Ländern bis zum russischen Angriff im Februar 2022 sehr eng. Nataschas Mann hat viele Jahre in St. Petersburg gearbeitet - gut denkbar, dass er dort noch Kontakte hat und ihnen diese Lösung deshalb am vielversprechendsten scheint.

10. September 2023 - 21:45

Heute haben wir Vikas Schwester und ihre Familie in Grindelwald besucht. Die "Downtown Lodge" - wie die Kollektivunterkunft heisst - befindet sich mitten im Dorf. Der Kontrast könnte nicht grösser sein: flanierende Touristen aus aller Welt, dem Anschein nach oft gut betucht, unmittelbar daneben die Flüchtlingsunterkunft mit einigen Dutzend Familien auf engem Raum.

Die Unterkunft kann man sich wie ein grosses Lagergelände vorstellen. Bei Sommer und Wärme soweit okey, sobald's kälter wird, dürfte es nicht mehr so angenehm sein. Der Familie von Vikas Schwester steht ein einziges Zimmer mit drei Etagenbetten zur Verfügung, mehr hat nicht Platz. Alles andere - Küche, Aufenthaltsraum, Badezimmer - teilen sie sich mit den andern Familien der Lodge. Sie beklagen sich überhaupt nicht, sind dankbar für die Aufnahme, geniessen die Natur und die gute Bergluft. Man merkt aber schon, dass sie sich sehr nach eigenen vier Wänden sehnen. Wir hoffen, dass es bald klappt mit einer eigenen Wohnung.

Wir sind positiv überrascht, wie gut sich die beiden älteren Kinder schon zurechtfinden. Auf dem Spaziergang durch's Dorf sagt die 10-Jährige, wo's lang geht. Beim Sprechen mischen sich schon erste deutsche Wörter ein.

9. September 2023 - 22:45

Dieses Wochenende finden in allen russischen Provinzen "Wahlen" statt. Auch in den besetzten Gebieten soll gewählt werden. Nach wie vor hat Russland jedoch keine exakte Vorstellung, wo genau die Grenzverläufe liegen. Ganze Städte gehören mal dazu, mal nicht, je nach Quelle. Parteienvielfalt, Debatten, Wahlkampf im Vorfeld - alles Fehlanzeige. Russland ist keine Demokratie. Punkt.

Derweil gehen Propaganda und Desinformationskampagnen unverfroren weiter. Das Perfide daran ist, dass immer etwas hängen bleibt - auch wenn die Behauptungen noch so absurd sind.

8. September 2023 - 22:45

Heute vor genau vier Jahren haben wir einen der eindrücklichsten Ausflüge in der Ukraine unternommen: von Cherson aus auf die Kinburn-Halbinsel bei der Mündung des Dnjeprs ins Schwarze Meer. Es handelt sich um ein einmalig schönes Naturschutzgebiet. Die Spitze der Insel ist nur mit Spezialfahrzeugen erreichbar, da der Boden extrem sandig ist.

Gleich zu Beginn des Krieges hat Russland die Halbinsel besetzt. Sie schien strategisch gut gelegen, um die Häfen von Cherson und Mykolaijw zu beschiessen. Allerdings mit schwerem Material auch nur schwer zugänglich.

Wie es heute dort aussieht, wissen wir nicht. Es ist zu befürchten, dass Vieles zerstört und vermint ist. Auch hier wird es Jahre dauern, bis das Gebiet wieder frei zugänglich sein wird.

7. September 2023 - 23:00

Genau vor einem Jahr haben Sascha, Lena und Yaroslav den Mietvertrag für ihre Wohnung in Thun erhalten. Nun schon seit einem Jahr eine eigene Wohnung, Job, unabhängig von der Asylsozialhilfe. Und so "nebenbei" noch eine neue Sprache gelernt, sich in einem neuen Land mit seiner Kultur assimiliert und ein neues Umfeld aufgebaut. Chapeau!

6. September 2023 - 22:30

Gerade gestern hatten wir geschrieben, dass es nach wie vor nirgendwo in der Ukraine wirklich sicher ist. Und heute bombardiert Russland einen Markt in einer Kleinstadt. Fast 40 Menschen sterben. Der Angriff hat militärisch nicht die geringste Bedeutung, es ist purer Terror. Wer auch nur ansatzweise an eine Verhandlungslösung oder irgendwelche Kompromisse glaubt unterschätzt das Gefahrenpotenzial und die Absichten Russlands massiv.

5. September 2023 - 22:45

Lena ist heute nach Krakau in Polen gereist. Dort wohnt ihre Nichte Katja mit Familie. Sie spielt mit dem Gedanken, weiter in die Ukraine zu ihrer Schwester nach Lwiw zu reisen. Ganz sicher ist es nach wie vor nirgendwo in der Ukraine. Einige Tage in der ganz im Westen gelegenen Stadt zu verbringen, um Verwandte zu besuchen, kann man sicher ohne allzu grosses Risiko wagen. Problematischer und vor allem anstrengender dürfte die Ein- und Ausreise sein. Teilweise gibt es da stundenlange Wartezeiten.

4. September 2023 - 22:45

Sergejs Vater Valentin arbeitet nun schon ein paar Monate als Aushilfe bei der Bäckerei Linder. Leider bisher nur zwei Stunden pro Tag. Dazu kommt mehrmals pro Woche ein Deutschkurs. Er möchte unbedingt mehr arbeiten und aus der Abhängigkeit der Asylsozialhilfe herauskommen. Es braucht Geduld... Wir sind zuversichtlich, dass sich etwas ergeben wird.

3. September 2023 - 21:45

Seit Monaten gelingen den Russen in der Ukraine keine nennenswerten Geländegewinne. Sie haben im Gegenteil Mühe, die aktuelle Frontlinie zu halten. Die Perspektiven für die Ukraine sehen - dank der westlichen Hilfe - langfristig besser aus als auch schon.

Gleichzeitig geht in den besetzten Gebieten die Russifizierung unvermindert weiter. Insbesondere Rentnerinnen und Rentner haben kaum eine Wahl und müssen den russischen Pass annehmen, um überhaupt eine Rente zu erhalten. In den überfluteten Gebieten nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms werden die Schäden erhoben, Reparationszahlungen in Aussicht gestellt, die Eigentumsverhältnisse festgehalten - alles durch russische Besatzungsbehörden. Will man überhaupt eine Chance haben, irgendwann wieder zu seinem Besitz zu kommen, ist es unumgänglich zu kooperieren. Sogar nach einer Rückeroberung durch die Ukraine ist es wohl besser, irgendein Dokument der russischen Besatzungsbehörden zu haben als gar nichts. Das sind nur zwei Beispiele. Bildung und Medizin sind weitere Bereiche, bei denen die Leute relativ einfach gefügig gemacht werden können.

2. September 2023 - 22:30

Wir äussern uns hier kaum zum Kriegsverlauf und möglicher Perspektiven. Dazu fehlt uns der entsprechende Background und schlicht die Zeit, das Geschehen an der Front im Detail zu verfolgen. Marcus Keupp ist Dozent für Militärökonomie an der Militärakademie der ETH Zürich und tritt seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine öfters öffentlich auf. Mit seinen militärischen Einschätzungen lag er bisher oft richtig. Sein Fokus liegt stark auf der Logistik, also der Fähigkeit, die Frontlinien mit Nachschub versorgen zu können. Diese Woche trat er bei SRF im Club und bei ZDFheute live auf. Beide Sendungen sind sehenswert, wenn man sich etwas mehr mit dem aktuellen Kriegsgeschehen und möglichen Verlauf in nächster Zeit befassen will.

Schöner Erfolg für Sascha: er hat heute die LKW-Kontrollfahrt erfolgreich absolviert! Als nächstes muss er noch die theoretische Prüfung ablegen. Wenn er diese besteht, hat er den europäischen LKW-Führerschein.

31. August 2023 - 22:15

Sucht man für eine ukrainische Familie hier eine Wohnung, dann hört man von den Immobilienverwaltungen und Vermietern alles zwischen "Selbstverständlich sind Menschen aus der Ukraine willkommen" bis zu "Auf keinen Fall wollen wir Ukrainer". Erstere sind zum Glück deutlich in der Mehrheit. Die ablehnende Haltung kommt meist aus einzelnen negativen Erfahrungen, oft sind Verständigungsprobleme die Ursache.

Es gibt auch den umgekehrten Fall: wir haben schon von Fällen gehört, bei denen es beispielsweise um völlig überrissene Stromrechnungen ging, die ukrainische Mieter hätten bezahlen müssen. Für sie war es die erste Wohnung in der Schweiz. Entsprechend hatten sie keine Erfahrung, mit welchen Kosten sie rechnen mussten.

30. August 2023 - 23:15

Heute hat man zum ersten Mal Bilder gesehen, dass am linken (östlichen) Dnjepr-Ufer ukrainische Flaggen gehisst wurden. Kein Grund euphorisch zu werden, aber es scheint doch, dass sich die Beharrlichkeit der Ukraine langsam, aber sicher bezahlt macht. Die erfolgreichen Angriffe auf Militärbasen innerhalb Russlands dürften das Vertrauen und die Motivation der russischen Streitkräfte auch nicht gerade beflügeln.

29. August 2023 - 23:00

Wir sind wieder auf Wohnungssuche: Die Schwester von Vika ist mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in die Schweiz gekommen. Aktuell leben sie in der Kollektivunterkunft in Grindelwald. Nach der Flucht aus der Ukraine haben sie die letzten Monate in Rumänien verbracht bevor sie jetzt hierher gekommen sind.

28. August 2023 - 22:45

Première heute in Tanja's langjähriger Übersetzungstätigkeit: sie hat für eine gehörlose Person aus Mykolajiw, einer Stadt etwa 70km westlich von Cherson, übersetzt. Das lief so ab, dass eine zweite Übersetzerin in Gebärdensprache übersetzt hat, also: Ärztin spricht auf deutsch, Tanja übersetzt ins Russische, Gebärdendolmetscherin übersetzt aus dem Russischen für die Patientin in Gebärdensprache - und vice versa.

Aufwändig, kompliziert und teuer könnte man sagen. Letztlich aber eine Frage der Würde und Wertschätzung Menschen gegenüber, deren Alltag aufgrund ihres Handicaps eh schon herausfordernd ist.

27. August 2023 - 22:30

Tanjas Mutter hat heute mit einer Freundin in Cherson gesprochen. Offenbar gab es die letzten beiden Tage etwas weniger Angriffe und es war entsprechend ruhiger als zuvor. Wie weit genau die ukrainische Armee am östlichen Ufer des Dnjeprs bereits hat Fuss fassen und vordringen können, ist unklar. Je weiter sich die russische Armee zurückziehen muss, desto besser ist es für die Stadt Cherson. Allerdings darf man sich nicht zu früh freuen. Es ist ein ständiges Hin und Her mit nach wie vor offenem Ausgang.

26. August 2023 - 23:45

Gestern hatten wir mit Artem, dem Software-Entwickler aus Oleshky, noch etwas länger Kontakt. Er versucht so gut es geht zu arbeiten. Ca. 50% liege drin. Ständig fällt wieder der Strom aus. Dadurch ist er schlechter erreichbar, was dann wiederum für seine Kunden problematisch sein kann. Warum genau er in der Gegend geblieben ist wissen wir nicht. Mit seinem Job könnte er sich eigentlich überall in der Ukraine niederlassen.

Detail am Rande: bisher haben wir immer russisch oder englisch kommuniziert - gestern hat er auf ukrainisch geschrieben. Eine Entwicklung, die man immer öfter beobachtet: die Ukrainer meiden die russische Sprache, obwohl das oft ihre Muttersprache ist!

25. August 2023 - 23:30

Die Ukraine bemüht sich sehr, zerstörte Infrastruktur und Gebäude möglichst rasch wieder instand zu stellen. Auch in der Region Cherson werden Schäden in den Dörfern aufgenommen und repariert. Offenbar werden Eigentümer, deren Häuser teilweise oder ganz zerstört wurden, entschädigt. 

24. August 2023 - 21:15

"Hier in der Ukraine ist es jedenfalls schon Unabhängigkeitstag - und der Herr im Kreml kann nur davon träumen, diese Unabhängigkeit noch wegzunehmen. Welche Probleme auch immer man hier hat.", schreibt Denis Trubetskoy zum heutigen Unabhängigkeitstag der Ukraine auf X resp. Twitter.

Das bringt die Entschlossenheit der Ukraine, ihr Land und ihre Freiheit bis zum Letzten zu verteidigen, auf den Punkt. Und einmal mehr: zumindest indirekt betrifft das auch uns. In der Weltordnung, die sich "der Herr im Kreml" vorstellt, haben unsere Werte und unser Weltbild keinen Platz.

23. August 2023 - 23:45

Kurz Kontakt gehabt mit dem Entwickler aus Oleshky, mit dem wir bei MyPAR zusammenarbeiten, und ihn gefragt, wie es ihm gehe. Die Antwort war kurz und bündig: Es geht so. Es ist konstant laut hier.

22. August 2023 - 22:30

In Cherson beginnt die Wassermelonen-Ernte. Man sagt, dass aus dieser Gegend die besten Wassermelonen kommen. Auf jeden Fall werden sie im Sommer an jeder Strassenecke verkauft. Letztes Jahr fiel praktisch die ganze Ernte der russischen Besatzung zum Opfer. In diesem Jahr dürfte es wieder etwas mehr Melonen geben - sofern die Felder nicht von Minen gefährdet waren und bewirtschaftet werden konnten und nicht überschwemmt wurden nach der Zerstörung des Kachovka-Staudamms. Wassermelonen, Tomaten, Sonnenblumen - ein wirtschaftlich bedeutender Faktor in der Gegend. Es wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis wieder auf dem Niveau von vor dem Krieg angebaut und geerntet werden kann.

21. August 2023 - 23:00

Alle "unsere" Ukrainer besuchen nach wie vor regelmässig Deutschkurse. Entsprechend sind auch die Fortschritte und die Hemmungen, frei zu sprechen nehmen stetig ab. Kürzlich hat sich Lena ein deutsches Buch ausgeleiht, um die Sprache weiter zu vertiefen.

Nach wie vor gibt es im Kanton Bern ein breites Angebot an subventionierten Kursen, teilweise kombiniert mit Unterstützung zur Berufsintegration. Wir sind sehr überzeugt, dass sich dieses Engagement für alle bezahlt macht. Sprachkenntnisse kann man immer brauchen.

20. August 2023 - 22:00

Seit Anfang August publiziert CORRECTIV, ein gemeinnütziges Recherchezentrum in Deutschland, den Podcast "Fakten, Front und Fakes" über die Desinformation im Krieg gegen die Ukraine. Die Beiträge zeigen eindrücklich, dass wir auch hier aufmerksam und kritisch sein müssen, dass sich nicht irgendwelche Narrative einprägen, einfach weil man sie immer wieder hört. Im Vergleich zu Deutschland und Österreich sind die "Russland-Trolle" hier in der Schweiz aktuell (noch) nicht sehr laut. Dass es auch hier Versuche zur Einflussnahme gibt, ist aber offensichtlich.

19. August 2023 - 22:00

Heute gehört, dass im Stadtteil von Cherson, der von der Flut nach der Zerstörung des Kachovka-Staudamms am stärksten betroffen war, langsam, aber sicher die Stromversorgung wieder hergestellt werde. Seit mehr als zwei Monaten leben die Menschen dort ohne Elektrizität.

18. August 2023 - 23:00

Gestern ging Tanjas Mutter zum ersten Mal alleine im kleinen Laden beim Bahnhof Oberdiessbah Brot einkaufen. Sie hat nicht schlecht gestaunt, als sie in ihrer Muttersprache angesprochen wurde. Es hat sich herausgestellt, dass eine Bekannte von uns aus Weissrussland, die früher in Heimberg gewohnt hat, nun in diesem Laden arbeitet und Galina erkannt hat. Die Welt ist klein!

17. August 2023 - 22:30

Die Flucht von Oksana, unserer "Privat-Coiffeuse" aus Cherson, und ihrer Tochter verzögert sich. Einerseits fehlen nach wie vor die benötigten Dokumente. Dazu kommt, dass ihr Bruder in Odessa schwer erkrankt ist. Das macht es nicht einfacher, das Land zu verlassen. An ihrem Entscheid zu fliehen hat sich aber grundsätzlich nichts geändert.

16. August 2023 - 21:00

Vor einem Jahr hatten wir berichtet, dass die Eltern von Roma Mühe haben, ihre Tomaten und Peperoni zu verkaufen, weil die Logistik nicht mehr funktionierte. Dass das ein Jahr später das kleinste Problem sein würde, hätten wir uns auch in den dunkelsten Szenarien nicht vorgestellt.

Russland scheint begriffen zu haben, dass ein schneller Sieg mit der Einverleibung von Teilen der Ukraine nicht zu haben ist. Jetzt geht es nur noch darum, die Bevölkerung zu terrorisieren und zu zermürben. Im Moment sieht es nicht danach aus, dass das gelingen würde. Aber die Herausforderungen sind schon immens - und zwar in allen grösseren Städten der Ukraine, nicht nur entlang der Front.

15. August 2023 - 23:15

Heute hat Tanja für eine ukrainische Frau übersetzt, die kürzlich mit ihren beiden Kindern in der Ukraine in den "Ferien" war. Ihr Mann dient in der Armee und konnte ebenfalls Urlaub nehmen. Allein das ist schon schwere Kost: um ihren Vater zu sehen, der noch ein paar Tage zuvor an der Front war, müssen die Kinder in ein Land im Kriegszustand reisen. Die Reise ist extrem beschwerlich, oft per Flixbus mit mehreren Teilstrecken, geschlafen wird aus Kostengründen im Bus. Was früher ein dreistündiger Flug war dauert heute mehrere Tage.

Ihr Haus existiert nicht mehr, getroffen haben sie sich in der Nähe von Zaporizhia. Ständiger Bombenalarm, der von vielen Menschen, die dort leben, aber gar nicht mehr so richtig wahrgenommen wird - der Alltag muss irgendwie weiter gehen. Ein Teil der Ausrüstung hat der Mann selber beschafft und bezahlt. Hier im Westen spricht man vor allem von Waffen, Munition, Drohnen zur Unterstützung der Ukraine. Man ist sich nicht so bewusst, dass es trotz der grossen Unterstützung auch an ganz Elementarem mangelt.

Nach mehr als einem Jahr endlich wieder eine kurze Zeit als Familie verbringen zu können sei vor allem für die Kinder extrem wichtig gewesen. Der Abschied und die Rückkehr danach umso härter.

14. August 2023 - 22:15

Die Schwiegereltern unseres Freundes sind gut wieder in Cherson angekommen. Viele haben ihnen von einer Rückkehr abgeraten, da sich die Situation vor Ort während ihrer Ferien in der Schweiz nochmal zugespitzt hat. Sie liessen sich aber durch nichts abbringen - als Ärzte sehen sie ihre Mission dort - hier könnten sie nichts beitragen.

13. August 2023 - 21:45

Gestern liess Tanja ihre Mutter vor dem Coop im Rollstuhl einen Moment stehen, um etwas zu entsorgen. Galina hält ihre Sonnenmütze in der Hand und prompt kommt eine Frau auf sie zu und will eine Münze in die Mütze werfen. Wir haben herzlich über den Vorfall gelacht.

Es ist eine grosse Stärke von Galina, wie gut sie ihre Behinderung akzeptiert und sich die grösstmögliche Bewegungsfreiheit beibehält. Es kommt ab und zu vor, dass Kinder auf sie zugehen und fragen, warum da ein Bein fehlt. Hier ist das ein eher seltener Anblick. Dank der medizinischen Versorgung haben die meisten eine Prothese. Galina hätte diese Option grundsätzlich auch gehabt, hätte sich dafür aber im rund 500 km entfernten Charkow behandeln lassen müssen. Als sie hier in die Schweiz kam, hat sie von der Krankenkasse eine Kostengutsprache für eine Prothese erhalten. Nach längerem Abwägen hat sie sich dann aber dagegen entschieden. Nach fünf Jahren wäre es extrem herausfordernd gewesen, wieder ein Gleichgewichtsgefühl zu entwickeln und quasi neu laufen zu lernen. Noch nicht ganz aufgegeben hat sie hingegen die Idee eines elektrischen Rollstuhls. Das gäbe ihr nochmal etwas mehr Selbstständigkeit.

12. August 2023 - 22:15

Tanjas Eltern hatten - wie sehr viele Familien in der Ukraine - eine Datscha ungefähr 40 km ausserhalb der Stadt. Wie Julia in ihrer Maturaarbeit 2019 untersucht und beschrieben hat, gibt es verschiedene Arten und Nutzungen der Datschen. Für Tanjas Eltern war die Datscha vor allem ein riesiger Schrebergarten. Vor allem in den turbulenten 90er-Jahren trugen die Erträge wesentlich zur Entlastung des Haushaltsbudgets bei. Schon vor Jahren hat die Familie die Datscha aufgegeben, weil sie einfach zu weit entfernt war.

SRF-Auslandredaktor David Nauer befindet sich aktuell in Odessa und berichtet heute im Echo der Zeit aus Snigirevka, der Ortschaft, wo sich die Datscha von Tanjas Eltern befand. Heute sind die Leute wie in den 90er-Jahren wieder darauf angewiesen, sich zumindest teilweise selbst versorgen zu können. Wie der Bericht eindrücklich zeigt, sind die Herausforderungen nach eineinhalb Jahren Krieg und der Flut nach der Zerstörung des Kachovka-Staudamms noch einmal grösser geworden.

11. August 2023 - 21:45

Wie wenn Cherson in den letzten Monaten nicht schon genügend mit unerwünschtem Wasser zu kämpfen gehabt hätte! Die letzten zwei Tage regnet es fast ununterbrochen, viele Strassen sind überschwemmt. Das ist aussergewöhnlich. Die Sommermonate sind im Süden der Ukraine normalerweise heiss und niederschlagsarm. Die Böden sind trocken und können das Wasser in kurzer Zeit nicht aufnehmen.

Im Vergleich zur Besatzung durch Russland, der desolaten Lage nach der Befreiung und der Flut nach der Zerstörung des Staudamms dürften das die Menschen vor Ort mit einem müden Lächeln hinnehmen - sie haben bereits viel Schlimmeres gesehen und durchgemacht.

10. August 2023 - 23:00

Schon eine Woche lebt Tanjas Mutter nun in der eigenen Wohnung. Bisher klappt alles bestens, sogar besser als erwartet. Sie kommt gut zurecht in der Wohnung, kocht sich täglich selber und konnte sogar schon einmal selbstständig den Weg von der Wohnung zum nahe gelegenen Bahnhof zurücklegen. Alles Dinge, bei denen wir nicht sicher waren, ob das dann tatsächlich funktioniert.

9. August 2023 - 22:15

Gestern ging der Vor-Ort-Einsatz von Sergej bei swisstopo zu Ende. Ein voller Erfolg! Er wurde vom ersten Tag an sehr gut ins Team integriert und hat extrem davon profitiert, den ganzen Tag nur deutsch sprechen zu können. Integration einfach machen, nicht nur darüber sprechen. Ein Riesen-MERCI ans Team von swisstopo.

8. August 2023 - 22:30

Genau heute vor einem Jahr hat Sascha die Zusage für seine Arbeitsstelle bei Beosolar erhalten und konnte kurz darauf starten. Hunderte von Solarpanels hat er seither auf die Dächer getragen und montiert. Die Arbeit bei Wind und Wetter ist zwar anstrengend, macht ihm aber Spass und ist sehr befriedigend. Seit einiger Zeit arbeitet ein zweiter Ukrainer im Betrieb, mit ihm ist Sascha oft auf derselben Baustelle.

Die sprachlichen Hürden sind während der Arbeit schon praktisch verschwunden, am höchsten ist die Sprachbarriere noch beim Fyrabebier, wenn alle gemeinsam und vor allem Mundart sprechen. 

7. August 2023 - 22:45

Die Situation in Cherson hat sich in den letzten Wochen weiter zugespitzt. Die Stadt steht täglich unter Beschuss, beschädigt werden vor allem Wohnhäuser. Es geht ganz offensichtlich darum, die Bevölkerung zu zermürben.

In der noch russisch besetzten Stadt Oleshky, die sich auf der östlichen Seite des Dnjeprs befindet, scheint es heftige Gefechte zu geben. Im Rahmen der Gegenoffensive versucht die Ukraine, über Cherson hinaus östlich des Dnjeprs Gebiete zurückzuerobern. Wenn das gelingt, dürfte sich mittelfristig auch in Cherson die Situation verbessern. Mit schnellen Erfolgen rechnet jedoch niemand mehr.

6. August 2023 - 22:45

Was vor dem Krieg aufgrund der geografischen Distanzen kaum je möglich war, ist nun realistisch: Familientreffen im grösseren Rahmen. Dasha, die Tochter von Sascha und Lena, ist zusammen mit ihrem Mann und ihrer halbjährigen Tochter Olivia für einige Tage aus Tschechien angereist. So konnten wir heute einen gemütlichen Nachmittag mit den beiden Ur-Omas Galina und Luba, den Grosseltern Sascha und Lena und unserer Familie verbringen. Es ist schön zu sehen, dass es allen gut geht.

5. August 2023 - 23:30

Natascha, Tanjas Jugendfreundin, die immer noch im besetzten Teil von Cherson ist, hat sich heute kurz gemeldet: grosse Veränderungen habe es nicht gegeben, alles sei beim Alten. Vor einem Jahr ging die grösste Gefahr von "herumstreunenden" russischen Soldaten aus, die willkürlich in Häuser eindrangen, Leute verhörten oder sogar mitnahmen und tagelang festhielten. Diese Bedrohung hat offenbar mittlerweilen abgenommen. Dafür leiden die Menschen nach wie vor unter den Folgen der Überschwemmung vor einigen Wochen, die Versorgungslage ist nach wie vor katastrophal, ein Wegkommen aus dem besetzten Gebiet in Richtung Cherson nach wie vor unmöglich.

Irgendein Alltag muss sich auch dort wieder eingestellt haben. Wie der genau aussieht und wie die Leute mit der Situation zurecht kommen, bleibt oft schleierhaft.

4. August 2023 - 23:15

Im 10vor10 wurde heute ein Beitrag von Christof Franzen ausgestrahlt, der nachdenklich stimmt: es gibt immer deutlichere Zeichen, dass die russische Führung auf einen grossen Krieg hinarbeitet, der sich über die Ukraine hinaus auf weitere osteuropäische Länder ausdehnen könnte.

Vor dem 24. Februar 2022 haben die wenigsten mit einer Invasion Russlands in die Ukraine gerechnet. Es ist zu hoffen, dass die Weltgemeinschaft die Zeichen ernst nimmt und angemessen darauf reagiert. Russland hat bereits ausreichend gezeigt, dass es keinen Aufwand und keine Opfer scheut, um seine Ziele - so absurd und unerreichbar sie scheinen - zu erreichen.

3. August 2023 - 21:30

Seit gestern wohnt Tanjas Mutter in ihrer eigenen Wohnung in Oberdiessbach. Was für ein Schritt mit 86 Jahren! Heute hat sie zum ersten Mal seit langer Zeit wieder ganz alleine eine Borschtsch gekocht und am Mittag die ersten Gäste - ihre bisherige Gastfamilie - bewirtet.

Für morgen ist schon der nächste Besuch angekündigt: die Urenkelin, die zusammen mit ihren Eltern für ein paar Tage in der Schweiz ist.

2. August 2023 - 21:30

Anlässlich des 1. Augusts hat's hier ein paar Stunden geknallt, geheult und die Sicht benebelt. Für einige Millionen Menschen in der Ukraine ist das seit fast eineinhalb Jahren Alltag. Mit dem traurigen Unterschied, dass das Ergebnis keine netten Lichteffekte, sondern Leid und Zerstörung ist. Manchmal vergessen wir, dass auch weiter von der Front entfernte Städte wie Kiev oder Odessa täglich bombardiert werden. Die Luftabwehr funktioniert zwar sehr viel besser als noch zu Beginn des Krieges, aber allein der Lärm und die latente Bedrohung sind unvorstellbar.

Während unserer Ferien haben wir die Schwiegereltern unseres Freundes aus Cherson getroffen. Ein etwas spezielles Gefühl, Gäste zu haben, die erst vor ein paar Tagen noch direkt im Kriegsgebiet waren und schon bald dorthin zurückkehren werden. Beide sind Ärzte und sehen, dass sie dort gebraucht werden. Immerhin ziehen sie in Betracht, im Winter für einige Monate hierher zu kommen, um die kälteste Periode zu überbrücken. Beim Thema Rückkehr von aus Cherson Geflüchteten winken sie ab: das sei noch viel zu früh. Wir sind beeindruckt, wie konsequent sie ihre Mission verfolgen und es gleichzeitig allen gönnen, die sich in Sicherheit gebracht haben.

21. Juli 2023 - 23:00

Die russische Propaganda übertrifft sich gerade wieder einmal selber: da ist davon die Rede, dass Teile von Polen ein Geschenk Stalins waren und dass man die polnischen Freunde bei Gelegenheit gerne daran erinnern werde. Der Hunger in der Welt aufgrund der unterbrochenen Lieferketten aus der Ukraine sei das beste, was gerade passieren könne: so würden die Sanktionen gegen Russland bald aufgehoben und man werde wieder freundschaftlich zusammenarbeiten - was ja Russland schon immer angestrebt habe. Die Palette reicht von zynisch bis gefährlich.

In eigener Sache: Wir haben Ferien. Ab dem 2. August gibt's wieder Updates.

20. Juli 2023 - 22:30

Heute Abend haben wir mit Tanjas Freundin Luda gesprochen. Ihrem Vater geht es zunehmend schlechter, er kann kaum mehr aufstehen. Krasse Gegensätze grad dieser Tage: Tanjas Mutter bezieht mit 86 nochmal eine eigene Wohnung, bei ihm geht es ums Abschied nehmen.

19. Juli 2023 - 22:00

Grosser Tag heute für Tanjas Mutter: die Schlüsselübergabe für die neue Wohnung! Und ganz sicher auch etwas gemischte Gefühle, wie es dann allein in der eigenen Wohnung funktioniert. Es sind nun doch schon fast eineinhalb Jahre vergangen seit der Flucht aus der Ukraine. Seither hat sie nicht mehr allein gewohnt.

Wir gehen es sachte an, richten die Wohnung langsam ein. Da wir nächste Woche noch in den Ferien sind, übernachtet Galina noch am bisherigen Ort bei Thomas' Eltern.

18. Juli 2023 - 22:00

Oksana, unsere "Privat-Coiffeuse" aus Cherson, ist daran, für sich und ihre Tochter Auslandpässe zu besorgen. Viele, vielleicht sogar die meisten Ukrainer, haben keinen Pass für Auslandreisen. Zu Beginn des Krieges konnte man mit dem Inlandpass problemlos aus- und in alle europäischen Länder einreisen. Man hört, dass das insbesondere bei der Ausreise restriktiver gehandhabt wird.

Schon vor dem Krieg gehörten effiziente Behördengänge nicht gerade zu den Stärken der Ukraine. Wie lange es dauert, bis Oksana und ihre Tochter die Dokumente haben und Cherson tatsächlich verlassen können, ist also noch recht ungewiss.

17. Juli 2023 - 22:30

Eigentlich hätten wir damit gerechnet, dass heute in den Medien etwas davon zu lesen ist, dass vor genau neun Jahren das Passagierflugzeug der Malaysia Airlines mit 298 Insassen, davon 80 Kinder, über der Ukraine abgeschossen wurde. Es gab keine Überlebenden. Obwohl die Beweislast erdrückend ist, leugnet Russland bis heute jede Schuld an dem Vorfall. Damals war man sich der russischen Propagandamaschinerie noch nicht wirklich bewusst. Es gelang Russland entsprechend, Verwirrung und Unsicherheit zu stiften - die Geschäfte mit dem Westen gingen unvermindert weiter, Putin wurde weiter hofiert.

Die teilweise Zerstörung der Kertsch-Brücke, die die Krim mit dem russischen Festland verbindet, hat die News heute dominiert. Schon seit Wochen rät die Ukraine Zivilpersonen von der Überfahrt ab, da sie die Brücke als strategisches Ziel betrachte. Es handelt sich um einen wichtigen Nachschubweg der Russen, um von Süden her die Front zu versorgen. In den russischen Medien tönt es anders: Krim wird als absolut sicheres Reiseziel für die Sommerferien angepriesen. Vielen dürfte erst vor Ort bewusst werden, dass sie die schönste Zeit im Jahr in einem Kriegsgebiet verbringen. Ein weiteres Beispiel, wie zynisch und rücksichtslos Russland mit der eigenen Bevölkerung umgeht.

16. Juli 2023 - 22:45

Die Schwiegereltern unseres Freundes sind heute mit einem Tag Verspätung aus Cherson in der Schweiz eingetroffen. Der Grenzübertritt aus der Ukraine nach Polen hat länger gedauert als erwartet, sodass sie erst heute aus Warschau nach Zürich fliegen konnten. Hauptsache, es hat am Ende geklappt. Alles im Zusammenhang mit der Ukraine braucht Geduld und Improvisationstalent...

15. Juli 2023 - 22:00

Rund fünf Wochen ist es her seit der Zerstörung der Staumauer in Khachovka und der daraus resultierenden grossflächigen Überschwemmung. Aus der hiesigen Berichterstattung ist das Ereignis praktisch ganz verschwunden, obwohl es sich um eine der grössten Naturkatastrophen jüngerer Zeit in Europa handelt. Vermutlich ist Vielen - auch Umweltorganisationen - die Grösse und Tragweite des Ereignisses nicht bewusst. Wer weiss schon, dass der Dnjepr mit einer Länge von 2'285km und einem Einzugsgebiet von über 500'000km² der drittgrösste Fluss Europas ist? Nur Wolga und Donau sind länger.

Die Konsequenzen für die Menschen vor Ort sind nach wie vor dramatisch: in den betroffenen Stadteilen Chersons sind Gas und Wasser wieder hergestellt, Strom gibt es nach wie vor nicht. Das Wasser ist stark chloriert und kaum trinkbar. Romas Eltern haben alles verloren ausser den Kleidern, die sie auf dem Leib trugen. Ihr Haus und die Treibhäuser sind komplett zerstört, ein Teil dessen, was die Flut überlebt hatte, wurde geplündert. Damit sie überhaupt eine Chance auf Unterstützung und Hilfe haben, führt in den russisch besetzten Gebieten praktisch kein Weg daran vorbei, russische Pässe anzunehmen - eine weitere Erniedrigung, die Viele über sich ergehen lassen müssen und auf russischer Seite natürlich so gedeutet wird, dass die Besetzung ein Erfolg ist.

14. Juli 2023 - 21:45

Wir haben nach wie vor keinen zuverlässigen Weg gefunden, um Geld in die Ukraine zu überweisen. Von den Banken gibt es widersprüchliche Aussagen, ob man nun Schweizer Franken, Euro oder doch besser US Dollar überweisen soll. Bestenfalls kommt das Geld gebührenfrei zurück aufs Konto, vor allem bei ausländischen Währungen wird meist eine Bearbeitungsgebühr verrechnet auch wenn am Ende kein Geld am Bestimmungsort ankommt.

Ein möglicher Weg ist die Überweisung zwischen zwei Online-Banken, z.B. von einem Revolut- auf ein Monobank-Konto. Monobank ist das ukrainische Pendant zu Revolut. Als Ausländer können wir jedoch kein Monobank-Konto eröffnen und umgekehrt können Menschen in der Ukraine kein Revolut-Konto haben. Einzig Geflüchtete aus der Ukraine mit Niederlassungsbewilligung können beides haben. Bekommen sie jedoch Asylsozialhilfe ist Vorsicht geboten: sie müssen regelmässig ihre Banktransaktionen offenlegen. Sogar wenn das Geld von uns kommt und unmittelbar auf ein ukrainisches Konto überwiesen wird, laufen sie Gefahr, dass ihnen das als Einkommen angerechnet wird.

Vieles läuft sehr gut und ist eingespielt, aber manchmal haperts bei den einfachsten und alltäglichsten Dingen.

13. Juli 2023 - 23:00

Die Schwiegereltern unseres Freundes kommen am Wochenende aus Cherson in die Schweiz. Sie werden fast zwei Tage unterwegs sein, zuerst mit dem Zug, danach mit dem Flugzeug. Innerhalb der Ukraine gibt es nach wie vor keine Flüge. Der Weg führt immer übers benachbarte Ausland, meistens Polen. Sie bleiben zwei oder drei Wochen, um nach langer Zeit Tochter, Schwiegersohn und Enkelin wieder zu sehen. Wir kennen sie aus Cherson und von einem früheren Urlaub in der Schweiz und freuen uns auf das Wiedersehen. Was wir erst viel später herausgefunden haben: sie war schon länger die Hausärztin von Tanjas Mutter! Die Welt ist auch in der Ukraine manchmal klein...

12. Juli 2023 - 22:30

Diese Woche haben hier die Sommerferien begonnen. Für ukrainische Verhältnisse sehr spät und kurz: in der Ukraine sind vom 1. Juni bis zum 31. August Sommerferien! Dafür gibt es sonst kaum Ferien und die obligatorische Schulbildung dauert 10 Jahre. Unter dem Strich müssen oder dürfen ukrainische Kinder also etwa gleich viele Lektionen die Schulbank drücken. Ganz krass unterscheiden sich die Hausaufgaben: während man hier heute praktisch ganz auf Hausaufgaben verzichtet, sitzen ukrainische Kids gut und gerne noch 1-2 Stunden pro Tag hin für die Hausaufgaben. Nachhilfe gehört bei Vielen dazu, oft eher "profilaktisch" als aufgrund schlechter Noten.

Zur Zeit der Sowjetunion gab es für die Kinder organisierte Sommerlager. Die Eltern konnten ja nicht einfach drei Monate Urlaub machen. Die Lager entlasteten also die Eltern und boten den Kindern eine willkommene Abwechslung. Gleichzeitig dienten sie der Vermittlung guter sowjetischer Tugenden... Viele dieser Lager hat's bis zum Kriegsbeginn gegeben, natürlich nicht mehr mit straffem Parteiprogramm - dafür viel teurer und für viele Eltern unerschwinglich.

11. Juli 2023 - 22:30

Vor einem Jahr war die Stadt Cherson noch unter russischer Besetzung. In den ersten Juli-Tagen zeichnete sich erstmals ab, dass die Ukraine das Gebiet westlich des Dnjeprs versucht zurückzuerobern, was später auch gelang. Die Plünderungen und Deportationen haben seither aufgehört, von einem normalen Leben sind die Menschen vor Ort leider noch weit entfernt.

10. Juli 2023 - 22:30

Zu Beginn des Krieges ging man von bis zu 100'000 Flüchtenden aus der Ukraine aus, die in die Schweiz kommen könnten. Es kamen schliesslich knapp 80'000. Aktuell leben noch etwas über 65'000 Ukrainerinnen und Ukrainer mit Status S in der Schweiz. Bei ca. 15% wurde also der Status S wieder beendet. Letzte Woche erteilten die Behörden zum Beispiel gerade mal 4 Personen den Status S während er bei 227 beendet wurde.

Mit knapp 20% liegt die Erwerbstätigenquote, also der Anteil derjenigen, die arbeiten im Verhältnis zu den erwerbsfähigen Personen, immer noch relativ tief. Zu Beginn ging man davon aus, dass dieser Anteil rasch höher sein würde.

Wir haben uns die Zahlen nach längerer Zeit wieder mal etwas genauer angeschaut, weil sich eine gute Bekannte aus Cherson nach über 500 Tagen Krieg entschieden hat, mit ihrer schulpflichtigen Tochter zu fliehen. Sie war früher unsere "Privat-Coiffeuse". Schon lange haben wir ihr gesagt, dass sie mit ihrer Ausbildung hier gute Chancen hätte, rasch eine Arbeit zu finden. Irgendwas hat sie zurückgehalten. Was genau sie nun zum Fluchtentscheid bewogen hat, wissen wir nicht.

9. Juli 2023 - 22:45

Am 27. Juni wurde ein Restaurant in Kramatorsk im Osten der Ukraine getroffen. Unter den zivilen Opfern ist auch Victoria Amelina, eine ukrainische Autorin und Menschenrechts­aktivistin. Sie wurde nur 37-jährig. Auch wenn der Angriff nicht direkt gegen sie gerichtet war, ist es ein weiteres Beispiel, wie Russland gezielt versucht, alles, was die ukrainische Kultur ausmacht, auszulöschen.

In der Republik erschien am Wochenende "Die Spurensucherin", ein Artikel über Victoria Amelina mit einigen Gedichten, die sie während des Kriegs geschrieben hatte.

8. Juli 2023 - 21:15

500 (!) Tage dauert der russische Angriffskrieg in der Ukraine nun schon. Man sagt, Putin habe mit drei Tagen gerechnet, bis die Ukraine kapituliere... Eine besondere Symbolkraft hat die Schlangeninsel im Schwarzen Meer, etwa 35km vor der Küste ganz im Südwesten der Ukraine. Als die Russen ganz zu Beginn des Krieges die Insel besetzten, wurden sie von den dort stationierten ukrainischen Grenzwächtern mit nicht ganz jugendfreien Worten begrüsst. Der Funkspruch ging damals um die Welt und wurde zum Schlachtruf der ukrainischen Verteidigung. Später zogen sich die Russen von der Insel zurück, die Grenzwächter kamen im Rahmen eines Gefangenenaustauschs wieder frei - wohl auch dank ihrer Berühmtheit. Fluchen kann also Leben retten...

Heute wurde ein eindrückliches Video (ukrainisch mit englischen Untertiteln) veröffentlicht, das den ukrainischen Präsidenten Zelenskyi auf der Schlangeninsel zeigt. Einmal mehr zeigt es die extreme Diskrepanz in der Kommunikation zwischen Russland und der Ukraine. Der eine lobt die Privatarmee eines Schwerverbrechers, der andere dankt den Soldaten und dem Volk für die Opfer, die sie bringen.

7. Juli 2023 - 22:30

Tanjas Mutter Galina hat immer noch regen telefonischen Kontakt mit vielen Nachbarn, die im gleichen Hauseingang wie sie wohnten. Es fällt auf, dass sich zunehmend Leute Gedanken machen, wieder nach Cherson zurückzukehren oder sogar schon zurückgekehrt sind. Das betrifft vor allem solche, die innerhalb der Ukraine geflüchtet sind. Welche Beweggründe zu diesem Entscheid führen, wissen wir nicht. Einerseits ist es wohl nicht ganz einfach, sich in einer fremden Stadt niederzulassen - auch wenn es im eigenen Land ist. Dazu kommt, dass gerade in letzter Zeit auch viele andere ukrainische Städte bombardiert wurden. Da stellt sich vielleicht schon die Frage, ob es zu Hause wirklich so viel schlechter sei.

6. Juli 2023 - 23:00

Mit dem Juni-Lohn hat Sascha erstmals Kinderzulagen ausbezahlt erhalten. Bereits bei seiner Anstellung im letzten August (!) war unbestritten, dass er wie jeder Arbeitnehmende in der Schweiz Anrecht auf Kinder- bzw. Familienzulage hat. Es ging nun beinahe ein Jahr, bis alle Amtsschimmel ausgewiehert haben. Klar: er bekommt alles rückwirkend ausbezahlt. Wenn du aber jeden Monat schauen musst, dass der Kontostand nicht unter null fällt, dann zählt jeder Rappen - am Ende des Monats und nicht nach 10 Monaten...

5. Juli 2023 - 22:45

Wir hatten in den letzten Tagen mehrmals Kontakt zu Tanjas Freundin Luda, die in Polen ist. Sie hat bisher keine neue Arbeit gefunden und der Gesundheitszustand ihres Vaters verschlechtert sich zusehends. Ihrem Vater ginge es vermutlich auch nicht besser, wenn es keinen Krieg gäbe und sie noch in der Ukraine leben würden. Aber immerhin wäre man in der Heimat, wo man alles kennt und weiss, wohin man sich wenden kann.

4. Juli 2023 - 22:30

In den sozialen Medien verdichten sich Gerüchte, dass in den nächsten Tagen "etwas" passieren soll beim Kernkraftwerk in Zaporizhzhia, das fast seit Beginn des Krieges russisch besetzt ist. Das Kraftwerk befindet sich nur rund 200 km von Cherson entfernt am nicht mehr vorhandenen Stausee. Eine radioaktive Verseuchung würde also noch einmal dieselben Leute treffen, die bereits unter der Zerstörung des Staudamms leiden. Nach allem, was wir bisher gesehen haben in diesem Krieg, ist leider nicht davon auszugehen, dass Russland sich davon beeindrucken lässt.

3. Juli 2023 - 22:45

Am Samstag haben wir den Vertrag für die Wohnung von Tanjas Mutter erhalten und schon heute die Bestätigung, dass Asyl Berner Oberland diesen genehmigt und die Wohnung finanziert. Grundsätzlich sind wir davon ausgegangen, aber eine kleine Unsicherheit, ob wirklich alles klappt, bleibt trotzdem. 50 Jahre hat Galina in Cherson in derselben Wohnung gelebt. Und jetzt innerhalb von zwei Jahren zweimal umziehen... Das war definitiv nicht der Plan! Die neuen Wohnungen in der Siedlung Leuenegg in Oberdiessbach sind sehr gut auf die Bedürfnisse älterer Menschen ausgerichtet. Wir sind zuversichtlich, dass sich Galina gut einlebt und sich wohl fühlen wird - und wir sind ja nur einen Katzensprung entfernt.

2. Juli 2023 - 22:00

Gestern hat Roma die Resultate seiner Deutschprüfung erhalten: sowohl schriftlich wie mündlich hat er mit einem A2 bestanden! Wir gratulieren ganz herzlich und freuen uns mit ihm!

1. Juli 2023 - 23:30

Der Sohn eines guten Freundes von Sascha wurde von der Strasse weg in die Armee einberufen. Er wurde angehalten und erhielt den Marschbefehl in die Hand gedrückt. In den ersten Kriegsmonaten hat die Ukraine vor allem mit Berufssoldaten und Freiwilligen gekämpft. Schon seit längerem hört man Gerüchte, dass vermehrt Männer, die zwar mal Militärdienst geleistet haben, aber schon lange nicht mehr aktiv sind, eingezogen werden. Das hat sich nun bestätigt. Grundsätzlich kann es alle Männer im wehrfähigen Alter treffen. Der Preis für die Verteidigung und die Rückeroberung ist hoch. Kaum auszuhalten, dass die Schweiz ihre Panzer lieber in Italien vermodern lässt als sie der Ukraine zur Verfügung zu stellen zur Verteidigung ihres Landes. Dass ein Grossteil des russischen Rohstoffhandels nach wie vor über die Schweiz abgewickelt wird scheint hingegen neutralitätspolitisch unproblematisch zu sein. Wie wir das unsern Enkelkindern, die das historisch werden aufarbeiten dürfen, mal erklären wollen, bleibt schleierhaft...

30. Juni 2023 - 23:30

"Die Unbeugsamen von Cherson" heisst die gestern ausgestrahlte Folge von NZZ Format auf SRF. Sehenswert!

29. Juni 2023 - 23:30

Die Kirchgemeinde und die politische Gemeinde Heimberg haben heute alle hier lebenden Ukrainer zu einem Erfahrungsaustausch eingeladen. Wir haben erfahren, dass ca. 30 Erwachsene und ca. 10 Kinder hier wohnen. Obwohl viele nun schon über ein Jahr in der Schweiz sind, sind es oftmals noch immer elementare Alltagsinformationen, die fehlen. Zum Beispiel, dass es während der Sommerferien für die Kinder einen Ferienpass gibt. Oder dass es einen Madame Frigo Standort gibt in Heimberg.

Verschiedene Ideen wurden ausgetauscht. Eine davon ist ein Begegnungskaffee, wo sich Menschen von hier mit Leuten aus der Ukraine in lockerer Atmosphäre treffen können, die Sprache vertiefen, Alltagssorgen teilen usw. Der Pfarrer hat jedenfalls schon mal vorgeschlagen, dafür den Pavillon der Kirchgemeinde zur Verfügung zu stellen. Amen - so sei es!

28. Juni 2023 - 23:30

Heute haben wir von der Arbeitsmarktaufsicht des kantonalen Amts für Wirtschaft die Bestätigung erhalten, dass wir das Praktikum von Roma, Vika und Sergej bei MyPAR um ein halbes Jahr verlängern können. Wir waren zwar sicher, dass das nur eine Formsache ist. Trotzdem sind wir erleichtert, dass es problemlos geklappt hat. Allerdings hält die Bestätigung auch klar fest, dass eine weitere Verlängerung nicht mehr möglich ist. Die gängige Praxis sieht vor, dass ein Praktikum zeitlich auf ein Jahr begrenzt ist. Das dient dem Schutz der Arbeitnehmenden vor Lohndumping. Wie wir das in unserem Fall lösen werden, damit wir das wirtschaftlich stemmen können, wissen wir noch nicht. Aber bis jetzt hat sich immer irgendwo ein Türchen geöffnet...

27. Juni 2023 - 23:30

Vikas Grosseltern, die immer noch in Cherson leben, haben seit der Zerstörung der Staumauer immer noch kein fliessendes Wasser, kein Gas und keinen Strom. Wasser wird in Behältern angeliefert, zum Kochen haben sie ein einfaches Gas-Rechaud erhalten. Schon vor einiger Zeit wurde angekündigt, dass die Grundversorgung bald wieder sichergestellt sei. So einfach sind die Reparaturarbeiten aber offensichtlich nicht. Es gibt weder genügend Material noch Fachkräfte - und Cherson steht immer noch täglich unter Beschuss.

26. Juni 2023 - 22:45

Die Überweisung auf ein Monobank-Konto hat geklappt! Es scheint, dass wir nun wieder einen zuverlässigen Weg gefunden haben, Geld für die Menschen vor Ort zu überweisen. Der überwiesene Betrag kommt guten Freunden von Sergej aus Oleshky zugute. Oleshky ist die erste grössere Ortschaft am östlichen Ufer des Dnjeprs, wenn man von Cherson Richtung Krim fährt - oder besser gesagt fuhr: die Brücke, die den Dnjepr überquerte, existiert nicht mehr.

25. Juni 2023 - 22:30

In der heutigen NZZ am Sonntag erschien unter dem Titel "Die Folterzellen von Cherson" ein sehr trauriger und aufwühlender Artikel. Dass es Verhaftungen und Folterungen gab ist ebenso sicher wie die Deportation von Tausenden von Kindern. In welchem Ausmass und unter wessen Verantwortung ist heute noch schwer zu sagen. Direkt wissen wir von einem Fall: ein guter Bekannter von Sascha war mehrere Monate wie vom Erdboden verschwunden und tauchte dann plötzlich wieder auf. Über das, was in dieser Zeit passiert ist, hat er bisher nicht gross berichtet. Ob diese Verbrechen jemals ganz aufgeklärt werden und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden können hängt stark vom weiteren Kriegsverlauf ab. Es scheint aber, dass die Ukraine grosse Anstrengungen unternimmt, Beweise zu sichern für allfällige spätere Strafverfahren.

24. Juni 2023 - 20:45

Für heute hatten Sergej mit seiner Freundin zur Wohnungseinweihung eingeladen. Einmal mehr ein gemütlicher Nachmittag mit zahlreichen Leckereien am ukrainisch-schweizerischen Buffet und schönen Begegnungen und Gesprächen - mit immer weniger Übersetzungsarbeit für uns.

Die Ereignisse, die sich aktuell gerade in Russland abspielen, waren nur ein Randthema. Dass sich die Situation in der Ukraine als Folge davon in Kürze zum Besseren wendet ist unwahrscheinlich. Es zeigt aber schon, wie gross der Disput innerhalb der russischen Militärführung ist - und das ist für den weiteren Kriegsverlauf sicher kein Nachteil für die Ukraine.

23. Juni 2023 - 22:45

Mit der Geldüberweisung hat es leider wieder nicht geklappt. Als nächstes versuchen wir es über ein Monobank-Konto. Monobank ist eine Online-Bank, die in der Ukraine bereits vor dem Krieg bei Jung und Alt sehr verbreitet und beliebt war. Alles läuft virtuell über eine App auf dem Handy - das ist natürlich ein grosser Vorteil, wenn die physische Welt gerade zerbombt wird.

22. Juni 2023 - 22:30

Schon länger gibt es Gerüchte, dass das Atomkraftwerk in Zaporizhzhia vermint worden sei. Heute hat Präsident Zelenskyy gesagt, es gäbe Geheimdienstinformationen, die das bestätigen, und warnt vor einer atomaren Katastrophe. Bereits im letzten Herbst hat er ähnlich eindringlich davor gewarnt, dass der Staudamm in Nova Kakhovka Ziel eines gezielten Terroranschlags Russlands sein könnte.

Wir hätten nie gedacht, dass Russland einen solchen Krieg vom Zaun reisst. Wir hätten nie gedacht, dass Russland soweit gehen würde, bewusst eine ökologische Katastrophe herbeizuführen und die Gegend um Cherson für Jahrzehnte in Brachland zu verwandeln. Was, wenn das nächste undenkbare Szenario eintritt?

21. Juni 2023 - 22:45

Roma hat nun endlich Bilder vom Haus seiner Eltern: darauf steht das Wasser noch bis zur Mitte des Erdgeschosses. Es ist unklar, ob dies dem Höchststand des Wasserpegels entspricht oder ob das Wasser noch höher war. Die Grundmauern und das Dach sehen einigermassen unversehrt aus. Die Garage hingegen, die etwas tiefer als das Haus lag, ist nicht mehr sichtbar. Erreichbar ist die Gegend im Moment noch nicht. Sobald es möglich ist wollen Romas Eltern nachschauen, ob es etwas gibt, was die Flut unbeschädigt überstanden hat. Wohnen werden sie vorläufig im Haus von Romas Onkel, das seit seinem Tod leer stand. Ja, und irgendwann geht es an den Wiederaufbau...

20. Juni 2023 - 22:45

Sergej wurde bei swisstopo sehr herzlich aufgenommen und hat die ersten beiden Arbeitstage bereits erfolgreich hinter sich. Einmal mehr zeigt sich die Solidarität und Hilfsbereitschaft, die hierzulande immer noch sehr gross ist.

19. Juni 2023 - 23:15

Die Zerstörung des Staudamms in der Nähe von Cherson ist in der hiesigen Berichterstattung bereits wieder etwas in den Hintergrund getreten. Nach wie vor ist unklar, was sich genau ereignet hat. Unabhängigen Experten wird bisher der Zugang ins Gebiet von der russischen Seite verweigert. Es ist auch unklar, wie die Rettungsaktionen und die Wiederherstellung einer minimalen Infrastruktur in den besetzten Gebieten verläuft. Offenbar gibt es grössere Truppenverschiebungen Richtung Osten. Ob das jetzt ein Rückzug ist oder einfach die Front weiter östlich in der Region Zaporizhzhia verstärkt wird, bleibt unklar.

Klar ist hingegen, dass für die Menschen vor Ort die Katastrophe noch überhaupt nicht in den Hintergrund getreten ist, sondern den Alltag noch über lange Zeit prägen wird.

18. Juni 2023 - 22:30

Morgen startet Sergej einen insgesamt 4-wöchigen Einsatz bei swisstopo, dem Bundesamt für Landestopografie. Vor einiger Zeit haben wir bei Kunden und Partnern der MyPAR GmbH einen Aufruf gemacht, dass wir unseren drei ukrainischen Mitarbeitenden einen vertieften Einblick in etwas grössere Organisationen oder Unternehmen als wir es sind bieten möchten. Gleichzeitig ist das ein weiteres Trainingsfeld, um die Sprache zu praktizieren. Für Vika und Roma haben wir bisher noch keinen Einsatzort gefunden, sind aber guten Mutes, dass sich da auch noch was ergeben wird.

17. Juni 2023 - 23:45

Rund zehn Tage nach der Flutkatastrophe soll in den betroffenen Stadtteilen Chersons langsam die Stromversorgung wieder hergestellt worden sein. Offenbar gelangt recht viel humanitäre Hilfe in die Stadt. Für den Moment ist die Bevölkerung mit dem Nötigsten versorgt.

16. Juni 2023 - 22:00

Der erste Versuch, Geld in die Region Cherson zu überweisen, ist fehlgeschlagen: die Überweisung wurde abgelehnt. Nach Rücksprache mit der Bank haben wir einen erneuten Versuch gestartet, dieses Mal auf Empfehlung der Bank in Euro anstatt in Schweizer Franken. Jedenfalls wurde diese Überweisung nicht gleich postwendend abgelehnt. Wir hoffen sehr, dass es dieses Mal klappt - die Not vor Ort ist gross.

Und noch eine weitere positive Nachricht von heute: unser Freund ist mit seinem ukrainischen Auto gut zu Hause in der Schweiz angekommen.

15. Juni 2023 - 22:45

Bis heute Abend steckte unser Freund mit seinem Auto an der ukrainisch-polnischen Grenze fest - fast eine Woche länger als geplant. Nun scheint aber alles geklappt zu haben und er ist unterwegs Richtung Westen mit dem Ziel, noch vor dem Wochenende an der deutsch-schweizerischen Grenze anzukommen, wo er das Auto für die Einfuhr in die Schweiz nochmal vorzeigen muss.

Das Thema Auto von ukrainischen Flüchtlingen hat sich hier wieder etwas entspannt. Die Ankündigung der Behörden Anfang Jahr, dass Autos dem Vermögen angerechnet werden und die Asylsozialhilfe entsprechend gekürzt werde, wenn das Auto nicht verkauft würde, hat für Verwirrung und Irritation gesorgt. Typisch schweizerisch wurde das Thema aber heisser gekocht als gegessen: Wir wissen jedenfalls von niemandem, wer sein Auto hätte verkaufen müssen. Die Stadt Biel verlangt, dass eine Garage den Wert des Autos einschätzt. Nur ein kleiner Teil könnte für mehr als 5'000 CHF verkauft werden. Zieht man die Kosten für die Einfuhr und die Fahrzeugprüfung ab, bleibt nicht mehr viel...

Und auch für teurere Autos muss man zuerst einen Käufer finden. Und zwar einen, der sich auf das Abenteuer einlässt, ein Auto zu kaufen, das die ukrainischen Strassen erdulden musste und zu guter Letzt als Fluchtauto quer durch Europa hinhalten musste...

14. Juni 2023 - 22:00

Nach über einem halben Jahr haben wir heute wieder einmal Geld von unserem Spendenkonto in die Ukraine überwiesen. Im letzten Quartal 2022 waren Überweisungen kaum mehr möglich. Dazu kam, dass die direkte Hilfe vor Ort viel schwieriger war als noch im ersten halben Jahr des Krieges. Insbesondere Medikamente waren kaum mehr aufzutreiben und viele unserer Ansprechpersonen befanden sich nicht mehr in Cherson.

Seit der Überschwemmung letzte Woche haben wir wieder intensiver nach Möglichkeiten gesucht, wie wir den Menschen, die nun nach der Katastrophe des Krieges noch eine Überschwemmungskatastrophe erleben, gezielt helfen können. In einem ersten Versuch überweisen wir Geld auf das ukrainische Konto von Tanjas Freundin Luda. Luda ist zwar in Polen, hat aber nach wie vor gute Kontakte nach Cherson. Wir hoffen sehr, dass der Geldtransfer nun wieder klappt und wir - dank euren Spenden - wieder direkt vor Ort helfen können.

13. Juni 2023 - 23:15

Unser Freund, der längere Zeit in der Ukraine gelebt hat und mit seiner Frau und Tochter am letzten Tag vor Kriegsausbruch in die Schweiz geflüchtet ist, sitzt aktuell an der Grenze zwischen der Ukraine und Polen fest. Er ist nach Lvov gereist, um sein Auto, das sie in Cherson zurücklassen mussten, abzuholen. Ein guter Bekannter hat es ihm aus Cherson nach Lvov gebracht.

Die bürokratischen Hürden für die Ausfuhr sind bedeutend höher als erwartet: seit fast einer Woche wird er von Amtsstelle zu Amtsstelle geschickt, weil noch irgendeine Bescheinigung oder der Stempel einer Behörde fehlt. Viele administrative Prozesse laufen mittlerweilen sehr gut und vor allem auch korruptionsfrei ab. Die Ausfuhr eines Autos durch einen ausländischen Staatsbürger scheint jedoch ein eher seltener Fall zu sein. Und da spielen plötzlich wieder alte, längst überwunden geglaubte Verhaltensmuster: man macht sich zuerst einmal verdächtig und wird entsprechend behandelt, niemand will entscheiden oder die Verantwortung übernehmen, verschleppen und vertrösten lautet die Devise...

12. Juni 2023 - 22:45

Wir haben für Tanjas Mutter eine Wohnung gefunden! In Oberdiessbach wurde das älteste Wirtshaus im Dorf umgebaut. Ab August stehen dort 24 seniorengerechte Mietwohnungen zur Verfügung. Galina wird eine 1.5-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss beziehen können. Dank dem umfangreichen Dienstleistungsangebot, das optional zur Verfügung steht, sind wir guten Mutes, dass sie ihren Alltag - ähnlich wie vor dem Krieg in der Ukraine - selbstständig bestreiten kann.

Von der Immobilienverwaltung haben wir die Zusage, seitens Asyl Berner Oberland steht sie noch aus. Es wäre für uns kaum nachvollziehbar, wenn diese Lösung verweigert würde.

11. Juni 2023 - 23:00

Diese Woche hat Sascha nun endlich weitere Unterlagen vom Strassenverkehrsamt für den Umtausch des Führerscheins erhalten: Ende Juli kann er nun endlich die Kontrollfahrt absolvieren. Besteht er sie muss er innerhalb von 18 Monaten die theoretische Prüfung ablegen. Bis dann darf er keine gewerblichen Fahrten absolvieren. Für Sascha ist das kein Problem. Ist jemand aber beruflich darauf angewiesen, dann dauert der Prozess schon sehr lange... Letztlich ist das Ganze auch nicht ganz billig: schon die Gebühren für Gesundheitscheck, Formulare usw. gehen ins Geld. Dazu kommen noch die Kosten für die Kontrollfahrt und allenfalls die eine oder andere Fahrstunde, um sicher zu sein, auf unseren Schweizer Strassen dann auch wirklich alles richtig zu machen.

10. Juni 2023 - 23:15

Langsam sinkt der Wasserpegel in der Region Cherson wieder und legt das Ausmass der Zerstörung frei. Die Flutkatastrophe hat noch einmal eine Fluchtwelle ausgelöst. Viele, die bisher kategorisch ausgeschlossen haben, zu fliehen, haben die Region nun doch verlassen. Aktuell ist noch völlig offen, wie all die Schäden repariert werden sollen. Präsident Selensky hat heute kritisiert, dass sich internationale Hilfsorganisationen zu wenig einsetzen, um sich an den Aufräumarbeiten zu beteiligen. Es ist unglaublich schwierig - es herrscht ja nach wie vor Krieg in der Region.

9. Juni 2023 - 23:00

Ihor hat die ersten beiden Arbeitswochen hinter sich. Er wurde gut im Team aufgenommen und die Arbeit gefällt ihm. Zu Beginn waren die körperliche Arbeit und der neue Tagesrhythmus herausfordernd. Daran habe er sich aber schnell wieder gewöhnt.

Voraussichtlich wird Ihor bereits ab dem nächsten Monat genügend verdienen, um aus der Asylsozialhilfe herauszukommen. Das eröffnet neue Perspektiven.

8. Juni 2023 - 22:15

Sveta, Tanjas Jugendfreundin, die in die Moldau geflüchtet ist, hat heute ihr Rumänischsprachzertifikat bestanden. Just in dem Moment, als Tanja mit ihr kommunizierte, erhielt sie die Meldung, dass ihr Wohnblock in Cherson getroffen wurde - zum Glück ohne Tote oder Verletzte. Gestern das Wasser, heute die Bomben. Es ist unvorstellbar, was sich in der überfluteten Region gerade abspielt.

7. Juni 2023 - 23:15

Romans Eltern sind heil angekommen bei Romans Schwester. Ihr Heimatdorf wurde komplett überschwemmt, das Wasser steht bis unter die Dächer. Prognosen gehen davon aus, dass sich der Wasserpegel in ca. 10 Tagen wieder auf das Niveau vor der Zerstörung des Damms absenken wird. Erst dann wird das volle Ausmass der Katastrophe sichtbar sein. Und nicht zu vergessen: es ist eine Katastrophe in der Katastrophe - die Beschüsse gehen weiter, die Besatzer sind nach wie vor da (offenbar ohne grosse Ambition, der Bevölkerung zu helfen), ständig explodieren Minen, die nun irgendwo im Wasser und Schlamm herumschwimmen.

Die Stadt Cherson hat es stärker erwischt als prognostiziert. Auch hier gibt es Quartiere, die unter Wasser stehen. Vikas Grosseltern leben im siebten Stock eines Wohnblocks - das Wasser reicht bis zum zweiten Geschoss. Es gibt weder Frischwasser, noch Gas, noch Strom.

Die etwas höher gelegenen Quartiere, wo Lena und Sascha und Tanjas Mutter Galina gelebt haben, sind glücklicherweise verschont geblieben.

6. Juni 2023 - 23:45

Wut, Fassungslosigkeit, Trauer - schwer zu sagen, was nach den heutigen Ereignissen im Vordergrund steht. Die Gedanken sind in erster Linie bei den zehntausenden von Menschen, die sich aktuell noch im überfluteten Gebiet befinden. Insbesondere in den besetzten Gebieten am östlichen Ufer dürfte unklar sein, wie viele Leute sich dort noch aufhalten. Es gibt viele Dörfer und Datschensiedlungen, wohin sich Leute aus den Städten zurückgezogen haben und teilweise seit Monaten aufgrund der Besatzung nicht mehr zurück können. Naturgemäss befinden sich diese Gebiete nah am Wasser und wurden heute innert weniger Stunden überflutet. Viele, so auch Romans Eltern, sind vor dem Wasser geflüchtet. Wir hoffen, sie bald in Sicherheit zu wissen.

Dass nicht die Ukraine diese Katastrophe verursacht hat, ist offensichtlich: solche Angriffe gegen zivile Infrastruktur sind ein klares Kriegsverbrechen. Auch wenn es taktisch noch so clever wäre würde die ukrainische Seite nie riskieren, als Kriegsverbrecher dazustehen. Zu abhängig ist sie von der Unterstützung und dem Goodwill der westlichen Welt. Zudem: wie bei jedem Staudamm gab es auch dort Risikoanalysen und Katastrophenpläne für den Fall eines Dammbruchs. In der Gegend war man sich sehr wohl bewusst über das Ausmass eines unkontrollierten Abflusses grosser Wassermengen. Und last but not least: das überschwemmte Gebiet ist wertvolles Ackerland. Warum sollte die Ukraine die eh schon prekäre Versorgungslage weiter verschlechtern?

Wir hoffen, dass die hiesige Berichterstattung in den nächsten Tagen den Fokus stärker auf die humanitäre und ökologische Katastrophe legt, die sich jetzt grad ereignet. Diskussionen über allfällige taktische Kriegsvorteile sind hier ebenso fehl am Platz wie ein Abwägen, wer wohl der Urheber sein könnte. In diesem Krieg gibt es nur einen Agressor.

5. Juni 2023 - 22:30

Wir waren im Kontakt mit Tanjas Freundin Luda in Polen. Leider geht es ihr aktuell nicht sehr gut. Ihrem Vater geht es gesundheitlich schlechter, der Krebs entwickelt sich weiter. Dass sie aktuell keine Arbeit hat, macht die Situation auch nicht besser.

Polen trägt nach wie vor die grösste Last der Flüchtlinge, die aus der Ukraine geflohen sind. Die staatliche Unterstützung ist deshalb bedeutend kleiner als hier. Es gibt mittlerweile Hilfsorganisationen, die nicht (mehr) direkt in der Ukraine helfen, sondern gezielt Flüchtlinge in Polen unterstützen.

4. Juni 2023 - 23:45

Heute Ruhetag.

Das können (und sollen) wir uns ab und zu gönnen. Das tun auch viele Ukrainerinnen und Ukrainer, die nicht direkter Bedrohung ausgesetzt sind. Gleichzeitig müssen wir uns bewusst sein, dass der Krieg in der Ukraine näher ist als wir uns das oft wünschen würden. Städte wie Kiev, die aktuell praktisch täglich beschossen werden, waren bis Februar 2022 nur gut zwei Flugstunden von hier entfernt. Der ukrainische Präsident Selensky hat heute daran erinnert, dass seit Kriegsbeginn um die 500 Kinder getötet wurden. Das darf in der Flut der Nachrichten nicht einfach untergehen.

3. Juni 2023 - 22:45

Diese Woche zeigte SRF in der Rundschau einen interessanten Beitrag zur Arbeitssituation der Ukrainerinnen in der Schweiz. Obwohl 70% einen Hochschulabschluss haben und oft in Branchen mit Fachkräftemangel gearbeitet haben, finden weniger als 20% hier eine Arbeit. Die genannten Hauptgründe sind Sprache, Rückkehrorientierung des Status S (Bedenken der Arbeitgeber, dass die Leute zu rasch wieder weg sind), Diplomanerkennung (zum Beispiel bei Pflegeberufen).

Aus den Erfahrungen, die wir bisher gemacht haben, können wir allen empfehlen, ukrainischen Bewerberinnen und Bewerbern eine Chance zu geben. Es braucht am Anfang sicher etwas Geduld mit der Sprache und vielleicht etwas anderen Arbeitsgewohnheiten. Das legt sich aber meistens schon nach den ersten Wochen.

2. Juni 2023 - 22:45

Der Umtausch von Saschas ukrainischem in einen Schweizer Führerschein zieht sich in die Länge: damit er die Lastwagenkategorie nicht verliert muss er nebst einer Kontrollfahrt eine Theorieprüfung ablegen. Voraussetzung für die Zulassung ist eine ärztliche Untersuchung. Diese kann nur in dafür zugelassenen Arztpraxen mit zum Teil langen Wartefristen gemacht werden. Nun ist's aber soweit: das Gesuch liegt wieder beim Strassenverkehrsamt, wir warten auf die nächsten Schritte...

Immerhin: wer keine gewerblichen Fahrzeuge fährt, muss den Führerschein neu erst nach zwei und nicht wie bisher schon nach einem Jahr umtauschen.

1. Juni 2023 - 22:15

Heute zitieren wir Denis Trubetskoy, ein ukrainischer Journalist, der bis heute in Kiev lebt. Seine Aussage bringt die aktuelle Lage auf den Punkt:

"Ein Kyjiwer Stand-up-Witz, der in diesen Tagen ein wenig durch das Netz geht: "Wenn wir eine Explosion hören, ist diese eigentlich bereits erfolgt. Es gibt keinen Grund mehr, Angst zu haben. Das ist ein Geräusch aus der Vergangenheit. Wenn du eine Explosion hörst und noch am Leben bist, ist alles schon okay."

Das Problem mit diesem Witz: Es ist im Prinzip kein Witz, sondern Realität. Und: Dass eine Explosion bereits erfolgte, bedeutet ja nicht, dass in einer oder zwei Minuten nicht eine weitere Drohne oder Rakete kommt. Und noch einmal, Städte wie Charkiw, Cherson und Saporischschja haben es noch schlimmer, von der direkten Front mal abgesehen."

31. Mai 2023 - 22:15

Heute hatte ich kurz Kontakt mit Artem, dem Software-Entwickler aus Oleshky in der Nähe von Cherson. Im Gegensatz zu vor ein paar Wochen, als er nur sporadisch Internet-Verbindung hatte, hat er heute sofort geantwortet. Die Lage sei jedoch nicht besser geworden, es sei immer noch sehr laut durch die Beschüsse. Dann fügt er an, ein wenig besser sei es doch geworden: man höre jetzt vor allem die ukrainische Seite. Das töne anders als die alten russischen Waffen. Und die Einschläge seien auch nicht so nah wie vorher beim russischen Beschuss. Man hoffe immer noch, dass es bald vorbei sei und sich die Lage wieder bessere.

30. Mai 2023 - 23:00

In vielen ukrainischen Städten hat die Bevölkerung wegen der ständigen Beschüsse gerade nicht sehr viel zu Lachen. Es scheint aber so, dass der Widerstandswille mit jedem Beschuss noch grösser wird. Wann immer möglich holen sich die Leute ein Stück Normalität in den Alltag, sei es mit einem Spaziergang, einem Besuch bei Freunden oder sogar, indem man mal ausgeht.

Ganz anders sieht die Situation in den besetzten Gebieten aus: da läuft nach wie vor praktisch gar nichts. Die eigenen Wände oder das eigene Grundstück kann man kaum verlassen.

Riesige Gegensätze, dasselbe Ziel: Ruhe und Frieden und die eigene Heimat zurück.

29. Mai 2023 - 23:00

Schon jetzt ist klar, dass der Mai 2023 einer der Monate mit den stärksten russischen Angriffen auf Kiev und viele andere Städte war. Obwohl die Luftabwehr dank der westlichen Aufrüstung fast alles abwehren konnte, ist das für die Bevölkerung sehr traumatisierend. Einerseits haben die Menschen kaum eine ruhige Nacht, andererseits kann man nie ganz sicher sein, ob nicht doch irgendwo eine Rakete einschlägt oder Trümmer in der Nähe einschlagen. Militärisch bringen diese Angriffe gar nichts, es soll die Bevölkerung einschüchtern und demoralisieren.

28. Mai 2023 - 21:45

Lenas Schwester Oksana ist für rund zwei Wochen in der Schweiz zu Besuch. Oksana lebt nach wie vor in Lvov ganz im Westen der Ukraine. Die Stadt ist weit weg von der Front. Trotzdem hat sich das Leben radikal verändert: die wirtschaftliche Situation ist im ganzen Land angespannt, die Kosten des Krieges sind in allen Bereichen spürbar. Dazu kommen sehr viele Binnenflüchtlinge, die sich in Lvov niedergelassen haben. Die Integration sei nicht immer einfach. Wer kann reist in der Regel weiter in ein westliches Land. Es bleiben diejenigen, die aus unterschiedlichsten Gründen - familiär, gesundheitlich oder materiell - nicht weiter kommen. Das merke man an der allgemeinen Stimmung in der Stadt.

Aber dann gleichzeitig die herzliche Einladung, sie doch so bald wie möglich in Lvov zu besuchen. Das werden wir ganz bestimmt tun, sobald es die Situation zulässt.

27. Mai 2023 - 23:00

Bei der gestern erwähnten Reise quer durch die Ukraine 2010 wurden wir aufgrund des ausländischen Kontrollschilds extrem oft von Polizeistreifen angehalten mit dem Vorwurf, zu schnell gefahren zu sein. Wir haben uns dann jeweils dumm gestellt und gewartet, bis die Streife gemerkt hat, dass bei uns nichts zu holen war. Das Beispiel zeigt die damals noch allgegenwärtige Korruption. Zum Zeitpunkt unserer letzten Reise im Herbst 2021 war sie fast vollständig aus dem Alltag der "gewöhnlichen" Leute verschwunden. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor der Korruptionsbekämpfung ist die Digitalisierung: dank weniger Mensch-zu-Mensch-Interaktionen und besserer Nachvollziehbarkeit beispielsweise bei Behördengängen konnten grosse Verbesserungen erzielt werden. Nach wie vor steht die Ukraine (zu) weit vorn in der Liste der korrupten Länder. Die bereits vor dem Kriegsausbruch erzielten Verbesserungen sind jedoch bemerkenswert. Die Annäherung an westliche Bündnispartner erhöht Druck und Motivation für weitere Massnahmen zusätzlich. Immerhin in diesem Bereich gibt es positive Effekte der aufgrund des Kriegs grossen Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit.

26. Mai 2023 - 23:45

Unser Freund, der mit einer Ukrainerin aus Cherson verheiratet ist und länger dort gelebt hat, hat nun alles in die Wege geleitet, um sein Auto, das er in der Ukraine zurücklassen musste, in die Schweiz zu holen. Ein guter Bekannter bringt ihm das Auto aus Cherson nach Lvov im Osten der Ukraine. Er wird nach Polen fliegen und von dort mit dem Zug nach Lvov reisen. Danach fährt er die rund 1'500 km zurück in die Schweiz.

In den Herbstferien 2010 sind wir mit dem Auto aus der Schweiz bis nach Cherson und wieder zurück gereist, insgesamt ca. 5'000 km. Damals war das ein Abenteuer und auch etwas verrückt. Nie hätten wir uns vorstellen können, dass etwas über 10 Jahre später so viele ukrainische Autos den langen Weg nach Westeuropa zurücklegen würden - nicht aus Abenteuerlust, sondern weil sie plötzlich in ihrer Heimat ihres Lebens nicht mehr sicher waren.

25. Mai 2023 - 23:45

In der Sendung "Gredig direkt" auf SRF beurteilen zwei Experten, Ulrich Schmid und Mauro Mantovani, die aktuelle Situation in der Ukraine. Darüber, ob die Liveschaltung "direkt an die Front" jetzt wirklich nötig war, kann man sicher diskutieren. Zeigt aber einen Aspekt des Krieges: er wird quasi live in unsere Stuben übertragen. Gerade in den letzten Tagen gab es diverse Aufrufe, den Krieg nicht als "Hunger Games" aus den Tributen von Panem zu sehen. Die Zerstörung ist real und immens.

24. Mai 2023 - 23:00

Ein sehr guter Kollege von Sascha befindet sich immer noch in Cherson. Er wohnt in der Nähe der Antonov-Brücke, die zu Beginn des Krieges fast vollständig zerstört wurde und bis heute unpassierbar ist. Auf die Frage, warum er noch dort sei, hören wir eine bekannte Antwort: er habe so viele Katzen und Hunde übernommen von Nachbarn, die geflüchtet seien - die könne er doch jetzt nicht einfach allein lassen...

23. Mai 2023 - 22:15

Vor einem Jahr hatten wir geschrieben, dass für Serhii und Igor der Deutschkurs beginnt und wir ein erstes Mal die in Thun gemieteten Arbeitsplätze für MyPAR benutzten. Mit Yaroslav waren wir am Ausloten, welche Perspektiven es für seine Ausbildung gibt. Wie die meisten gingen auch wir zu diesem Zeitpunkt immer noch davon aus, dass es sich höchstens um ein paar Monate handelt, bis der Krieg zu Ende ist. Wir befanden uns im "Kurzfrist-Modus", planten von Tag zu Tag und von Woche zu Woche.

 Klar, dass sich immer noch alle wünschen, dass dieser Krieg so rasch wie möglich ein dauerhaftes Ende findet und die russische Aggression nachhaltig gestoppt werden kann. Gleichzeitig haben wir alle, vor allem natürlich unsere ukrainischen Freunde, wieder längerfristige Perspektiven und Pläne.

22. Mai 2023 - 23:45

Aktuell ist die Lage entlang der Frontlinie recht undurchsichtig. Es scheint, dass die Ukraine im Rahmen der schon länger angekündigten Gegenoffensive im Moment mit verschiedenen Aktionen versucht, maximale Verwirrung zu stiften und die russischen Truppen entlang der rund 1'000 km langen Frontlinie zu verzetteln. Was die Gegenoffensive genau für die noch besetzten Gebiete bedeutet ist im Moment völlig unklar.

21. Mai 2023 - 20:45

Ein Nachtrag zum gestrigen Beitrag: die Aussage, die Fahrzeuge zum Rückzug seien bereits betankt, stammt von russischen Soldaten aus Tschetschenien. Es wäre sehr interessant zu wissen, wie gross die Motivation, gegen die Ukraine zu kämpfen, bei Soldaten aus diesen Gegenden ist. Viele dürften nie damit gerechnet haben, überhaupt jemals eingezogen zu werden - und erst recht nicht gegen eine ehemalige Sowjetrepublik.

Gestern erschien in der Republik ein spannender Artikel, welcher bis in die Gründungszeit der Stadt Cherson durch Fürst Grigori Potemkin Ende des 18. Jahrhunderts, zurückgeht und Parallelen zu heute aufzeigt. 

20. Mai 2023 - 22:30

Romans Eltern haben aus den besetzten Gebieten erzählt, dass es mit den russischen Pässen bisher nicht so weit her sei. Die Besatzer hätten sogar gesagt, sich nicht zu sehr zu beeilen: für alle Fälle seien ihre Fahrzeuge bereits vollgetankt - falls sie die Gegend verlassen müssten. Wie viel wert diese Aussage ist, wissen wir natürlich nicht. Aber so sicher sind sich offenbar die russischen Besatzer vor Ort nicht, dass sie das Gebiet östlich von Cherson auch wirklich halten können.

19. Mai 2023 - 22:30

Heute konnte sich Ihor für eine 100%-Stelle bei einer Baufirma vorstellen. Ergebnis: Arbeitsbeginn am Montag! Wir freuen uns sehr darüber und wünschen ihm schon heute einen guten Start.

18. Mai 2023 - 22:45

Die intensiven Angriffe in der Ukraine gingen auch heute weiter, betroffen waren vor allem Kiev und Odessa. Es ist erstaunlich, wie gut die ukrainische Luftabwehr offenbar funktioniert. Es gibt kaum direkte Einschläge, aber sehr viele Trümmer, die irgendwo vom Himmel fallen und lokal ebenfalls Schaden anrichten und Leute verletzen oder gar töten können.

Gleichzeitig gehen in den frontnahen Städten, zu denen auch Cherson nach wie vor zählt, die fast pausenlosen Beschüsse mit verhältnismässig ungenauen Raketen weiter. Die Herausforderungen sowohl für die Entscheidträger wie für die Bevölkerung bleiben immens.

17. Mai 2023 - 22:00

Im Juni und Juli wird Sergej insgesamt vier Wochen bei swisstopo, dem Bundesamt für Landestopografie, arbeiten und deren PDF-Publikationen barrierefrei machen. Heute durften wir den entsprechenden Vertrag unterzeichnen. Uns ist wichtig, dass Roma, Vika und Sergej im Rahmen ihrer Tätigkeit bei MyPAR auch in andere Unternehmen Einblick erhalten und dort ihre Deutschkenntnisse im Arbeitsalltag vertiefen können. Gleichzeitig bringen sie als ausgewiesene Experten die Unternehmen einen schönen Schritt weiter in Richtung digitaler Barrierefreiheit.

Win-Win.

16. Mai 2023 - 23:45

Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir unsere MyPAR-Büroräumlichkeiten in Cherson aufgegeben und das Mobiliar an einen (so hoffen wir) sicheren Ort transportieren lassen. Gleichzeitig konnten wir in Thun provisorische Arbeitsplätze beziehen.

Nun, ein Jahr später, dürfen wir an zentraler Lage in Bern ein Büro mitbenutzen und und unsere ukrainischen Mitarbeitenden können schon erste direkte Kontakte mit Kunden ausweisen. Es hat sich unglaublich viel bewegt in den vergangenen zwölf Monaten...

15. Mai 2023 - 22:00

Am 20. November 2022 traf eine gute Bekannte von Lena in der Schweiz ein und wurde im Containerdorf in Bern untergebracht. Heute, also knapp sechs Monate später, konnte sie die Schlüssel einer eigenen Wohnung entgegen nehmen, ebenfalls in Bern. Die Freude, das unfreiwillige WG-Leben mit Winter-Camping-Flair endlich verlassen zu können, ist gross. Eine ihrer WG-Kolleginnen hatte bisher kein Glück mit der Wohnungssuche und hat sich deshalb entschieden, wieder in die Ukraine zurückzukehren. Der Entscheid ist verständlich, obwohl gerade die Angriffe am letzten Wochenende gezeigt haben, dass es aktuell nirgendwo wirklich sicher ist.

14. Mai 2023 - 22:15

Über ihre Freundin Luda hat Tanja an diesem Wochenende endlich wieder einmal etwas von ihrer Jugendfreundin Natascha erfahren. Sie befindet sich mit ihrem Mann immer noch auf der Datscha im besetzten Teil von Cherson. Es sei verhältnismässig ruhig, sie seien bisher auch noch nicht angegangen worden, ihre ukrainischen Pässe gegen russische zu tauschen. Schlimm sei das Nichtstun und die fehlende medizinische Versorgung. Ihr Mann hatte während Tagen starke Bauchschmerzen. Ausser einer Krankenpflegerin sei jedoch weit und breit keine medizinische Fachkraft ausfindig zu machen. Immerhin hätten sie jetzt begonnen, auf der Datscha das eine oder andere anzupflanzen. Für eine vernünftige Tagesstruktur reicht das jedoch bei weitem nicht...

13. Mai 2023 - 23:45

Eigentlich wäre die Ukraine heute Austragungsort des Eurovision Song Contest. Als die Ukraine den Wettbewerb vor einem Jahr gewonnen hat, haben sich viele gewünscht, dass die diesjährige Ausgabe in der damals heftig umkämpften Stadt Mariupol stattfinden soll. Das war schon damals Wunschdenken.

Ungefähr nach der Hälfte der heutigen Austragung herrscht praktisch in der ganzen Ukraine Luftalarm, die Heimatstadt der ukrainischen Vertretung am ESC wird während ihrem Auftritt heftig bombardiert.

12. Mai 2023 - 23:30

Auch nach beinahe 500 Tagen ist der Krieg in der Ukraine in den westlichen Medien immer noch sehr präsent. Auch in dieser Hinsicht hat sich der Kreml vermutlich ziemlich verkalkuliert. Die Kämpfe im Donbas und die Annektion der Krim 2014/15 sind im Westen - und teilweise auch in der Ukraine selber - rasch aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Es ist davon auszugehen, dass Moskau im Februar 2022 mit einer ähnlichen Entwicklung gerechnet hat: lauter Aufschrei, zahnlose Massnahmen, Übergang zur Tagesordnung.

Weitgehend unbemerkt hat die Ukraine in den letzten Jahren medial aufgerüstet. Die Berichterstattung war vom ersten Kriegstag an hoch professionell. Das Zusammenspiel mit ausländischen Korrespondenten scheint sehr gut zu funktionieren. So kommen immer wieder eindrückliche Berichte zustande, die dann hier eben auch gezeigt und geschaut werden. Das dürfte nicht ganz unbedeutend sein für den weiteren Verlauf des Krieges.

Fast ein Viertel der heutigen 10 vor 10 Sendung war der Ukraine gewidmet, unter anderem einem spannenden Einblick in die Zusammenarbeit zwischen der ukrainischen Armee und privaten Hilfsorganisationen an der Front.

11. Mai 2023 - 22:15

Der Kanton Bern ist bekanntlich bürgerlich/konservativ geprägt. Das zeigt sich unter anderem an der restriktiven Sozialpolitik. Es gibt aber ein paar Dinge, die der Kanton Bern wirklich gut macht: über die grosszügigen Sprachkurse haben wir bereits mehrmals geschrieben, das ist nach wie vor so. Ein weiterer Pluspunkt ist, dass einmal bezogene Sozialhilfe nicht zurückbezahlt werden muss (ausser man gewinnt im Lotto oder hat zu einem späteren Zeitpunkt ein monatliches Einkommen von über 15'000 CHF). Andere Kantone verlangen zumindest einen Teil der Leistungen zurück, sobald man wieder ein regelmässiges Einkommen hat. Unter den Ukrainern hat sich das herumgesprochen, sodass einige bereits begonnen haben, aufzuschreiben, wie viel sie später dem Schweizer Staat schulden...

10. Mai 2023 - 22:45

Happy birthday! Heute hat Vika zum ersten Mal in der Schweiz Geburtstag gefeiert. Letztes Jahr hat sie noch in Polen gefeiert, wo sie die ersten Wochen nach der Flucht aus der Ukraine verbracht hat. Sie hat zu einem feinen "After work Apéro" eingeladen - ohne selber gebackene Torte. Das habe Tradition: zum eigenen Geburtstag backe sie nie selber. Richtig so!

9. Mai 2023 - 22:45

Die heutige Parade zum 9. Mai, dem "Tag des Sieges", fiel in Moskau sehr bescheiden aus. Es kursieren dafür verschiedene Erklärungen. Was genau der Grund war, bleibt wohl im Dunkeln. Definitiv sagen kann man jedoch, dass das von der Elite in Moskau noch vor ein paar Monaten anders geplant war.

In der Ukraine wurde der 9. Mai in diesem Jahr kaum mehr gefeiert. Selenski hat vorgeschlagen, künftig nur noch den 8. Mai, den Gedenktag der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht im zweiten Weltkrieg, zu feiern. Seit 2016 wurde dieser Tag in der Ukraine als Tag des Gedenkens und der Versöhnung begangen, in einigen europäischen Ländern gilt er als Tag des Gedenkens der Opfer des zweiten Weltkriegs.

Bis 2021 wurden die Feiertage in Russland und der Ukraine einheitlich und zum Teil recht stark abweichend von Westeuropa gefeiert. Nun gleicht sich die Ukraine auch hier dem Westen an. Kaum denkbar, dass dieser Prozess wieder rückgängig gemacht werden kann. War wohl auch nicht ganz so in Russlands Drehbuch vorgesehen.

8. Mai 2023 - 22:15

Tanjas Jugendfreundin Luda, die mit Mann und Vater nach Polen geflüchtet war, hat ihre Arbeit verloren resp. der befristete Vertrag wurde nicht verlängert. Sie muss so schnell wie möglich wieder eine Arbeit finden, da in Polen kaum Sozialhilfe bezahlt wird.

In der Schweiz sind die Anforderungen und bürokratischen Hürden bei der Jobsuche und Anstellung höher, dafür gibt es auch mehr Sicherheiten beim Verlust einer Anstellung.

7. Mai 2023 - 21:15

Die russische Führung und Propaganda spricht schon länger nicht mehr von einer "kurzen Spezialoperation" in der Ukraine. Bereits Kinder werden auf den Krieg getrimmt. Es gibt alles: von Trickfilmen, die den Krieg "erklären", Uniformen für Kinder inklusive militärischen Trainings über Bastel-Nachmittage für Soldaten-Geschenke bis zu Waffenausstellungen in Schulen. Sehr verstörend.

Beispiel eines Propagandavideos, das bereits im letzten Jahr zum Pflichtstoff im russischen Lehrplan erklärt wurde

6. Mai 2023 - 22:30

Im Vergleich zu den letzten Tagen war es offenbar heute in Cherson einigermassen ruhig. Es haben nochmal sehr viele Leute die Stadt verlassen. Allerdings hören wir auch immer wieder die Aussage, dass sie nun schon so viel durchgemacht hätten, eine Flucht mache für sie keinen Sinn mehr. Es ist schwer vorstellbar, in welchem psychischen Zustand die Menschen vor Ort sind und ob sie das Erlebte je hinter sich lassen können.

5. Mai 2023 - 23:45

Der Wohnblock, in dem Tanjas Mutter Galina in Cherson lebte, besteht aus sechs Hauseingängen. Sie wohnte im fünften. Die beiden ersten wurden gestern durch einen nahen Raketeneinschlag stark beschädigt. Praktisch alle Fensterscheiben sind zerborsten, eine zum Glück leere Wohnung im dritten Stock wurde fast komplett zerstört. Riesiges Glück, dass gemäss unseren Informationen niemand verletzt oder getötet wurde.

4. Mai 2023 - 23:00

Auf dekoder.org erschien vor kurzem der Artikel "Wie Putin lernte, die Ukraine zu hassen". Eine spannende Innensicht, wie sich das Denken und Verhältnis Putins zur Ukraine entwickelt hat und letztlich zum katastrophalen Entscheid geführt hat, die Ukraine militärisch anzugreifen.

3. Mai 2023 - 22:45

In Cherson wurden heute ein Einkaufszentrum und ein Bahnwagen bei einem Angriff getroffen - mehr als zwanzig Menschen kamen ums Leben. Wie auch in andern Städten werden einfach wahllos Ziele beschossen, sehr oft ohne militärischen Bezug. Es ist davon auszugehen, dass die nächsten Tage unruhig bleiben. Einerseits wird ein ukrainischer Gegenangriff immer wahrscheinlicher, andererseits will Russland zum 9. Mai, dem "Tag des Sieges", unbedingt einen Erfolg vorweisen können.

Nach dem heutigen Angriff wurde in Cherson eine 3-tägige Ausgangssperre verhängt. Ob's einen direkten Zusammenhang mit dem Angriff gibt oder ob's andere Gründe dafür gibt, ist unklar.

2. Mai 2023 - 22:30

Am Wochenende haben wir Roman gesehen und ihn gefragt, wie es seinen Eltern geht: den Umständen entsprechend gut, viel erzählen sie nicht. Ausser für ihre Pflanzung und die Treibhäuser verlassen sie das Haus nicht. Sie leben glücklicherweise etwas neben den Hauptverkehrswegen, sodass sie kaum mit den russischen Besatzern in Kontakt kommen. Aber auch bei ihnen ist der Lärm der ständigen Beschüsse von Cherson omnipräsent.

1. Mai 2023 - 22:15

Flächendeckende Angriffe in der gesamten Ukraine war Russlands "Geschenk" zum 1. Mai an die Ukraine. In beiden Ländern ist der 1. Mai ein Feiertag. Es ist schon fast normal geworden, dass die Angriffe an solchen symbolhaften Tagen noch einmal intensiviert werden. Grosse militärische Erfolge werden dadurch kaum erzielt - es geht einzig und allein um die Demoralisierung der Bevölkerung. Bisher scheint das gehörig zu misslingen. Der Widerstandswille der Ukrainer scheint mit jedem Angriff auf die Zivilbevölkerung nur noch grösser zu werden.

30. April 2023 - 22:45

Eigentlich hatten wir uns auf einen gemütlichen Sonntagabend mit Schweizer Tatort eingestellt. Bereits gestern erhielt ich immer dringender klingende Nachrichten von unserem Software-Entwickler Artem in Oleshky in der Nähe von Cherson. Er wollte, dass wir so schnell wie möglich testen, ob er alles korrekt umgesetzt hat und dann alles live schalten. So haben wir halt den Abend mit Software Testen verbracht...

Grund für die Hektik von Artem war, dass die Zeitfenster mit Strom und Internet sehr ungewiss sind und es rund um Cherson grundsätzlich in den letzten Tagen wieder sehr unruhig ist. Es war ihm einfach wichtig, dass wir nicht nochmal Tage oder sogar Wochen auf unsere neuen Funktionalitäten warten müssen.

Für uns ist alles gut und erledigt, für ihn ist rund um die Uhr Tatort-Stimmung.

29. April 2023 - 22:30

Interessanter Fall, für den Tanja diese Woche übersetzt hat: Eine Ukrainerin hat bereits vor dem Krieg in Polen gelebt und gearbeitet. Vor einiger Zeit hat sie ihre Arbeit verloren. In der Zwischenzeit war der polnische Arbeitsmarkt regelrecht mit ukrainischen Arbeitskräften geflutet worden, sodass sie keine passende neue Arbeit gefunden hat.

Eine Freundin, die in die Schweiz geflüchtet war und hier in einem Hotel Arbeit gefunden hat, empfahl ihr in die Schweiz zu kommen. Vom Hotel hatte sie die Zusicherung, dass ihre Freundin hier eingestellt würde.

Dann der Schock: die Schweizer Behörde lehnt das Gesuch für den Status S mit der Begründung ab, sie habe bereits eine gültige Aufenthaltsbewilligung in Polen. Als Ukrainerin wurde ihr Status als Flüchtende zwar anerkannt - aber eben nicht mit  Status S, sondern "nur" mit Status F, was soviel bedeutet, dass sie zwar hier bleiben, aber nicht arbeiten darf. Es folgt ein happy end: die Behörden machen eine Ausnahme und erteilen ihr eine Arbeitsbewilligung.

Etwas, was wir hier nicht genug schätzen können: es gibt (fast) immer einen Ermessensspielraum - und in diesem Rahmen entscheiden die Behörden (meist) mit Augenmass und gesundem Menschenverstand.

28. April 2023 - 23:00

Letzte Nacht gab es praktisch in der ganzen Ukraine Bombenalarm. Am schlimmsten traf es Uman, eine Stadt mit rund 80'000 Einwohnern. Offensichtlich wurden vor allem zivile Ziele getroffen, über 20 Menschen starben, darunter auch Kinder.

In Uman haben Sascha, Lena, Yaroslav, Galina und Vika die erste Nacht auf ihrer Flucht verbracht. Wir erinnern uns noch gut, wie sie damals gesagt haben, das sei seit Februar die erste Nacht gewesen, in der sie sich sicher gefühlt haben. Heute hat sich einmal mehr gezeigt: einen sicheren Ort gibt es leider nach wie vor nicht in der Ukraine.

27. April 2023 - 23:15

Eine gute Bekannte von Galina war heute in Galinas Wohnung, um den italienischen Kaffeekocher, den wir vor Jahren mal aus der Schweiz mitgebracht hatten, abzuholen. Alles, was verderblich ist, hat Galina schon längst an Nachbarn verteilt. Der Hausrat blieb bisher jedoch unberührt. Die Bekannte hat Galina aus der Wohnung angerufen und per Video gezeigt, wie es aussieht. Die Blumen leben noch alle und gedeihen wunderbar - die Nachbarn schauen gut zur Wohnung. Schwer vorstellbar, was das mit einem macht, wenn du die Wohnung siehst, in der du 50 Jahre gelebt hast, jetzt aber nicht zurück kannst. Aber immerhin: das Haus steht noch, die Wohnung ist intakt.

26. April 2023 - 23:30

Am 9. Mai findet in Moskau jeweils eine grosse Militärparade zum sogenannten "Tag des Sieges" statt. Man hört, dass die Nervosität in diesem Jahr bereits jetzt, rund zwei Wochen vorher, so gross sei, dass der rote Platz weiträumig abgesperrt wurde. Von "Kiev holen wir in drei Tagen" zu "Moskau ist bedroht von ukrainischen Anschlägen" in einem Jahr...

25. April 2023 - 23:45

Asyl Berner Oberland lud zu einem Erfahrungsaustausch mit ehemaligen Gastfamilien ein. Rund 20 Personen aus dem Raum Thun/Berner Oberland sind der Einladung gefolgt. Erste Ukrainer aus den Gastfamilien sind bereits wieder in die Ukraine zurückgekehrt, andere haben hier Fuss gefasst, Arbeit und Wohnung gefunden. Bei allen Anwesenden besteht nach wie vor ein enger und freundschaftlicher Austausch.

Die Erfahrungen mit der Asylsozialhilfe waren sehr unterschiedlich: es gibt Gastfamilien, die hatten nie Kontakt zu Asyl Berner Oberland, andere haben ähnliche Erfahrungen gemacht wie wir. Der Hauptkritikpunkt war, dass wir als Gastfamilie nicht einbezogen werden und für Asyl Berner Oberland eigentlich keine Rolle spielen. Das ist weit weg von der Realität, aber von der Berner Politik so gewollt: der Kanton hat explizit abgelehnt, den Auftrag von Asyl Berner Oberland auszuweiten für die Zusammenarbeit mit den Gastfamilien. Bitte merken für die nächsten Wahlen... In der Region Frutigen füllt der gemeinnützige Verein HelpNet Frutigland die Lücke. Lokal verankert betreut er mit grossem Engagement Menschen bei der Integration. 

24. April 2023 - 23:15

Traditionsgemäss besucht man in der Ukraine am Sonntag nach Ostern - nach dem orthodoxen Osterfest also gestern - den Friedhof. Im Gegensatz zur Schweiz befinden sich die Friedhöfe in der Ukraine ausserhalb der Dörfer und Städte, oft schlecht erschlossen. Die Stadt Cherson mit rund 300'000 Einwohnern (vor dem Krieg) hat nur gerade zwei Friedhöfe. Entsprechend sind das riesige Areale, die man nicht zu Fuss begeht, sondern mit dem Auto hindurchfährt. Dazu kommt, dass die Menschen fast ausschliesslich erdbestattet werden und die Gräber deshalb deutlich grösser sind als hier. Die Grabstätten sind auch viel pompöser als wir es hier kennen. Bereits vor dem Krieg gab es am Eingang einen eigenen Bereich für Soldaten aus Cherson, die seit 2014 im Donbass gefallen waren. Bei unserem letzten Besuch im Oktober 2021 war dieser Bereich zwar gut sichtbar, aber doch nicht sehr gross. Wir dachten schon damals, dass jedes Grab dort zu viel ist. 

23. April 2023 - 21:30

Auch bei Romans Eltern hat es wieder etwas zuverlässiger Strom als die letzten Wochen. Für sie ist das vor allem für die Bewässerung in den Treibhäusern wichtig. Aktuell regnet es noch genug, sodass das noch nicht kritisch ist. Sobald die heissen Sommermonate beginnen, muss zwingend bewässert werden, wenn etwas gedeihen soll.

22. April 2023 - 22:00

Heute hat sich Artem, der Software-Entwickler, der immer noch in Oleshky in der Nähe von Cherson ist, gemeldet. Nach mehreren Wochen (!) gibt es endlich wieder Strom und fliessendes  Wasser. Er habe sich in die Steinzeit zurückkatapultiert gefühlt und sei extrem glücklich, endlich wieder etwas arbeiten zu können. Wir hoffen für ihn und für alle Menschen, die sich immer noch dort aufhalten, dass es dabei bleibt. Allerdings steigt die Anspannung - niemand weiss so genau, was die nächsten Wochen bringen. Alle rechnen mit einer baldigen "Frühlingsoffensive" der ukrainischen Streitkräfte. Wo und wie intensiv diese ausfallen wird - darüber wird fleissig spekuliert.

21. April 2023 - 21:00

Bei einem Übersetzungsauftrag ist Tanja heute einer Ukrainerin wieder begegnet, die sie vor rund einem Jahr in eine Gastfamilie in Bern vermittelt hatte. Sie erinnert sich gut an den Fall, weil es sich um eine Wohnung an bester Lage handelte und die Gastfamilie sogar noch extra eine Küche einbauen liess. Seit Februar lebt die Familie jetzt in einer eigenen Wohnung, die sie auch dank dem Einsatz der Gastfamilie vermittelt erhielten. Der Kontakt zur Gastfamilie ist immer noch sehr eng, alle Geburts- und Feiertage werden gemeinsam begangen. Schöne Geschichte.

20. April 2023 - 23:00

Ende März wurde in Jekaterinburg ein Korrespondent des Wall Street Journal festgenommen wegen angeblicher Spionage. Seither ist er inhaftiert. Nun ist auch ein Schweizer Journalist der NZZ betroffen: die russische Botschaft droht ihm aufgrund seiner Berichterstattung mit rechtlichen Massnahmen, sollte er in Russland einreisen. Einschüchterungen und Schikanen wie zum Beispiel Landesverweise oder nicht erneuerte Akkreditierungen gibt es schon länger. Dass Journalisten ausserhalb Russlands bedroht werden und riskieren, bei der nächsten Einreise nach Russland gleich am Flughafen verhaftet zu werden, ist eine neue Eskalationsstufe. SRF sah sich zum Beispiel gezwungen, eine für nächste Woche geplante Reise eines Korrespondenten abzusagen.

Stellt das fürs russische Narrativ eine Bedrohung dar, dann ist es ein Beweis für die sensationelle Arbeit ganz vieler Korrespondenten und Journalisten. Viele von ihnen berichteten vor dem Krieg sowohl aus Russland, Weissrussland und der Ukraine. Entsprechend kennen sie die Verhältnisse sehr gut und sind hervorragend vernetzt.

Beeindruckend ist auch die Arbeit vieler ukrainischer Journalisten, die immer noch vor Ort arbeiten. Immer wieder spannend sind zum Beispiel Beiträge von Denis Trubetskoy. Er ist in Sewas­to­pol auf der Krim geboren, lebt heute in Kiev und schreibt für diverse deutschsprachige Medien. Interessant sind auch Artikel, die er vor dem Krieg verfasst hat.

19. April 2023 - 22:00

Schon etwas mehr als drei Monate arbeiten Vika, Roma und Sergej nun als Praktikanten bei MyPAR. Als nächsten Schritt möchten wir ihnen die Möglichkeit bieten, in den Arbeitsalltag von grösseren Unternehmen oder Behörden "hineinzuschnuppern" und so den Schweizer Arbeitsalltag noch besser kennenzulernen. Dafür schicken wir unsere Expertin und Experten auf Stör. Wie das geht, seht ihr in unserem heutigen LinkedIn-Post.

18. April 2023 - 23:00

Heute hat Tanja für ein älteres Ehepaar übersetzt, das erst vor eineinhalb Monaten aus dem noch von Russland besetzten Teil von Cherson geflohen sind. Sie wollten auf keinen Fall weg. Zwei Gründe haben sie dazu gezwungen: ihr Haus wurde bei einem ukrainischen Gegenangriff zerbombt und die Frau erkrankte schwer und musste dringend operiert werden. Im russisch besetzten Gebiet konnte sie sich in keinem einzigen Spital behandeln lassen. Diese nehmen keine Patienten auf, weil sie offenbar vollständig mit russischen Soldaten belegt sind.

Hier konnte die Frau operiert werden. Es bleibt ungewiss, ob sie sich vollständig von den Strapazen und dem Eingriff erholen wird. Ein weiteres tragisches Schicksal wie es sie täglich immer noch zu Hunderten gibt.

17. April 2023 - 22:45

In der orthodoxen Welt ist das Osterfest nun auch zu Ende gegangen. Im Unterschied zu den Weihnachtstagen haben die Kämpfe übers Wochenende kaum nachgelassen. Aus Cherson erreichen uns trotz allem Bilder von erstaunlich gut besuchten Kirchen. Es ist immer wieder erstaunlich, dass es sich die Menschen auch bei latenter Gefahr - gerade bei grösseren Ansammlungen - nicht nehmen lassen, was ihnen wichtig ist trotz allem noch zu machen.

16. April 2023 - 22:00

Das war ein kaltes und regnerisches Wochenende zum Drinnen sitzen... Wir haben uns unter anderem die kürzlich auf Arte TV ausgestrahlte Serie "Wer ist Wladimir Putin?" angeschaut. In drei Teilen beleuchtet die Serie den Umgang der westlichen Regierungen mit Russland in den letzten rund zehn Jahren.

Sie zeigt auf, dass auf dem diplomatischen Parkett vieles versucht, aber auch einiges falsch eingeschätzt wurde. Ein Schlüsselfaktor ist und bleibt die zu lasche Reaktion des Westens auf die Annektion der Krim und die Besetzung des Donbas in den Jahren 2014/2015.

15. April 2023 - 23:00

Die ukrainische Küche verwendet grösstenteils dieselben Zutaten wie wir hier in der Schweiz für unsere Rezepte. Es gibt aber das eine oder andere Produkt, das hier weniger bekannt ist. Eines davon ist Tworog, ein grobkörniger, fester Quark. Unter anderem wird er für das Ostergebäck Paska verwendet. Wie so oft sind die Ukrainer experimentierfreudig und erfinderisch. So kursieren in den sozialen Medien diverse Tipps, wie man aus hiesigen Zutaten ukrainischen Tworog herstellen kann. Am einfachsten ist wohl das folgende: Magerquark in einer Schüssel 90 Minuten bei 90 Grad im Backofen erhitzen, über Nacht im warmen Backofen stehen lassen. Die entstandene Flüssigkeit abschütten - fertig.

Schmeckt auch lecker zum Frühstück mit etwas Sauerrahm und Zucker.

14. April 2023 - 20:15

Exakt heute vor einem Jahr sind Lena und Sascha am Abend hier bei uns eingetroffen. Yaroslav und Galina waren bereits am Tag zuvor aus Budapest nach Basel geflogen. Die Erleichterung, dass alle gesund hier angekommen waren, war riesig! Wie es genau weiter gehen sollte war völlig unklar. Schritt für Schritt hiess es dann: ankommen, sich zurechtfinden, neu orientieren, sich langsam ein wenig zu Hause fühlen...

Es ist unglaublich viel passiert in diesem Jahr.

13. April 2023 - 22:45

Artem, der Software-Entwickler, der sich immer noch in der Nähe von Cherson in besetztem Gebiet aufhält, sollte seit längerem etwas für die MyPAR GmbH erledigen. Aktuell erlaubt es ihm die aktuelle Situation nicht, zu arbeiten: seit fast drei Wochen gibt es keinen Strom und damit natürlich auch kein Internet. Das Handy kann er nur noch sporadisch in einem Laden aufladen. Niemand kann sagen, wann die Infrastruktur auch nur halbwegs wieder funktioniert. Im russischen Narrativ nennt sich das "Befreiung"...

12. April 2023 - 22:15

Heute kursierten in den sozialen Medien einmal mehr zahlreiche Berichte und Videos über schwere Misshandlungen und brutale Tötungen ukrainischer Kriegsgefangener durch russische Soldaten. Unerträglich sind dabei auch relativierende Stimmen ("Kriegsverbrechen gibt es auf beiden Seiten" o.ä.). Sogar in den ukrainischen Medien streitet niemand ab, dass es auch auf ukrainischer Seite schon zu Übergriffen gekommen ist. Es gibt aber objektive Gründe, warum solche Verbrechen auf ukrainischer Seite viel seltener sein dürften: einerseits hat die ukrainische Armee nach Beginn des Konflikts im Donbass und der Annektion der Krim 2014/2015 oft Ausbildungen mit westlichen Armeen absolviert. Dort hat das Kriegsrecht, also wo die roten Linien in einem Krieg verlaufen, einen ganz andern Stellenwert als in Russland. Es scheint so, dass sich die ukrainische Armee weitgehend daran hält während in Russland sogar im staatlichen Fernsehen die Stimmung angeheizt und ganz offen gesagt wird, dass nur eine zerstörte Ukraine eine gute Ukraine sei. Dazu kommt, dass für die Ukraine extrem viel auf dem Spiel steht: sie ist auf die Solidarität und Unterstützung der westlichen Welt angewiesen. Käme es zu solchen Kriegsverbrechen wie sie auf russischer Seite nachweislich verübt wurden und offensichtlich immer noch geschehen, wäre es wohl rasch vorbei mit der Hilfe.

11. April 2023 - 22:45

Wir hören aktuell von zahlreichen Ukrainerinnen und Ukrainern, die während der Frühlingsferien in die Ukraine reisen, um sich - meist zum ersten Mal seit Kriegsausbruch - ein Bild der Situation vor Ort zu machen. Ist die Wohnung noch unversehrt? Was funktioniert noch? Während 15 Tagen dürfen hier in der Schweiz lebende Flüchtlinge mit Status S die Ukraine besuchen. Bleiben sie länger riskieren sie den Entzug des Aufenthaltsstatus.

Die Reise ist mühsam, nach wie vor gibt es keine Flüge in die Ukraine. Die meisten fliegen nach Warschau und von dort mit dem Zug oder Reisecar in die Ukraine. Für "unsere" Ukrainer aus Cherson wäre ein Besuch im Moment noch viel zu gefährlich.

10. April 2023 - 21:30

Tanja hat mit ihrer Jugendfreundin Luda, aktuell in Polen, gesprochen. Vor dem Krieg hatte sie eine leitende Position in der städtischen Steuerverwaltung inne. Nun hat sie die Aufforderung erhalten, dass sie ihre Arbeit wieder aufnehmen könne/müsse. Falls sie nicht zur Arbeit erscheine, drohe ihr die Kündigung. Einerseits sind das natürlich gute Neuigkeiten, weil es zeigt, dass die Verwaltungsstrukturen in Cherson langsam, aber sicher wieder aufgebaut werden. Andererseits entsteht unter den Geflüchteten ein gewisser Druck, zurückzukehren.

Wir waren ziemlich erstaunt über Ludas Aussage, dass sie sich die Rückkehr überlegen würde, wenn es ihrem Vater, der mit nach Polen geflüchtet war, gesundheitlich besser ginge.

9. April 2023 - 21:15

Wir haben schweizerisch-ukrainisch Ostern gefeiert. Vika hat alle überrascht mit ihren selber gebackenen Paska, ein süsses Hefegebäck, das ausschliesslich an Ostern gebacken wird. Oft wird die Paska in die Kirche gebracht und gesegnet. Vika hat (noch) keinen eigenen Food-Blog, drum hier ein Rezept einer Food-Bloggerin mit ukrainischen Wurzeln.

8. April 2023 - 23:00

In der Ukraine findet dieses Jahr Ostern eine Woche später als bei uns statt. Die christlichen Feiertage in der Ukraine richten sich nach dem julianischen Kalender und weichen deshalb von unseren ab. Rund um Weihnachten entstand eine grosse Diskussion, ob man nun am 25. Dezember feiern und sich damit dem Westen annähern oder wie bisher am 7. Januar festhalten soll. Die Lösung war ukrainisch pragmatisch: beide Tage wurden zum Feiertag erklärt... Jetzt an Ostern gab es kaum solche Diskussionen. Ostern wird also auch dieses Jahr nur einmal gefeiert.

7. April 2023 - 21:30

Es ging heute gleich weiter mit einem reich gedeckten ukrainischen Tisch: Lena feierte ihren Geburtstag, zu dem wir eingeladen waren. Während wir hier üblicherweise ein Menu mit Vorspeise, Hauptgang und Dessert zubereiten feiert man in der Ukraine mit vielen verschiedenen Speisen, die wie ein Buffet auf dem Tisch sind und wo sich alle nach ihrem Gusto bedienen. Nicht fehlen darf der Olivier oder französische Salat, den wir hier unter der Bezeichnung "russischer Salat" kennen.

Genau heute vor einem Jahr haben Lena, Sascha, Yaroslav und Galina einen ersten Fluchtversuch gewagt, den sie nach rund 40 km abbrechen mussten, weil ihnen an einem russischen Kontrollposten die Weiterfahrt verweigert wurde. Dass wir heute - ein Jahr später - hier in der Schweiz in gemütlicher Runde Geburtstag feiern würden, war damals, weit, weit weg.

6. April 2023 - 22:45

Gemütliches Zusammensein heute Abend bei Sergejs Eltern in Einigen. Anlass war der 27. Geburtstag von Sergej. Die ukrainischen kulinarischen Köstlichkeiten an solchen Festen sind immer wieder ein Highlight.

Gefehlt haben die beiden Grossmütter von Sergej. Sie sind in der Ukraine geblieben. Die eine konnte anrufen und persönlich gratulieren, zur anderen gibt es im Moment keine Verbindung - seit mehreren Tagen ist der Strom unterbrochen.

Von Romans Eltern hören wir, dass es in der letzten Zeit etwas ruhiger geworden sei. Hoffen wir, dass das so bleibt und sich die schon länger kolportierten Gerüchte, dass sich Russland weiter aus der Gegend um Cherson zurückziehe, endlich bewahrheiten.

5. April 2023 - 22:15

Morgen verschicken wir unseren MyPAR-Oster-Newsletter. Der steht dieses Mal ganz im Zeichen unserer ukrainischen Kollegin und Kollegen. Wir lassen sie darin zu Wort kommen, wie es ihnen nach 6 bis 12 Monaten in der Schweiz geht. Und wir wenden uns an unsere Kunden und Partner mit der Idee, unsere Ukrainer als "Stör-Experten für Barrierefreiheit" für rund eine Woche zu engagieren. Die Idee dahinter ist, ihnen einen Einblick in verschiedene Unternehmen zu bieten und gleichzeitig die Möglichkeit zu haben, die Sprache zu praktizieren. Wir sind gespannt auf die Reaktionen.

4. April 2023 - 23:15

Früher oder später lernen die hier lebenden Ukrainerinnen und Ukrainer ein Wort, das die meisten von uns wohl auch nicht zu ihren Lieblingswörtern zählen: Serafe. Spätestens wenn sie eine eigene Wohnung haben, flattert bald einmal die Rechnung über 335 CHF für die Abgabe für Radio und Fernsehen ins Haus. Vor allem wer weder Fernseher noch Radio hat wundert sich, dass schon ein Handy oder ein Internetanschluss reichen, damit die Abgabe geschuldet ist.

Während Diplomatenhaushalte von der Abgabe befreit sind, sieht das Gesetz eine Befreiung für Personen mit Sozialhilfe nicht vor. Aha...

3. April 2023 - 23:30

Die ersten ukrainischen Flüchtlinge sind nun bereits ein Jahr in der Schweiz. Als es damals hiess, der Status S gelte für ein Jahr, dachten wir, das würde längstens genügen, bis das Schlimmste vorbei wäre. Bald wurde klar, dass das zu optimistisch war. Der Status S wurde mittlerweile um ein Jahr bis Frühling 2024 verlängert. Wir hoffen natürlich sehr, dass dann der Moment gekommen ist, wo man wieder an eine Rückkehr denken kann. Das ist aber alles andere als sicher...

2. April 2023 - 22:30

Heute hat Tanjas Mutter mit einer ehemaligen Nachbarin gesprochen, die nach Kiev geflüchtet ist. Sie berichtet, dass sich das Leben und der Alltag in Kiev weitgehend normalisiert habe. Sie habe aber furchtbares Heimweh nach Cherson. Zum Glück ist sie vernünftig genug, vorerst in Kiev zu bleiben.

In Cherson ist das Leben nach wie vor alles andere als normal: es haben kaum Geschäfte geöffnet, geschweige denn Cafés oder Restaurants. Gemäss einem Bericht, den wir dieses Wochenende gelesen haben, sollen sich nur noch ca. 30% der Bevölkerung von vor dem Krieg in Cherson aufhalten.

1. April 2023 - 23:00

Die Anzahl ukrainischer Flüchtlinge in der Schweiz ist gemäss der Statistik des SEM rückläufig: aktuell haben noch knapp 66'000 Personen einen aktiven Status S, bei etwas mehr als 10'000 Personen wurde der Status S beendet. Die meisten davon dürften in die Ukraine zurückgekehrt sein. Vor allem im Westen der Ukraine ist die Lage einigermassen stabil. Wer Angehörige dort zurücklassen musste, wagt nun vermehrt die Rückkehr.

Im Osten und Süden der Ukraine kann davon leider im Moment noch keine Rede sein.

31. März 2023 - 22:00

Tanjas Mutter Galina ist schon bald stolze SwissPass-Besitzerin. Hintergrund ist das so genannte Begleitabo der SBB. Damit können Reisende mit einer Behinderung eine Begleitperson gratis im Zug mitnehmen. Wir haben das im Hinblick auf die wärmere Jahreszeit "für alle Fälle" beantragt.

Per Zufall kamen wir fast zur selben Zeit mit einem Ukrainer ins Gespräch, der mit Frau und Tochter aus der Nähe von Charkow geflüchtet ist und jetzt ganz in der Nähe von uns wohnt. Sie hatten das Begleitabo bereits letzten Juni beantragt, von der SBB jedoch eine Absage erhalten. Die Begründung war, dass die Asylsozialhilfe für den Transport aufkommen muss. Das ist leider nicht ganz korrekt: einerseits bezahlt die Sozialhilfe nur zwingend benötigte Fahrten (z.B. für Behördengänge oder Arztbesuche). Dazu kommt, dass nur 50% des Billettpreises erstattet wird - wem das zu wenig ist, soll sich ein Halbtax-Abo leisten... In der Zwischenzeit haben die SBB die Praxis angepasst und stellen das Begleitabo auch für Ukrainer mit Status S aus.

Nur dank unserer Zufallsbegegnung hat die Familie davon erfahren und kann jetzt nochmal einen Anlauf nehmen. Ein weiteres kleines Beispiel, wie wichtig diese Alltagsbegegnungen fürs Zurechtkommen hier im Schweizer Alltag sind.

30. März 2023 - 23:30

Morgen ist ein grosser Tag für Sergej: die Schlüsselübergabe für seine Wohnung in Thun! Er freut sich riesig darauf, verlässt sein erstes Schweizer Zuhause bei der Gastfamilie aber auch mit einem weinenden Auge.

29. März 2023 - 22:45

Heute vor einem Jahr waren alle unsere Lieben noch in der Ukraine. Die letzte März-Woche war geprägt von massiven Truppenbewegungen, fast pausenlosem Artilleriefeuer und heftigen Kämpfen in den umliegenden Ortschaften. Vor allem der Flughafen von Cherson und die Durchgangsstrasse Richtung Mykolajiw und Odessa waren stark umkämpft.

In diesen Tagen reifte bei Vielen der Entscheid, Cherson zu verlassen. Sergej flüchtete zu seinen Eltern, die ausserhalb der Stadt wohnten, wo es damals ruhiger war. Sascha, Lena und Yaroslav überlegten sich mögliche Fluchtszenarien. Im Vordergrund stand zuerst, dass Lena und Yaroslav die Stadt verlassen, Sascha - vor allem wegen seiner Mutter Galina - vorerst in Cherson bleibt. Man rechnete immer noch damit, dass sich die Situation in wenigen Wochen, höchstens Monaten, wieder beruhigen würde.

Nun, ein Jahr später, sind wir sehr dankbar, dass sich alle Fluchtentscheide in unserem Umfeld als richtig erwiesen haben. Wir können uns nicht vorstellen, wie es wäre, wenn ein Teil der Familie oder von unseren Freunden und MyPAR-Mitarbeitenden immer noch vor Ort wären.

Der russische Vormarsch weiter Richtung Westen konnte gestoppt werden. Im Vergleich zu vor einem Jahr dürfte es heute wesentlich ruhiger sein. Der Preis, den die Stadt Cherson und vor allem ihre Einwohnerinnen und Einwohner dafür bezahlen mussten, ist allerdings immens.

28. März 2023 - 22:30

Das Ärzte-Ehepaar, von dem wir gestern geschrieben haben, ist gut in Cherson eingetroffen. Die Wohnung haben sie unversehrt angetroffen, die Wiedersehensfreude mit Nachbarn, die dort geblieben waren oder wie sie zurückgekehrt sind, ist gross.

Während in Kiev das Leben wieder pulsiert, Restaurants und Cafés geöffnet haben, steht in Cherson nach wie vor alles still, die Strassen sind leer, die Zerstörung beträchtlich. Wenn man nicht selber in dieser Situation ist, kann man sich nicht vorstellen, was einen dazu bewegt, freiwillig an einen solchen Ort zurückzukehren.

27. März 2023 - 21:45

Die Schwiegereltern unseres Freundes, der mit einer Ukrainerin verheiratet ist, sind aus Kiev wieder nach Cherson zurückgekehrt. Sie sind beide Ärzte und fühlen sich ihren Patientinnen und Patienten, die sie zum Teil schon seit Jahren betreuen, verpflichtet. Schwer zu sagen, ob dieser Entscheid jetzt mutig oder fahrlässig ist. Auch wenn die Gefahr nicht grad unmittelbar ist - schon den Lärm der ständigen Artilleriebeschüsse muss man bereit sein auszuhalten.

26. März 2023 - 22:15

Der Telefonverbindung zu Romans Eltern ist schwierig geworden. Es ist kaum mehr möglich, ein normales Gespräch zu führen, die Verbindung wird ständig unterbrochen. Es reicht wenigstens, um sich zu vergewissern, dass es allen den Umständen entsprechend gut geht. Der Aktionsradius ist noch kleiner geworden, das eigene Grundstück verlassen sie nur noch, wenn's unbedingt sein muss, zum Beispiel zum Einkaufen.

Wie die Peperoni gedeihen werden, die sie in ihren Treibhäusern gepflanzt haben, ist auch ungewiss: die Bewässerung ist elektrisch - Strom gibt es nur sporadisch.

25. März 2023 - 22:30

Diese Woche haben Vika, Roman und Sergej die wichtigen deutschen Wörter "Prokrastinieren" und "Pomodoro-Technik" gelernt. Wie kam es dazu? Im Rahmen ihres Praktikums bei der MyPAR GmbH haben wir ihnen die drei Bücher "Machen", "Reden" und "Zusammenarbeiten" von Mikael Krogerus und Roman Tschäppeler geschenkt mit dem Auftrag, dem Team alle paar Wochen eines der in den Büchern beschriebenen Modelle zu präsentieren und dann gemeinsam darüber zu diskutieren. Vika und Sergej machen das bereits auf deutsch, Roman hatte bisher noch eine Schonfrist, da er ja erst seit Januar den Deutsch-Intensivkurs besucht.

Diese Woche hat uns Vika die Pomodoro-Technik vorgestellt: diese Technik soll helfen, Dinge zu erledigen und sie nicht immer aufzuschieben. Und genau dieses Phänomen, dass man das Anfangen immer aufschiebt, hat einen Namen: Prokrastinieren.

Noch Fragen? Vika ist Expertin :-)

24. März 2023 - 22:15

Diese Woche hat der ukrainische Präsident Zelenskyy die Region Cherson besucht. In einer kleineren Ortschaft hat er mit der Bevölkerung gesprochen und Aufbauhilfe für die zerstörte Infrastruktur versprochen.

Es ist beeindruckend, wie viel bereits heute wieder repariert oder neu aufgebaut wird. Die Ukraine lässt sich nicht unterkriegen! Für den Aufbau ist Hilfe aus dem Ausland unverzichtbar - schon allein die Produktionskapazität für Baumaterialien reicht aufgrund der immensen Zerstörung in der Ukraine nirgendwo hin. Dass wir hier nicht ohnmächtig und tatenlos zuschauen müssen, zeigen zwei spannende Projekte:

23. März 2023 - 22:45

Am 13. März hatten wir darüber geschrieben, dass Sascha seinen ukrainischen Führerschein spätestens nach einem Jahr durch einen schweizerischen ersetzen muss. Heute hat er Post vom Strassenverkehrsamt bekommen: sein Ausweis sei zu alt, er müsse ihn zuerst übersetzen und notariell beglaubigen lassen, um sicher zu sein, dass es sich tatsächlich um einen gültigen Führerschein handelt. Dazu kommt, dass er für den Erhalt der Kategorie C (Lastwagen) zusätzlich zur Kontrollfahrt noch eine Theorieprüfung ablegen muss. Für jemanden, der die letzten 15 Jahre praktisch täglich auf ukrainischen Strassen mit einem Lastwagen unterwegs war, wirkt das doch etwas - sagen wir mal - theoretisch...

22. März 2023 - 23:45

Ukrainischer Abend heute beim Soroptimist Club Thun. Vom Club und von sehr vielen Mitgliedern erfuhren wir grosse Solidarität und Unterstützung. Als kleines Dankeschön haben "unsere" Ukrainer Borschtsch und Vareniky gekocht (Rezepte siehe Julia's Kochbuch) und Tanja hat mit einem "kurzen" (geplant 15 Min., tatsächlich fast eine Stunde) Referat Einblick in unsere Erfahrungen gegeben. Die Ukrainer sind Red und Antwort gestanden - oft sogar schon auf Deutsch!

21. März 2023 - 23:30

Kürzlich hat Tanja für zwei junge Frauen übersetzt. Beide studieren in Bern und fühlen sich wohl. Sie konnten im dritten Studienjahr einsteigen und entscheiden je nach Fortschritt selber, ob sie die Prüfungen machen oder nur als Gaststudentinnen dem Unterricht folgen. Beide sind motiviert, das Studium hier abzuschliessen. Sie finden, hier sei es einfacher zu studieren, man werde besser unterstützt in der Wahl der Fächer und mit praktischen Übungen. Das bestätigt, was wir auch in unserem Umfeld feststellen: für Kinder im Schulalter und für Jugendliche, die bereits eine Ausbildung oder ein angefangenes Studium haben, ist es einfacher, eine Anschlusslösung zu finden als im Übergang zwischen Schule und Berufsleben.

20. März 2023 - 23:45

Kurzer Beitrag von uns heute Abend, dafür eine Empfehlung für eine Geschichtslektion zur Ukraine: Dr. Klaus Gestwa, Professor für Osteuropäische Geschichte von der Universität Tübingen, widerlegt in seinem YouTube-Video "Thesencheck: Diese 8 Behauptungen über den Krieg in der Ukraine sind falsch" 8 populäre Theorien zu Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine. Spannende Hintergründe!

19. März 2023 - 21:30

Gestern waren wir am Geburtstag eines Jugendfreundes eingeladen (deshalb kein Blogbeitrag...). Anstelle von Geschenken hat er für den UBS Ukraine Relief Fund gesammelt - ein Beispiel von immer noch sehr vielen, die zeigen, dass die Solidarität mit der Ukraine anhält. Danke allen für jedes Engagement!

Heute Nachmittag fand die Housewarming Party bei Vika und Roma statt. Ganz viele Gäste, schöne Gespräche in allen Sprachen und natürlich wurden wir grossartig bewirtet. Danke dafür und weiterhin nur das beste in der gemeinsamen WG.

17. März 2023 - 22:45

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat heute einen Haftbefehl gegen Putin und seine Beauftragte für Kinderrechte erhoben. Der Vorwurf lautet, dass Hunderte von Kindern aus ukrainischen Kinderheimen und Waisenhäusern nach Russland verschleppt und dort zur Adoption freigegeben wurden.

Wir haben keine gesicherten Informationen, hören aber praktisch seit Beginn der Invasion Hinweise, die in diese Richtung  zeigen. Wir wissen von älteren Menschen, die sich plötzlich in Russland befanden, zum Beispiel nach einer medizinischen Behandlung. Inwiefern das mit der Zustimmung der Betroffenen erfolgt, bleibt im Dunkeln. Es ist aber relativ einfach, die Leute nicht mehr zurückzulassen, sobald sie sich einmal in Russland befinden. Gegen Sicherheitsvorbehalte, unerschwingliche Rückfahrtickets oder ständige Vertröstungen sind die Betroffenen und ihre Angehörigen praktisch machtlos.

16. März 2023 - 23:30

(Vorläufig) letztes Kapitel mit happy end in der schier endlosen Kommunikation zwischen Roman und Asyl Berner Oberland: auch die zweite Überweisung des UNHCR werden sie ihm nicht als Einkommen anrechnen, wenn er das Geld umgehend an seine Eltern überweist.

15. März 2023 - 23:15

Heute war ich mit Artem, dem Software-Entwickler, mit dem wir bei MyPAR sporadisch zusammenarbeiten, im Kontakt. Die Arbeit als Informatiker steht im Moment ganz im Hintergrund: sein Vater muss sich einer Operation unterziehen. Deshalb sind die Eltern aktuell in Simferopol. Simferopol liegt etwa 250 km entfernt auf der Krim. Cherson wäre nur ca. 25 km entfernt, ist aber aus den besetzten Gebieten nicht erreichbar. Artem schaut jetzt zu den 11 Katzen, 5 Hunden und zahlreichen Hühnern. Das hat im Moment verständlicherweise höhere Priorität als irgendein Webprojekt aus dem Westen.

14. März 2023 - 22:00

Roman hat gute Nachrichten erhalten von Asyl Berner Oberland: der Betrag, den er vom UNHCR als Unterstützung für Menschen in Kriegsgebieten erhalten hat, wird ihm nicht als Einkommen angerechnet. Letztlich haben seine Argumente und der Nachweis, dass er das Geld umgehend seinen Eltern vor Ort überwiesen hat, überzeugt. Was weder Roman noch Asyl Berner Oberland wissen konnten: das UNHCR hat ausgerechnet am selben Tag, an dem Roman den Bescheid erhielt, erneut einen Betrag überwiesen. Es ist nirgends ersichtlich, in welchen Abständen und wie oft die Hilfszahlungen erfolgen. Schön, dass da sehr unbürokratisch geholfen wird. 

13. März 2023 - 22:30

Mit einem ausländischen Führerschein darf man höchstens 1 Jahr in der Schweiz fahren. Danach muss man einen Schweizer Ausweis beantragen. Dafür muss man eine Kontrollfahrt absolvieren. 60 CHF für die Behandlung des Gesuchs, 45 CHF fürs Ausstellen des Führerscheins, 96 bis 264 CHF (je nach Kategorie) für die Kontrollfahrt. Dazu kommt noch ein obligatorischer Sehtest. Gestern haben wir zusammen mit Sascha das Antragsformular ausgefüllt. Er hat Glück: sein Arbeitgeber, die Beosolar GmbH, übernimmt die Kosten.

12. März 2023 - 21:30

Roman versucht seine Eltern zu überreden, doch wenigstens zu seiner Schwester zu ziehen, die etwas weiter weg vom Kampfgeschehen lebt. Bisher ohne Erfolg. Im Gegenteil: Sie haben mit der Aussaat von Peperoni begonnen. Das scheint ihnen im Moment am Sinnvollsten. Ob das eine gute Idee ist, können wir nicht abschliessend beurteilen. Fakt ist aber, dass schon zweimal eine ukrainische Rakete auf ihrem Grundstück eingeschlagen hat. In der Nähe gibt es eine russische Stellung, von wo aus Cherson beschossen wird. Entsprechend steht die Gegend unter ukrainischem Beschuss.

11. März 2023 - 23:00

Wie gelingt Integration? Wann ist jemand integriert? Gibt es eine "Anleitung", wie man jemanden integrieren kann? Fragen, die in den letzten Monaten einen guten Teil unseres Alltags geprägt haben und immer noch prägen. Ein paar Gedanken, wie wir es erleben:

Wir freuen uns sehr und sind auch ein wenig stolz, wenn wir die immer bessere Integration "unserer" Ukrainer sehen.

10. März 2023 - 21:15

Fast vom ersten Kriegstag an trat das so genannte "trockene Gesetz" in Kraft. Das bedeutet, dass der Verkauf von Alkohol in der Ukraine sehr stark eingeschränkt und je nach Gegend sogar ganz verboten wurde. Vor allem in den umkämpften oder bedrohten Gebieten sollen die Leute aufmerksam und jederzeit handlungsfähig bleiben. Zudem ist die Verlockung gross, sich das Leben in der aktuellen Stresssituation einfach mal schönzutrinken. Das soll im Keim erstickt werden.

Nun regt sich aber Widerstand gegen das Gesetz: offenbar hat das Verbot viele zwielichtige Anbieter auf den Plan gerufen, die äusserst mangelhafte Ware auf den Markt bringen. Und wenn das Angebot da ist, da gönnt man sich halt auch mal etwas - mit unter Umständen fatalen gesundheitlichen Folgen. Skrupellosigkeit auch neben dem Schlachtfeld.

9. März 2023 - 22:30

Sergej hat die Zusage für eine eigene Wohnung in Thun erhalten! Sie befindet sich ganz in der Nähe der Buslinie, die zu seinen Eltern Richtung Einigen führt. Ein absoluter Glücksfall! Wir gönnen es ihm von ganzem Herzen.

8. März 2023 - 21:15

Romans Mutter feiert am heutigen internationalen Frauentag Geburtstag. Sie feiern so gut es geht mit Freunden und Nachbarn. Ein reich gedeckter Tisch darf trotz allem natürlich nicht fehlen.

Der 8. März ist in der Ukraine ein Feiertag. Ganz traditionell werden die Frauen mit Blumen beschenkt. Diese Tradition haben die Ukrainer mit in die Schweiz gebracht. Heute dürften also auch hier Viele überrascht worden sein.

7. März 2023 - 22:45

Rund 70 km östlich von Cherson befindet sich ein Weingut, das wir regelmässig besucht haben. Sehr engagiert haben sie dort Führungen und Weindegustationen veranstaltet. In unseren Skiferien vorige Woche haben wir die letzte Flasche getrunken, die uns von dort noch geblieben ist.

Lange war die Website des Weinguts noch genauso wie wenn nichts geschehen wäre, mittlerweile ist sie nicht mehr erreichbar. Wir haben nun einen Zeitungsartikel mit Bildern und einem kurzen Bericht gefunden, der beschreibt wie es um das Weingut steht: nur wenige Stunden nach Beginn der russischen Invasion wurde das Weingut besetzt. Erst im Dezember kam das Dorf inkl. des Weinguts wieder unter ukrainische Kontrolle. Die Schäden seien beträchtlich, die über mehrere Generationen zusammengetragene Weinsammlung wurde von den Russen geplündert. Wie viele der rund 50'000 in den Kellern gelagerten Flaschen noch dort sind, ist unklar.

Nach den beiden Weltkriegen im letzten Jahrhundert ist das bereits der dritte Krieg, den das Weingut durchlebt.

Andrey Strelets, der Geschäftsführer des Weinguts, denkt bereits an den Wiederaufbau und träumt von einer grossen Party mit vielen Gästen aus nah und fern. Wir träumen mit und sind gerne dabei!

6. März 2023 - 22:30

Tanja hat nach wie vor mehrere Übersetzungseinsätze pro Woche, meistens für ukrainische Flüchtlinge im Zusammenhang mit Sozialdienst, Gesundheit oder Schule. Die Highlights sind die Elterngespräche in Kindergärten oder Schulen: praktisch ausnahmslos integrieren sich die Kinder problemlos in die Klassen, kommen im Unterricht gut mit und schätzen das Schweizer Schulsystem.

Kürzlich hat der Bund entschieden, dass Jugendliche, die hier eine Lehre beginnen, diese auch abschliessen können. Ihre Aufenthaltsbewilligung wird unabhängig von der Entwicklung in der Ukraine bis zum Lehrabschluss verlängert. Das gibt nicht nur den Jugendlichen Sicherheit, sondern auch den Lehrbetrieben. Und es muss deshalb niemand um "seine" Lehrstelle bangen: aktuell sind allein im Kanton Bern noch weit über 1'000 Lehrstellen mit Lehrbeginn August 2023 unbesetzt (Quelle: Lehrstellennachweis Kanton Bern).

5. März 2023 - 22:00

Es lässt sich nicht wegdiskutieren: für fast alle Flüchtlinge aus der Ukraine bleibt die Sprache eine grosse Herausforderung. Deutsch (und erst recht schweizerdeutsch) lernt man nicht einfach so rasch in ein paar Wochen. Alle, die wir kennen, stellen sich der Herausforderung auf ihre Art und wir sind immer wieder begeistert über die Fortschritte. Und dann gibt es auch immer wieder die sprachlichen Missverständnisse, über die man dann herzhaft lachen kann. So wie kürzlich der vermeintliche Honig aus Taiwan: Galina hat zu ihrem Geburtstag ein schön verpacktes Glas Honig mit einem Schmetterling-Kleber erhalten. In einem völlig andern Zusammenhang versuchten ihr meine Eltern, bei denen Galina immer noch wohnt, zu erklären, dass es in Taiwan sehr viele Schmetterlingsarten gibt. Und hat dafür den Kleber auf dem Honigglas zu Hilfe genommen. Und so stammte der Honig plötzlich nicht mehr aus dem Teuffental, sondern aus Taiwan.

4. März 2023 - 22:45

Im Süden der Ukraine werden die Temperaturen in der Regel im März schon ganz schön frühlingshaft. Entsprechend bereiten sich die Leute auf die "Pflanzblätz"-Saison vor. Viele Städter haben ausserhalb der Stadt eine Datscha mit Obstbäumen und Gemüsegarten. In den Dörfern gehören zu praktisch allen Häusern grössere Grundstücke, die für den Eigenbedarf bepflanzt werden.

Für Familien wie Romans Eltern, die einen kleinen Landwirtschaftsbetrieb führen, stellt sich die schwierige Frage, was man dieses Jahr pflanzen soll: letztes Jahr musste ein grosser Teil der Ernte vernichtet werden, da die Transportlogistik komplett zusammengebrochen war - es gab schlicht keine Verbindung mehr zwischen Produzenten und Abnehmern. Eine Prognose, wie es dieses Jahr sein wird, ist fast unmöglich. Gleichzeitig muss man ja von etwas leben können. Dazu kommt, dass sich die Leute danach sehnen, endlich wieder eine sinnvolle Beschäftigung zu haben, nachdem sie den Winter fast ausschliesslich in ihren Häusern verbracht haben.

3. März 2023 - 22:30

Fragen wir Leute, die noch in Cherson sind, wie es ihnen geht, hören wir oft: "Alles gut". Dass überhaupt nicht alles gut ist merkt man oft erst viel später, wenn sie irgendeine Episode aus ihrem Alltag erzählen. So war es kürzlich mit Tanjas Jugendfreundin Natascha. Zusammen mit ihrem Mann hat sie sich auf ihre Datscha zurückgezogen, die am Ostufer des Dnjeprs, also in noch russisch besetztem Gebiet liegt.

Auf der Rückfahrt von einem Einkauf im Nachbardorf wurden sie an einem neu erstellten Checkpoint angehalten und aufgefordert, das Auto zu verlassen und zu Fuss weiter zu gehen. Nichts hat geholfen - sie mussten das Auto zurücklassen. Immerhin konnten sie es bei einem Bekannten einstellen. Erst nach einigen Wochen wurde der Checkpoint aufgehoben und sie konnten das Auto wieder zu sich nehmen.

Das bedeutet "Alles gut" im Kriegsgebiet.

2. März 2023 - 22:00

Vika und Roman, unsere zwei MyPAR-Mitarbeitenden, die nun schon einen Monat in der gemeinsamen WG leben, haben die Abrechnungen von Asyl Berner Oberland erhalten. Gleiche Wohnung, gleicher Job, gleicher Deutschkurs - unterschiedliche Berechnungsergebnisse. Und das, obwohl beide vom gleichen Integrationsbeauftragten betreut werden. Da soll noch jemand drauskommen... Schweizer Präzision oder was?

1. März 2023 - 22:00

Heute haben wir wieder einmal ein paar Minuten russisches Staatsfernsehen geschaut: grenzenlos widerlich. Da wird verhandelt, in welchen europäischen Parlamenten mehr betrunkene Abgeordnete sitzen (das Thema bringt ein russischer Parlamentarier, der bekannt dafür ist, mal ein Glas über den Durst zu trinken) oder welche (nicht nur ukrainischen) Städte als nächstes dem Erdboden gleich gemacht werden sollen. Einig sind sich alle, dass die ukrainische Flagge ein Nazi-Symbol sei und deshalb nicht sichtbar sein darf.

Leider gibt es nach wie vor nur kleine Lichtblicke aus Russland. Ein Beispiel: Russische Studierende haben heute an der Universität der Völkerfreundschaft in Moskau einen Stand mit einer ukrainischen Flagge aufgestellt.

28. Februar 2023 - 23:00

In den besetzten Gebieten östlich von Cherson ist die Situation - aus unserer Perspektive - immer noch unerträglich. Es gibt kaum Strom, fast ohne Unterbruch fliegen einem Raketen über die Köpfe, die in Richtung der Stadt abgefeuert werden. Für die Menschen vor Ort ist das bereits zu ihrer neuen Normalität geworden. Es gebe ja auch positive Anzeichen. So hätten beispielsweise russische Soldaten in Romans Heimatdorf ein Haus wieder verlassen, welches sie für einige Wochen als Unterkunft benutzt hatten. Alles sei ordentlich zurückgelassen worden. Und es gäbe auch andernorts Hinweise, dass sich die Russen zurückzögen - es sei ähnlich wie vor ein paar Monaten kurz vor der Befreiung von Cherson.

27. Februar 2023 - 23:30

Drei Tage nach Kriegsausbruch feierte Tanjas Mutter Galina ihren 85. Geburtstag. Damals standen alle noch unter Schock und konnten die Ereignisse weder verstehen noch einordnen. Dass sie ihren 86. Geburtstag in der Schweiz verbringen würde, hätte niemand gedacht.

Heute feierte sie den Geburtstag im Kreis der ganzen Familie - das hat es in den letzten dreissig Jahren noch nie gegeben. Tagsüber gab's vielen lieben Besuch und zahlreiche Anrufe aus der halben Welt.

26. Februar 2023 - 21:00

Am letzten Freitag publizierte die Republik einen eindrücklichen Artikel mit Nachrufen auf ein paar wenige Kriegsopfer. Die Beispiele im Artikel zeigen, dass oft ein paar Zentimeter oder wenige Minuten den Unterschied machen zwischen Leben und Tod. Auch nach einem Jahr ist zum Glück niemand aus unserem unmittelbaren Umfeld gefallen. Dafür sind wir natürlich extrem dankbar.

Der Artikel hinterlässt ein beklemmendes Gefühl und stellt am Ende die Frage, was wir tun können. Die Antwort der Republik spricht uns aus dem Herzen: 

"Nun, wahrscheinlich wäre das Respekt­vollste: das Kriegsmaterial­gesetz für Munitions­lieferungen an die Ukraine zu lockern, die russischen Oligarchen­konten zu enteignen und die geflüchteten Ukrainer nicht dazu zu zwingen, ihr Auto zu verkaufen.

Es gibt Politiker, die für, und solche, die gegen diese Massnahmen sind. Diesen Herbst wird in der Schweiz gewählt."

25. Februar 2023 - 22:30

Die zum Jahrestag des Kriegsbeginns befürchtete russische Grossoffensive ist zum Glück bisher ausgeblieben. Besonders im Osten sind aber nach wie vor intensive Kampfhandlungen mit grossen Verlusten auf beiden Seiten im Gang. Auch der Beschuss von Cherson geht unvermindert weiter. Fast täglich gibt es hier Opfer, oft unter der Zivilbevölkerung. Vor ein paar Tagen wurde eine Bushaltestelle getroffen, die wir oft zum Umsteigen benutzt haben. Der Ort war immer sehr belebt, weil sich hier verschiedene Buslinien kreuzten. Rund um die Haltestelle gab es viele Kioske und kleine Geschäfte. Kennt man die Orte aus eigenem Erleben, dann ist die Betroffenheit umso grösser.

24. Februar 2023 - 23:45

Genau wie jetzt waren wir heute vor einem Jahr in den Skiferien. Wir haben zwar die aktuelle Berichterstattung verfolgt, darunter auch die Rede Putins am 21. Februar, in der er sein Weltbild und Geschichtsverständnis darlegte. Noch am Dienstag hatten wir uns über unseren Freund gewundert, der aus der Schweiz in die Ukraine ausgewandert war und nun Hals über Kopf für sich und seine Familie für Mittwoch einen Flug in die Schweiz gebucht hatte. Dass er genau das richtige getan hatte, wurde uns erst am Donnerstag bewusst.

Uns scheint, dass wir in den letzten zwölf Monaten mehr erlebt haben als sonst in fünf oder zehn Jahren. Zuerst die Unsicherheit und Angst, ob all unsere Verwandten, Freunde und Bekannte in der Ukraine unversehrt sind. Danach die Planung und Begleitung der Flucht, das Ankommen hier in der Schweiz, die Unterstützung bei der Integration,...

Ob das zweite Kriegsjahr der Ukraine den Sieg und Frieden bringt ist ungewiss - wir hoffen es natürlich und wünschen es allen Ukrainern.

23. Februar 2023 - 23:00

Genau heute vor einem Jahr haben praktisch alle Ukrainer den letzten Tag ihres bis dahin gewohnten Alltags verbracht. Kaum jemand hat zu diesem Zeitpunkt geahnt, dass sich ihr Leben in den nächsten 24 Stunden derart einschneidend verändern wird.

17. Februar 2023 - 23:45

Noch vor einem Jahr wäre Sascha auch in seinen kühnsten Vorstellungen nie darauf gekommen, dass er an seinem 50. Geburtstag in der Schweiz sein würde - geschweige denn hier leben und arbeiten. Wir haben einen gemütlichen Abend im kleinen Kreis verbracht. Zum Dessert gab's eine der schon beinahe legendären Torten von Vika.

In eigener Sache: Wir haben Ferien. Die Blogbeiträge sind je nach Pistenverhältnissen nächste Woche eventuell etwas ausgedünnt.

16. Februar 2023 - 23:15

Nächste Episode mit Asyl Berner Oberland: am 20. Dezember hatten wir hier geschrieben, dass Roman auf sein ukrainisches Bankkonto überraschend Geld aus dem "Multi-purpose cash assistance programme" des UNHCR erhalten hat. Den Betrag hat er postwendend seinen Eltern überwiesen. Nun betrachtet Asyl Berner Oberland diesen Betrag als Einkommen und zieht ihn Roman vom Grundbedarf ab! Er hatte damals auf dem Antragsformular sein Bankkonto angegeben, weil er selber noch bei den Eltern lebte und sie schon vor dem Krieg in administrativen Belangen unterstützte.

Wohlgemerkt: es geht nicht um Tausende von Franken, sondern um einen sehr überschaubaren Betrag. Einmal mehr finden wir es kleinlich und schikanös, ja sogar nahe am Skandal, wenn Gelder des UNHCR anstatt den Leuten im Kriegsgebiet zugute kommen indirekt in die Schweizer Asylsozialhilfe zurückfliessen.

15. Februar 2023 - 23:00

In der Ukraine wird viel getan, um die Energieversorgung sicherzustellen. Dazu gehören auch Aktionen wie der Austausch alter Glühbirnen: alle Ukrainer können an den Schaltern der ukrainischen Post bis zu 5 alte Glühbirnen gegen moderne Leuchtkörper tauschen. Diese brauchen deutlich weniger Strom. Innerhalb von zwei Wochen seien bereits rund 5 Mio. Glühbirnen zurückgebracht worden. In den nächsten Wochen ist geplant, dass der Austausch in abgelegenen Gebieten einher geht mit der Verteilung der Post. Pragmatisch, kreativ - Ukraine halt.

14. Februar 2023 - 22:45

Hierzulande feiern wir am 14. Februar den Valentinstag. In der Ukraine kennt man diesen Tag kaum. Erst in den letzten Jahren schwappte er aus dem Westen langsam ins Bewusstsein der Ukrainerinnen und vielleicht sogar einiger Ukrainer über. Ein sehr hoher Stellenwert hat in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion hingegen der Internationale Frauentag am 8. März, den wir hier eher weniger begehen.

13. Februar 2023 - 23:00

Die Integration der ukrainischen Kinder ins Schweizer Schulsystem funktioniert grundsätzlich recht gut. Man merkt, dass die Lehrkräfte in der Schweiz sehr viel Erfahrung haben mit Kindern mit Migrationshintergrund. Bei älteren Kindern stellt sich ab und zu die Frage, ob sie parallel nicht auch noch dem ukrainischen Online-Unterricht folgen sollten. Zeitlich geht das über kurz oder lang natürlich nicht auf. Wir hörten von Fällen, wo die Mütter dann die ukrainischen Hausaufgaben gelöst haben, damit die Kinder nicht vom Unterricht ausgeschlossen wurden... 

Am einfachsten haben es die Kleinsten: ihnen gefällt das Schweizer System viel besser - man darf hier im Kindergarten und in den unteren Klassen viel mehr spielen als in der Ukraine.

12. Februar 2023 - 21:45

Galina hat heute mit einer ehemaligen Nachbarin gesprochen, mit der wir gut befreundet sind. Ihr Mann ist seit vielen Jahren gelähmt, was natürlich ihre Möglichkeiten wegzukommen, stark einschränkte. Erst nach der Befreiung von Cherson und der danach immer stärkeren Bombardierung der Stadt sind sie in die Region von Odessa geflohen. Ihre Tochter lebt schon länger in Amerika und möchte, dass die Eltern zu ihr ziehen. Der Sohn fährt zur See und kehrt seit Beginn des Krieges nicht mehr in die Ukraine zurück aus Angst, in die Armee eingezogen zu werden. Er lebt zwischen seinen Einsätzen in Polen. Auch er bietet den Eltern an, bei ihm zu leben. Bisher konnten sie sich jedoch zu keiner der beiden Optionen durchringen. Sie haben die Hoffnung nicht aufgegeben, im Sommer wieder nach Cherson zurückkehren zu können. 

11. Februar 2023 - 23:15

Seit Anfang Jahr wird seitens der Schweizer Behörden der Druck auf ukrainische Flüchtlinge, die mit dem Auto eingereist sind, erhöht. Übersteigt der geschätzte Wert des Wagens einen bestimmten Betrag, müssen sie das Auto verkaufen. Der Erlös wird ihnen von der Asylsozialhilfe abgezogen. Bei neuen und sehr teuren Modellen mag dieser Schritt gerechtfertigt sein - da dürften in vielen Fällen auch weitere Vermögenswerte vorhanden sein.

In allen anderen Fällen scheint uns diese Massnahme eher kontraproduktiv: man reduziert die Mobilität der Menschen während sie hier sind, was sich negativ auf Wohnsituation und Chancen auf Arbeit auswirken kann. Und man entzieht ihnen die einfachste und naheliegendste Möglichkeit, später wieder zurückzukehren. Diese Nachteile stehen aus unserer Sicht in keinem Verhältnis zum Erlös, der bei den meisten Verkäufen herausschauen dürfte.

Dazu kommt der emotionale Aspekt: wir haben von einigen gehört, denen ausser dem Fahrzeug nichts mehr geblieben ist. Wohnung, Geschäft, kurz alles, was sie in den letzten 10-20 Jahren an materiellen Werten aufgebaut hatten, liegt in Schutt und Asche oder es ist zumindest völlig ungewiss, in welchem Zustand sie es je wieder antreffen werden.

Die Praxis der Behörden wirkt auf uns kleinlich und knausrig.

10. Februar 2023 - 23:00

Gemäss den veröffentlichten Zahlen des Staatssekretariats für Migration SEM haben seit Anfang Jahr knapp 3'000 ukrainische Flüchtlinge in der Schweiz den Status S beantragt (und grösstenteils erhalten). Im gleichen Zeitraum wurde bei fast 1'700 Personen der Status S beendet, weil sie in die Ukraine zurückgekehrt sind oder sich in einem andern Land niedergelassen haben. Es kommen also immer noch mehr Menschen hierhin als zurückkehren können. Das sagt einiges aus über die aktuelle Lage in der Ukraine.

9. Februar 2023 - 23:00

Heute haben die Eltern von Sergej den Mietvertrag für eine kleine Wohnung in Einigen unterzeichnet! Dank der riesigen Unterstützung ihrer Gastfamilie hat alles sehr rasch geklappt. Genau genommen: fast alles. Die definitive Zustimmung seitens Asyl Berner Oberland steht immer noch aus. Das Risiko, dass die Wohnung plötzlich jemand anderem vergeben wird, scheint uns höher als die Gefahr, dass das behördliche OK ausbleibt. Wir freuen uns mit den beiden über den gelungenen nächsten Schritt.

8. Februar 2023 - 22:00

Nach einem Unterbruch von mehreren Wochen hatten wir heute endlich wieder einmal Kontakt zu Artem, einem Softwareentwickler, der in der Nähe von Cherson lebt und ab und zu für MyPAR etwas entwickelt. Die Zusammenarbeit ist sehr schwierig geworden. Oft gibt es keine stabile Internetverbindung. Dazu kommt, dass die Menschen vor Ort wohl oft einfach auch ganz andere Sorgen haben als irgendein kleines Stück Software für eine Schweizer Firma zu entwickeln. Gleichzeitig sind sie dankbar, wenigstens zwischendurch etwas Ablenkung zu haben.

7. Februar 2023 - 23:00

Die Zusammenarbeit mit Asyl Berner Oberland, der Organisation, die im Auftrag der umliegenden Gemeinden die Flüchtlinge (nicht nur aus der Ukraine) betreut, bleibt harzig. So warten wir zum Beispiel seit rund zwei Wochen auf eine Kostengutsprache für einen Zahnarztbesuch von Galina. Sergejs Eltern haben die Zusage für eine Wohnung - seitens Asyl Berner Oberland fehlt das OK. Und von Roman werden ständig neue Dokumente verlangt - Kontoauszüge seiner ukrainischen Bankverbindungen, Arbeitsrapporte usw. Man will ja nichts unterstellen - aber oft wirkt das Ganze schon etwas schikanös.

6. Februar 2023 - 22:00

Sascha hat heute mit einem guten Kollegen gesprochen. Sein Haus, am Rand der Stadt Cherson, wurde arg in Mitleidenschaft gezogen. Auf die Frage, was ihn noch dort halte, antwortete er, dass viele, die bereits geflüchtet sind, ihm seine Hunde und Katzen anvertraut hätten. Die könne er doch nicht einfach zurück lassen. In der Tat haben wir schon mehrmals gehört, dass Leute fast nicht mehr weg können, weil sie zu Hausrat oder Tieren von früher Geflüchteten schauen.

5. Februar 2023 - 21:30

Übers Wochenende hatten wir Kontakt mit zwei Jugendfreundinnen von Tanja. Die eine, Natascha, sitzt seit längerem auf der Datscha ausserhalb der Stadt Cherson fest. Die Datscha befindet sich in den noch besetzten Gebieten, ein Zurück in die Stadt geht im Moment nicht. Zusammen mit ihrem Mann überlegen sie sich nun auch immer konkreter, die Region - und in dem Fall wohl auch das Land - zu verlassen. Immer noch fliehen mit jedem erneuten Angriff viele Menschen aus den Kriegsgebieten.

4. Februar 2023 - 01:00

Nach langer Zeit haben wir heute wieder mal einen Abend im kleinen Kreis mit Freunden verbracht - und es ist richtig spät geworden. In den letzten zwölf Monaten hatten solche Treffen Seltenheitscharakter, meist hat die Energie gefehlt, um irgendetwas zu organisieren.

Es gibt zwar immer noch vieles zu tun, oft auch unverhofft. Aber alles in allem ist der Alltag doch wieder etwas planbarer geworden.

3. Februar 2023 - 22:45

Mit dem MyPAR-Team haben wir heute einen gemütlichen Abend verbracht. Wir ziehen ein positives Fazit des ersten Praktikumsmonats und freuen uns immer wieder, gemeinsam etwas zu unternehmen.

2. Februar 2023 - 23:15

Sergejs Eltern haben dank der riesigen Unterstützung ihrer Gastfamilie eine kleine Wohnung in Einigen gefunden, die ab sofort verfügbar ist! Dass es so schnell geklappt hat hätten wir nicht gedacht und mögen es ihnen extrem gönnen.

1. Februar 2023 - 22:30

Heute hat ein langjähriger MyPAR-Kunde eine kleine Anpassung an einem Dokument gemeldet, welches wir vor einiger Zeit barrierefrei aufbereitet hatten. Wir sassen zu viert im Büro und konnten die Änderung dank der kurzen Wege innert einer halben Stunde erledigen und dem Kunden zustellen. Wir haben uns alle darüber gefreut, die Anfrage so rasch "über den Tisch" lösen zu können. Früher wäre das per Chat gelaufen, möglicherweise mit Rückfragen, aufgrund der Zeitverschiebung im dümmsten Fall sogar erst am nächsten Tag.

Anstrengender ist für unsere ukrainischen Mitarbeitenden, dass wir sie öfters mit deutschen Meetings und Korrespondenzen "quälen"...

31. Januar 2023 - 23:15

Schräg gegenüber von Galinas Wohnblock befindet sich eine Fahrschule. Diese gibt es bereits, seit ich vor rund 30 Jahren das erste Mal in Cherson war. Als wir uns kennenlernten, wollte Tanja keine Fahrstunden nehmen - wozu auch? Sie werde eh nie Auto fahren... Wir schlossen den Deal, dass sie spontan in der Fahrschule vorbei geht. Nehmen sie sie auf, dann zieht sie's durch bis zur Prüfung. Wenn nicht, dann nicht... Tanja war felsenfest überzeugt, dass es wochenlange Wartelisten gibt - so wie es für Vieles üblich war in den 90er Jahren. Sie kam dann lange nicht zurück - weil sie sofort starten konnte. Bereut hat sie es meines Wissens bisher nicht...

Seit heute ist die Fahrschule nach einem Bombeneinschlag schwer beschädigt. Die umliegenden Gebäude - inkl. dem Elternhaus von Tanja - wurden ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen. Von herumfliegenden Splittern und der Druckwelle gehen ringsherum Fenster in Brüche und Balkone werden beschädigt.

Schon während der Besatzung hat sich die Bevölkerung von Cherson um rund zwei Drittel reduziert. Immer noch verlassen viele Leute die Stadt. Innerhalb der Wohnblöcke ziehen die Leute von den oberen Etagen weiter nach unten in frei werdende Wohnungen, weil es dort sicherer ist. Das geschieht in aller Regel in Abstimmung mit den vorherigen Bewohnern. Es ist in jedem Fall besser, wenn die Wohnung bewohnt ist als wenn sie leer steht. So ist beiden Seiten geholfen.

30. Januar 2023 - 22:45

Ein weiterer grosser Schritt für Sascha: er hatte zwar von Anfang an einen unbefristeten Arbeitsvertrag für ein 100% Pensum, war bisher aber im Stundenlohn angestellt. Im Dezember hat sich das aufgrund der Feiertage in der Lohntasche äusserst negativ bemerkbar gemacht... Auch in den Monaten zuvor gab es immer leichte Schwankungen zum Beispiel aufgrund der Wetterverhältnisse. Das verunsichert und erschwert die Budgetplanung. Per 1. Februar konnte er nun bei derselben Firma (Beosolar) einen Vertrag mit fixem Monatssalär unterzeichnen! Das gibt sofort mehr Planungssicherheit und schützt viel besser bei krankheitsbedingten Ausfällen.

Gemäss den Statistiken des SEM haben bisher rund 15% der ukrainischen Flüchtlinge im erwerbsfähigen Alter eine Stelle gefunden, viele davon "nur" Teilzeit.

Wir freuen uns mit Sascha, dass er zu diesen 15% gehört und darüber hinaus noch in einem Job, der ihm gefällt und wo er als Teil des Teams geschätzt wird.

29. Januar 2023 - 22:45

Am Freitag klingelte es spontan an unserer Tür und gute Bekannte brachten Pfannen vorbei, am Samstag konnten wir einen Schrank zerlegen in einer Wohnung, die geräumt wird und aus der wir schon viel übernehmen durften und heute haben wir vier Taschen mit Kleidern erhalten.

Die riesige Unterstützung und Solidarität reisst nicht ab. Das stimmt uns und ganz besonders "unsere" Ukrainer sehr glücklich und dankbar.

28. Januar 2023 - 19:45

Von einer früheren Nachbarin von Galina haben wir gehört, dass in ihrem Stadtteil humanitäre Hilfe verteilt wurde. Nach wie vor ist die Lage in Cherson prekär und jede Hilfe willkommen. Damit ist allerdings auch ein gewisses Risiko verbunden: es sammeln sich grössere Menschenmengen an, die plötzlich zu Zielen russischer Angriffe werden können.

Sehr viel erfahren wir von den Leuten vor Ort nicht mehr. Wenn man sie fragt, wie es ihnen geht, ist die häufigste Antwort "Vsjo normalno" - alles gut. Dass nichts gut ist kann man höchstens zwischen den Zeilen erraten.

27. Januar 2023 - 22:30

Abmelden in Heimberg ist gratis, Anmelden in Steffisburg kostet 25 CHF hat Roma heute erfahren. Schweizer Föderalismus... Einige Gemeinden erlassen ukrainischen Flüchtlingen die Gebühren, andere nicht. Jetzt ist alles geregelt, dem Umzug steht nichts mehr im Weg.

26. Januar 2023 - 22:00

Nach beinahe vier Monaten hat sich Roman heute in der Gemeinde Heimberg abgemeldet. Morgen folgt die Anmeldung in Steffisburg. Ab nächster Woche ändert sich der Alltag für ihn: einerseits mit der eigenen Wohnung, andererseits beginnt der Deutsch-Intensivkurs in Bern.

Bereits etwas verändert hat sich die Arbeit: wir bemühen uns, während der Arbeit mehr deutsch zu sprechen und nehmen uns auch Zeit, unsere Arbeitsweise und unsere "Mödeli" zu vermitteln. Im wesentlichen funktioniert das natürlich in der Schweiz und in der Ukraine ähnlich, aber in den Details gibt's schon Unterschiede. So ist zum Beispiel die flexible Arbeitszeit, wie wir sie in vielen Berufen kennen, für sie eher neu. In der Ukraine arbeitet man eher nach dem "9 bis 5 Modell".

25. Januar 2023 - 23:45

Auf höchster politischer Ebene in der Ukraine machen diverse Korruptionsskandale Schlagzeilen. Schon in den Jahren vor dem Krieg war die Korruptionsbekämpfung verstärkt worden. Obwohl Fortschritte erkennbar sind, steht die Ukraine nach wie vor weit hinten in der Rangliste von Transparency International.

Wir spüren im Moment die Korruptionsbekämpfung ganz direkt: es sind kaum mehr Geldüberweisungen möglich. Seit ca. Oktober werden die Geldflüsse aus der Schweiz in die Ukraine viel genauer überprüft. Mehrfach wurden Beträge abgewiesen, obwohl wir immer dieselben Bankverbindungen verwenden. Natürlich ist es zu begrüssen, dass genau hingeschaut wird. Mühsam ist es manchmal trotzdem...

24. Januar 2023 - 22:45

Im Vergleich mit vielen andern Kantonen schneidet der Kanton Bern bezüglich Sprachkursen richtig gut ab: auch in diesem Jahr stehen viele subventionierte Kurse für Flüchtlinge zur Verfügung. Während im letzten Jahr vor allem zusätzliche Kurse für ukrainische Flüchtlinge angeboten wurden, sind es nun reguläre Kurse für Fremdsprachige. Das führt zu einer grösseren Vielfalt in den Klassen und weniger Möglichkeiten, sich mit Gleichsprechenden zu unterhalten. Automatisch wird dann mehr deutsch gesprochen.

Für alle haben wir passende Angebote gefunden. Sascha und Lena besuchen zwei Mal pro Woche einen Abendkurs in Thun. Vika, Sergej und Roman Intensivkurse in Bern.

Sprachkenntnisse sind das A und O, um sich hier zu integrieren und auf dem Arbeitsmarkt überhaupt eine Chance zu haben. Warum sich andere Kantone schwer tun damit können wir nicht nachvollziehen.

23. Januar 2023 - 23:00

Gestern stand Oleshky, eine Kleinstadt am östlichen Ufer des Dnjeprs stark unter Beschuss durch die Ukraine. Ein Software-Entwickler, mit dem wir ab und zu zusammenarbeiten, kommt von dort. Über einen Freund haben wir erfahren, dass er beim Einkaufen war, als ganz in der Nähe eine Granate einschlug. Er blieb glücklicherweise unverletzt.

22. Januar 2023 - 22:00

Heute haben wir von verschiedenen Leuten gehört, dass es in Cherson etwas ruhiger gewesen sei. Trotzdem bleiben die Leute zu Hause und verlassen die Wohnung nur, wenn unbedingt nötig. Das hat nicht zuletzt auch mit der Jahreszeit zu tun: es ist zwar im Moment nicht sehr kalt (tagsüber um die 5°C), aber viel früher dunkel als hier in der Schweiz.

Roman kann täglich mit seinen Eltern telefonieren, manchmal allerdings nur ein paar Minuten, bis die Verbindung unterbrochen wird. Zwischendurch haben sie Internet-Verbindung über das ukrainische Mobilfunknetz. Strom gibt es nur wenige Stunden pro Tag - gerade so, dass es reicht, um die Mobiltelefone aufzuladen. A propos Mobilfunknetz: die Schweizer Mobilfunkanbieter Sunrise und Swisscom bieten für ukrainische Flüchtlinge immer noch Gratisverbindungen in die Ukraine an. Diese Grosszügigkeit wird von den Ukrainern extrem geschätzt.

Heute hat Romans Mutter eine Roulade gebacken und damit Romans erste eigene Wohnung gefeiert. Sie freuen sich für ihn und versuchen so gut es geht, eine Normalität aufrecht zu erhalten.

21. Januar 2023 - 23:15

Heute Nachmittag war nochmal Zügeltag angesagt: an drei verschiedenen Orten durften wir ein Sofa, ein Bett und einen Schrank für Roma und Vika abholen. Die Wohnung nimmt Gestalt an und ist schon ganz gut eingerichtet.

Asyl Berner Oberland hat nach einem Abklärungsgespräch mit Vika und Roma knapp 1'000 CHF überwiesen. Mit diesem Vorschuss können sie sich ihren Hausrat kaufen. Die Summe ist sehr knapp bemessen - zwei Betten und zwei Schränke kosten bereits mehr...

Dank grosser Unterstützung von allen Seiten können sie sich ihre erste Wohnung trotz knappem Budget gemütlich einrichten. Vielen Dank dafür!

20. Januar 2023 - 0:45

Cherson steht unter starkem Beschuss. Verschiedene Stadtteile sind betroffen, unter anderem auch diejenigen, in denen Vika und Galina gewohnt haben. Die ukrainischen Behörden empfehlen, die Stadt zu verlassen und organisieren sogar kostenlose Evakuationen, zum Beispiel nach Odessa.

Die Brutalität scheint keine Grenzen zu kennen.

19. Januar 2023 - 23:00

Leicht angespannt begaben wir uns heute erneut in die Amtsstuben des SEM wegen der Kantonszuteilung von Sergejs Eltern. Nach rund einer Stunde war die Sache geritzt: das SEM hat eingelenkt und die beiden dem Kanton Bern zugewiesen. Die Freude und Erleichterung sind riesig.

Die zuständige Person hat sich in aller Form entschuldigt: es habe sich tatsächlich um einen Fehler bei der Zuteilung am Montag gehandelt. Sie gingen davon aus, dass Sergej bereits eine eigene Familie hat. In diesem Fall hätte es sich nicht um eine Familienzusammenführung gehandelt und die Zuteilung zum Kanton Freiburg wäre tatsächlich vertretbar gewesen. Ja, es hat Nerven gekostet die letzten Tage. Es ist aber auch verständlich, dass bei all den Fällen Missverständnisse vorkommen oder mal was falsch verstanden wird.

Als Entschädigung für die Umtriebe durften sie die SBB-Tageskarten behalten, die ihnen am Montag bereits ausgehändigt wurden für die Registrierung in Freiburg. Für uns ist das ein versöhnlicher Abschluss der aufwühlenden letzten Tage.

Als nächstes müssen nun noch die uns schon gut bekannten Formalitäten erledigt werden: Anmeldung in der Gemeinde und bei Asyl Berner Oberland, Bankkonto eröffnen, Schweizer SIM-Karte besorgen und so weiter. Gleichzeitig suchen wir bereits intensiv nach einer 2-3 Zimmer-Wohnung im Raum Thun für die beiden.

18. Januar 2023 - 22:15

Während Putin in St. Petersburg und der russische Aussenminister Lavrov an einer Pressekonferenz wirres Zeug schwafeln - und beide in ihren Reden das Wort "Krieg" verwenden (wofür gewöhnlichen Bürgern in Russland bis zu 15 Jahren Gefängnis droht), kommt der Ukraine am WEF in Davos grosse weltweite Aufmerksamkeit zu. Ob den schönen Worten dann auch Taten folgen bleibt abzuwarten.

Jedenfalls hätten wir uns in den letzten 30 Jahren nie vorstellen können, dass die Ukraine je mal so stark in unser Bewusstsein rückt. Manchmal wünschen wir uns, wir könnten die Zeit um 5-10 Jahre vorwärts drehen und allen, die uns und "unsere" Ukrainer jetzt so stark unterstützen, die Städte, Landschaften und Kultur "live" in der Ukraine zeigen.

17. Januar 2023 - 23:15

Kurz vor dem Mittag trafen wir mit den Eltern von Sergej beim Bundesasylzentrum in Bern ein mit dem Ziel, die Zuweisung zum Kanton Freiburg aufzuheben und eine Zuweisung zum Kanton Bern zu erwirken. Erst vor Ort erfuhren wir, dass die Schalter für die Registrierung nur am Montag- und Donnerstagvormittag besetzt sind. Öffnungszeiten oder E-Mail-Adressen sind nirgends auf der Website ersichtlich, Anrufe enden beim Beantworter. Man wird den Verdacht nicht los, dass solche subtilen Hürden bewusst eingebaut werden, um das Asylwesen nicht zu attraktiv zu gestalten. Vor dem Ukrainekrieg merkten das praktisch nur die direkt Betroffenen. Mit dem Gastfamilienkonzept trifft es nun uns "Einheimische", wenn wir Ukrainer bei Behördengängen unterstützen. Es gäbe einiges aufzuräumen in diesem Bereich...

Wir wurden ans kantonale Amt für Migration verwiesen, das sich am andern Stadtende befindet. Dort wurden wir sehr zuvorkommend behandelt, erhielten wertvolle Auskünfte und mögliche Schritte, die wir unternehmen können. Kernaussage war jedoch: "Wir sind nicht zuständig, ihr müsst zum SEM." Immerhin: Wenn sie dann zuständig seien, würden sie den Antrag wohlwollend prüfen und beurteilen...

Heisst wohl: wir werden am Donnerstagvormittag beim SEM vorstellig...

16. Januar 2023 - 23:00

Ich weiss nicht, wie ihr die folgende Passage versteht: "Das SEM entscheidet, welchem Kanton eine schutzsuchende Person zugewiesen wird. Grundsätzlich erfolgt die Kantonszuweisung gemäss dem Verteilschlüssel. Einzig in folgenden Fällen besteht ein Anspruch darauf, in denselben Kanton zugewiesen zu werden, wie Angehörige oder enge Bezugspersonen: Erweiterte Kernfamilie: Ehepartner; Eltern und deren minderjährige Kinder; Eltern und deren volljährige Kinder, sofern diese ohne eigene Familie um Schutz ersuchen; sowie Grosseltern." (Quelle: Website SEM, Stand 16.01.2023)

Wir alle haben sie jedenfalls so verstanden, dass Sergejs Eltern dem Kanton Bern zugewiesen werden. Alle ausser den Beamten des SEM, die das nicht so sahen und darauf bestanden, sie dem Kanton Freiburg zuzuweisen. Wir sind einigermassen konsterniert, vor allem auch, weil sie recht kalt abgespeist wurden. Wir werden morgen dort nochmal vorsprechen und hoffen, dass der Entscheid noch korrigiert wird.

Selbstverständlich gibt es im Kanton Freiburg auch sehr nette und lebenswerte Orte. Dank unserer kantonalen Vielfalt gälten für sie im Kanton Freiburg jedoch ganz andere Regeln bezüglich Asylsozialhilfe, Unterkunft, Arbeitsbewilligung, Sprachkursen und so weiter. Zwangsläufig müssten wir uns da auch wieder einarbeiten. Dazu kommt die Distanz, die den Kontakt erschwert. Die öV-Kosten für Besuche werden nicht übernommen und wären für sie im Moment nicht erschwinglich.

15. Januar 2023 - 22:30

Aus Cherson hören wir, dass die Versorgung einigermassen funktioniere. Lebensmittel und die wichtigsten Medikamente sind offenbar gut und zu erschwinglichen Preisen  verfügbar. Schwieriger wird's, wenn jemand spezielle Medikamente benötigt. Diese müssen in Kiev bestellt werden. In solchen Fällen kommt oft wieder Logistik, die sich bereits zu Sowjetzeiten bewährt hat, zum Einsatz: jeder Zug hat pro Wagen einen Zugbegleiter oder öfter noch eine Zugbegleiterin. Diesen kann man gegen ein kleines Entgelt Dinge mitgeben. Man muss also jemanden in Kiev kennen, der die Ware besorgt und am Bahnhof übergibt. Am Zielort kann man's dann direkt am Gleis in Empfang nehmen. Funktioniert mindestens so zuverlässig wie Amazon oder AliExpress.

14. Januar 2023 - 22:15

An Tagen wie heute sind wir immer doppelt dankbar für alle unsere Lieben, die hier in Sicherheit sind. Der Beschuss vieler ukrainischer Städte war heute wieder mal besonders intensiv. Getroffen wurde primär zivile Infrastruktur, z.B. ein Wohnhaus in Dnipro, ca. 350 km von Cherson entfernt. Auch aus Cherson hören wir, dass Wohngebiete beschossen wurden, u.a. im Quartier, wo Vika herkommt.

13. Januar 2023 - 23:00

Seit heute haben Vika und Roma die Schlüssel zu ihrer eigenen Wohnung! Für den definitiven Umzug können sie sich noch etwas Zeit lassen, da besteht keine Eile. Sie haben sehr viel Möbel und Einrichtung zugesichert erhalten, die wir in den nächsten Tagen abholen können. Für die beiden ist das ein grosser Schritt: abgesehen vom Studentenheim haben sie noch nie alleine ausserhalb der Familie in einer eigenen Wohnung gelebt.

12. Januar 2023 - 21:15

Riesige Erleichterung bei Sergej, seiner Familie und bei uns allen: Valentin und Natalija, Sergejs Eltern, sind gut angekommen!

Hinter dem, was im Schweizer Asylwesen unter dem Begriff "Familiennachzug" behandelt wird, stecken oft grosse Gefühlswelten: die Palette reicht von Angst um die engsten Angehörigen, zu Stress über die Ungewissheit bis zu schlechtem Gewissen, selber in Sicherheit zu sein. Dass die Familie beisammen sein kann ist kein "Asyl-Luxus" - sondern schlicht ein Gebot der Menschlichkeit und Nächstenliebe.

11. Januar 2023 - 23:15

Kurz vor dem Mittag haben Sergejs Eltern Russland verlassen und befinden sich nun bereits im Schengenraum. Der Grenzübertritt ging offenbar sehr rasch und ohne Schwierigkeiten. Im Lauf der Nacht werden sie in Warschau eintreffen. Von dort fliegen sie morgen Nachmittag nach Zürich.

Zusammen mit seiner Gastfamilie hat Sergej schon viel vorbereitet und wird sie die ersten Tage begleiten, mit ihnen alle Formalitäten erledigen und dafür sorgen, dass sie hier gut ankommen.

10. Januar 2023 - 22:00

Sergejs Eltern sind unterwegs. Sie haben die Ukraine bereits verlassen und sind nun quer durch Russland auf dem Weg Richtung Baltikum. Wenn alles gut geht, erreichen sie morgen die Grenze zu Lettland. Bisher verlief die Reise ohne Zwischenfälle. Wir hoffen sehr, dass das so bleibt, bis sie hier sind.

9. Januar 2023 - 23:45

Ab und zu muten wir uns ein paar Minuten russisches Staatsfernsehen zu. Insbesondere die zahlreichen Talkshows mit allerhand Expertinnen und Experten und äusserst bissigen Moderatoren sind an Absurdität kaum zu übertreffen. So wurde heute beispielsweise ein "schon längst fälliger" Angriff auf Frankreich oder England verhandelt. Und man hat sich lustig darüber gemacht, dass beides gleichzeitig nicht gehe - sonst wüssten die Leute ja nicht, in welche Richtung fliehen. Das Ganze wird zur besten Sendezeit ausgestrahlt und offenbar auch geschaut - und geglaubt. 

Abgesehen von solchen Trash-Sendungen gibt es auch ganz gut gemachte "Werbe-Videos", die der russischen Bevölkerung aufzeigen sollen, wie schlecht es uns hier im Westen geht. Ein kleines Beispiel auf YouTube, wie traurig wir dieses und nächstes Jahr Weihnachten feiern müssen... 

Es macht immer wieder fassungslos, wie weit die politische Propaganda geht und was sie anrichtet.

Der Austausch mit unseren Verwandten in Russland beschränkt sich nach wie vor auf ein Minimum, sogar die Weihnachts- und Neujahrswünsche fielen sehr knapp aus. Wir verstehen, dass es irgendwann wieder ein Näherkommen geben muss und dass wir dafür vielleicht sogar den ersten Schritt werden tun müssen. Das liegt aber emotional und wohl auch zeitlich noch weit weg...

8. Januar 2023 - 20:45

Bereits um Weihnachten herum haben sich Sergejs Eltern entschieden, Cherson zu verlassen. Sie leben auf der Ostseite des Dnjeprs, also in den noch von Russland besetzten Gebieten. Die Gefahr ist nach wie vor omnipräsent. Sie haben nun so viel wie möglich von ihrem Hausrat bei Bekannten in Sicherheit gebracht und werden diese Woche die Reise hierhin antreten. Wir hoffen, dass alles wie geplant funktioniert. Man hört Gerüchte, dass Russland um den 15. Januar herum die Grenzen ins Ausland schliessen wolle. Was das für ukrainische Flüchtlinge bedeutet, ist unklar.

In unserem Umfeld haben wir wenig Kontakt mit Kindern, die aus der Ukraine hierhin geflüchtet sind. Letzte Woche hat die Rundschau einen eindrücklichen Beitrag ausgestrahlt, wie Kinder im Schulalter mit der Situation umgehen. Er kann auf SRF.ch nachgeschaut werden.

Rundschau vom 4. Januar 2023

7. Januar 2023 - 21:45

Kurz nach der Besetzung von Cherson im letzten März ist ein ehemaliger Schulkollege von Sascha spurlos verschwunden. Er ist Elektriker und kam eines Tages nicht mehr von der Arbeit nach Hause. Während Monaten fehlte jede Spur. Seine Familie hat alles mögliche unternommen, um irgendein Lebenszeichen oder zumindest eine Information über sein Verbleiben zu erhalten. Vergeblich.

Nun hat Sascha kürzlich erfahren, dass er mit der Befreiung von Cherson wieder aufgetaucht ist. Offenbar war er in einem russischen Gefängnis und wurde der Kollaboration mit der Ukraine beschuldigt. Die genauen Umstände kennen wir (noch) nicht.

Es dürfte Dutzende, wenn nicht Hunderte solcher Geschichten geben. Unvorstellbar, was das mit den Menschen und deren Angehörigen macht.

6. Januar 2023 - 23:45

Heute versuchen die Menschen in der Ukraine so gut es geht das orthodoxe Weihnachtsfest zu feiern. Das lassen sich die Leute nicht nehmen. So hat zum Beispiel Romans Schwester die Liste der Gerichte geschickt, die sie zubereitet hat - fast noch länger als in andern Jahren...

Auch wir haben hier ukrainisch gegessen und im kleinen Kreis nochmal Weihnachten gefeiert.

Es gibt ein typisches Lied, das in der Ukraine zu Weihnachten gesungen wird. Auf YouTube gibt es eine Version, die vor fünf Jahren von einem ukrainischen Chor in Kanada als Flashmob gesungen wurde.

5. Januar 2023 - 23:30

Ein Kollege von Sascha lebt mit seiner Familie seit einiger Zeit ausserhalb Chersons. Um Ersatzteile für sein Auto abzuholen, ist er nochmal nach Cherson zurückgekehrt. Während er in der Garage die Ersatzteile abholte, wurde sein Auto von Granatsplittern einer Rakete getroffen und ist nun selber nicht mehr viel mehr als ein Ersatzteillager... Er hatte riesiges Glück, dass er zum Zeitpunkt des Einschlags nicht im Auto war. Solche Episoden zeigen, dass es immer noch brandgefährlich ist und man nirgends wirklich sicher ist.

4. Januar 2023 - 22:45

Aktuell sind rund 16% der Ukraine russisch besetzt. Ca. ein Drittel machen die Halbinsel Krim und Teile des Donbass aus, die bereits seit 2014 unter russischer Besatzung sind. Im März, kurz nach Kriegsbeginn, war zeitweise rund ein Viertel des Landes unter russischer Kontrolle. Die Rückeroberungen sind insgesamt also beträchtlich. Im Dezember konnte die Ukraine (nur) ca. 70 km² befreien. Was wir aus der Region Cherson hören, ist der Preis dafür immens hoch.

3. Januar 2023 - 22:30

Während wir Einheimischen mit dem heutigen Tag wieder zum Alltag übergingen, gehen die Festtage für die Ukrainer noch weiter: Teile der orthodoxen Welt feiert Weihnachten nach dem julianischen Kalender, also am 7. Januar. Schon seit einiger Zeit zeichnet sich in der Ukraine ein Wechsel zu unserem System ab. Ganz pragmatisch hat man in den letzten Jahren sowohl am 25. Dezember wie auch am 7. Januar gefeiert... Dieses Jahr ist eine deutliche Verlagerung in den Dezember festzustellen. Man will sich auch hier von Russland und vor allem von der russisch-orthodoxen Kirche, die den Krieg bis heute nicht verurteilt, entfernen.

Und dann hat Roman heute auch noch Geburtstag gefeiert. Das sind immer gute Gelegenheiten für gemütliche und fröhliche interkulturelle Begegnungen, die wir alle sehr geniessen.

2. Januar 2023 - 22:30

Freudige Nachricht heute aus Tschechien: Dasha, die Tochter von Lena und Sascha, ist Mutter einer Tochter, Olivia, geworden! Und damit sind Lena und Sascha zum ersten Mal Grosseltern, Galina zum ersten und Luba zum wiederholten Mal Urgrossmutter geworden.

Wir gratulieren herzlich und freuen uns schon jetzt darauf, die neue Erdenbürgerin kennenzulernen.

1. Januar 2023 - 23:00

Viele haben sich in den letzten Monaten vorgenommen, irgendeinmal nach dem Krieg die Ukraine zu besuchen. Leider wird das vermutlich noch eine Weile dauern. Als "Zwischenlösung" bietet sich Polen an - das Land, das kulturell der Ukraine, vor allem dem westlichen Teil, am nächsten steht. Wir konnten uns die letzten Tage in Warschau davon überzeugen. Die Architektur weist Parallelen auf, das Essen ist ähnlich und auch die Sprachen sind verwandt.

Polen hat seit Kriegsbeginn über 8,5 Mio. Grenzübertritte aus der Ukraine verzeichnet, rund 1,5 Mio. Menschen sind als Flüchtlinge registriert. Viele haben Polen inzwischen wieder verlassen. Entweder sind sie in ein anderes Land weiter gereist oder in die Ukraine zurückgekehrt. Die rund 6,4 Mio. Grenzübertritte von Polen in die Ukraine zeigen das deutlich. Polen nimmt damit innerhalb von Europa mit Abstand den grössten Flüchtlingsstrom aus der Ukraine auf.

Mit Tanjas Freundin Luda haben wir zwei schöne Tage verbracht mit vielen Spaziergängen durch das weihnachtlich geschmückte Warschau. Wir hoffen, dass wir ihr damit etwas Ablenkung zur sonst belastenden Situation mit ihrem kranken Vater bieten konnten.

31. Dezember 2022 - 19:45

Noch nie lagen wir so falsch mit der Prognose, was das Jahr wohl so bringt, wie vor einem Jahr...

Für uns geht ein ausserordentlich anstrengendes Jahr zu Ende. Trotzdem dürfen wir eine positive Bilanz ziehen: Die riesige und andauernde Hilfsbereitschaft aus unserem Umfeld, viele schöne gemeinsame Momente mit "unseren" Ukrainern und die Zuversicht, dass wir auch die Herausforderungen, die uns das Jahr 2023 bescheren wird, irgendwie stemmen werden, tragen dazu bei.

Wir wünschen allen ein gutes und friedliches neues Jahr!

30. Dezember 2022 - 23:45

Luda hat heute von einem Supermarkt in der Nähe ihres Wohnorts in Cherson erzählt, der zu einer Ladenkette mit mehreren Filianen in der Ukraine gehört. Die Besitzer aus Kiev liessen zu Beginn der Besatzung alles ausverkaufen und verriegelten danach alle Zugänge mit Holzbrettern.

Ca. Mitte Mai waren überall Aushänge zu sehen, die verlangten, dass alle Geschäfte nach russischer Gesetzgebung registriert werden müssen und ab sofort in Russland steuerpflichtig sind. Wer sich widersetzt, dessen Geschäft wird annektiert und geht in russischen Besitz über.

Tatsächlich wurden eines Tages die Zugänge zum Supermarkt aufgebrochen und neue "Besitzer" zogen ein. Die gesamte Infrastruktur - Gestelle, Kühlschränke, Backstube usw. - wurden einfach übernommen und weiter genutzt.

So einfach ist das...

Was jetzt nach der Befreiung von Cherson mit dem Supermarkt und den "neuen Besitzern" passiert ist, wissen wir nicht - Luda war damals schon nicht mehr vor Ort.

29. Dezember 2022 - 23:30

Beim Erkunden von Warschau begegnet einem russisch/ukrainisch auf Schritt und Tritt. Die beiden Sprachen sind omnipräsent. Der grösste Teil sind sicher Menschen, die in den letzten zehn Monaten angekommen sind. Es gibt aber auch sehr viele Ukrainer, die bereits vor dem Krieg auf der Suche nach einer besseren Perspektive hierhin ausgewandert sind. So hat uns zum Beispiel heute Abend in einem typisch polnischen Restaurant eine Ukrainerin bedient, die seit acht Jahren hier lebt. Es ist naheliegend, dass viele Angehörige dann hierher geflüchtet sind - genauso wie es unsere Verwandten und Freunde auch gemacht haben.

28. Dezember 2022 - 22:45

Die Kombination aus vom Verfall bedrohten Flugmeilen, dem Wunsch nach etwas Familienzeit und dem Bedürfnis, Tanjas Freundin Luda etwas Hilfe zukommen zu lassen, hat uns heute für ein paar Tage nach Warschau geführt.

Vieles hier erinnert an die Ukraine, die geografische und kulturelle Nähe sind offensichtlich. Wir haben zwar in einem polnischen Restaurant gegessen - das wäre aber locker auch als ukrainisches Spezialitätenrestaurant durchgegangen.

27. Dezember 2022 - 23:45

Nach einer langen Zwangspause haben wir heute endlich wieder einmal Geld nach Cherson überwiesen. Während einiger Wochen waren Überweisungen gar nicht mehr möglich. Dazu kommt, dass sehr viele Leute, auch Bezugspersonen, die für uns die Verwendung des Geldes koordiniert haben, in der Zwischenzeit Cherson verlassen haben. Nun haben wir aber wieder Kontakt zu einigen Bekannten, denen wir vertrauen, dass der überwiesene Betrag wirkungsvoll eingesetzt wird. Die Versorgungslage hat sich in den letzten Wochen deutlich verbessert, es sind mehr Waren, insbesondere auch Medikamente, verfügbar. Entsprechend können auch wir wieder besser unterstützen.

26. Dezember 2022 - 23:30

Romans Eltern haben nach längerem seit heute endlich wieder Strom! Das bringt sofort einiges an Lebensqualität zurück: Licht, geladene Handy-Akkus, Fernsehunterhaltung,...

Insgesamt bleiben die Lebensbedingungen im Raum Cherson kritisch. Kein Wunder, dass sich immer noch viele entscheiden, die Gegend zumindest für einige Wochen oder Monate zu verlassen.

25. Dezember 2022 - 23:45

Bei Romans Eltern gibt es seit rund einer Woche wieder keinen Strom, weil irgendeine Leitung oder sonstige Infrastruktur zerstört wurde. Sie können kaum was tun, die Tage werden so sehr lang. Heute versuchte Romans Mutter Medikamente aufzutreiben - leider vergeblich. Dafür konnte sie einiges an Lebensmitteln besorgen.

Trotzdem konnten wir hier gemütlich im familiären Kreis Weihnachten feiern. Es gelingt recht gut, die beiden krass unterschiedlichen Lebensrealitäten auseinanderzuhalten. Dazu trägt einerseits bei, dass man fast immer im Kontakt bleiben kann und weiss, dass es den Lieben vor Ort den Umständen entsprechend gut geht. Andererseits sind die Angehörigen in der Ukraine auch froh, wenn es ihren Lieben hier in der Schweiz gut geht.

24. Dezember 2022 - 23:30

Wir haben den Heiligen Abend in einem Kreis verbracht, den wir uns vor einem Jahr auch mit der grössten Fantasie nicht vorgestellt hätten. So gemütlich und schön der Abend war - die Umstände, die dazu geführt haben, bleiben nach wie vor unfassbar. 

23. Dezember 2022 - 23:30

Es ist noch nicht ganz Weihnachten und trotzdem durften wir schon vielfältige Geschenke entgegennehmen: liebe Verwandte haben heute Vormittag für alle "unsere" Ukrainer ein Geschenk vorbeigebracht. Sie haben in ihrem Weihnachtsbrief an Freunde und Bekannte dazu aufgerufen, dafür zu spenden. Das Ergebnis ist überwältigend und stimmt uns einmal mehr sehr dankbar. Dann haben Vika und Roma heute den Mietvertrag für die gemeinsame Wohnung erhalten. Und last but not least hat der Kanton unser Gesuch für die Arbeitsbewilligung für unsere MyPAR-Mitarbeitenden genehmigt. Ab dem 1. Januar 2023 sind sie (Teilzeit) hier in der Schweiz angestellt. Damit bereinigen wir die bisher etwas unklare Situation, ob und wie viel sie hier für eine ukrainische Firma arbeiten dürfen und vor allem auch die monatlich wiederkehrende Unsicherheit, ob die Löhne aufs ukrainische Bankkonto überwiesen werden können. Ein wirtschaftlich nicht ganz unriskanter Schritt, den wir aber mit viel Zuversicht in Angriff nehmen.

22. Dezember 2022 - 23:15

Bei Romans Eltern ist die Stromversorgung nach wie vor eine Lotterie. Sie überlegen sich, ob sie eine kleine Maschine, die sie für die Landwirtschaft einsetzen, zu einem Stromgenerator umfunktionieren können, damit sie wenigstens die Handy-Akkus laden können.

Ohne Strom, also auch ohne Licht, Fernseher, Internet,... werden die Tage sehr lang.

21. Dezember 2022 - 22:00

Die vorgestern erwähnten Lichtblicke in Cherson sind leider sehr relativ zu sehen: Auf der einen Seite wird alles daran gesetzt, das Leben der Menschen vor Ort erträglicher zu machen. Gleichzeitig gehen die Bombardierungen der Stadt weiter. Heute hat es in unmittelbarer Nähe von Ludas Wohnung ein Wohngebäude getroffen. In ihrer Wohnung sind zwei Fenster zerborsten. Von einem Software Engineer, der ab und zu für MyPAR arbeitet, haben wir heute vernommen, dass vor einigen Tagen sein Wohnblock getroffen wurde. Seine Wohnung, nur ein paar Eingänge entfernt, blieb zum Glück verschont. Sieht man die Bilder wundert man sich, dass die Opferzahlen nicht noch viel höher sind. Die Menschen schützen sich, so gut es geht. Beispielsweise indem sie sich im Korridor aufhalten, oft auch dort schlafen, um nicht direkt getroffen zu werden.

20. Dezember 2022 - 22:30

Heute hat Roman völlig unerwartet Geld auf sein ukrainisches Konto überwiesen erhalten. Absender: UNHCR, die Organisation der Vereinten Nationen, welche die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention überwacht. Er hat sich erst jetzt wieder erinnert, dass er vor einiger Zeit - noch in der Ukraine - mal ein Antragsformular ausgefüllt hat, welches in den besetzten Gebieten verbreitet wurde. Wenn auch mit Verzögerung scheint doch die Hilfe grosser Organisationen bei den Leuten anzukommen. Der Betrag ist für die Eltern natürlich ein sehr willkommener Beitrag an die (Über)Lebenshaltungskosten.

Informationen zum "Multi-purpose cash assistance programme" des UNHCR (auf Englisch)

19. Dezember 2022 - 23:00

Nach langem wieder mal erste Lichtblicke aus Cherson: Tanja hat heute mit einer ehemaligen Schulkollegin geschrieben, die noch im selben Haus lebt wie Galina. Man spüre endlich Fortschritte. In ihrem Quartier funktioniere die Heizung, Strom und Wasser würden zwar immer noch für mehrere Stunden pro Tag unterbrochen, aber sei wenigstens regelmässig und man könne sich langsam wieder darauf verlassen, dass es auch am nächsten Tag funktioniert. Die Läden füllten sich wieder langsam mit Waren und die Preise bewegten sich auf Vorkriegsniveau. Für heute sei zudem ein grössere humanitäre Lieferung für ihr Quartier angekündigt. Ob die auch tatsächlich eingetroffen ist und wer davon profitiert hat, wissen wir nicht. Aber die Situation scheint sich doch langsam, aber sicher zum Besseren zu wenden.

18. Dezember 2022 - 19:30

Anfang November hatte sich Lenas Mutter Luba die Hand gebrochen. In der Zwischenzeit ist der Bruch zum Glück gut verheilt. Die ersten Wochen hat sie bei Lena und Sascha gewohnt, weil sie der eingegipste Arm doch stark eingeschränkt hat. Fast gleichzeitig hat sich für sie die Möglichkeit ergeben, ein kleines Studio in Heimberg zu mieten. Seit dieser Woche hat sie nun - mit etwas Verspätung - ihr neues Zuhause bezogen.

Luba hat sich mit der Situation gut arrangiert und ist sehr selbstständig unterwegs: die Wohnung hat sie praktisch im Alleingang gefunden. Sie hat sich schon früh mit einer Frau angefreundet, die schon länger in der Schweiz lebt und arbeitet, gut russisch spricht und sie bei Fragen unterstützt. 

17. Dezember 2022 - 23:00

Wir sind tief beeindruckt und dankbar für die zahlreichen Angebote für Vikas und Romas Wohnungsausstattung. Vielen, vielen Dank! Es ist schon einiges zusammengekommen, sodass die beiden zuversichtlich auf ihr gemeinsames Wohnabenteuer blicken können.

16. Dezember 2022 - 23:00

Für die MyPAR GmbH und unsere ukrainischen Mitarbeitenden beginnt ab nächstem Jahr ein neues, hoffentlich erfolgreiches Kapitel: Wir haben diese Woche mit allen einen neuen Arbeitsvertrag abgeschlossen. Ab dem 1.1.23 werden sie hier in der Schweiz und nicht mehr in der Ukraine angestellt sein. Das bringt viele Vorteile, aber auch ein paar neue Herausforderungen. Mit Respekt und grosser Motivation gehen wir diese an.

Unseren Bürostandort werden wir zudem von Thun nach Bern verlagern. Dank einmal mehr grosser Unterstützung aus unserem Umfeld wird dieser Schritt möglich.

15. Dezember 2022 - 23:00

Wenn alles gut geht, erhält Vikas Mutter noch diesen Monat einen Pass und kann dann aus der Ukraine ausreisen. Das Ziel ist vorerst Polen. Zu Beginn des Krieges konnte man ohne gültige Papiere ausreisen. Das wird offenbar zwischenzeitlich strenger gehandhabt.

Die Lage in Cherson hat sich in den letzten Tagen wieder zugespitzt. Wer die Möglichkeit hat, sich in sicherere Gebiete zu begeben, tut gut daran. Infrastruktur, ja sogar Hilfstransporte, werden erbarmungslos ins Visier genommen.

14. Dezember 2022 - 23:30

Die Bombardierungen der Stadt Cherson gehen unvermindert weiter. Täglich werden öffentliche Gebäude und Wohnhäuser getroffen. Die Menschen halten sich zu Hause auf und verlassen die Wohnung nur fürs Nötigste. Es scheint einzig und allein darum zu gehen, die Bevölkerung zu zermürben.

13. Dezember 2022 - 23:15

Gestern haben wir über das Containerdorf im Berner Viererfeld geschrieben, heute erschien in der Republik ein sehr gut recherchierter Bericht zum "Experiment Gastfamilien". Die darin gemachten Aussagen decken sich weitestgehend mit unseren Erfahrungen. Eine der Kernaussagen: Bei Privaten sind Geflüchtete mitten in der Gesellschaft, sobald sie hier sind. Das macht das Modell zum "Integrationsbooster" für die Gäste.

Es ist fast etwas untypisch für die Schweiz, wie rasch und unbürokratisch das Gastfamilienkonzept aufgebaut und umgesetzt wurde. Aus den ersten Erfahrungen kann man sicher noch einiges lernen und optimieren. Alles in allem funktioniert das Modell aber erstaunlich gut.

Ab dem nächsten Jahr entscheiden die Kantone, ob und in welcher Form die Unterbringung bei Gastfamilien weitergeführt wird. Der Kanton Bern unterstützt das Modell und führt es vorerst weiter.

12. Dezember 2022 - 23:00

Heute hat Tanja Lena's Freundin im Containerdorf ein paar Sachen vorbei gebracht und konnte sich ein eigenes Bild machen, wie die Menschen dort leben. Das Camp ist sehr gut gelegen: es sind nur rund 15 Gehminuten zum Stadtzentrum. An der Sauberkeit gibt es ebenfalls nicht das Geringste auszusetzen.

Die Unterkunft setzt sich aus Containern unterschiedlicher Typen zusammen: die Schlafcontainer bestehen aus zwei Kajütenbetten, einem Tisch und einem Gestell für Wäsche und Kleider. In so einem Container wohnen bis zu vier Personen, unabhängig davon, ob sie alleine oder gemeinsam angereist sind. Einen Aufenthaltsraum gibt es keinen. Entweder geht man irgendwo hin (wohin??) oder man hält sich in diesem Container auf.

Für Küche und WC/Dusche gibt es separate Container. Die Container sind gut geheizt, die Korridore zwischen Küche, WC/Dusche und "Wohnzimmer" hingegen sind unbeheizt. In der Gemeinschaftsküche gibt es vier Kochherde, einen Teekocher für alle und pro zwei Personen einen kleinen Vorratsschrank. Alle haben ein Set an Geschirr erhalten, einmal pro Woche werden Lebensmittel vorbeigebracht.

In separaten Containern haben alle einen kleinen, abschliessbaren Kühlschrank und es hat Waschmaschinen, die von allen genutzt werden können. Ebenfalls in Containern findet die Schule statt. Gut 20 Kinder haben draussen gespielt, als Tanja dort war.

Die Menschen sind dankbar und beklagen sich nicht. Sie helfen sich gegenseitig und schätzen den Austausch untereinander. Sie haben viel Schlimmeres erlebt vor ihrer Ankunft.

Fürs erste Ankommen ist das Berner Containerdorf sicher eine vertretbare Lösung - viel besser als eine abgelegene unterirdische Zivilschutzanlage. Die Bewegungsfreiheit - gerade in der kalten Jahreszeit - und die Privatsphäre sind aber schon sehr, sehr eingeschränkt.

11. Dezember 2022 - 21:30

Eine Jugendfreundin von Tanja hat sich gleich zu Beginn des Krieges zusammen mit ihrem Mann auf die Datscha am östlichen Ufer des Dnjeprs zurückgezogen. Nun sitzen sie dort fest und können nicht mehr zurück nach Cherson, da die Gebiete östlich des Dnjeprs immer noch unter russischer Besatzung sind. Im Sommer war der Aufenthalt auf der Datscha vermutlich in vielen Fällen die beste Lösung: einerseits war man etwas weiter weg von der Kriegsfront, andererseits konnte man Kartoffeln und Gemüse anbauen und sich zu einem Teil selber versorgen. Im Winter wird es schwieriger: die Strassen zu den Datschen und innerhalb der Siedlungen sind oft nicht viel mehr als Feldwege. Die Unterkünfte sind meist nur für die warme Jahreszeit ausgelegt, sie sind also gar nicht oder nur schlecht isoliert. Immerhin haben die meisten irgendeinen Ofen und können behelfsmässig etwas heizen. Solange die Infrastruktur in der Stadt nur halbwegs funktioniert ist das sogar ein Vorteil. Egal wo sich die Leute in und um Cherson aufhalten: es bleibt schwierig und extrem herausfordernd.

10. Dezember 2022 - 23:15

Vikas Mutter ist nun bereits seit einigen Tagen in Odessa. Dort ist es wesentlich ruhiger als in Cherson, die zerstörte Infrastruktur ist aber auch dort spürbar. Ihre Schwester mit Familie ist ebenfalls in Odessa. Zum ohnehin schwierigen Entscheid, ob man nun weiter ins Ausland fliehen soll, kommen noch bürokratische Hürden: nicht alle haben einen gültigen Pass oder Geburtsurkunden, zum Beispiel Kinder, die nach dem Ausbruch des Krieges geboren wurden.

Mit minderjährigen Kindern kann die Ausreise zum Problem werden, wenn man nicht nachweisen kann, dass es sich um die eigenen Kinder handelt.

9. Dezember 2022 - 23:45

Heute hatte Tanja Kontakt mit Lenas Freundin, die vor kurzem in die Schweiz gekommen und im Containerdorf in Bern untergebracht ist. Die Wohnsituation sieht sie positiver als wir es zuerst befürchtet hatten. Leider gibt es aber kaum Betreuung oder Unterstützung, zum Beispiel für Job- oder Wohnungssuche. Wer sich nicht selber durchschlagen kann oder gut vernetzt ist, steht hinten an.

Dabei würde es oft gar nicht so viel brauchen: Für die Wohnungssuche reicht zum Beispiel die Angabe von Wohnungsportalen oder eine Liste mit Ortschaften im Kanton Bern, die gut mit dem öffentlichen Verkehr erschlossen sind. Und wir haben auch gelernt, dass es beim Erstkontakt mit einer Immobilienagentur sehr viel ausmacht, wer anruft. Die meisten sind sehr offen gegenüber potenziellen ukrainischen Mietern, müssen aber auch effizient arbeiten können. Da scheitert es manchmal an sprachlichen Hürden, die man eigentlich recht einfach überbrücken könnte, indem jemand von hier die erste Kontaktaufnahme übernehmen würde.

8. Dezember 2022 - 22:30

Bei Romans Eltern gibt es seit ein paar Tage wieder keinen Strom. Sie behelfen sich mit der Autobatterie, um mindestens die Handys aufladen zu können. Die Verbindung funktioniert einigermassen gut. Heute sei Romans Mutter je 4.5 km hin und zurück zu Fuss zum Einkaufen gegangen. Das Auto lässt man im Moment besser zu Hause - das Risiko, dass es einem unterwegs abhanden kommt, ist schlicht zu hoch.

7. Dezember 2022 - 22:00

Roman und Vika haben die Zusage für eine Wohnung in Steffisburg erhalten! Ein nächster grosser Schritt steht bevor. Die beiden können sich noch etwas darauf vorbereiten: die Wohnung steht frühestens ab Mitte Januar, voraussichtlich ab dem 1. Februar 2023 zur Verfügung.

Falls jemand jemanden kennt, der oder die zum Jahreswechsel noch seinen Hausrat bereinigen möchte, dann können Vika und Roman vielleicht helfen...

6. Dezember 2022 - 22:30

Seit heute funktioniert bei Romans Eltern (und im ganzen Dorf) das Internet über das Festnetz wieder. Auch wenn sie keine "Viel-Surfer" sind, erleichtert das den Alltag spürbar - angefangen bei der Kommunikation.

Aus der Nachbarschaft von Galina erreichen uns weitere Informationen: offenbar wurde das Quartier in den letzten Tagen doch stärker beeinträchtigt als wir bisher gedacht hatten. Im Treppenhaus seien alle Fenster zerborsten, ein Haus in der Nähe wurde getroffen. Ob Menschen dabei verletzt wurden oder umkamen wissen wir nicht. 

5. Dezember 2022 - 23:15

Wir haben von jemandem aus der Nachbarschaft von Galina vernommen, dass die Heizung seit kurzem wieder funktioniere, Strom und Wasser gäbe es auch. Das gilt sicher noch nicht für die ganze Stadt, die Beschüsse sind nach wie vor intensiv. Aber doch immerhin wieder ein Lichtblick, besonders für die Bevölkerung vor Ort.

4. Dezember 2022 - 22:45

Recht erfreuliche Neuigkeiten von Tanjas Jugendfreundin Sveta, die mit ihrer Tochter und deren Familie seit der Flucht aus Cherson in Chisinau, Moldau, lebt. Sie hat sich gut dort eingelebt. Chisinau sei eine sehr schöne und lebenswerte Stadt. Den Kindern gefalle es ebenfalls sehr gut. Die Tochter hat sich kurz überlegt, nach Cherson zurückzukehren, um ihre Winterkleider abzuholen. Zum Glück konnte sie Sveta davon abbringen - das wäre zur Zeit noch viel zu riskant. Sie haben nun eine Lösung gefunden mit einer ehemaligen Nachbarin, die einen Schlüssel zu ihrer Wohnung hat. Diese hat die Kleider zusammengepackt und sie jemandem übergeben, die sie bis nach Odessa bringt. Von dort gibt es Kurierfahrten nach Chisinau.

Unklar ist, was mit Svetas Auto passiert, das noch in Cherson geblieben ist: ganz in der Nähe ihrer Garage ist eine Bombe niedergegangen, jedoch nicht explodiert. Der Zugang zur Garage ist aktuell nicht möglich. Vielleicht gar nicht so schlecht? Zumindest dürfte vorerst niemand mit dem Gedanken spielen, das Auto zu entwenden.

A propos Entwenden: Serhii hat heute erzählt, dass im Moment alles, was verlassen aussieht, aus dem Städtchen, in dem seine Eltern leben, von russischen Soldaten weggeführt würde. Vielleicht ein hoffnungsvolles Zeichen, dass sich die Russen weiter zurückziehen?

Ebenfalls in Serhiis Heimatort halten sich zurzeit sehr viele russische Soldaten auf. Man sehe alles: Soldaten, die in leerstehende Häuser einbrechen und sich dort breit machen. Aber auch solche, die bei älteren Leuten um Quartier bitten, und sich dort sehr anständig benehmen, ja sogar im Haushalt mithelfen.

3. Dezember 2022 - 23:30

Der heutige Tag begann mit einer Wohnungsbesichtigung mit Vika und Roman in Thun. Die Wohnung wäre nicht schlecht, aber am oberen Limit ihrer finanziellen Möglichkeiten.

Die Schwiegereltern unseres Freundes sind diese Nacht im Zug unterwegs von Cherson nach Kiev. Die Reise dauert rund 14 Stunden. Die Nachtzüge fahren verhältnismässig langsam, sodass man frühmorgens und nicht mitten in der Nacht ankommt. Schon immer waren solche Reisen mit recht viel Aufregung verbunden - die meisten Leute waren es sich nicht gewohnt, weiter weg zu fahren. Ohne zu wissen, wann und ob man überhaupt je wieder zurückkehren kann, belastet wohl ungleich mehr.

Nach den Vorfällen der letzten Tage hat sich auch Vikas Mutter entschieden, Cherson zu verlassen. Wohin genau und für wie lange ist im Moment noch nicht so klar. Die Grossmutter und Tante bleiben (vorerst) in Cherson.

2. Dezember 2022 - 23:30

Es bleibt schwierig in Cherson. Am östlichen Ufer des Dnjeprs gelegene Gebiete sind zwar immer noch russisch besetzt, bleiben zurzeit aber ziemlich unversehrt. In der Stadt werden nach wie vor täglich Gebäude beschossen, heute ein Wohnhaus in der Nähe der Wohnung von Vika's Mutter. Die Detonation war so stark, dass Fenster zerborsten sind. Der Schreck sitzt tief und belastet sowohl die Menschen vor Ort wie auch Angehörige, die geflohen sind.

Aus der Ferne ist oft nur schwer nachvollziehbar, warum die Leute noch vor Ort ausharren und nicht wenigstens für ein paar Wochen in andere ukrainische Städte reisen.

1. Dezember 2022 - 23:30

Letzte Woche hatten wir uns auf ein Inserat für eine Wohnung in Thun gemeldet. Der Vermieter hat sich zwar sehr für das Schicksal von Roman und Vika interessiert, wollte sich das Ganze aber nochmal überlegen... Für uns war die Sache damit erledigt. Umso überraschender heute der Anruf, dass wir die Wohnung am nächsten Samstag besichtigen können. Wir sind gespannt...

30. November 2022 - 22:30

Endlich! Nach knapp einem Monat hat nach mehreren vergeblichen Versuchen die Banküberweisung nach Cherson wieder funktioniert. Damit können wir endlich die Oktoberlöhne unserer ukrainischen MyPAR-Mitarbeitenden bezahlen. Und es wird auch wieder möglich, vor Ort finanzielle Hilfe über unser Spendenkonto zu leisten. In den letzten zwei Monaten mussten wir die Direkthilfe pausieren. Einerseits liess es die Kriegssituation nicht zu, andererseits war unsicher, dass überhaupt Geldüberweisungen getätigt werden können.

29. November 2022 - 22:45

Die Schwiegereltern eines guten Freundes von uns haben sich endlich auch entschieden, Cherson zu verlassen. Sie reisen in den nächsten Tagen mit dem Zug nach Kiev zu ihrem Sohn, der dort lebt. Während der ganzen Belagerung haben sie in Cherson ausgeharrt. Die zerstörte Infrastruktur und die Bombardierungen ihres Stadtteils haben sie nun doch bewogen, wenigstens für eine gewisse Zeit in eine sicherere Gegend zu fliehen.

28. November 2022 - 23:00

Ausserhalb der grösseren Städte und Ortschaften sind die Geschäfte praktisch seit Beginn des Krieges geschlossen. So auch in Romans Heimatdorf. Tauschhandel und Verkäufe aus Autokofferräumen oder an improvisierten Marktständen haben Hochkonjunktur. Eine wichtige Rolle spielen die sozialen Medien: darüber wird ausgetauscht, was es wo zu kaufen oder tauschen gibt. Funktioniert die Verbindung nicht, kommt das Buschtelefon zum Zug. In der Not muss man sich zu helfen wissen. Darin sind die Ukrainer Meister.

Aus Cherson fliehen so viele Leute wie schon seit Monaten nicht mehr. Ehemalige Nachbarn von Galina haben auch beschlossen, sich diese Woche in Richtung Odesssa zu Bekannten auf den Weg zu machen. Seit dem Ende der Besatzung ist dieser Weg wieder offen und einigermassen sicher.

27. November 2022 - 23:30

Die Ukraine ist extrem bemüht, die Infrastruktur in Cherson wieder einigermassen herzurichten. Das sind viele Tropfen auf viele heisse Steine. Nach wie vor wird vieles wieder kaputt gemacht. Der Mann von Tanjas Freundin Luda hat kürzlich zwei Fussball-Kollegen verloren - sie waren zur falschen Zeit am falschen Ort beim Kaffee trinken. Der Wiederaufbau der Infrastruktur ist das eine. Das geht sogar rascher als erwartet. Die Schäden, die der Gesellschaft und den Menschen zugefügt wurden, werden Generationen brauchen, um zu heilen.

26. November 2022 - 22:30

Diese Woche konnten Vika und Roman zwei Wohnungen besichtigen. Die eine kommt nicht infrage, für die zweite werden sie sich bewerben. Zwei weitere Objekte können sie in den nächsten Tagen besichtigen. Wir sind zuversichtlich, dass sich etwas ergeben wird.

In Cherson scheint es mindestens zeitweise wieder Strom zu geben. Telefonieren/Schreiben ist immer noch schwierig, aber immerhin ist es täglich möglich, kurz ein Lebenszeichen auszutauschen.

25. November 2022 - 23:00

Diese Woche hat uns die Meldung in den Schweizer Nachrichten nachdenklich gestimmt, dass gemäss einer Umfrage der Support für die Sanktionen gegen Russland und die Unterstützung der ukrainischen Flüchtlinge gesunken sei. In unserem Umfeld können wir das definitiv nicht bestätigen. Nach wie vor ist die Solidarität riesig. Jüngstes Beispiel - und das steht stellvertretend für ganz viele - ist der Optiker hier im Ort, der Sascha und Lena ohne zu zögern und mit viel Geduld untersucht und zu sehr günstigen Konditionen die Sicht auf die Welt geschärft hat. Für jedes offene Ohr und jede gute Tat sind wir extrem dankbar.

In Cherson wurde heute ein Spielplatz zerbombt, auf dem unsere Kinder noch gespielt haben. Offenbar ein strategisch und militärisch wichtiges Ziel...

24. November 2022 - 23:15

Lenas Kollegin hat heute Fotos aus dem Containerdorf in Bern geschickt, wo sie nun untergebracht ist. Ja, es ist sauber. Und ja, es ist warm. Aber ich glaube, die reiche Schweiz könnte das besser - und vor allem würdevoller...

23. November 2022 - 22:45

Am Sonntag traf eine Kollegin von Lena in der Schweiz ein. Sie ist via Warschau aus Cherson geflohen. Die Registrierung funktioniert nun etwas anders als noch vor ein paar Monaten: die Bundesasylzentren sind nicht mehr täglich besetzt. Sie musste deshalb am Dienstag mit dem Zug nach Basel fahren, dort die Formalitäten erledigen und danach wieder zurück. Als Unterkunft wurde ihr ein Wohncontainer im Berner Viererfeld angeboten. Das bereits im Sommer erstellte Containerdorf wurde ziemlich kritisiert, zum Beispiel in einem Artikel auf hauptstadt.be. Die Platzverhältnisse sind sehr eng, die Wintertauglichkeit fraglich.

Die Unterbringung in Gastfamilien soll ab dem nächsten Jahr in die Verantwortung der Kantone übergehen. Der Kanton Bern hat noch nicht entschieden, ob sie das Konzept weiterführen.

22. November 2022 - 22:00

Die Stadt Cherson ist stark unter Artilleriebeschuss. Wie schlimm die Lage ist, ist schwer zu beurteilen. Die Leute sind eher wortkarg, wenn man sie nach der Situation fragt - wohl gut gemeint, damit sich die Angehörigen nicht zu grosse Sorgen machen. Leider ist eher das Gegenteil der Fall. Je diffuser und widersprüchlicher die Aussagen, umso mehr Gedanken macht man sich.

Seit rund drei Wochen funktionieren die Geldüberweisungen nach Cherson nicht mehr, zwei Banken haben Zahlungen zurückgewiesen. Der Zeitpunkt ausgerechnet unmittelbar nach der Befreiung erstaunt. Während der Besetzung hätten wir eher damit gerechnet, dass Geldtransfers nicht mehr zugelassen werden. Die Menschen vor Ort sind nach wie vor stark abhängig von Hilfe von aussen. Viele Hilfsgüter werden angeliefert, Geld würde auch helfen...

21. November 2022 - 23:45

In Cherson ist es immer noch ein Auf und Ab. Mal ist es etwas ruhiger, kurz darauf sind wieder Explosionen zu hören. Mal sind die Verbindungen gut, dann erreicht man wieder stundenlang niemanden.

Hier sind wir wieder auf Wohnungssuche. Roman und Vika haben sich entschieden, gemeinsam eine WG zu gründen. Wo genau ist noch offen, irgendwo zwischen Thun und Bern.

20. November 2022 - 23:00

Am östlichen Ufer des Dnjeprs bei Romans Eltern ist die Stromversorgung heute wesentlich besser, es gab den ganzen Tag keinen Stromunterbruch. Auch die mobilen Telefonverbindungen sind bereits viel stabiler. Internet gibt es ausserhalb der Stadt hingegen nach wie vor nicht.

In der Stadt haben bereits wieder einige Lebensmittelläden geöffnet. In den sozialen Medien veröffentlichen die Leute Bilder von Einkäufen und Kassenzettel. Daraus ist ersichtlich, dass es bereits wieder ein recht breites Sortiment gibt. Die Preise sind mehr oder weniger gleich geblieben, vereinzelt sind Produkte teurer geworden.

Die Menschen helfen einander so gut es geht. Jüngere bringen Älteren Wasser nach Hause oder bringen auch mal deren Handys zu den Ladepunkten.

19. November 2022 - 23:45

Sascha hat sich in den letzten Tagen mit verschiedenen Freunden und Kollegen aus Cherson austauschen können. Nichts ist mehr wie zuvor. Die Zerstörung von Gebäuden ist zwar nicht ganz so gross und offensichtlich wie in andern Städten. Einzelne Gebäude sind aber so stark vermint, dass sie gesprengt werden müssen. Vieles, was nicht niet- und nagelfest ist, wurde entwendet.

Ein guter Bekannter ist mit Schwiegereltern und Mutter allein in Cherson zurückgeblieben. Seine Frau hat sich entschieden, während der Evakuation nach Russland zu gehen - so wie es klingt ohne Absicht zurückzukehren. Ein anderes befreundetes Paar hat immer gesagt, sie blieben wegen der Eltern in Cherson. Nun sind sie - ohne Eltern - ebenfalls nach Russland geflohen. Über die genauen Umstände mögen sie nicht sprechen.

Sogar wenn sich die Lage normalisiert wird es für die Menschen aus Cherson und vielen andern ukrainischen Gebieten nie mehr so sein wie vor dem 24. Februar 2022.

18. November 2022 - 23:15

In Cherson ist Muskelkraft gefragt. Fliessendes Wasser gibt es nach wie vor nicht. Das heisst, das Wasser muss in Eimern geholt und in die Wohnung getragen werden. Galina hat heute mit einer Nachbarin aus Cherson gesprochen, die im 5. Stock wohnt. Immerhin wärmt das Schleppen wohl etwas auf: in den Wohnungen ist es kaum über 15 Grad.

Offenbar gelangen bereits viele Hilfsgüter nach Cherson, ein erster Zug ist heute Abend in Kiev abgefahren und wird morgen früh erwartet. Wir fragen uns, wer jetzt von Kiev nach Cherson reist. Möglicherweise Arbeiter und Freiwillige, die mithelfen, die Infrastruktur möglichst rasch wieder instand zu stellen. Nebst dem humanitären Aspekt will die Ukraine natürlich auch zeigen, dass sie imstande ist, den Wiederaufbau zügig voranzutreiben.

17. November 2022 - 23:15

Tanjas Freundin Luda ist mit ihrem Mann und ihrem Vater immer noch in Polen. Sie arbeitet nach wie vor in einem Industriebetrieb, oft auch nachts. Ihrem Vater geht es gesundheitlich wieder schlechter. Alles in allem nicht wirklich erfreulich.

Dafür hat sich Sveta, die andere Jugendfreundin, mit ihren Töchtern, Schwiegersöhnen und Enkeln gut in Chisinau (Moldau) eingelebt. Sie stellen sich darauf ein, dass sie wohl länger dort bleiben.

16. November 2022 - 22:30

Endlich! Heute haben die Verbindungen nach Cherson wieder funktioniert. Roman konnte sogar über einen ukrainischen Mobilfunkanbieter mit seinen Eltern telefonieren. Zum grossen Glück geht es allen den Umständen entsprechend gut. Heute gab es nach längerer Zeit auch wieder Strom. In Cherson zeigt sich einmal mehr die grosse Flexibilität und das Improvisationstalent der Ukrainer: es gibt an zentralen Orten Ladepunkte für Mobiltelefone und Hotspots für Internetverbindungen. Erste Zugverbindungen sind bereits wieder angekündigt. Wir sind verhalten optimistisch und hoffen, dass es so weiter geht.

15. November 2022 - 23:15

Nach wie vor kein Kontakt nach Cherson. Freunde von Sascha und Lena, die eigentlich unter keinen Umständen aus Cherson weg wollten, haben sich aus Tuapse, einer russischen Stadt am Schwarzen Meer nördlich von Sotchi gemeldet. Die genauen Umstände ihrer Flucht und warum sie ausgerechnet dort gelandet sind, sind unklar. Gehören sie zu den aus Cherson Evakuierten? Freiwillig oder mit Nachdruck aufgefordert? Es bleibt so vieles offen, wenn die Kommunikation kaum funktioniert!

14. November 2022 - 23:30

Es gibt noch kaum Verbindungen nach Cherson. Auch Roman konnte heute seine Eltern nicht erreichen. Während es in der Stadt wohl jetzt einfach Zeit braucht, um alles wieder auf ukrainische Netze umzustellen, ist die Befürchtung gross, dass auf der östlichen Seite des Dnjeprs jetzt die Frontlinie verläuft und entsprechende Kämpfe im Gang sind.

13. November 2022 - 22:15

In der Stadt Cherson gehen die Aufräumarbeiten weiter. Die Bevölkerung wird aufgefordert, vorsichtig zu sein. Es gibt immer noch sehr viele Minen. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass die Stadt aus dem Osten beschossen wird. Im russischen Fernsehen wird die Situation so dargestellt, dass die ukrainische Armee in die Stadt eingedrungen und die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt hätte...

Auf der östlichen Seite des Dnjepr bleibt die Lage gefährlich. Unbewohnte Häuser werden besetzt, Autos entwendet, Leute von der Polizei abgeführt und teils misshandelt.

12. November 2022 - 23:30

In Cherson ist es weitgehend ruhig - abgesehen von der feiernden Bevölkerung. Erste ukrainische Unternehmen scheinen bereits wieder zurückzukommen, offenbar sind auch schon wieder Züge nach Cherson geplant.

Aktuell gibt es praktisch in der ganzen Stadt keinen Strom, damit auch kein fliessendes Wasser, keine Heizung und keine Internet- oder Handy-Verbindung. Die ukrainische Regierung verspricht, dass in den nächsten Wochen die Infrastruktur weitgehend wieder hergestellt werden soll. Es ist erstaunlich, wie rasch andernorts Schäden mindestens provisorisch behoben wurden. Es ist also gut möglich, dass sich der Alltag in Cherson schon bald wieder einigermassen normalisiert.

12. November 2022 - 10:00

Ausgerechnet an dem Tag, der wohl in die Geschichtsbücher eingeht, der 11.11.22, fehlt unser Eintrag! Ja, wir haben tatsächlich im kleinen Kreis auf die Befreiung von Cherson angestossen - und dann war's plötzlich schon sehr spät...

Vermutlich waren die meisten gestern ebenso überrascht über die rasche Rückeroberung der Stadt und der Gebiete westlich des Dnjepr wie damals am 24. Februar über den Einfall der russischen Armee in die Ukraine. Vieles deutet darauf hin, dass die Aktion gut vorbereitet war und es vermutlich auch Absprachen gab, wann und wie der Rückzug erfolgt. So hielt sich zum Beispiel auch das Entsetzen/Erstaunen über die definitive Zerstörung der Antonov-Brücke in Grenzen - es schien wie ein logischer Schritt des Rückzugs.

Serhii, Ihor und Roman kommen vom östlichen Ufer. Wir hoffen sehr, dass sich jetzt dort die Lage nicht verschlechtert, weil sich nun sehr viele russische Truppen in der Gegend befinden. Ziehen sie sich weiter in Richtung Osten / Krim zurück? Versuchen sie mit allen Mitteln, sich am Ostufer des Dnjepr festzuklammern  - allenfalls mit der Option, irgendwann dann auch wieder Richtung Stadt Cherson vorzustossen?

Der 11.11. war ein sehr, sehr wichtiger und erfreulicher Tag, zu Ende ist der Krieg damit aber noch nicht.

10. November 2022 - 23:00

Heute hatten wir Besuch einer Mitarbeiterin und Übersetzerin der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion des Kantons Bern. Nach wie vor werden alle Gastfamilien besucht, um zu prüfen, ob alles gut läuft und um offene Fragen zu beantworten.

Zufällig besuchte uns dieselbe Mitarbeiterin wie schon im Juli für Lena, Sascha und Yaroslav. In der Zwischenzeit haben sich sehr viele Punkte, die zu Beginn noch unklar waren, gelöst. Nach wie vor gibt aber immer wieder neue Fragestellungen. Die ganz grosse Herausforderung bleibt die Unterbringung. Je nach Wohn- und Lebenssituation wird das Wohnen bei Gastfamilien zur Belastungsprobe für beide Seiten. Trotz guter technischer Hilfsmittel ist die Sprache eine grosse Hürde. Kann man fast nur über Übersetzungs-Apps korrespondieren, ist das sehr ermüdend. Die geringen Wohnungsmieten, die im Asylsozialwesen bezahlt werden, erschweren die Wohnungssuche. Hier wäre es durchaus auch im Interesse der Gastfamilien, diese Beträge zumindest temporär zu erhöhen.

9. November 2022 - 23:00

Erster "Schultag" für Roman! Sein Deutschkurs hat begonnen. Gute Nachrichten auch vom SEM, dem Staatssekretariat für Migration: "Der Schutzstatus S für Schutzsuchende aus der Ukraine wird nicht vor dem 4. März 2024 aufgehoben, sofern sich die Lage in der Ukraine bis dahin nicht grundlegend ändert." Damit haben eigentlich alle gerechnet. Noch fast wichtiger: Der Bund beteiligt sich mit 3000 Franken pro Person und Jahr an den Unterstützungsmassnahmen, insbesondere an der Förderung des Spracherwerbs. Bisher war nicht klar, ob der Betrag einmalig oder wiederkehrend ausgerichtet wird. Für unsere Leute heisst das, dass sie höchstwahrscheinlich auch im nächsten Jahr weiter Deutschkurse besuchen können. Das SEM betont auch, dass die Massnahmen rückkehrorientiert sind, also die Rückkehrfähigkeit fördern soll, sobald sich die Lage normalisiert.

Auf den ersten Blick erscheinen Integrationsförderung und Rückkehrfähigkeit widersprüchlich. Die Logik ist aber klar: Sprachkenntnis erhöht die Chancen auf dem Arbeitsmarkt, eine bezahlte Arbeit entlastet die Sozialdienste, ermöglicht evtl. sogar einen Sparbatzen anzulegen, der die Rückkehr erleichtert. Hier erworbene Kenntnisse erhöhen zudem die Re-Integration im Heimatland.

Quelle: Medienmitteilung des SEM vom 9. November 2022

8. November 2022 - 23:00

Gute Neuigkeiten aus dem Spital: die Operation von Lubas gebrochener Hand ist gut verlaufen und sie fühlt sich gut betreut und aufgehoben. Morgen wird sie bereits aus dem Spital entlassen. Die Hand bleibt für rund 1.5 Monate im Gips. Stürzen kann man überall auf der Welt. Die Behandlung einer daraus resultierenden Verletzung unterscheidet sich dann aber beträchtlich... In Cherson wurden viele Spitäler geschlosssen. Man hört von Plünderungen und sogar von Krankenwagen, die einfach entwendet wurden.

7. November 2022 - 23:15

Heute war ein ereignisreicherer Tag, als wir uns das gewünscht hätten: auf dem Weg zum Deutschkurs ist Luba, Lenas Mutter, gestürzt und hat sich die Hand gebrochen. Morgen muss sie operiert werden. Wir wünschen ihr, dass alles gut verläuft und sie rasch wieder gesund wird.

6. November 2022 - 22:30

Die Eltern von Roman berichten, dass es bei ihnen heute verhältnismässig ruhig gewesen sei. Aus der Stadt Cherson hingegen hört man, dass der  Strom (und damit auch Wasser, Heizung und Internet) einmal mehr ausgefallen ist.

Hier haben wir uns heute Nachmittag mit Versicherungen und Krankenkassen herumgeschlagen. Seit Sascha, Lena und Yaroslav nicht mehr auf der "Liste" von Asyl Berner Oberland sind, haben sie auch keine Privat- und Hausratsversicherung mehr - im Kanton Bern zwar nicht obligatorisch, aber gerade in ihrem Fall natürlich sehr zu empfehlen. Dank Vergleichsdienst und gutem Online-Angebot ist diese Lücke ab morgen geschlossen.

Die obligatorische Krankenkasse mussten sie 1:1 von Asyl Berner Oberland übernehmen. Sie bezahlen monatlich fast 1'000 CHF für drei Personen. Zum Glück ist der Zeitpunkt für einen Wechsel jetzt grad ideal. Voraussichtlich werden sie ab dem nächsten Jahr dank passenderem Modell und zweckmässiger Franchise pro Monat fast 200 CHF weniger Prämien bezahlen. Ein Betrag, der ihrem Haushaltbudget natürlich sehr gelegen kommt.

5. November 2022 - 23:00

In Cherson ist die Situation nach wie vor ungewiss. Glücklicherweise haben alle unsere Leute bis jetzt Kontakt zu ihren Lieben. Ausserhalb der Stadt funktionieren die Verbindungen erstaunlicherweise besser als in der Stadt.

In Bern hat heute ein "Tauschladen" speziell für Ukrainische Flüchtlinge eröffnet. Wir wollten kurz vorbeischauen und hatten auch ein paar Sachen zum Abgeben. Der Ansturm war so gross, dass wir nur unsere Sachen abgegeben haben und gleich wieder umgedreht sind. Das ist ein schöner Erfolg für die Organisatoren und zeigt einmal mehr, wie gut die Ukrainer untereinander vernetzt sind. Gleichzeitig ist genau jetzt mit den tieferen Temperaturen der Bedarf nach Winterkleidern und -schuhen gestiegen. Mit der monatlich ausbezahlten Sozialhilfe kann sich eine Familie unmöglich im selben Monat Kleider und Schuhe für alle leisten. Unser Asylwesen hat offenbar nicht mitbedacht, dass man Winterkleider genau dann haben muss, wenn's kalt wird... Die vielen privaten Initiativen für Tauschbörsen sind hochwillkommen und unverzichtbar.

4. November 2022 - 23:15

Ist man Flüchtling in der Schweiz sind Zahnbehandlungen ein Thema, mit dem man sich mühelos die Zeit um die Ohren schlagen kann: es beginnt damit, dass Zahnärzte nur sehr ungern Flüchtlinge für eine Behandlung aufnehmen. Grund dafür ist, dass im Asylwesen nur Schmerzbehandlungen bezahlt werden. Bevor man also vor Schmerzen kaum mehr schläft, kann man sich die Mühe, einen Zahnarzt zu finden, gleich sparen. Dazu kommt, dass Behandlungen nur bis zu einem bestimmten Betrag (bei Asyl Berner Oberland sind das 300 CHF) übernommen werden.

Das führt zu einem Dilemma für die Zahnärzte: entweder behandeln sie nur das absolute Minimum und werden so ihrem Anspruch an die Qualität ihrer Arbeit kaum gerecht - oder sie legen drauf.

Das Vergnügen, uns mit dieser Problematik auseinanderzusetzen, hatten wir aufgrund einer Zahnbehandlung von Yaroslav, die Asyl Berner Oberland nun (zurecht) nicht mehr übernimmt, da die Familie nicht mehr von der Asylsozialhilfe abhängig ist. "Fun fact" am Rande: die Rechnung, die Lena, Sascha und Yaroslav bezahlen müssen, ist rund 70 CHF höher als wenn sie Asyl Berner Oberland bezahlt hätte. Grund dafür ist ein Spezialtarif und der Maximalbetrag von 300 CHF, an den sich der Zahnarzt nun nicht mehr halten muss.

Mit der Freiheit kommt die Verantwortung - und der Pöstler mit den Rechnungen...

3. November 2022 - 22:30

Heute gab es sehr viele Gerüchte aus Cherson. Auf dem Regierungsgebäude wurde die russische Flagge offenbar entfernt. Es ist unklar, ob sich die russischen Truppen tatsächlich aus der Stadt zurückziehen oder nur neu formieren. Die Evakuationen werden weiter vorangetrieben.

Ein Kollege hat sich gemeldet, er habe jetzt nach mehreren Tagen endlich wieder Internet-Verbindung. Ob über das ukrainische oder russische Netz wissen wir im Moment nicht.

2. November 2022 - 22:45

Die Evakuationen östlich von Cherson, wo Roman herkommt, werden scheinbar mit zunehmendem Druck vorangetrieben. Seine Eltern wollen bleiben. Dafür müssen sie eine Verzichtserklärung unterzeichnen! Eine Verzichtserklärung, um dort bleiben zu dürfen, wo sie seit Jahrzehnten wohnen und zu Hause sind...

Solle es ganz kritisch werden, haben sie die Möglichkeit zu Romans Schwester zu ziehen, die in einem naheliegenden Dorf lebt.

1. November 2022 - 21:45

Heute erhielten wir einen Anruf des Sonderstabs Ukraine der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion des Kantons Bern. Wie schon bei Lena, Sascha und Yaroslav erkundigen sie sich nach dem Befinden von Roman und von uns als Gastfamilie und vereinbaren einen Besuchstermin.

Der Anruf kommt knapp einen Monat nach Romans Ankunft. Bei Lena, Sascha und Yaroslav hat es noch drei Monate gedauert zwischen Ankunft und dem Besuch. Aktuell kommen deutlich weniger Flüchtlinge an und die Prozesse haben sich wohl in der Zwischenzeit ebenfalls gut eingespielt.

31. Oktober 2022 - 23:15

Offenbar sind die Internetverbindungen wieder etwas stabiler geworden. Unklar ist im Moment, ob es gelungen ist, die ukrainischen Netze wieder in Betrieb zu nehmen oder ob die meisten Verbindungen über das russische Mobilfunknetz laufen.

Die Eltern von Roman machen sich Sorgen, weil der von Russlands Gnaden eingesetzte Bezirksverwalter angekündigt hat, dass weitere Gebiete rund um Cherson evakuiert werden sollen. Ihr Dorf gehört dazu. Ausserhalb der Stadt wollen die Bewohner ihre Häuser und Pflanzungen noch viel weniger verlassen als die Städter ihre Wohnungen. Es ist ihre über viele Jahre aufgebaute Existenzgrundlage.

30. Oktober 2022 - 22:00

Telefon- und Internet-Verbindungen nach Cherson sind immer noch sehr instabil. Immerhin reicht es in der Regel, um täglich in Kontakt zu bleiben, um mindestens zu erfahren, dass alles (natürlich den Umständen entsprechend) in Ordnung ist.

Kürzlich konnte man bei SRF lesen, dass die russischen Besatzer nach eigenen Angaben die ukrainische Stadt Cherson und das Gebiet nordwestlich des Flusses Dnipro von Zivilisten geräumt haben. Das deckt sich überhaupt nicht mit den Informationen, die uns vorliegen: wir kennen niemanden, der Cherson in den letzten Wochen verlassen hat. Die Leute, mit denen wir noch Kontakt haben, berichten, dass es fast keine Leute auf den Strassen gebe, in der Stadt sei es aber einigermassen "normal". Sie sind verunsichert und harren der Dinge, die da kommen.

29. Oktober 2022 - 23:45

Heute haben wir uns zum Thema "Auto mit ukrainischen Kennzeichen" schlau gemacht: bis zur Flüchtlingswelle aus der Ukraine gab es sozusagen keine Flüchtlinge, die per Auto in die Schweiz einreisten. Entsprechend gibt es dafür auch keine gängige Praxis. Für Autos mit ukrainischen Nummernschildern gelten deshalb dieselben Regeln wie für alle Autos mit ausländischer Registrierung: maximal ein halbes Jahr dürfen sie mit den ausländischen Nummernschildern gefahren werden, danach müssen sie eingeführt (sprich: verzollt), geprüft und in der Schweiz immatrikuliert werden. Das ist mit hohen Kosten verbunden. Für die allfällige Rückreise in die Ukraine wäre dann das umgekehrte Prozedere erforderlich. Für Saschas Auto lohnt sich dieser Aufwand voraussichtlich nicht mehr. Sie werden das Auto wohl irgendwo günstig einstellen. Dank der zentralen Lage ihrer Wohnung sollte der Verzicht aufs Auto einigermassen schmerzfrei möglich sein.

28. Oktober 2022 - 22:30

In Romans Heimatdorf wurden in den letzten Tagen drei leerstehende Häuser von russischen Soldaten aufgebrochen und in Beschlag genommen. Romans Familie macht sich Sorgen, weil das Haus seines Grossvaters, der im letzten Jahr verstorben ist, ebenfalls leer steht. Das zeigt einmal mehr, dass es nirgends mehr wirklich sicher ist - weder in den Städten noch in irgendeinem abgelegenen Dorf.

27. Oktober 2022 - 23:45

Heute hatten wir nach längerem wieder einmal ein Gespräch mit Asyl Berner Oberland. Die Behörde ist bemüht, allen Ansprüchen gerecht zu werden, ist aber nach wie vor ziemlich überlastet. Zudem rechnen sie bis Ende Jahr noch einmal mit einer grösseren Flüchtlingswelle, nicht nur aus der Ukraine, sondern auch aus andern Ländern.

Das Beispiel von Lena, Sascha und Yaroslav zeigt, dass eine rasche Integration möglich ist, aber eine enge Betreuung und Unterstützung voraussetzt. Bundesrätin Karin Keller-Sutter hat kürzlich in einem Interview betont, dass die Integration in den Arbeitsmarkt während dem Aufenthalt hier in der Schweiz die beste Voraussetzung sei für eine rasche Rückkehr ins Heimatland, wenn sich Konfliktsituationen beruhigen. Wer gearbeitet und damit eine geregelte Tagesstruktur hatte, hat viel bessere Chancen, im Heimatland rasch wieder Fuss zu fassen.

Wären die finanziellen Mittel der zuständigen Behörde so bemessen, dass es für mehr als eine minimale Betreuung reichte, dann führte das nicht zu "verwöhnten Flüchtlingen", sondern würde intakte Voraussetzungen schaffen für eine Integration während dem Aufenthalt hier und für die Rückkehr ins Heimatland. 

26. Oktober 2022 - 23:00

Acht Monate nach Beginn des Krieges hat zum ersten Mal eine Geldüberweisung in die Ukraine nicht mehr funktioniert. Auf Nachfrage hat PostFinance mitgeteilt, dass Überweisungen in die besetzten Gebiete nicht mehr ausgeführt würden. Warum das gerade jetzt geändert hat, ist für uns nicht ganz nachvollziehbar. Unklar ist ebenfalls, ob es sich um eine interne Regelung von PostFinance handelt oder ob alle Banken gleich handeln. Wir werden da nochmal nachhaken müssen oder Alternativen suchen.

25. Oktober 2022 - 22:15

Es ist absurd: seit der Mobilmachung ist der Kontakt zu den Verwandten aus Russland wieder leicht entspannter geworden. Gerade die ältere Generation steht zwar nach wie vor mehrheitlich hinter der Politik Putins ("Unser Präsident weiss schon, was zu tun ist. Wir kleinen Leute können das ja gar nicht beurteilen, geschweige denn ändern."). Der Krieg ist jetzt an der Haustür angekommen und spielt sich nicht mehr nur im TV ab. Einer der beiden Enkel von Galinas Schwester in Moskau hat seit seiner Kindheit ein Leiden und kommt nicht in Frage fürs Militär, sein Bruder hingegen könnte aufgeboten werden. Er geht kaum mehr auf die Strasse. Als Vorsichtsmassnahme hat er sich als Vormund der Grossmutter registrieren lassen, um im Falle eines Aufgebots möglichst nicht einrücken zu müssen.

Eine Cousine hat Sascha angeboten, nach Moskau zu kommen. Sie würden sich kümmern und könnten evtl. auch Arbeit vermitteln - in Cherson sehe es ja nicht gut aus. Sie komme sieben Monate zu spät, hat Sascha ihr geantwortet...

Verstörend auch zu hören, dass sich der Mann von Tanjas Cousine hinter dem Rücken der Familie als Freiwilliger gemeldet hat. Er wurde wieder nach Hause geschickt, weil er keinen Marschbefehl erhalten hatte. Der Haussegen hänge ziemlich schief seither...

24. Oktober 2022 - 22:30

Auf alternativen Kanälen , z.B. mit russischen SIM-Karten, konnten viele zumindest temporär wieder Kontakt aufnehmen mit ihren Lieben in Cherson. Da sind die Ukrainer unglaublich kreativ und erfinderisch.

Tanja hat heute nach längerem wieder einmal im Bundesasylzentrum gearbeitet. Nach wie vor gibt es zurzeit kaum mehr ankommende Flüchtlinge. Niemand kann sagen, ob es nochmal zu einer Zunahme kommt, sei es weil sich die kriegerische Situation weiter verschlechtert oder aufgrund kalter Temperaturen.

Roman hat die Bestätigung erhalten für einen Deutschkurs ab dem 9. November!

23. Oktober 2022 - 22:30

Seit gestern Nachmittag gibt es in und rund um Kherson kaum mehr Internetverbindungen, also auch keinen Kontakt mehr z.B. zu Romans Eltern. Meldungen zufolge nehmen die Russen alles mit, was nicht niet- und nagelfest ist - so auch massenweise Kommunikationsinfrastruktur.

Wir haben einen sehr gemütlichen "ukrainischen" Nachmittag verbracht mit von Roman marinierten Schaschlik. Er hatte uns schon vor langem versprochen, dass er uns mal zu sich nach Hause einlädt. Dass er uns nun bei uns zu Hause einlädt hätten wir uns in den kühnsten Gedankenspielen nicht ausgedacht...

22. Oktober 2022 - 21:30

Nach wie vor sind in Cherson sowohl die ukrainische Griwna wie auch der russische Rubel im Umlauf. Heute haben wir von jemandem gehört, dass offenbar viele versuchen, die Rubel loszuwerden. Ein weiteres Indiz, dass die russische Besatzung alles andere als gefestigt ist.

21. Oktober 2022 - 22:00

Es macht den Anschein, dass sich die Russen tatsächlich aus der Stadt Cherson zurückziehen. Ob es nur Verschiebungen sind oder tatsächlich ein Rückzug ist unklar. Ebenso, ob es ein Befehl "von oben" ist oder eher ein "Rette sich wer kann".

Trotz der Druckversuche der Russen gegen die Bevölkerung, die Stadt zu verlassen (und mit den organisierten Transporten nach Russland auszureisen), haben wir bisher aus unserem Umfeld von niemandem gehört, wer dem Aufruf gefolgt wäre. Wer jetzt noch dort ist, bleibt.

20. Oktober 2022 - 23:45

Einmal mehr ist die Lage in Cherson ungemütlich. Plünderungen scheinen zuzunehmen, die Bedrohungslage ist ungewiss. Offenbar ist die Staumauer bei Novoaya Kakhovka, ca. 70 km von Kherson entfernt, stark vermint. Es gibt die Befürchtung, dass die Mauer gesprengt werden könnte. Einwohner der Stadt Cherson hätten Schätzungen zufolge ca. 2 Std. Zeit, um sich vor der Flutwelle in Sicherheit zu bringen.

Romans Eltern geht es den Umständen entsprechend gut. Sie sind sehr froh, dass Roman in Sicherheit ist. In den Dörfern ist die Versorgungslage auch wesentlich besser, man konnte sich über den Sommer Vorräte zulegen und hat auch den Platz, um diese zu lagern. Zum Heizen gibt's genügend Brennholz. In den Städten dürfte der Winter in den schlecht isolierten Wohnungen, die grösstenteils mit Fernwärme geheizt werden, deutlich anstrengender werden.

19. Oktober 2022 - 23:30

Zufallsbegegnung heute beim Laden des E-Autos: Tesla mit ukrainischem Kennzeichen. Die Fahrerin, wohl so um die 40, ist aus Kiew geflüchtet, hat früher mehrere Jahre in Kherson gelebt (die Welt ist klein...). Offensichtlich besser gestellt, erfolgreiche "Businessmenka" (Geschäftsfrau). Ihre Mutter ist nach Südfrankreich ("an die Wärme") geflüchtet. Sie habe selber auch drei Monate in Frankreich verbracht, habe jetzt aber den Status S im Kanton Waadt erhalten. Sie lebt in einer Flüchtlingsunterkunft in Lausanne mit mehreren Leuten im selben Raum. Die Schweiz gefalle ihr sehr, zum Glück habe sie ein Auto und könne die vielen schönen Orte besuchen. News aus der Ukraine lese sie kaum mehr, das deprimiere zu sehr, aber ja: ganz entziehen könne man sich der Realität ja nicht. Die Reise mit dem Auto von Kiew bis hierher sei lang und anstrengend gewesen (kurz an Roman gedacht, nichts gesagt).

Die Flüchtlingsgeschichten sind vielfältig, gemeinsam haben sie eines: niemand, aber auch wirklich NIEMAND tauscht sein bisheriges Leben - wie auch immer es war - freiwillig gegen dasjenige eines Flüchtlings. Das "S" beim Status S steht für "Schutzbedürftig" - weil aktuell grad unkontrolliert Dutzende wenn nicht Hunderte von Drohnen auf bewohntes Gebiet niedergehen. Der materielle Status spielt dabei sowas von keine Rolle.

18. Oktober 2022 - 22:45

Roman kam heute ziemlich geschafft nach Hause vom Deutschkurs. Der Einstieg ein Monat nach Kursbeginn ist ein zu hoch gestecktes Ziel. Auf der einen Seite ist das natürlich schade für Roman, auf der andern Seite spricht es für die Qualität der Kurse, die das Bildungszentrum Interlaken anbietet. Leider startet ein neuer Kurs erst Anfang nächstes Jahr. Wir werden uns deshalb nach anderen Möglichkeiten umsehen.

17. Oktober 2022 - 22:45

Nach den Herbstferien geht es ab dieser Woche weiter mit den Deutschkursen. Es zeichnet sich ab, dass die Intensivkurse für die ukrainischen Flüchtlinge noch bis Ende Jahr angeboten werden. Danach stehen die regulären Kurse z.B. an den Volkshochschulen zur Verfügung.

Roman kann morgen in einen laufenden Kurs, der bereits nach den Sommerferien begonnen hat, "hineinschnuppern". Wenn's klappt, dann kann er dort einsteigen und damit bis Weihnachten ebenfalls noch intensiv deutsch lernen...

16. Oktober 2022 - 22:15

In Kherson hat sich während unseren Ferien nicht sehr viel verändert. Die Ukraine scheint weiterhin auf dem Vormarsch, bis zu einer vollständigen Rückeroberung der besetzten Gebiete dürfte aber noch einige Zeit vergehen. In welchem Zustand Land und Leute dann sein werden ist eine andere Frage...

Lena, Sascha und Yaroslav haben sich in ihrer Wohnung eingelebt und schon gut an die neue Umgebung gewöhnt. Auch Roman hat sich in den zwei Wochen seit seiner Ankunft hier bereits gut erholen können. Mit der Unterstützung von Serhii hat er einen guten Teil der Formalitäten bereits erledigt. Er hat den Status S mit Wohnkanton Bern erhalten und wohnt vorerst bei uns. Wir sind immer noch überzeugt, dass die Unterbringung in einer Gastfamilie für eine rasche Integration ein gutes Konzept ist und wollen da auch weiterhin einen Beitrag leisten.

8. bis 15. Oktober 2022 - 23:15

Ferienpause.

7. Oktober 2022 - 23:30

Diese Woche haben Lena, Sascha und Yaroslav von Asyl Berner Oberland die September-Abrechnung erhalten mit dem Hinweis / der Empfehlung, sie könnten dank ihres Einkommens Ihren Lebensunterhalt bereits ohne Asyl-Sozialhilfe bestreiten. Zunächst einmal ist das - nach gerade mal fünfeinhalb Monaten in der Schweiz - ein Riesenerfolg und Grund zur Freude. Gleichzeitig heisst das auch, dass sie ab sofort für sämtliche Belange - Miete, Versicherungen, Krankenkasse und so weiter - selber schauen müssen resp. dürfen. Ein grosser Schritt in Richtung Unabhängigkeit hier in der Schweiz. Bevor es soweit ist wird es noch ein Gespräch geben, in dem die genauen Modalitäten festgelegt werden. Danach werden sie wie wir alle die besten Versicherungs- und Krankenkassenlösungen evaluieren dürfen...

6. Oktober 2022 - 23:15

Wir (Tanja und Thomas) haben heute einen wunderschönen Tag mit einem langen Spaziergang in der Lüneburger Heide verbracht. Das hilft, etwas Distanz zu gewinnen und Energie zu tanken. Gleichzeitig lassen einen die aktuellen Entwicklungen im Süden der Ukraine nicht ganz los. Zudem versuchen wir aus der Ferne bestmöglich zu unterstützen, damit mit der Registrierung von Roman alles klappt und er eine gute Unterbringung bekommt.

5. Oktober 2022 - 23:15

Körperlich hat sich Roman schon recht gut erholt. Am schlimmsten und anstrengendsten sei die Wartezeit an der Grenze zwischen Russland und Estland gewesen: ausser einer Tankstelle habe es weit und breit nichts gegeben. In der Tankstelle hätten vor allem Frauen und Kinder Schutz gefunden, die Männer seien draussen gewesen. Den grössten Teil der Zeit habe man stehend verbracht, da man ja in einer Warteschlange zum Grenzübertritt gewesen sei und die Position nicht verlieren wollte. Und das während unvorstellbar langen vier Tagen!

4. Oktober 2022 - 23:00

Verfolgt man die aktuelle Berichterstattung zum Kriegsgeschehen in der Ukraine kann man nur froh sein für alle, die in Sicherheit sind und in Gedanken für diejenigen einstehen, die noch vor Ort sind. Es ist davon auszugehen, dass die nächsten Wochen gerade in den besetzten Gebieten hart werden. Es gibt keine vernünftige Erklärung, wie es sich Russland vorstellt, die völkerrechtswidrig annektierten Gebiete auch nur annähernd zu kontrollieren.

Am  Wochenende haben wir mit Olga, einer Nachbarin von Oma Galina, die noch vor Ort ist, abgeklärt, ob es überhaupt noch möglich ist, mit Kreditkarten oder ukrainischer Währung zu bezahlen. Nachdem wir ihre Bestätigung erhalten haben, haben wir nach über einem Monat wieder Geld überwiesen. Dieses Mal werden wir Barbeträge an einige bedürftige Personen abgeben. Logistisch ist der Aufwand für die Beschaffung von Medikamenten oder sonstigen Waren aktuell zu gross und zu unsicher.

3. Oktober 2022 - 22:30

Roman hat auch die letzte Etappe seiner Flucht quer durch Osteuropa geschafft und ist heute Abend in der Schweiz angekommen. Insgesamt war er also länger als eine Woche unterwegs. Wir sind froh, dass er da ist und hoffen, dass er sich schnell hier wohl fühlt und zurecht findet.

2. Oktober 2022 - 23:30

Um 7 Uhr heute früh hat sich Roman aus Warschau gemeldet! Auf estnischer Seite sei die Grenzkontrolle ohne Zwischenfälle und zügig abgewickelt worden und auch die knapp 1'000 km lange Fahrt bis Warschau sei gut verlaufen.

Er ist nun für eine Nacht in einem Hotel einquartiert und wird bereits morgen Montag nach Zürich fliegen! Serhii und Ihor werden ihn dort abholen. Einmal mehr dank riesiger Unterstützung aus unserem Umfeld hat Roman für die ersten zwei Wochen eine Bleibe und gute Betreuung.

Tanja und ich sind nämlich ab morgen für zwei Wochen in den Ferien. Dass Roman ausgerechnet in dieser Zeit die Flucht gelingt hatten wir nicht in die Planung einberechnet... Selbstverständlich werden wir die nächsten Tage über Romans Ankunft berichten. Je nach Entwicklung der Lage in der Ukraine gönnen wir uns danach den einen oder andern Tag Pause.

1. Oktober 2022 - 21:30

Bei uns ist es leer und still geworden: Sascha, Lena und Yaroslav haben heute ihre Wohnung in Thun bezogen. Damit beginnt für uns alle nach fünfeinhalb Monaten 2-Familien-WG ein neuer Abschnitt. Wir freuen uns sehr für die drei über diesen weiteren grossen Integrationsschritt.

Mit Roman haben wir kurz sprechen können, nachdem er die russische Grenzkontrolle bereits passiert hatte und diverse Formulare am estnischen Kontrollposten ausfüllen musste. Im besten Fall kommt er morgen in Warschau an. Er wird voraussichtlich etwa zwei Tage dort bleiben, um wieder etwas zu Kräften zu kommen, bevor er danach hierher kommt.

30. September 2022 - 22:30

Roman hängt immer noch an der Grenze fest. Heute hat Serhii etwas länger mit ihm gesprochen. Ein Bus hat ihn bis zur Grenze gebracht und die Leute dort aussteigen lassen. Der Grenzübertritt erfolgt zu Fuss. Auf der andern Seite der Grenze steht dann (so das Versprechen der Schlepper) wieder ein Bus bereit, der die Leute aufnimmt und bis nach Warschau führt.

Freiwillige Helfer verteilen Schlafsäcke und Decken. Er meinte, er wäre in Cherson geblieben, wenn er gewusst hätte, was ihn erwartet. Allerdings ist die Lage dort auch nicht gerade ermutigend. Militärisch scheint die Ukraine zwar nach wie vor Fortschritte zu machen, umso mehr Druck wird in den (noch) besetzten Städten aber auf die Bevölkerung ausgeübt.

Wir hoffen, dass es Roman morgen über die Grenze schafft und nicht noch eine weitere Nacht im Freien verbringen muss.

29. September 2022 - 22:45

Roman hat sich heute Vormittag vom Grenzübergang gemeldet. Wie befürchtet geht es nicht vorwärts, die Leute übernachten in ihren Fahrzeugen oder draussen. Tagsüber ist die Temperatur nur knapp über 10 Grad, nachts um die 5 Grad.

Nach der Grenze hat er nochmal knapp 1'000 km Fahrt vor sich bis nach Warschau. Ab dort schauen wir dann für einen Flug in die Schweiz.

28. September 2022 - 23:30

Roman ist an der Grenze zwischen Russland und dem Baltikum angekommen! Er rechnet damit, dass es einige Tage (!) dauern wird, bis er über die Grenze kommt. Wir hoffen für ihn dass es nicht allzu kalt wird und es dann vielleicht doch schneller geht als gedacht.

Hier laufen die Umzugsvorbereitungen von Sascha, Lena und Yaroslav auf Hochtouren. Dieses Wochenende ist es soweit: sie beziehen ihre eigene Wohnung!

27. September 2022 - 23:00

Roman hat sich heute Abend aus Woronesch gemeldet - es geht voran...

Dreister geht kaum: der Kreml verkündet einige Minuten nach Ende der Schein-Referenden bereits Resultate. Rund 97% Ja-Anteil in allen Gebieten... Wenn das stimmen würde, würden wir in Cherson alle kennen, die Nein gestimmt haben...

26. September 2022 - 23:45

Roman hat heute Cherson tatsächlich verlassen! Spätabends hat er geschrieben, er sei nun in Simferopol, also auf der Krim. Voraussichtlich wird er nach einer Fahrt quer durch Russland nach Polen ausreisen. Er nimmt also eine ähnliche Fluchtroute wie Tanjas Freundin Luda Anfang Juli. Erschwerend kommt nun dazu, dass seit letzter Woche viele Russen aufgrund der Mobilmachung versuchen auszureisen. Das führt zu grossen Staus an den Grenzübertritten und schärferen Kontrollen. Wir drücken alle Daumen, dass Romans Flucht gelingt und hoffen, dass er bald an einem sicheren Ort ist.

25. September 2022 - 21:45

Oma Galina wohnte in Cherson in einem 9-stöckigen Wohnblock mit mehreren Eingängen. Diese Eingänge sind mit einer Metalltür geschlossen, hinein kommt man nur mit einem Badge oder per Gegensprechanlage. Eine Nachbarin, die noch vor Ort ist, hat erzählt, dass ein Wahlkomitee an die Tür geklopft habe, geöffnet habe niemand. Immerhin: die Wahlleute sind unverrichteter Dinge wieder abgezogen ohne Druck oder Gewalt anzuwenden. Es ist unklar, wie viele der Wahlhelfer selber gezwungen wurden, bei dieser Farce mitzuhelfen. Es gibt auch Hinweise, dass wiederum Leute "importiert" wurden, damit genügend Stimmen zustande kommen.

Fakt bleibt: der Rückhalt der Bevölkerung für diese Schein-Referenden ist gleich null.

24. September 2022 - 22:00

Was wir gestern schon befürchteten scheint nun tatsächlich so: die Grenze zwischen Russland und Georgien ist dicht. Das heisst, dieser Fluchtweg ist für Roman im Moment nicht mehr realistisch. Als Alternative gibt es noch die Route quer durch Russland und dann via Baltikum nach Polen. Heute konnte Roman noch nicht sagen, ob und wann sie genau aufbrechen werden.

23. September 2022 - 21:45

Roman hat sich heute erkundigt, ob die Schweiz immer noch Flüchtlinge aufnehme. Er zieht tatsächlich in Erwägung, zusammen mit zwei Kollegen aus der Nachbarschaft via Georgien zu fliehen! Es ist ungewiss, ob diese Route überhaupt noch passierbar ist. Aufgrund der Mobilmachung in Russland versuchen derzeit auch viele Russen, in Richtung Georgien Russland zu verlassen. Wir hoffen sehr, dass alles gut geht.

22. September 2022 - 23:15

Ab morgen sollen in den besetzten Gebieten die so genannten Referenden abgehalten werden. Die Ergebnisse wurden bereits publiziert: in Cherson soll die Zustimmung 80% betragen. Das hätten Umfragen im Vorfeld gezeigt. Dass man innerhalb einer Woche in einem Kriegsgebiet ein faires Referendum organisieren und im Vorfeld noch verlässliche Umfrageergebnisse erheben kann ist an Absurdität kaum zu übertreffen.

Die Konsequenzen sind gnadenlos: sobald Russland die Gebiete aufgrund der "Referenden" als Teil Russlands ansieht, werden die wehrpflichtigen Männer, insbesondere diejenigen, die - aus welchen Gründen auch immer - in den letzten Wochen einen russischen Pass bezogen haben, in die Armee gegen die Ukraine einbezogen.

21. September 2022 - 22:30

Wie auch in den Medien war heute bei den Leuten hier und in der Ukraine die russische (Teil-)Mobilmachung das grosse Thema. Einerseits schockiert die weitere Eskalation. Andererseits sind sich die meisten einig, dass es eher ein Zeichen der Schwäche der russischen Regierung ist. Bis vor kurzem wurde eine Mobilmachung kategorisch ausgeschlossen. Nun scheint der Kreml keine andere Lösung mehr zu sehen.

Offenbar gab es in zahlreichen Städten in Russland Proteste gegen die Mobilmachung. Allerdings muss sich noch zeigen, wogegen sich der Protest richtet: gegen die Mobilmachung, die nun alle betrifft oder tatsächlich gegen den Krieg und die Greueltaten der russischen Kriegsführung? Etwas verstörend wirkt in diesem Zusammenhang auch die Aussage von Galinas Schwester aus Moskau: "Heute hat hier der Krieg begonnen." - in unserer Wahrnehmung dauert der Krieg bereits 7 Monate, für die Menschen aus dem Donbass dauert er seit 2014...

20. September 2022 - 23:00

Wir haben soeben auf SRF 2 den (empfehlenswerten) Dokumentarfilm «Nawalny – Gift hinterlässt immer eine Spur» über Alexei Nawalny, den bekannten russischen Oppositionspolitiker, geschaut. Im Januar 2021, also etwas mehr als ein Jahr vor Kriegsbeginn, kehrte er nach seiner medizinischen Behandlung aus Deutschland nach Moskau zurück und wurde noch am Flughafen verhaftet. Die Menschen gingen damals zu Zehntausenden protestierend auf die Strasse. Schon damals war die Härte der Polizei unübersehbar. Dass es ein Jahr später kaum Proteste gegen den Angriffskrieg auf das Nachbarland gab wirkt trotzdem verstörend. Es ist unvorstellbar, wie Repression und Propaganda ein ganzes Volk zum Schweigen bringen können.

19. September 2022 - 23:00

Roman, unser MyPAR-Mitarbeiter, der nach wie vor in Cherson vor Ort ist, relativiert seine Fluchpläne von Ende September bereits wieder: bei ihnen ausserhalb von Cherson auf der östlichen Seite des Dnjeprs sei es relativ ruhig. Offenbar sind deutlich weniger russische Truppen und Checkpoints in der Gegend sichtbar als noch vor ein paar Wochen. Roman scheint fest davon überzeugt zu sein, dass sich das ganze Gebiet Cherson bald wieder unter ukrainischer Kontrolle befinden werde. Eine Flucht dränge sich deshalb vermutlich nicht mehr auf...

18. September 2022 - 22:15

Zum heutigen Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag sagen wir einfach DANKE. Danke, dass unsere Lieben gesund hierher kommen konnten. Danke allen, die ohne lange abzuwägen, jemanden bei sich aufgenommen haben. Danke für alle Handreichungen und Spenden, die wir bis heute täglich entgegennehmen dürfen. Danke, dass diejenigen aus unserem Umfeld, die sich entschieden haben zu bleiben, bisher unversehrt geblieben sind.

17. September 2022 - 22:15

Endlich! Die vor langer Zeit bestellten (und bezahlten) Medikamente sind in Cherson eingetroffen. Es war von Anfang an schwierig, Güter von der ukrainischen Seite in die besetzten Gebiete zu bringen. So lange wie dieses Mal hat es jedoch noch nie gedauert. Dabei werden die Medikamente mehr denn je gebraucht. Die Beschüsse sind intensiv und reichen teilweise bis ins Stadtzentrum.

16. September 2022 - 23:00

Tanja arbeitet immer noch rund einen halben Tag pro Woche im Bundesasylzentrum in Bern. Im Gegensatz zu den ersten Wochen, in denen der Ansturm kaum zu bewältigen war, ist es nun viel ruhiger und dadurch auch strukturierter geworden. Geblieben sind die oft traurigen Schicksale. So gibt es zahlreiche Flüchtlinge, die 2014 aus dem Donbass in die Vorstädte von Kiev geflohen sind, sich dort in den letzten Jahren eine neue Existenz aufgebaut haben und nun erneut vor dem Nichts stehen.

Bis Ende Mai lebten ca. 55'000 ukrainische Flüchtlinge in der Schweiz. Jetzt, Mitte September, sind es 65'500. Im europäischen Vergleich ist das relativ bescheiden. So hat Litauen - bevölkerungsmässig rund 3x kleiner als die Schweiz - fast genauso viele Flüchtlinge aufgenommen. Dies, obwohl die Schweiz sehr grosszügige Unterstützung bietet. Viele zögern aufgrund der Sprache und der hohen Lebenshaltungskosten. Polen (1.4 Mio.) und Deutschland (knapp 1 Mio.) sind immer noch die grössten Aufnahmeländer. Und Russland: 2.6 Mio. - hier allerdings unklar, wie hoch der Anteil unfreiwilliger Deportationen ist.

15. September 2022 - 23:00

Diese Woche haben unser MyPAR-Mitarbeiter Serhii und sein Cousin Ihor zum ersten Mal seit ihrer Ankunft im Mai eine schriftliche Verfügung erhalten, aus der hervorgeht, wie sich ihre Unterstützungsbeiträge zusammensetzen. Das ist insbesondere dann relevant, wenn ein eigener Verdienst dazu kommt. Es gilt auf der einen Seite abschätzen und planen zu können, in welchem Umfang und wie lange sie noch von der Asylhilfe abhängig sind. Gleichzeitig stellt die Behörde (zurecht) Forderungen nach Rückerstattung (da ja ein Einkommen vorliegt). Dass man da genau hinschaut, ob alles "aufgeht", sind wir uns ja auch gewohnt...

Bei Lena, Sascha und Yaroslav ist die Sache komplizierter: wir haben die Verfügung, mit der ihnen der Grundbedarf auf monatlich 912 CHF für Verpflegung, Kleider und persönlicher Bedarf für drei Personen reduziert wurde, nicht akzeptiert und Beschwerde eingereicht. Wir verstehen, dass das bei der zuständigen Behörde keine Begeisterungsstürme ausgelöst hat. Entsprechend kühl und schleppend verläuft nun die Kommunikation. Nicht unser Wunschszenario und normalerweise auch nicht unsere Art. Wir hoffen auf eine rasche Bearbeitung und Klärung. Viele Mitarbeitende bei Asyl Berner Oberland, der vom Kanton und vielen Gemeinden beauftragten Organisation, bemühen sich sehr und leisten grossartige Arbeit.

14. September 2022 - 22:30

Sascha hat heute vergeblich versucht, Bekannte in Cherson zu erreichen. Zurzeit sind Infrastrukturausfälle wieder einmal häufiger.

Vielerorts ist die Bevölkerung gespalten: der eine Teil findet sich mit der Besatzung ab und stellt sich auf eine russische Zukunft ein, für den anderen Teil kommt das nicht in Frage. Für Viele ist es schlichtweg eine Frage des Überlebens: ist bspw. jemand auf eine Rente angewiesen, dann bleibt kaum eine Wahl - man ist gezwungen, sich derjenigen Seite anzuschliessen, die überhaupt noch Renten ausbezahlt. Letztlich geht es allen um dasselbe: Normalität ohne ständige Bedrohung.

13. September 2022 - 22:30

Es sind wieder einmal Tage, an denen es aus der Ukraine mehr Gerüchte als Fakten gibt. Fakt ist, dass es der Ukraine gelungen ist, in kürzester Zeit mehr Gebiete als erwartet zurückzuerobern. Wie gross genau diese Gebiete sind und vor allem ob sie auch über längere Zeit gehalten werden können, müssen die nächsten Wochen zeigen.

Eher aus der Gerüchteküche stammen wohl ernsthafte Verhandlungen mit oder gar Kapitulationen von Teilen des russischen Militärs. Was genau sich in Moskau hinter den Kulissen abspielt ist ebenfalls unklar, ein rascher Machtwechsel dürfte aber kaum bevorstehen. Wobei: gegen Michail Gorbatschow, den letzten Präsidenten der Sowjetunion, wurde geputscht als er auf seiner Datscha auf der Krim war. Putin scheint sich aktuell in seiner Residenz in Sochi zu befinden - vielleicht inspiriert das ja ein paar alte Sowjets...

12. September 2022 - 22:45

Am 1. September hat in der Ukraine das neue Schuljahr begonnen. Normalerweise ist das ein grosser Tag für die Kinder, der in der Schule zusammen mit Eltern (die wohl auch nicht so unglücklich sind, dass die 3-monatigen Sommerferien vorbei sind...) begangen wird.

Nach den ersten Schulwochen zeigt sich dieses Jahr ein tristes Bild: die Klassen sind klein geworden, im Vergleich zu vor dem Krieg gibt es nicht mehr viele Kinder und Jugendliche, die geblieben sind.

Im besetzten Cherson wurde auf den russischen Lehrplan umgestellt. Schulen nach ukrainischem Lehrplan wurden verboten. Für die Eltern ist das ein Dilemma, das offenbar häufig dazu führt, dass sie ihre Kinder im Moment gar nicht mehr in die Schule schicken. Einerseits wollen sie sie nicht der russischen Propaganda aussetzen, andererseits ist es vielen einfach auch zu gefährlich. Dazu kommt, dass nun auch von ukrainischer Seite Druck gemacht wird, dass es im Falle einer Rückeroberung Konsequenzen haben könnte für diejenigen, die ihre Kinder während der Besatzung in russische Schulen geschickt haben. Nach zwei Jahren Corona und nun schon mehr als sechs Monaten Krieg sind das keine guten Startbedingungen für Kinder im Schulalter!

11. September 2022 - 21:45

Natascha, eine Jugendfreundin von Tanja, befindet sich immer noch in Cherson. Sie besitzt ausserhalb der Stadt eine Datscha, wo sie und ihr Mann sich seit Kriegsbeginn fast die ganze Zeit aufhielten. Nach der Zerstörung der Brücke über den Dnjepr ist ihr die Überfahrt mit der provisorischen Fähre zu gefährlich. Während der Überfahrt zucke man bei jedem Geräusch aus Angst, es könnte sich um einen Beschuss der Fähre handeln, zusammen.

In den letzten Tagen schlug nur ein paar Hundert Meter entfernt von ihrer Wohnung eine Rakete ein. Obwohl das Ziel, eine militärische Einrichtung, präzis getroffen wurde, macht das natürlich Angst. Ihre Wohnung in Cherson verlassen sie im Moment deshalb nur noch für die nötigsten Besorgungen.

10. September 2022 - 22:00

Hört man aus den Medien oder direkt von den noch vor Ort lebenden Leuten, was sich in der Region Cherson aktuell abspielt und wie bedrohlich nahe die Kämpfe nun an die Wohngegenden kommen, in denen unsere Lieben gewohnt haben, dann sind wir einmal mehr extrem dankbar, dass es aus unserem engen Umfeld allen gelungen ist, rechtzeitig aus Cherson zu fliehen.

9. September 2022 - 23:30

Heute hat Sascha seinen ersten Schweizer Lohn ausbezahlt erhalten. Ein gutes Gefühl, endlich wieder einmal den Lohn seiner Arbeit zu sehen! Allerdings wird der Betrag nicht lange auf seinem Konto bleiben: so lange sie noch bei der Asylsozialhilfe angeschlossen sind, müssen sie das gesamte Einkommen abgeben. Zusätzlich zum Grundbetrag erhalten sie einen Freibetrag von maximal 400 CHF ausbezahlt - sozusagen als "Prämie", dass sie selber ein Einkommen erwirtschaften und nicht allein von der Sozialhilfe leben.

Grundsätzlich macht dieses "Mecano" wohl Sinn und soll Anreiz schaffen, möglichst rasch keine zusätzliche Unterstützung mehr zu benötigen. In der Praxis hängt es aber von sehr vielen Faktoren ab, wann das Einkommen auch mittelfristig ausreicht, für den eigenen Unterhalt sorgen zu können. Dieser Schritt will also gut geplant und durchgerechnet sein...

Letztlich freuen wir uns aber sehr auf dieses nächste "Projekt", zeigt es doch, dass der Schritt zur finanziellen Unabhängigkeit für Lena, Sascha und Yaroslav schon in greifbare Nähe gerückt ist.

8. September 2022 - 22:45

Die Situation in Cherson bleibt unverändert schwierig. Oft fällt der Strom aus. Praktisch ununterbrochen sind Detonationen zu hören. Trotzdem muss der Alltag irgendwie weitergehen. Serhii hat heute erzählt, dass seine Mutter aus ihrem Dorf nach Cherson zum Arzt musste. Die Brücke über den Dnjepr ist nicht mehr passierbar, die Überquerung ist nur noch per Boot machbar. Die Erleichterung war gross, dass letztlich alles geklappt hat und sie unversehrt wieder nach Hause kam.

7. September 2022 - 23:45

Ein grosser Schritt heute für Lena, Sascha und Yaroslav: sie erhielten den Mietvertrag für eine Wohnung in Thun ab dem 1. Oktober! Nun muss Asyl Berner Oberland dem Mietvertrag noch zustimmen, da sie dafür bürgen müssen, solange das Einkommen noch nicht ausreicht, um alle Auslagen zu decken. Läuft mit der Arbeit von Sascha und der Lehre von Yaroslav alles so gut weiter wie bisher sollte das in den nächsten 1-2 Monaten möglich sein.

6. September 2022 - 23:15

Heute Abend verbrachten wir nach längerer Zeit wieder einmal einen gemütlichen Abend in grösserer Runde mit allen unseren ukrainischen Freunden aus Heimberg (resp. Cherson) und einem Teil der Gastfamilien. Die riesigen sprachlichen Fortschritte machen richtig Freude. Zu sehen, wie gut alle hier zurecht kommen, stellt auf und motiviert. Gleich geblieben sind Vikas Torten: die waren und sind nicht zu übertreffen!

5. September 2022 - 23:00

Am MyPAR-Wochenmeeting hat Roma erzählt, wie er die Situation im Moment wahrnimmt. Er befindet sich zusammen mit seinen Eltern immer noch in seinem Heimatdorf auf der östlichen Seite des Dnjeprs. Sämtliche Verbindungswege nach Cherson sind aktuell unterbrochen, auch die provisorische Pontonbrücke, die nach der (teilweisen) Zerstörung der Antonovskii-Brücke erstellt worden war, scheint schon wieder beschädigt. Die ukrainische Armee setzt alles daran, russische Nachschubwege (in diesem Fall aus der Krim) zu unterbrechen. Für Romas Eltern hat das einschneidende Konsequenzen, da sie in der Regel ihre Landwirtschaftsprodukte in der Stadt verkauft hatten. Offenbar konnten sie jetzt aber einen Grossteil der Ernte auf der Krim verkaufen. Noch vor kurzem verbreitete Russland das Narrativ, dass aus der Krim Lebensmittel als "humanitäre" Hilfe in die besetzten Gebiete transportiert wurden... Und nun verkaufen ukrainische Bauern aus den besetzten Gebieten Lebensmittel auf der Krim. Es gibt Vieles in diesem Krieg, was man wohl nie verstehen wird...

Dieser Tage habe ein russischer Soldat bei ihnen an die Türe geklopft und um Essen gebeten. Geschichten von desertierenden russischen Soldaten hat man schon öfters gehört. Entsprechende Berichte häufen sich seit der Offensive der Ukraine im Süden. Für uns ist es unmöglich, solche Fälle unabhängig zu überprüfen - ausser man hört es eben von einer Vertrauensperson. Eine Aussage, wie oft das tatsächlich vorkommt, ist natürlich nach wie vor nicht möglich.

Ende September sei die Ernte dann definitiv vorbei. Da sei es für ihn dann wohl auch an der Zeit zu gehen...

4. September 2022 - 22:30

Abgesehen davon, dass die Temperatur in Cherson stark zurückgegangen sei, haben wir keine verlässlichen Neuigkeiten. In der Regel ist der September im Süden der Ukraine noch sommerlich warm. Dieses Jahr meldet sich der Herbst ungewöhnlich früh. In den ersten Kriegsmonaten spielte das Wetter eher der Ukraine in die Hand. Kaltes und nasses Wetter verlangsamte das Vordringen Russlands vielerorts. Welches Wetter welcher Seite aktuell Vorteile bringt können wir nicht beurteilen. Fakt ist, dass sich viele Menschen in der Ukraine auf kalte Wohnungen im Winter einstellen müssen. Die hier im Westen diskutierten 19 Grad nähmen sie mit Handkuss...

3. September 2022 - 23:00

Nach längerer Zeit hat Sascha heute wieder einmal mit einem Cousin aus Dnjpro gesprochen. Dnipro liegt etwa 350 km nordöstlich von Kherson, weniger als 100 km entfernt vom Kernkraftwerk in Zaporizhzhya und ca. 150 km von der aktuellen Frontlinie entfernt. Der Cousin, die Cousine mit Familie und die Tante sind alle dort geblieben. Es gibt sporadisch Angriffe auf Dnipro, ganz in der Nähe sei ein Haus durch einen Beschuss zerstört worden. Zu den Verwandten in Russland haben sie wie wir auch kaum mehr Kontakt. Es ist schwierig geworden, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Dazu kommt, dass ein allzu offenes Gespräch die Leute in Russland schnell mal in Schwierigkeiten bringen kann. Für uns (und ebenso für die Ukrainer) unvorstellbar, dass man jedes Wort auf die Goldwaage legen muss, weil sonst Repressionen drohen.

2. September 2022 - 23:30

Schon geht die dritte Arbeitswoche für Yaroslav und Sascha zu Ende! Yaroslav hat heute Abend beiläufig erwähnt, er habe eine 5.5 erhalten. Zuerst besorgte Blicke der Eltern - bis sie erfuhren, dass die Deutschschweizer Notenskala nur bis 6 und nicht wie in der Ukraine bis 12 geht (und 6 die beste Note ist). Das freut natürlich extrem - gerade im Wissen um die riesige Herausforderung, die Yaroslav gerade stemmt mit seiner Ausbildung in einer Sprache, von der er noch vor 4 Monaten kaum ein Wort kannte.

1. September 2022 - 22:00

Hätte uns Ende Februar jemand gesagt, dass wir am 1. September immer noch über den Krieg in der Ukraine und die Situation unserer Familien und MyPAR-Mitarbeitenden berichten, hätten wir das kaum für möglich gehalten. In der Ukraine scheint die Situation verworrener denn je, an ein rasches Ende und eine baldige Rückkehr zur Normalität glaubt kaum mehr jemand. Umso beruhigender zu sehen, wie sich hier Schritt für Schritt ein neuer Alltag einstellt.

31. August 2022 - 22:45

Sascha hat heute mit einem Kollegen aus Cherson sprechen können. Offenbar wurden in Cherson zwei Wohnungen von Raketeneinschlägen zerstört, eine davon im Stadteil, in dem Tanja aufgewachsen ist. Verletzt wurde dabei glücklicherweise niemand. Ob es sich dabei um Irrläufer handelt oder die Stadt nun tatsächlich Ziel der Angriffe wird, bleibt unklar.

30. August 2022 - 21:45

Sascha versuchte heute mehrere Freunde und Kollegen in Cherson zu erreichen - vergeblich. Bilder und Videos in den sozialen Medien zeigen unter anderem ein komplett zerstörtes Gewerbegebäude etwas ausserhalb der Stadt, welches wir immer auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt passiert hatten. Ist es ein Einzelfall? Erreicht die Zerstörung nun tatsächlich auch die Stadt Cherson? Vieles ist im Moment unklar.

29. August 2022 - 23:00

Die Lage in Cherson ist einmal mehr äusserst unübersichtlich. Aus allen Quellen hören wir, dass die Intensität der Gefechte zugenommen hat. Es scheint sich um die schon länger angekündigte Gegenoffensive der ukrainischen Armee zu handeln. Mit welchem Erfolg ist zurzeit unklar.

Wir staunen ob der (relativen) Ruhe und Gelassenheit der Leute. Roma, unser MyPAR-Mitarbeiter, der noch vor Ort ist, hat beispielsweise heute gefragt, ob er am Donnerstagnachmittag frei nehmen könne für einen Zahnarztbesuch. Es dauere jetzt eben etwas länger als früher, um dorthin zu gelangen und man kriege beim einzigen Zahnarzt, der noch in der Gegend arbeite, leider kaum Termine... Absurd, wie Alltagsnormalität und Kriegszustand aufeinanderprallen.

28. August 2022 - 21:45

Während wir hier einen weiteren schönen Sommertag geniessen durften, gibt es in Cherson trotz nach wie vor schönem Wetter und Temperaturen über 30 Grad kaum was zu geniessen. Die Lage hat sich nochmal deutlich verschärft: Stromausfälle, teure Preise für Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs und in den letzten beiden Tagen Detonationen in unmittelbarer Nähe - ähnlich wie zu Beginn des Krieges.

Für uns alle, aber vor allem für die Geflüchteten aus der Ukraine, ist es nicht immer einfach, den krassen Unterschied zwischen der Situation in der Schweiz und in der Ukraine auszuhalten. Gleichzeitig ist es wichtig, die Energie für den "neuen Alltag" hier zur Verfügung zu haben.

27. August 2022 - 22:30

Heute haben wir die letzte Flasche ukrainischen Wein getrunken, die uns noch geblieben ist. Einen Malbec vom Trubetskoi Weingut, das wir mehrmals besucht haben. Das Weingut befindet sich rund 70 km entfernt von Cherson, direkt am Staudamm von Novaja Kachovka. Aufgrund der strategischen Lage des Staudamms gehört die Gegend zu einem der Brennpunkte in den russisch besetzten Gebieten. Wie es um das Weingut aktuell steht wissen wir nicht. Die Website sieht zwar immer noch wie vor dem Krieg aus, es werden sogar noch die Exkursionen und Degustationen angepriesen, die wir früher besucht hatten. Die Realität ist leider eine völlig andere. Wir hoffen sehr, dass wir irgendwann wieder mit einem Wein von dort werden anstossen können - und soviel ist klar: dann bleibt es nicht bei einer Flasche...

26. August 2022 - 22:45

In den Medien hat man die letzten Tage einiges gehört über das grösste Atomkraftwerk Europas im Süden der Ukraine und der Gefahr, die davon ausgeht, wenn es unter falsche Kontrolle gerät. Gestern wurde das AKW für einige Stunden komplett vom Netz genommen. Wer das veranlasst hat und welches die Gründe sind bleibt unklar. In Cherson hat man die konkreten Auswirkungen am eigenen Leib erfahren: gestern gab es praktisch den ganzen Tag keinen Strom und als Folge davon auch kein Wasser. Schon hier - über 2'000 km entfernt - beunruhigt die unklare Situation. Und Cherson ist gerade mal 300 km entfernt...

25. August 2022 - 22:30

Gute Neuigkeiten heute betreffend der Wohnungssuche: Lena, Sascha und Yaroslav haben die mündliche Zusage erhalten für eine Wohnung an der Stockhornstrasse in Thun! Geht alles gut erhalten sie nächste Woche das OK von Asyl Berner Oberland und können den Vertrag unterzeichnen. Mietbeginn ist der 1. Oktober. Ein nächstes wichtiges Etappenziel rückt in greifbare Nähe!

24. August 2022 - 22:45

Heute feierte die Ukraine zum 31. Mal ihren Nationalfeiertag, den Tag der Unabhängigkeit. Nach dem August-Putsch gegen Gorbatschow hat sich eine sowjetische Republik nach der andern für unabhängig erklärt, am 24. August die Ukraine. Gut drei Monate später, am 1. Dezember 1991, bestätigen die Wählerinnen und Wähler der Ukraine die Unabhängigkeit mit einem Referendum. Tanja gehörte damals zu den Stimmenzählern - wir können also aus erster Hand berichten, dass zumindest in einem Wahlbüro in Cherson alles mit rechten Dingen zu und her ging... Ich war damals in Charkow und erinnere mich noch sehr gut an die Stimmung. Auf der einen Seite waren sich die meisten bewusst, dass in diesem zweiten Halbjahr 1991 gerade Weltgeschichte geschrieben wird. Andererseits herrschte auch eine grosse Unsicherheit, was die Zukunft bringen würde.

Wir haben einen gemütlichen Abend verbracht, zusammen auf die Ukraine angestossen. In den letzten 30 Jahren hatten wir diesen Tag nie besonders begangen.

23. August 2022 - 22:30

Sascha hat heute auf der Arbeit ganz erstaunt zur Kenntnis genommen, dass der Älteste aus seiner Gruppe die "dreckigste" Arbeit gemacht hat. In der Ukraine hätte es das nie gegeben - da sei die "Baustellen-Hierarchie" ganz eindeutig: der Jüngste/Unerfahrenste macht die anstrengendste Arbeit, die leichteren Aufgaben muss man sich erst verdienen... In solchen Sachen war/ist die Ukraine immer noch sehr konservativ.

22. August 2022 - 22:30

Auf die Leute vor Ort in Cherson wird immer mehr Druck ausgeübt, den russischen Pass anzunehmen. Oft geht das einher mit einem Jobangebot, höheren Löhnen oder Renten oder sonstigen "Privilegien". Die Bedingung ist immer dieselbe: die russische Staatsbürgerschaft. Damit sollen möglichst irreversible Fakten geschaffen werden. Die Leute stecken in einem riesigen Dilemma: einerseits steht vielen wirtschaftlich das Wasser bis zum Hals. Andererseits kann der russische Pass im Falle einer Rückeroberung durch die Ukraine unter Umständen auch zum Problem werden. Man steht dann in der Beweispflicht, dass man früher die ukrainische Staatsbürgerschaft hatte - Einwohnerregister oder andere Nachweise dürften grösstenteils vernichtet worden sein. Dazu kommt die emotionale Komponente: niemand hat hier auf irgendwelche "Befreier" gewartet.

21. August 2022 - 22:45

Was wir bereits gerüchteweise oder aus Berichten gehört haben, hat uns Tanjas Freundin Luda jetzt aus erster Hand bestätigt: seit sie in Polen sind wurden ihre Nachbarn bereits mehrfach befragt, ob noch jemand in der Wohnung lebe. Regelmässig kommen Polizisten vorbei, klopfen an die Türen und versuchen herauszufinden, welche Wohnungen verlassen sind. Verlassene Wohnungen werden gekennzeichnet und an Leute weitergegeben, die neu in Cherson angesiedelt werden. Ludas Nachbarn (und vermutlich auch viele andere in Cherson) sagen einfach, die abwesenden Nachbarn seien den Sommer hindurch auf der Datscha. Bisher hat das funktioniert, wie lange noch steht in den Sternen...

Bei solchen Berichten stellt sich natürlich die Frage, was für Leute sich in Cherson niederlassen. Wir wissen es nicht genau. Solche Umsiedelungen sind in der russischen und sowjetischen Geschichte jedoch nicht neu: gerade für Leute aus dem Osten oder Norden Russlands kann eine Umsiedelung in den klimatisch milderen Süden durchaus attraktiv sein. Die Umsiedelung erfolgt natürlich unter positiven Vorwänden wie zum Beispiel Aufbauhilfe für die notleidende Bevölkerung. Für möblierte Wohnungen sei ebenso gesorgt. Den Neuankömmlingen dürfte oft gar nicht bewusst sein, dass sie gerade jemandes Wohnung annektieren.

20. August 2022 - 23:45

Das "Projekt Wohnungssuche" kommt in Gang: heute konnten Sascha, Lena und Yaroslav bereits zum vierten Mal eine Wohnung besichtigen. Zwei davon kommen aus unterschiedlichen Gründen nicht in Frage, die dritte wurde an eine andere ukrainische Familie vergeben. Die heute besuchte Wohnung in Thun würde gut passen. Nächste Woche stehen für zwei weitere Wohnungen Besichtigungstermine an. Die meisten Vermieter sind sehr offen für die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine. Wir hatten hier aufgrund der Unsicherheiten betreffend einer möglichen Rückkehr in die Ukraine mehr Bedenken erwartet. Schön zu sehen, dass wir uns darüber zu viele Sorgen gemacht haben und die Hilfsbereitschaft nach wie vor sehr gross ist.

19. August 2022 - 22:45

Die erste Arbeitswoche für Sascha und Yaroslav und die erste Kurswoche von Lena gehen erfolgreich zu Ende. Das Wochenende haben sie sich mehr als verdient!

18. August 2022 - 23:45

Hier müssen (resp. dürfen) wir uns diese Woche wieder etwas umorganisieren: die Arbeitsstellen von Sascha und Yaroslav und Lena's Deutschkurs führen am Morgen zu kleineren Staus vor dem Badezimmer, da wir nun alle etwa um dieselbe Zeit das Haus verlassen. Zudem nehmen sie das Mittagessen von zu Hause mit. Vom Einkauf bis zur Verpackung eine logistische Herausforderung, die wir noch nicht ganz im Griff haben...

Im Vergleich zur Situation vielerorts in der Ukraine sind das verschwindend kleine Sorgen: von einem guten Freund von Sascha und Lena hören wir, dass er und seine Familie mittlerweile so weit sind, dass sie Cherson verlassen möchten. Sie haben sich sehr lange dagegen entschieden. Seine Mutter und Schwiegermutter weigern sich jedoch weiterhin zu fliehen. Ohne sie wegzugehen ist keine Option - zu gross das Risiko, dass sie in absehbarer Zeit nicht mehr alleine zurecht kämen, zu gross die Bedenken, dass man sich später grosse Vorwürfe machen könnte, sie im Stich gelassen zu haben.

17. August 2022 - 22:30

Heute hatte Yaroslav den ersten Tag im Betrieb bei Noser Young in Worblaufen. Er ist einer von nur drei ukrainischen Jugendlichen im Kanton Bern, die so kurz nach ihrer Ankunft in der Schweiz eine Lehre beginnen. Darüber hat heute sogar TeleBärn News berichtet!

Beitrag auf telebaern.tv anschauen

16. August 2022 - 22:45

Nebst der Arbeit bei MyPAR unterstützt Roma seine Eltern auf dem Landwirtschaftsbetrieb. Wie der genau aussieht wissen wir leider nicht - ein Besuch bei ihm und seinen Eltern stand weit oben auf unser "To do"-Liste für einen der nächsten Besuche in Cherson...

Roma hat erzählt, dass sie extrem Mühe hätten, die Tomaten und Peperoni zu verkaufen. Bedarf wäre zwar vorhanden, die zerstörte Infrastruktur, vor allem die Brücke über den Dnjepr, verhindert jedoch die Lieferung in die Stadt. Ausserhalb der Stadt haben praktisch alle ihre Gärten und sind oft Selbstversorger - da wird man grosse Mengen an Früchten und Gemüse nicht los.

15. August 2022 - 23:30

Für Sascha und Yaroslav war heute sowas wie der erste "Schultag": Yaroslav hat seine Lehre begonnen - tatsächlich mit einem Schultag in der Gewerbeschule - und Sascha hatte seinen ersten Arbeitstag bei Beosolar. Yaroslav hatte gleich anschliessend noch drei Lektionen Deutschkurs - volles Programm... Yaroslav meinte, er habe ungefähr 70% verstanden im Unterricht. Das ist doch bemerkenswert nach vier Monaten! Sascha's Tag war zwar körperlich anstrengend - was man ihm auch ansah - verlief aber ebenfalls sehr positiv. Er ist Teil eines 3er-Teams. Zusammen montieren sie eine Solaranlage auf einem Einfamilienhaus in Aeschi bei Spiez. Die Kollegen hätten sich Zeit genommen, ihm alles zu erklären und sich sehr bemüht, langsam mit ihm zu sprechen.

In kurz: Bei beiden ist der Start mehr als geglückt.

14. August 2022 - 22:45

Nach ein paar Tagen verhältnismässiger Ruhe in Cherson gab es heute offenbar wieder viele Detonationen rund um Cherson. Im Gegensatz zum Beginn des Krieges nehmen das die Leute heute schon fast gelassen, zählen die Raketen, die ihnen über die Köpfe fliegen - es ist Teil ihres Alltags geworden. Arbeit gibt es kaum mehr, die Preise zeigen nur in eine Richtung: nach oben. Trotzdem hören wir kaum Klagen. Die Adaptierfähigkeit der Ukrainerinnen und Ukrainer ist einmal mehr verblüffend.

13. August 2022 - 23:45

Nach wie vor sind die Berechnungsgrundlagen für den Grundbedarf, der den Ukrainischen Flüchtlingen ausbezahlt wird, uneinheitlich und für uns nicht nachvollziehbar. Wie bereits in einem früheren Beitrag geschrieben, müssen Lena, Sascha und Yaroslav während der nächsten 10 Monate pro Monat 125.00 CHF wegen eines Berechnungsfehlers seitens Asyl Berner Oberland zurückbezahlen. Was genau der Fehler war wurde nicht kommuniziert. Bei Serhii und seinem Cousin Ihor ist ebenfalls unklar, auf welcher Grundlage ihnen die Beträge ausbezahlt wurden. Wir haben nun gemeinsam entschieden, dass wir bei allen unseren Leuten nochmal genau hinschauen und gegebenenfalls bei Asyl Berner Oberland oder beim Kanton intervenieren werden. Die Leute sind auf diese Beiträge angewiesen - grosse Sprünge sind damit definitiv nicht möglich.

Korrekt finden wir hingegen, dass neu auch die Vermögensverhältnisse genauer angeschaut werden sollen. In den ersten Monaten war es pragmatisch und effizient, bei allen ankommenden Flüchtlingen davon auszugehen, dass kein Vermögen vorliegt. Nun ist es richtig, dass auch in diesem Punkt die Gleichbehandlung mit Flüchtlingen aus andern Ländern wiederhergestellt wird. Auf uns kommt da zum Glück keine neue Herausforderung zu - bei unseren Leuten ist mit Ausnahme von Saschas über 10-jährigem Auto nichts zu holen... Aber es wird auch hier knifflige Fälle geben: wie geht man mit der Familie um, die im SUV hierher geflohen ist, weil ihr Haus zerbombt und ihr bis im Februar florierendes Geschäft zerstört ist? Sollen sie den letzten Luxus, der ihnen aus ihrem vorherigen Obere-Mittelklasse-Leben geblieben ist, der Schweizer Sozialhilfe abgeben müssen?

12. August 2022 - 22:30

Tanja arbeitet immer noch einen Tag pro Woche im Bundesasylzentrum in Bern. Im Gegensatz zu den ersten zwei, drei Monaten ist es sehr ruhig geworden. Aktuell gibt es kaum mehr ankommende Flüchtlinge, für die eine Bleibe gesucht werden muss. Der ganze Prozess ist zudem auch viel effizienter geworden, man kann sich online für einen Termin registrieren und steht nicht einfach am Morgen in die Warteschlange.

So hat die Zeit sogar gereicht, sich per WhatsApp mit Luda und Tanja (der ehemaligen Nachbarin von Galina) auszutauschen. Luda hat in Polen eine Arbeit gefunden - Schichtarbeit in einer Fabrik. Tanja ist immer noch bei ihrer Schwester auf der Krim, spielt aber bereits mit dem Gedanken, nach Cherson zurückzukehren. Wir bezweifeln, dass das eine gute Idee ist...

Am Freitagsmeeting von MyPAR hat Roma (einmal mehr...) gesagt, dass er im Herbst wohl das Gebiet von Cherson verlassen würde. Er könne die Eltern während der Erntezeit nicht im Stich lassen, aber danach...

11. August 2022 - 22:00

Aus Cherson hören wir im Moment nicht sehr viel, es scheint keine grösseren Veränderungen zu geben. Die Lage im ganzen Süden der Ukraine bleibt angespannt. Immer noch verlassen viele Einwohner die Stadt. Fast täglich erfahren wir von jemandem aus dem erweiterten Bekanntenkreis, dass sie die Flucht wagen. Die Hauptroute führt über die Krim, Russland und dann entweder via Georgien oder Lettland und Litauen in den Westen. Nach wie vor gibt es aber auch Leute, die sich über die Frontlinie in den unbesetzten Teil der Ukraine wagen und dann entweder dort bleiben oder nach Polen ausreisen.

10. August 2022 - 22:15

Grosser Tag für Sascha heute: er hat bei der Firma Beosolar GmbH in Spiez einen unbefristeten Arbeitsvertrag als Hilfsmonteur für Solaranlagen unterzeichnen dürfen! Unmittelbar nach der Unterzeichnung konnte er bereits die Arbeitskleidung in Empfang nehmen - am nächsten Montag geht es los auf einer Baustelle in Aeschi. Wir betrachten es als überhaupt nicht selbstverständlich, dass ein Betrieb bereit ist, jemandem diese Chance zu geben, auch wenn keine Diplome, Arbeitszeugnisse oder was sonst hier bei einer Anstellung so angeschaut wird, vorliegen.

9. August 2022 - 23:30

Schon vor ein paar Tagen hat Tanja länger mit ihrer Freundin Luda, die nach Polen geflüchtet ist, gesprochen. Von den Strapazen der Flucht haben sie, ihr Mann, ihr Vater und die Katze, die ebenfalls mit durfte, sich den Umständen entsprechend gut erholt. Sie wohnen in einer eigenen kleinen Wohnung, die Sohn Dima für sie organisiert hat. Dima lebt schon seit einigen Jahren in Lublin. Er hat vor kurzem dort seine Ausbildung abgeschlossen.

Die finanzielle Unterstützung für die ukrainischen Flüchtlinge ist in Polen vergleichsweise gering. Betrachtet man die Zahlen, dann wird rasch klar warum: In Polen sind (Stand: 3. August 2022) mehr als 1.2 Mio. ukrainische Flüchtlinge registriert, was rund 3.5% der Bevölkerung ausmacht. In der Schweiz sind es knapp 60'000 oder 0.7% der Bevölkerung. Schon vor dem Krieg bestand zwischen Polen und der Ukraine ein reger Austausch. Die Chancen, dort auch ohne breite Integrationsmassnahmen Fuss zu fassen, sind deshalb einigermassen intakt.

8. August 2022 - 23:00

Heute sind wir einer unserer nächsten Prioritäten ein sehr gutes Stück näher gekommen: Sascha hatte heute ein Vorstellungsgespräch und erhielt die mündliche Zusage für eine 100%-Stelle! Wenn alles wie vorgesehen funktioniert kann er noch diese Woche den Vertrag unterzeichnen und nächste oder übernächste Woche starten.

7. August 2022 - 22:15

Ein guter Freund von Lena und Sascha, der noch in Cherson ist, wurde vor ein paar Tagen von der Polizei angehalten und kontrolliert. Er war mit dem Auto eines Bekannten unterwegs. Da der Fahrzeugausweis nicht auf ihn lautete wurde er verhaftet und erst nach einem Tag freigelassen, als der Eigentümer des Fahrzeugs bestätigte, dass alles seine Richtigkeit habe. So seien eben die Gesetze in Russland. Daran habe man sich jetzt auch in Cherson zu halten...

Eine von vielen Episoden, die den Alltag in den besetzten Gebieten zurzeit prägen. Wer bitte schön befreit da wen von was?

6. August 2022 - 21:45

Vom Ende Juli überwiesenen Betrag haben wir bereits viele Rückmeldungen in Form von Fotos erhalten. Die Unterstützung wird immer noch sehr geschätzt. Abgesehen von der willkommenen Entlastung des kaum mehr vorhandenen Haushaltsbudgets ist es auch ein Zeichen der Verbundenheit und ein Signal, von der restlichen Welt nicht vergessen worden zu sein. Wie verlassen muss man sich in einer halbleeren, unter Belagerung stehenden Stadt fühlen!

Gerade die aktuelle Situation in Cherson macht deutlich, dass nicht nur für die Menschen aus den zerstörten Städten eine Rückkehr in absehbarer Zeit kaum vorstellbar ist. Auch in den belagerten Gebieten wird es lange Zeit dauern, bis sich die Lage soweit stabilisiert hat, dass ein normales Leben wieder möglich ist. Für unsere Familien heisst das, sich langsam, aber sicher mit dem Thema Wohnungssuche auseinanderzusetzen. So gut das Konzept mit den Gastfamilien funktioniert und sich für die Integration aus unserer Sicht hervorragend bewährt - gerade für "ganze" Familien wird das Modell irgendwann zur Bewährungsprobe. Wer also jemanden kennt, der jemanden kennt, die von jemandem weiss... Ihr wisst schon...

5. August 2022 - 23:00

Am heutigen Freitagsmeeting von MyPAR hat Roman erzählt, gestern sei er im Garten in der Hängematte gelegen. Plötzlich sei eine Drohne in geringer Höhe mehrmals über sein Wohnhaus gekreist. Kurz darauf sei ein Fahrzeug mit russischen Soldaten vorgefahren, habe ihn und weitere Leute befragt und seinen Onkel, der im Haus nebenan wohnt, mitgenommen. Gegen Abend hätten sie ihn wieder freigelassen. Es hat sich herausgestellt, dass sie nach jemandem gesucht haben, der schon länger nicht mehr dort wohnt. Leider gehen nicht alle solchen "Vorfälle" so glimpflich aus. Der Schrecken sitzt deshalb tief nach so einem Erlebnis.

Von einer ehemaligen Nachbarin und guten Freundin von Tanjas Mutter haben wir heute erfahren, dass sie Cherson nun doch verlassen hat und vorerst bei ihrer Schwester in Simferopol auf der Krim ist. Ihre beiden erwachsenen Kinder sind schon längst weg und versuchten alles, ihre Mutter zur Flucht zu bewegen.

Es ist für uns manchmal schwer nachvollziehbar, warum Menschen wie Roman und Galinas Freundin, die eigentlich die Möglichkeit zur Flucht hätten, so lange ausharren. Aber es ist und bleibt ein sehr persönlicher Entscheid, der zu respektieren ist.

4. August 2022 - 23:00

Heute war wieder einmal ein Behördengang angesagt: zusammen mit Sascha und Lena hatten wir ein Gespräch bei "Asyl Berner Oberland", der Organisation, die sich im Auftrag der Gemeinden um die Betreuung von Asylbewerbenden kümmert. So viel vorweg: der für die Familie zuständige Integrationsberater war sehr zuvorkommend, gut vorbereitet und bemüht, auf offene Fragen einzugehen.

Die Botschaft, die er uns übermittelte, war jedoch weniger erfreulich: aufgrund einer falschen Einreihung zu Beginn werden die Unterstützungsbeiträge für Lena, Sascha und Yaroslav ab diesem Monat signifikant gekürzt - und die seit April aus seiner Sicht zu viel erhaltenen Beiträge müssen zurückbezahlt werden, es bleiben weniger als 800 CHF pro Monat für drei erwachsene Personen. Auch wenn sie für Unterkunft und Versicherungen nichts bezahlen müssen, ermöglicht das keine grossen Sprünge... Die neue Berechnung beruht darauf, dass sie von einem 6-Personen-Haushalt ausgeht - wir "Gastgeber" werden bei der Haushaltsgrösse also mitgezählt, ausbezahlt wird aber nur für drei Personen. Die rechtliche Grundlage dafür werden wir noch etwas vertieft anschauen... Fortsetzung folgt...

3. August 2022 - 23:00

Für heute mal ein kleiner Lichtblick aus Cherson: so wie es aussieht hat Lena mit ihrem Netzwerk einen Weg gefunden, die schon länger bestellten Medikamente in die Stadt zu bringen. Wir hoffen, dass es in den nächsten Tagen klappt.

2. August 2022 - 23:15

Die Lage im Süden der Ukraine spitzt sich weiter zu. Nicht russisch besetzte Städte wie Mykolayiv, die Nachbarstadt von Cherson, stehen praktisch unter Dauerbeschuss. In Cherson steigt einerseits die Anspannung, was die kommenden Wochen bringen, andererseits versuchen die Menschen, so "normal" wie möglich den Alltag zu bestreiten. Wie gross dieser Spagat ist, können wir uns kaum vorstellen. Oft fragen wir uns, was die Leute überhaupt noch vor Ort hält. Manchmal ist es die Angst, alles in den letzten Jahren Aufgebaute - Geschäft, Wohnung usw. zu verlieren. Manchmal die Angst, die Flucht nicht heil zu überstehen. Oder schlicht finanzielle Gründe: aktuell kostet die Flucht aus Cherson mehrere Hundert Franken pro Person - in etwa ein durchschnittliches Monatsgehalt. Für viele Familien oder ältere Leute ist das ausser Reichweite.

Gestern ist ein guter Artikel / Podcast erschienen, der das Leben unter der russischen Besatzung und die Möglichkeiten zur Flucht treffend beschreibt. Aus dem Bekanntenkreis von Sascha und Lena hören wir sehr ähnliche Schilderungen.

1. August 2022 - 23:45

Wir haben einen sehr gemütlichen 1. August mit Familie und Freunden verbracht. Hätte uns Anfang Jahr jemand gesagt, mit wem wir heute feiern werden, hätten wir das wohl als unrealistisch zurückgewiesen. Das führt uns einmal mehr vor Augen, wie krass sich die Lage innerhalb kurzer Zeit verändert hat.

Heute sind wir aber einfach einmal mehr froh und dankbar für das viele Positive, das wir in den vergangenen Monaten nebst den Schrecken des Krieges auch erleben durften und dürfen.

28. Juli 2022 - 14:00

Unsere Ferien neigen sich langsam dem Ende zu. Ab nächster Woche publizieren wir wieder täglich, was uns und die Menschen in Cherson beschäftigt im Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen in der Ukraine. Heute haben wir aktuelle Informationen zur Verwendung der Spenden publiziert und - endlich - auch die Seite "Was WIR tun können" aktualisiert. Insbesondere unsere Einschätzung, wie die russische Bevölkerung zum Krieg steht, bedurfte einiger Präzisierung. Die Aussagen unter "(Ein wenig) frieren" sind zwar grad nicht so brennend, die Diskussionen zu den Rohstoff-Abhängigkeiten in Westeuropa hingegen schon. Schön zu sehen, dass sich da doch jetzt einiges zu bewegen scheint.

Akut bewegt die Frage, wie erfolgreich die Gegen-Offensive der Ukraine im Süden ist. Das Gebiet Cherson ist aufgrund der geografischen Lage besonders im Fokus. Im Wissen um die zerbombten Städte im Osten machen wir uns natürlich Gedanken und Sorgen, wie das ausgeht. Interessanterweise nehmen es die Leute in Cherson selber recht gelassen, sie leben ihren Alltag, so gut es geht.

16. Juli 2022 - 23:45

Schon länger haben wir nichts mehr geschrieben über Amtsschimmel und Behördengalopp. Es ist nicht so, dass jetzt einfach alles rund laufen würde. Aber man darf schon sagen, dass sehr viel sehr gut und pragmatisch läuft. So haben wir beispielsweise innert eines Tages eine Kostengutsprache erhalten für Yaroslav: einerseits kann er im Juli einen eigentlich nicht subventionierten Deutschkurs besuchen, um sich optimal auf den Start seiner Lehre vorzubereiten, andererseits wird der Grossteil der Pendlerkosten nach Worblaufen finanziert werden. Am letzten Freitag besuchte uns eine Vertreterin der Gesundheits- und Integrationsdirektion des Kantons Bern. Gastfamilien mit ukrainischen Flüchtlingen werden systematisch besucht, um allfällige Schwierigkeiten oder gar Missstände zu erkennen und bei Bedarf zu unterstützen oder einzugreifen. Wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Situation eher untypisch ist. Viele Flüchtlinge, z.B. Frauen mit (kleinen) Kindern, gehören zu besonders vulnerablen und entsprechend gefährdeten Gruppen. Da ist es gut zu wissen, dass genau hingeschaut wird.

Wir haben ab heute zwei Wochen Ferien - deshalb werden wir bis Ende Juli voraussichtlich nicht täglich Updates publizieren. Selbstverständlich verfolgen wir die Entwicklungen nach wie vor - das Thema lässt sich leider nicht einfach mal pausieren - und bleiben mit den Leuten aus Cherson im Austausch.

15. Juli 2022 - 23:45

Von allen Leuten, die Cherson verlassen haben, spüren wir grosse Erleichterung. Aktuell kann sich kaum jemand vorstellen, zurückzukehren. In der Stadt durchsuchen russische Soldaten systematisch Garagen, weil Waffen vermutet werden. Das beunruhigt auch Sascha, da er mehrere Garagen selber gebaut hat und vermietet. Was geschieht mit Garagen, deren Besitzer aktuell nicht vor Ort sind? Niemand weiss es...

14. Juli 2022 - 22:45

Die Preise für praktisch alles steigen in Cherson nach wie vor sehr stark an. Wir haben uns schon früher oft gewundert, wie die Leute zurecht kamen. Wie sich die Menschen vor Ort in der aktuellen Situation durchschlagen ist uns ein Rätsel. Dank den vielen Spenden können wir wenigstens punktuell etwas helfen, wie die Bilder der letzten Überweisung zeigen.

13. Juli 2022 - 23:00

Bereits vor rund zwei Monaten hatten wir geschrieben, dass die Lage in Cherson ungemütlich geworden ist. Wir konnten uns kaum vorstellen, dass es noch viel schlimmer werden könnte. Mittlerweile hören wir von Vielen, für die bisher eine Flucht nicht in Frage kam, dass sie sich damit auseinandersetzen. Je länger je mehr bleibt wirklich nur noch, wer keine andere Wahl hat.

Von Luda hören wir, dass sie sich langsam, aber sicher in Lublin einleben. Dazu trägt nicht zuletzt bei, dass ihr Sohn Dima diese Woche seine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hat.

12. Juli 2022 - 23:00

Was man die letzten Tage hier in den Medien über Cherson las und hörte bestätigen unsere Kontakte, die noch vor Ort sind. Die ukrainische Seite scheint tatsächlich zu versuchen, den Teil des Gebiets Cherson westlich des Dnjeprs zurückzuerobern. Dazu gehört auch die Stadt Cherson selber. Heute wurden Orte in der Stadt beschädigt, unter anderem in unmittelbarer Nähe der Garagen, wo Sascha seinen Lieferwagen geparkt hat. Glücklicherweise gab es gemäss aktuellen Erkenntnissen keine Opfer.

7. Juli 2022 - 19:15

Heute war einer der emotionalsten Momente der letzten Monate: Yaroslav hat seinen Lehrvertrag unterzeichnet! Im August startet er bei Noser Young AG in Bern die vierjährige Ausbildung zum Informatiker, Fachrichtung Applikationsentwicklung. Die Zeit bis im August wird er nutzen, um sein deutsch weiter auszubauen.

In eigener Sache: Wir gönnen uns ein verlängertes Wochenende. Der nächste Beitrag folgt deshalb erst am nächsten Dienstag.

6. Juli 2022 - 22:15

In diesen Stunden treffen Luda, ihr Mann und ihr Vater in Lublin ein! Nach über 80 Stunden und ca. 3'500 km Fahrt. Den Tag hindurch hat Luda ab und zu geschrieben, wie es ihnen ergeht. Schon die lange Fahrt ist natürlich unglaublich anstrengend. Dazu kam der Stress am Grenzübergang zur Ausreise aus Russland, wo sie offenbar stundenlang spätabends warten mussten. Wir wünschen ihnen sehr, dass sie sich in den nächsten Tagen gut erholen und nach allen Strapazen der letzten Wochen etwas zur Ruhe kommen können.

5. Juli 2022 - 22:15

Heute Mittag endlich ein erstes kurzes Signal von Luda: sie befanden sich noch rund 6 Fahrstunden von der lettischen Grenze entfernt. Im besten Fall sind sie jetzt also bereits in Lettland oder Litauen.

In Cherson wurden offenbar weitere beliebte Online-Kanäle / soziale Medien gesperrt. Sämtlicher (kritischer) Austausch in der Bevölkerung soll unterbunden, der immer noch aktive Widerstand gegen die Besatzung gebrochen werden.

4. Juli 2022 - 22:45

Bisher haben wir von Luda noch kein Lebenszeichen erhalten. Wir gehen davon aus, dass "no news good news" sind - trotzdem würde uns eine kurze Nachricht natürlich beruhigen. Sie sind nun doch schon über 36 Stunden unterwegs und müssten irgendwo zwischen Krasnodar und Moskau sein.

3. Juli 2022 - 22:15

Heute früh haben wir von Luda, Tanjas Freundin, die Nachricht erhalten, dass sie sich zusammen mit ihrem Mann und ihrem Vater auf den Weg Richtung Westen gemacht hat. Sie hat bereits vor einigen Tagen Bemerkungen gemacht, dass sie die Flucht konkret in Betracht ziehen, ohne jedoch einen konkreten Termin noch eine Fluchtroute zu nennen. Gemäss der Meldung von heute Morgen fliehen sie per Bus via Krim - Russland - Litauen - Polen. Das bedeutet rund drei Tage Busfahrt - mehr oder weniger ohne Unterbruch - ausser für die Grenzübertritte: die müssen offenbar zu Fuss zurückgelegt werden. Auch geschlafen wird im Bus.

Vorerst wollen sie dann in Polen bleiben, voraussichtlich in Lublin, wo Dima, ihr Sohn, lebt und arbeitet.

2. Juli 2022 - 22:15

Saschas Freund hat es tatsächlich bereits bis nach Moskau geschafft! Das sind von Cherson aus via Krim - Krasnodar - Rostow ca. 2'000 km. Auf der ganzen Fahrt seien sie unbehelligt geblieben, ja teilweise wurden ihnen sogar die Autobahngebühren erlassen. Bis nach Lettland sind es nun nochmal rund 700 km und von dort zur polnischen Grenze weitere 400 km. Es sind unglaubliche Distanzen, die viele Menschen aktuell zurücklegen müssen, um sich wieder in Sicherheit zu fühlen.

1. Juli 2022 - 23:15

Während sich an den ukrainischen Grenzen die Ein- und Ausreisen in etwa die Waage halten, verlassen immer noch sehr viele Menschen die besetzten Gebiete im Süden. Ein guter Freund von Sascha ist vor ein paar Tagen zu seinem Bruder auf die Krim gefahren und plant mit dem eigenen Auto quer durch Russland via Baltikum nach Polen zu gelangen. Wir sind nicht so sicher, ob das eine gute Idee ist, hoffen für ihn natürlich, dass die Reise gelingt.

Cherson wirkt wie ausgestorben. Schaue man am Abend zum Fenster hinaus gebe es kaum Lichter in den gegenüberliegenden Wohnhäusern. Aktuell kann sich niemand vorstellen, wie diese Stadt wieder zu ihrem vorherigen pulsierenden Leben zurückfinden soll.

30. Juni 2022 - 22:45

Heute war für Lena und Sascha der letzte Kurstag vor der Sommerpause. Viermal pro Woche à jeweils vier Lektionen intensiv deutsch Lernen hat den Alltag die letzten fast zwei Monate geprägt. Die Fortschritte lassen sich sehen. Beim Sprechen mischen sich englisch, russisch und deutsch verständlicherweise nach wie vor ab und zu, sich im Alltag zurechtzufinden, Verstehen, was das Gegenüber meint geht von Tag zu Tag besser. Es ist noch nicht ganz definitiv, aller Voraussicht nach können sie ab August einen Fortsetzungskurs besuchen.

29. Juni 2022 - 22:30

Für das heutige Highlight sorgt Yaroslav: er hat erfolgreich ein Assessment bei der Firma Noser Young absolviert und damit die - vorerst mündliche - Zusage erhalten, ab August die Ausbildung als Applikationsentwickler starten zu können! Damit ist eine unserer wichtigsten Prioritäten - eine gute Anschlusslösung für Yaroslav - in greifbare Nähe gerückt.

28. Juni 2022 - 22:45

Aus unserem Umfeld in Cherson hören wir von keinen grossen Veränderungen in und rund um Cherson. Lena ist daran, eine "Einkaufsliste" für Medikamente und weitere Hilfsgüter zusammenzustellen, um die nächste Lieferung vorzubereiten. Im Moment besteht Hoffnung, dass in den nächsten Tagen Transporte aus den nicht besetzten Gebieten möglich sind.

27. Juni 2022 - 22:00

Für heute einmal schöne Nachrichten aus Cherson: eine Familie, die wir mit unserer Nothilfe unterstützen hat Nachwuchs bekommen! Stefania - ein gesundes Mädchen. Das Leben geht weiter, irgendwie.

26. Juni 2022 - 22:30

Von immer mehr Leuten, die noch in Cherson sind, hören wir, dass sie es sich nun doch überlegen, wegzugehen. Aus Cherson in nicht russisch besetztes Gebiet der Ukraine zu gelangen, ist kaum mehr möglich. Es bleibt praktisch nur noch der Weg via Krim nach Russland. Von dort entweder weiter nach Georgien oder quer durch Russland und via die baltischen Staaten nach Westeuropa ausreisen. Das schliesst eine Flucht mit dem eigenen Auto praktisch aus. Mit ukrainischen Kennzeichen durch Russland zu fahren dürfte aktuell keine gute Idee sein...

25. Juni 2022 - 21:30

Heute konnten wir länger mit Tanjas Freundin Luda sprechen, die Verbindung war erstaunlich gut. Zu unserer Überraschung haben sie, ihr Mann und ihr Vater sich entschieden, Cherson zu verlassen. Zuerst war das kein Thema, weil Ludas Vater partout nicht weg wollte, danach ging es ihm gesundheitlich zu schlecht. Nun scheint sich eine Möglichkeit zu bieten. Im Gegensatz zu vor zwei Monaten, wo wir gemeinsam überlegt haben, welches der beste Fluchtweg wäre, sind wir jetzt sehr vorsichtig. So absurd das für uns hier klingt: es ist davon auszugehen, dass die Gespräche abgehört werden mit schlimmstenfalls negativen Konsequenzen für die Leute vor Ort. 

24. Juni 2022 - 23:45

Verschiedene Kontakte in Cherson sagen übereinstimmend, dass die Detonationen rund um die Stadt intensiver und lauter - heisst wohl näher - sind als die letzten Wochen. Einmal mehr ist von schwierigen nächsten Tagen auszugehen.

23. Juni 2022 - 22:45

Wir hätten nie gedacht, dass Propaganda stärker sein kann als familiäre Bande. Leider hören wir von vielen Zerwürfnissen zwischen Ukrainern und ihren Verwandten aus Russland. Auch wir werden davon nicht verschont: gestern hatte Sascha ein äusserst verstörendes Gespräch mit einer Tante, die in Moskau lebt und zu der wir bislang ein sehr gutes Verhältnis hatten. Kurz vor Corona hatte sie uns hier in der Schweiz besucht. Sie ist felsenfest davon überzeugt, dass die Ukraine selber schuld sei an der aktuellen Lage und dass der ganze Krieg von den Amerikanern orchestriert sei. Es ist nur schwer erträglich und für uns nicht nachvollziehbar, dass sie den Informationen im russischen Fernsehen mehr Glauben schenkt als den Berichten ihrer nahen Verwandten, die vor Ort waren und "live" erlebt haben, was vor sich geht. Schlimmer noch: sie leistet fleissig Überzeugungsarbeit bei Halyna, ihrer Schwester. Wir suchen noch nach Strategien, wie wir damit umgehen können...

22. Juni 2022 - 22:45

Freudige News heute aus Polen: Katja, die Tochter von Lenas Schwester Oksana, hat heute ihr Kind, ein Junge, geboren! Das hat dazu geführt, dass ich heute Abend zum ersten Mal in meinem Leben einer Urgrossmutter eine E-Banking App - inkl. TWINT - auf ihrem Smartphone installiert habe. Luba will das Online-Banking unbedingt nutzen - sie war schon ganz ungeduldig, warum sie die Unterlagen erst heute erhalten hat - bestellt habe sie sie doch schon am Montag...

21. Juni 2022 - 23:15

Gute und überraschende Neuigkeit: Vika hat einen Deutschkurs gefunden, der ab Anfang Juli zweimal pro Woche in Thun stattfindet! Wir hatten die Suche für den Sommer bereits aufgegeben und uns darauf eingestellt, dass es dann ab August wieder los geht mit den Kursen. Sie hat selbstständig weiter gesucht und ist fündig geworden. Das freut uns natürlich sehr.

20. Juni 2022 - 23:00

Gestern Abend war eigentlich ein gemütlicher Sommerabend geplant. Bis es zu gewittern begann und Hündin Sabi wegen des Donners keinen ruhigen Moment mehr fand. In einem unbeaufsichtigten Moment entwischte sie nach draussen und ward nicht mehr gesehen. Wie viele Hunde war sie immer schon lärmempfindlich, die 1.5 Monate Krieg haben das vermutlich noch verstärkt. Die Geschichte endete heute Vormittag mit einem Anruf der Tierklinik, wo Sabi spätabends von der Polizei abgegeben worden war. Gut versorgt konnten wir sie dort abholen und erhielten gleich noch ein paar Tipps, wie wir Sabi beruhigen können, wenn's wieder mal stürmt... Schon krass: hier schaut man besser zu den Hunden als vielerorts zu den Menschen... Wie dankbar können wir trotz aller Unzulänglichkeiten sein, in einem solchen Land zu leben.

Aus Cherson hören wir heute von einer guten Bekannten und Nachbarin von Halyna, dass sie ihre Datscha aufgebrochen und total chaotisch vorgefunden habe. Ein Nachbar habe beobachtet, wie junge ukrainische Soldaten eingebrochen sind und Kleider gesucht haben. Etwas später wurden sie von einem Auto abgeholt. Offensichtlich sind sie von einem nahen Militärstützpunkt geflohen und wollten wohl nur eines: sich in Sicherheit bringen.

19. Juni 2022 - 22:00

Die Gerüchte verdichten sich, dass die ukrainische Armee in den nächsten Tagen (noch) intensiver versuchen wird, Teile der besetzten Gebiete im Süden - darunter Cherson - zurückzuerobern. Der gestrige Besuch Selenskis im benachbarten Gebiet Mykolajiw könnte ein Anzeichen dafür sein. Einerseits wäre das natürlich wünschenswert, andererseits hat man in andern Städten gesehen, wie skrupellos die russische Armee auch gegenüber der Zivilbevölkerung vorgeht. Es stehen bange Tage bevor.

Zu Tanjas Freundin Luda hatten wir heute keinen Kontakt. Einmal mehr scheint es Verbindungsprobleme zu geben: gestern gesendete Nachrichten konnten noch nicht einmal zugestellt werden.

18. Juni 2022 - 21:45

Den Hitzetag hier in der Schweiz haben wir mit unterschiedlichen Programmen genossen. Wenn man fast 24 Stunden beisammen ist, ist wichtig, sich ab und zu auch wieder mal etwas Distanz zu gönnen.

Serhii und Ihor haben gestern und heute einiges erzählt, wie es ausserhalb der Stadt Cherson läuft. Auch dort ist die Lage keineswegs ruhig. Die Feriensiedlungen am Meer sind immer noch von russischen Soldaten besetzt. Teilweise erfolgen offenbar auch Angriffe seitens der Ukraine, um die Gebiete wieder zurückzugewinnen. Die Dörfer sind grösstenteils wie ausgestorben - jetzt wo eigentlich die Sommersaison beginnen würde... Die Preise steigen, Löhne werden teils noch in ukrainischen Grivnas, teils in russischen Rubeln ausbezahlt. Wie viel die ausbezahlten Summen wert sind weiss niemand so genau. Sehr schwierig und belastend für die Menschen, die noch dort leben. Immerhin hatte Ihor Kontakt mit seiner Mutter. Auch Geld kann nach wie vor überwiesen werden, um die grösste Not zu mildern.

17. Juni 2022 - 23:15

Als ganzes MyPAR-Team haben wir uns heute einen halben Tag Zeit genommen, uns mit den Rahmenbedingungen, die sich in den letzten drei Monaten krass geändert haben, auseinanderzusetzen. Die grösste Herausforderung bleibt die Finanzierbarkeit - Schweizer Löhne sind nun mal deutlich höher als Ukrainische... Wir sehen aber auch ganz viele Chancen, die sich dank der Nähe bieten. Roma war online mit dabei. Zu unserem grossen Erstaunen hat er beiläufig gesagt, er hätte alles Geld von seinen Bankkonten abgehoben und in US Dollar umgetauscht - falls er sich dann doch irgendwann auf die Flucht mache. Für uns ein Indiz wie desolat die Lage ist, wenn sich sogar Roma, unser Daueroptimist, solche Überlegungen macht.

Erneut haben wir von unserem Spendenkonto einen Betrag in die Ukraine überwiesen. Nebst Medikamenten werden wir dieses Mal vermehrt auch Barbeträge an Bedürftige abgeben.

16. Juni 2022 - 22:45

Die Deutschkurse von Sascha, Lena und Yaroslav neigt sich langsam dem Ende zu. Heute hat Yaroslav den Abschlusstest auf Stufe A1 ohne Probleme bestanden. Ein offizielles Zertifikat gibt es noch nicht, aber immerhin weiss er nun, wo er steht und wo er anknüpfen kann. Ganz ehrlich: nach 1.5 Monaten Russischunterricht war ich damals noch nicht einmal so weit, dass ich die Wörter voneinander unterscheiden konnte. Geschweige denn "Kann vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden, die auf die Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielen." (Definition des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen). Chapeau, Yaroslav!

Leider gibt es im Juli ferienbedingt einen Unterbruch. Wir überlegen uns, wie wir die Lücke überbrücken können, z.B. mit organisierten Konversationen zu bestimmten Zeiten und Themen oder was auch immer...

15. Juni 2022 - 22:30

Heute war es einmal mehr schwierig, an gesicherte Informationen aus Cherson zu kommen. Die Verbindungen lassen sehr zu wünschen übrig. Immerhin sei es wieder etwas kühler geworden. Im Sommer liegen die Temperaturen oft um die 30 Grad. Im Gegensatz zur Schweiz sind die Gebäude jedoch viel schlechter isoliert, sodass man auch drinnen kaum Abkühlung findet. Umso schlimmer, wenn man die Zeit grösstenteils zu Hause verbringen muss - tagsüber, weil's nach wie vor keine Arbeit gibt, abends weil's zu gefährlich ist und aufgrund der Ausgangssperren.

14. Juni 2022 - 23:00

Die letzten Tage war ich in regem Mailwechsel mit Asyl Berner Oberland, die für die ukrainischen Flüchtlinge in der Region zuständige Organisation. Es ging um die Überweisung des Unterstützungsbeitrags an Sascha, Lena, Yaroslav und Halyna. Im Land der Banken sollte es eigentlich kein so grosses Unterfangen sein, eine Bankverbindung zu hinterlegen und darauf Geld zu überweisen. Dachten wir... Immerhin haben nun Sascha, Lena und Yaroslav ihre Beiträge für Mai und Juni endlich erhalten, für Halyna sollte es diese Woche auch noch klappen.

Bei allem Verständnis - hier wird die Geduld der Gastgeberfamilien (und natürlich auch der Flüchtlinge) grad ein wenig arg auf die Probe gestellt.

13. Juni 2022 - 22:45

Vor fast einem Monat haben wir zum letzten Mal Geld überwiesen für die Soforthilfe in Cherson. Dieses Mal hat sich der Einsatz als schwieriger erwiesen: die Geldüberweisung hat zwar wiederum rasch funktioniert, die Beschaffung der benötigten Medikamente ebenfalls, der Transport nach Cherson war hingegen sehr herausfordernd. Letztlich hat aber nun doch alles funktioniert und es konnten wieder einige Menschen versorgt werden. Auch wenn es schwieriger geworden ist, lassen wir uns nicht entmutigen und werden weiterhin alles daran setzen, den Menschen vor Ort zu helfen.

12. Juni 2022 - 22:15

Dieses Wochenende haben wir nach längerem wieder mal etwas von Tanjas Freundin Sveta, die mit einer ihrer beiden Töchtern und zwei Enkelkindern nach Moldau geflohen ist, gehört. Sie haben sich gut in Chisinau, der Hauptstadt der Moldau, eingelebt und stellen sich darauf ein, dass sie länger dort bleiben werden. Der Mann der Tochter ist Matrose und war bei Kriegsbeginn ausserhalb der Ukraine unterwegs. Sein Einsatz geht erst jetzt zu Ende. Er wird natürlich zum jetzigen Zeitpunkt nicht in die Ukraine zurückkehren, sondern zu seiner Familie nach Chisinau reisen. Die zweite Tochter ist auch aus Cherson geflohen, aber in der Ukraine geblieben. Warum sie nicht alle gemeinsam nach Chisinau gereist sind, wissen wir nicht. Das Beispiel zeigt einmal mehr, wie schwierig es für ganz viele Familien war und immer noch ist, eine für alle stimmige Lösung zu finden.

11. Juni 2022 - 23:00

Während wir hier mit diversen Aktivitäten das schöne Sommerwetter geniessen, erreichen uns aus Cherson fast nur triste Nachrichten. Aktuell geht es Tanjas Freundin Luda sehr schlecht. Ihr Vater hat kaum mehr Lebensenergie, was seiner eh angeschlagenen Gesundheit natürlich nicht zuträglich ist. Jetzt, wo es sein Gesundheitszustand nicht mehr zulässt, bereut er, dass er vorher nicht zugestimmt hat, wegzugehen. Luda und ihr Mann sind vor allem wegen ihm geblieben. Solche Schicksale gibt es zuhauf. Wir haben oft gehört, dass sich die älteren Leute gar nicht bewusst waren, dass sie mit ihrer manchmal schon fast sturen Haltung, um jeden Preis zu bleiben, nicht nur sich selbst, sondern auch ihrem Umfeld keinen Dienst erweisen. Auch wenn es immer weniger Fluchtmöglichkeiten gibt, behalten wir die Option offen, dass Luda mit ihrem Mann und im besten Fall sogar mit ihrem Vater doch noch in ein sichereres Gebiet mit besserer medizinischer Versorgung ausreisen kann.

10. Juni 2022 - 23:15

Mit dem MyPAR-Team hatten wir heute ein längeres Meeting, an dem wir einige Anpassungen vorgenommen haben, die sich aufgrund der geänderten Rahmenbedingungen aufgedrängt haben. So haben wir das Arbeitspensum vorerst auf 50% reduziert. Nebst dem Kursbesuch noch 100% zu arbeiten geht einfach nicht auf. Gleichzeitig ist es für uns als Firma wirtschaftlich auf Dauer auch nicht möglich, die Kurszeit einfach als Arbeitszeit anzurechnen. Einige Aufgaben müssen in nächster Zeit halt etwas zurückstehen, die Kundenaufträge haben natürlich höchste Priorität und sollen nicht darunter leiden. Und sollte das Modell nicht funktionieren, dann passen wir uns halt wieder an. Wenn wir etwas gelernt haben in den letzten Wochen, dann ist es, flexibel zu bleiben und sich laufend den aktuellen Gegebenheiten anzupassen...

9. Juni 2022 - 22:45

Ihor hat seinen ersten Arbeitstag hinter sich - ein erster Anfang! Wir werden sehen, was sich daraus ergibt. Ein Schritt nach dem andern...

Die schlechten Verbindungen innerhalb von Cherson und nach aussen bleiben ein grosses Thema. Das Bedürfnis, in regelmässigem Austausch zu stehen, zu wissen wem es wie geht, ist verständlicherweise riesig. Zumal die Kommunikation über die digitalen Kanäle in den letzten zehn Jahren vor allem für die Menschen in den Städten und Agglomerationen ebenso selbstverständlich war wie es hier für uns ist.

8. Juni 2022 - 23:15

Lena, Sascha, Yaroslav und Halyna haben heute die Status S Ausweise im Kreditkartenformat erhalten. Sie sehen ähnlich aus wie unsere Identitätskarten. Damit ist der Registrierungsprozess für sie nun abgeschlossen.

Vika konnten wir für einen Deutsch-Intensivkurs anmelden. Aufgrund der Sommerpause leider erst ab Mitte August. Und Ihor kann morgen in einem Geschäft ganz in der Nähe mit einer Teilzeitarbeit beginnen.

Während sich hier in der Schweiz eines nach dem andern fügt und ergibt, bleibt die Lage in Cherson desolat. Heute wurde bspw. ein Restaurant in Brand gesteckt, weil dort russischfreundliche Gäste vermutet wurden. Zusätzlich zum eigentlichen Kriegsgeschehen herrschen anarchische Zustände.

7. Juni 2022 - 22:30

Heute waren wir wieder einmal etwas angespannt: Vika hatte ihren Registrierungstermin im Bundesasylzentrum. Nach wie vor nimmt der Kanton Bern aufgrund der Kontingente nur sehr beschränkt Flüchtlinge auf. Umso grösser war die Erleichterung, dass am Ende dann alles problemlos funktioniert hat. Für uns ist damit ein wichtiger Meilenstein erreicht: alle, die hierher geflüchtet sind und uns nahestehen, haben den Aufenthaltsstatus erhalten und sind herzlich bei ihren Gastfamilien aufgenommen worden.

Unser ganzes Umfeld trägt unendlich viel dazu bei, dass sich alles so gut fügt. Dafür sind wir extrem dankbar.

6. Juni 2022 - 22:00

Über die Verteilung der gestern in Cherson eingetroffenen Medikamente haben wir noch keine neuen Informationen. Alles, was vorher selbstverständlich über die digitalen Kanäle lief, ist komplizierter geworden. Einerseits durch die fehlende Internetverbindung, andererseits, weil viele Leute ihre Telefone vorsichtshalber komplett löschen, bevor sie nach draussen gehen. Es ist zur Normalität geworden, dass man an den russischen Checkpoints innerhalb der Stadt sein Handy zeigen muss und genau geprüft wird, was drauf ist. Im Wissen, dass in Russland mit wenigen Ausnahme die meisten westlichen sozialen Netzwerke schon längst verboten oder zensuriert sind, will man da natürlich nichts riskieren. Auch in den chaotischsten Zeiten der letzten dreissig Jahre wäre es mir nie in den Sinn gekommen, dass ich irgendwas von meinem Handy hätte löschen müssen in der Ukraine.

5. Juni 2022 - 22:45

Lena hatte heute mit verschiedenen Kolleginnen und Kollegen in Cherson Kontakt. Das Bild ist überall in etwa dasselbe: in allen Bereichen und mit allen Mitteln wird die "Russifizierung" von Cherson vorangetrieben. Wer nicht spurt, ist den Job los, hat keine Internetverbindung, kauft teurer ein und so weiter und so fort. Sämtliche ukrainischen Radio- und Fernsehkanäle sind in den besetzten Gebieten nicht mehr auf Sendung. Die russischen Kanäle verbreiten dieselbe Propaganda wie in Russland, einfach heruntergebrochen auf lokale Ebene. So heisst es zum Beispiel, dass Cherson von den ukrainischen Behörden längst abgeschrieben worden sei und deshalb jetzt auch im Stich gelassen werde.

Es ist unvorstellbar, was das mit der Bevölkerung macht. Wir können uns nur ganz ansatzweise ausdenken, wie wir reagieren würden, wenn unser Lebensmittelpunkt ohne eigenes Zutun plötzlich derart umgekrempelt würde. Sowohl für die Menschen, die vor Ort geblieben sind, wie auch für die Geflüchteten ist die Situation extrem belastend.

Immerhin eine gute Nachricht hat uns erreicht: ein Teil der in Kiev bestellten Medikamente ist in Cherson eingetroffen!

4. Juni 2022 - 23:30

Heute ist für Lena, Sascha und Yaroslav der hoffentlich vorläufig letzte Brief der Behörden eingetroffen: ihre definitiven Status-S-Ausweise liegen auf der Gemeinde zum Abholen bereit!

Aus Cherson haben wir nicht viele Neuigkeiten. Nach wie vor ist die Region weitgehend vom Rest der Ukraine abgeschnitten. Detonationen gehören zum Alltag, Mobilfunkverbindungen sind immer noch rar.

3. Juni 2022 - 23:15

Langsam, aber sicher haben wir wieder etwas mehr Verbindungen zu den Leuten in Cherson, so auch zu Tanjas Freundin Luda. Die ukrainischen Mobilfunkanbieter sind nach wie vor ausser Betrieb. Die Leute wissen sich jedoch zu helfen und suchen öffentliche WLANs auf, um immerhin kurze Nachrichten über ihr Verbleiben zu verschicken. Überall werden russische SIM-Karten verkauft. Beim Kauf wird der Pass fotografiert - das Misstrauen, was mit diesen Daten geschieht, ist natürlich gross...

2. Juni 2022 - 22:45

Heute hat Lenas Mutter Luba unsere Küche in Beschlag genommen und einen halben Tiefkühler ukrainischer Vareniki gemacht (Rezept siehe Julia's Kochbuch, Seiten 12-15). In der Ukraine werden bis heute oft viel grössere Mengen gekocht. Das reicht dann für mehrere Mahlzeiten und muss nur noch aufgewärmt werden. Im Alltag pflegen viele ukrainische Familien keine Esskultur wie wir sie hier kennen mit gemeinsamen Mahlzeiten. Man verpflegt sich, wenn man Hunger hat und nicht dann, wenn das letzte Familienmitglied endlich eingetrudelt ist... Da bieten sich die vorgefertigten Mahlzeiten natürlich an.

1. Juni 2022 - 21:45

Roman, der in Cherson gebliebene MyPAR-Mitarbeiter, hat sich heute Abend nach zwei Tagen endlich wieder gemeldet. Sämtliche Internet-Verbindungen wurden gekappt und offenbar auf russische Netze umgeleitet.

Von Tanjas Freundin Luda hören wir ebenfalls seit längerem nichts mehr. Ihr letzter Online-Status ist vom Sonntag. Höchstwahrscheinlich hat das auch mit den Telekomnetzen zu tun - trotzdem ein mulmiges Gefühl heutzutage, so lange kein Lebenszeichen zu erhalten.

31. Mai 2022 - 23:45

Den heutigen Abend haben wir in zwei Teilen verbracht: im ersten Teil hatten wir eine sehr interessante und bereichernde Begegnung mit einem älteren Herrn aus Charkow und einer Dame aus Kiew. Zwei weitere beeindruckende Fluchtgeschichten. Den zweiten Teil verbrachten wir mit SwissPass-Registrierungen und Abo-Käufen. Ab morgen gelten für die ukrainischen Flüchtlinge die regulären Tarife im öV.

In Cherson ein weiterer Russifizierungsschritt: die ukrainischen Mobilanbieter wurden ausgeschaltet, dafür SIM-Karten mit russischen Nummern verteilt. Sascha konnte seinen Kollegen nur noch via neuer russischer Nummer erreichen.

30. Mai 2022 - 23:45

Heute war wieder einmal etwas Schweizer Bürokratie angesagt: einerseits galt es zu klären, wie es ab dem 1. Juni mit den öV-Kosten weitergeht. Seit Kriegsbeginn durften alle ukrainischen Flüchtlinge den öV in der Schweiz kostenlos nutzen. Nun werden nur noch zweckgebundene Fahrten (z.B. für Kursbesuche, Behördengänge o.ä.) bezahlt. Es konnte uns jedoch bisher niemand sagen, wie viel z.B. an ein Verbund- oder Streckenabo bezahlt wird. Bei wöchentlich vier Kursbesuchen in Interlaken resp. Bern lohnen sich Einzelbillette definitiv nicht... Es ist auch nicht ganz ersichtlich, wie die Liquiditätsplanung für ukrainische Flüchtlinge aussehen soll: sie müssen alle Kosten vorfinanzieren, die Rückerstattung folgt frühestens ein Monat später... 

Morgen findet zudem der letzte (?) Registrierungstermin für Lena, Sascha, Yaroslav und Halyna statt, an dem nochmal Fingerabdrücke entnommen werden und fotografiert wird. Daraus entsteht dann der offizielle Status-S-Ausweis. Aus unerfindlichen Gründen sind drei der vier Termine gleich aufeinanderfolgend. Der vierte Termin für Halyna ist jedoch erst eine Woche später. Da der aufgedruckte QR-Code für die Verschiebung nicht funktionierte, versuchten wir es telefonisch: Fünf Mal wurden wir höflich durch alle Behördenebenen weiter empfohlen, um am Ende wieder bei der ersten Stelle zu landen! Auf die Bemerkung, dass wir jetzt  gerade wieder die ursprüngliche Telefonnummer erhalten hätten, meinte die nette Dame: "Ach wissen Sie, gehen Sie einfach alle zusammen und sagen Sie, es sei mit mir abgesprochen - ich bin die stellvertretende Leiterin.". Na also - geht doch...

29. Mai 2022 - 22:45

Der Kontrast zwischen uns hier in der Schweiz und den Menschen in Cherson war dieses Wochenende wieder mal besonders krass: wir haben ein schönes verlängertes Wochenende mit einigen Ausflügen verbracht, für Vika haben wir eine Gastfamilie ganz in unserer Nähe gefunden und die Abläufe in unserer "Grossfamilie" spielen sich immer besser ein.

In Cherson wird hingegen die "Russifizierung" konsequent und kompromisslos vorangetrieben: Sämtliche Schulen wurden informiert, dass ab dem neuen Schuljahr nach russischem Lehrplan unterrichtet werden muss - wer nicht mitmacht, wird entlassen. Firmen werden kontaktiert mit entsprechenden Anweisungen, wie und mit wem sie zu geschäften haben. Wir wissen von einem Besitzer einer Feriensiedlung, der mit Nachdruck aufgefordert wurde, seine Appartments nur noch gegen Rubel zu vermieten. Auf seine Antwort, diesen Sommer kämen eh keine Gäste, hiess es, dafür werde schon gesorgt: offenbar werden in Russland bereits Ferienreisen in der Region Cherson angeboten (zu Spottpreisen oder sogar offeriert "für besondere Verdienste").

Da fehlen einem die Worte.

28. Mai 2022 - 23:15

Die vor einer Woche in Kiev bestellten Medikamente sind leider immer noch nicht in Cherson eingetroffen. Sowohl der Personen- wie der Warenverkehr zwischen dem Gebiet Cherson und dem Rest der Ukraine sind die letzten Tage komplett unterbrochen. Die russische Seite begründet dies damit, dass der Transit wegen der ukrainischen Angriffe zu gefährlich sei. Fakt ist wohl eher, dass das Gebiet immer mehr via die Krim an Russland angebunden werden soll.

27. Mai 2022 - 23:45

Das Abschlusszeugnis von Yaroslav ist ein weiteres "Mini-Projekt", das uns beschäftigt. Schon recht bald nach Kriegsbeginn hat die Ukraine verlauten lassen, dass Schulabgänger nicht benachteiligt werden sollen und auch ohne Abschlussprüfungen einen Nachweis erhalten, dass sie die Schule abgeschlossen haben. Also ähnlich, wie es bei uns im ersten Jahr der Pandemie in den Mittelschulen gehandhabt wurde. Im Fall von Yaroslav ist nun die eine Herausforderung, dass er aus Cherson, einem der russisch besetzten Gebiete, kommt. Die zweite Herausforderung ist, dass er sich nicht vor Ort in der Ukraine befindet. Damit jemand anderes sein Zertifikat entgegennehmen kann, muss es eine notariell beglaubigte Vollmacht geben. Diese in der richtigen Form mit den korrekten Unterschriften hier auszustellen und in die Ukraine zu bringen ist nicht ganz einfach...

26. Mai 2022 - 22:15

Diese Woche hat uns unter anderem beschäftigt, ob und wie wir die Löhne unserer ukrainischen Mitarbeitenden auszahlen können. Bis vorgestern war unklar, in welcher Form die Ukraine das Ende Februar für drei Monate verhängte Kriegsrecht verlängert. Davon abhängig ist der Modus, wie Einkommen deklariert und Steuern bezahlt werden. Schon in normalen Zeiten war das System für uns nicht immer durchschaubar, und jetzt ist es erst recht schwierig geworden.

25. Mai 2022 - 22:15

Die erste (kurze) Arbeitswoche mit unseren neuen MyPAR-Arbeitsplätzen geht zu Ende. Die drei ukrainischen Mitarbeitenden und unsere Mitarbeiterin aus der Schweiz teilen sich die drei Plätze. Das geht gut auf, da aktuell jeweils der halbe Tag mit Deutschkursen besetzt ist. Das Ganze muss sich noch etwas einspielen - plötzlich sind die Konstellationen und Zeiten bei den Mahlzeiten ganz anders. Nun freuen wir uns auf ein paar ruhigere Tage mit ein paar kleineren Ausflügen.

24. Mai 2022 - 22:15

Tanjas Freundin Luda war heute in der Stadt unterwegs. Es sei sehr trist, habe kaum Leute auf der Strasse, die meisten Geschäfte hätten geschlossen. Ein Video, das wir am Abend erhalten haben, bestätigt Ludas Aussage: das Stadtzentrum wirkt wie ausgestorben, nur ein Bruchteil der Leute, die sich sonst dort aufhalten, sind zu sehen. Wo sonst Bus um Bus vorbei fährt ist die Strasse fast verkehrsfrei. Cafés, Läden, Banken - alles zu.

23. Mai 2022 - 23:00

Heute  hat sich hier einiges getan: Serhii und Igor besuchten zum ersten Mal den Deutschkurs. Lena, Vika und Serhii haben die neuen Büroräumlichkeiten "beschnuppert" und bereits ein paar Stunden dort gearbeitet. Am Abend haben wir mit Yaroslav über die verschiedenen Bildungswege gesprochen, die es in der Schweiz gibt. Nach rund einem Monat hat er nun einen Einblick, wie es an einem Gymer zu und her geht. Als nächstes möchte er sich auch noch einen Einblick in die Berufsausbildung als Informatiker verschaffen.

Am heutigen MyPAR-Weekly war sogar Roma über die aktuelle Situation rund um Cherson beunruhigt. Bisher war er immer erstaunlich positiv und zuversichtlich. Die Gegend versinkt zunehmend im Chaos.

22. Mai 2022 - 22:45

Das kürzlich für Medikamente überwiesene Geld hat Lena wiederum rasch auf ihr ukrainisches Bankkonto überwiesen erhalten. Die benötigten Medikamente sind in Kiev bestellt, bisher aber noch nicht in Cherson eingetroffen. Nach Cherson gebracht werden sie von Fahrern, die in die eine Richtung Menschen und in die andere Richtung Waren mitführen. Bisher haben diese Transporte immer gut funktioniert, ein Restrisiko bleibt natürlich - eine andere Möglichkeit, an Medikamente zu kommen gibt es zurzeit nicht.

21. Mai 2022 - 22:30

Aus der Gegend von Cherson erreicht uns wenig Konkretes. Die Ungewissheit ist nach wie vor gross. Schon ein paar Mal hatten wir hier von der Preisentwicklung geschrieben, die nur eine Richtung kenne: nach oben. Nun haben wir gehört, dass ausgerechnet die Preise für Benzin gesunken seien - tiefer als vor Kriegsbeginn. Das ist interessanterweise nur in Cherson (und möglicherweise anderen belagerten Gebieten) der Fall. Im Rest der Ukraine haben die Preise für Treibstoff westliches Niveau erreicht. Das tönt sehr nach einer von Russland subventionierten Aktion - bestimmt auch mit dem Ziel, die Leute Russland gegenüber wohlwollender zu stimmen.

20. Mai 2022 - 22:15

Heute hatten wir einen kurzen Kontakt mit Luda, Tanjas Freundin. Ihrem Vater scheint es ein wenig besser zu gehen. Nach wie vor ist aber nicht ausgeschlossen, dass er sich einer Operation unterziehen muss. Vor dem Krieg war die medizinische Versorgung zwar gewährleistet, aber weit entfernt von westlichen Standards. Das meiste, was nicht überlebensnotwendig war, musste selber organisiert und bezahlt werden. Für teure Behandlungen mussten sich Viele verschulden oder konnten sich Operationen, Medikamente und Therapien gar nicht leisten. Seit Beginn des Krieges hat sich natürlich auch die medizinische Versorgung dramatisch verschlechtert.

19. Mai 2022 - 23:00

Aus Cherson haben wir von keinen Veränderungen gehört. Den Medien ist zu entnehmen, dass es nach wie vor heftige Kämpfe gibt an der Grenze zu den besetzten Gebieten.

Wir sind im Moment noch grad unterwegs: Vika, unsere MyPAR-Mitarbeiterin, trifft heute aus Krakau ein. Sie ist gemeinsam mit unserer Familie und ihrem Bruder aus Cherson geflüchtet, blieb aber zunächst in Polen. Ihr Bruder wird dort bleiben, sie sieht bessere Perspektiven hier in der Schweiz. Übers Wochenende bleibt sie bei Alena, unserer MyPAR-Mitgründerin, danach schauen wir für eine Unterbringung möglichst in der Nähe. Auch Vika werden wir natürlich bei den Formalitäten und Behördengängen unterstützen. Man kennt uns mittlerweile schon und wir wissen, welches Formular wo benötigt wird...

18. Mai 2022 - 23:00

Von hier gibt es sehr gute Neuigkeiten: Serhii und Igor können ab nächster Woche einen Deutschkurs besuchen - wie bereits Sascha, Lena und Yaroslav an vier Tagen die Woche je vier Lektionen. Einmal mehr erfreulich, wie unbürokratisch das funktioniert hat.

Sascha hat mit verschiedenen Freunden und Bekannten aus Cherson gesprochen. Der Frust scheint immer grösser zu werden. Die fehlende Arbeit, immer mehr Leute aus dem eigenen Umfeld, die die Stadt oder sogar die Ukraine verlassen haben, keine ersichtlichen Verbesserungen der Situation. Dazu kommt die nach wie vor latente Gefahr der ständigen Bombardements in der Umgebung.

17. Mai 2022 - 22:45

Heute ist ein denkwürdiger Tag für MyPAR: schon vor einiger Zeit hatten wir uns entschieden, die Büroräumlichkeiten in Cherson aufzugeben. Das Risiko, dass die Infrastruktur konfisziert oder gestohlen oder gar das Gebäude im Stadtzentrum beschädigt wird, ist uns zu hoch. Es dauerte nun ein paar Wochen, bis wir einen Transport organisieren und einen sichereren Ort für die Möbel, Bildschirme usw. finden konnten. Heute nun war die Schlüsselübergabe.

Aber es geht nahtlos weiter: ab Donnerstag können wir in Thun drei Arbeitsplätze beziehen!

16. Mai 2022 - 22:30

In Cherson bleibt die Lage verfahren. Rund um die Stadt sind immer noch ständige Detonationen zu hören. Es gibt offenbar auf keiner der beiden Seite nennenswerte Fortschritte. Wie stark verankert die russische Kontrolle von Cherson ist, können wir nicht abschätzen. Von der per 1. Mai angekündigten Einführung des russischen Rubels ist jedenfalls noch nichts zu sehen. Gleichzeitig werden viele Güter des täglichen Bedarfs jetzt von der Krim her eingeführt und oft direkt aus den Autos heraus verkauft. Das erinnert stark an die 90er Jahre, wo solche Händel "über die Gasse" weit verbreitet waren.

15. Mai 2022 - 21:30

Hier haben wir ein schönes Wochenende verbracht. Zum ersten Mal nach drei Jahren haben sich Lena, Sasha, Dasha und Yaroslav endlich wieder gesehen. Überflüssig zu sagen, dass die gemeinsame Zeit wie im Flug verging.

Am Abend haben wir mit Luda telefoniert. Abgesehen davon, dass sie sich in die chaotischen und beinahe anarchischen Zustände Anfang der 90er-Jahre zurückversetzt fühlt, leidet sie stark unter dem Nichtstun. Luda ist eine der einzigen unserer Bekannten aus Cherson, die seit vielen Jahren eine ihrer Ausbildung entsprechende Stelle in einer leitenden Position bei der städtischen Verwaltung, innehatte. Für sie ist die Situation in mehrerer Hinsicht belastend: einerseits fehlt ihr die Arbeit und damit die Tagesstruktur, andererseits sind die Perspektiven sehr düster, dass eine vergleichbare Anstellung je wieder möglich wird. Dazu kommt, dass eine Flucht aus Cherson im Moment auch ausser Reichweite ist. Das wäre erst möglich, wenn auch ihr kranker Vater reisefähig ist (und bereit wäre, mitzugehen).

14. Mai 2022 - 22:30

Die Zeit im Zug bei unserem heutigen Ausflug haben wir genutzt, die Seite zur Verwendung der Spendengelder nachzuführen. Dafür hat in den letzten drei Wochen die Zeit gefehlt. Die Unterstützung der Menschen in Cherson geht auch nach der Flucht von Lena in die Schweiz nahtlos weiter. Vieles ist teurer geworden, Löhne und Renten werden nicht immer ausbezahlt, Medikamente sind rar. Hilfe ist nach wie vor für viele der dort Gebliebenen immens wichtig.

14. Mai 2022 - 11:30

Energie tanken, Batterien aufladen ist das heutige Hauptziel. Wir haben uns gesagt, dass das bei so vielen Leuten im gleichen Haushalt am besten mit einem gemeinsamen Ausflug klappt. So sind wir unterwegs Richtung Lausanne, wo uns Julia kulinarisch verwöhnen wird. Danach wohl ein Spaziergang entlang der "Riviera" nach Ouchy und gegen Abend wieder zurück.

Es wirkt immer noch surreal, wenn wir hier Ausflüge machen und diese auch geniessen, während viele unserer Freunde und Bekannte ihren Alltag nach wie vor unter prekären Umständen bestreiten müssen.

13. Mai 2022 - 23:15

Heute Abend sind Lena und Saschas Tochter Dasha und ihr Freund von Prag her kommend in Basel gelandet und jetzt unterwegs nach Heimberg. Sie kommen - EasyJet sei Dank - für's Wochenende in die Schweiz. Dasha lebt seit fünf Jahren in Tschechien und steht kurz vor dem Abschluss ihres Master-Studiums. Seit drei Jahren hat sich die Familie aufgrund der Reisebeschränkungen während der Pandemie nicht mehr "live" gesehen! Wir rücken für ein paar Tage also nochmal ein wenig enger zusammen - kein Problem bei dem vorsommerlichen Wetter.

In Cherson scheint sich kaum etwas zu bewegen. Tagtäglich sind Detonationen zu hören von den Gefechten rund um die Stadt. Die Versorgung mit dem Nötigsten ist zwar einigermassen sichergestellt. Vom pulsierenden Leben vor dem 24. Februar ist aber kaum etwas übrig geblieben. Wir hören, dass rund 40% der Einwohner von Cherson die Stadt verlassen hätten. Ob diese Schätzung stimmt können wir nicht beurteilen.

13. Mai 2022 - 13:15

Heute Vormittag sind wir wieder einen grossen Schritt voran gekommen: Serhii und Igor sind registriert und wurden dem Kanton Bern zugewiesen! Letzteres war aufgrund der kantonalen Kontingente unsicher. Mit unserer Prognose, dass sich die Kontingente innert 1-2 Wochen ausgleichen, lagen wir ziemlich daneben: noch immer sind dem Kanton Bern rund 700 Personen zu viel zugewiesen. Umso erfreulicher zu sehen, dass pragmatische Lösungen mit gesundem Menschenverstand gewählt werden.

12. Mai 2022 - 23:30

Nun ist auch Lenas Mutter mit einer Schweizer SIM-Karte ausgestattet und kann endlich wieder auch ausserhalb des WLAN-Netzes mit ihren Leuten kommunizieren. Ich wage die Behauptung, dass die beiden Omas fast dasselbe Datenvolumen verbrauchen wie unsere Jungen... Der Austausch über die digitalen Kanäle, vor allem über Viber (das in der Ukraine und Weissrussland verbreitete Pendant zu WhatsApp), ist für sie zur Selbstverständlichkeit geworden. Das hat einerseits mit den grösseren Distanzen zu tun - schnell zum Kaffee treffen geht oft nicht. Aber auch mit der Neugierde und Offenheit der Ukrainer, etwas Neues auszuprobieren. Gleichzeitig erfolgte auch die Registrierung bei Asyl Berner Oberland, die im Auftrag der Gemeinde Heimberg, die Betreuung der Ukrainischen Flüchtlinge wahrnimmt.

12. Mai 2022 - 15:45

Wir werden ab und zu gefragt, wie es uns nach einem Monat "Haushaltsverdopplung" geht. Die kurze Antwort lautet: gut! Die etwas längere Antwort ist: anstrengend, aber gut! Und noch etwas ausführlicher: es ist nicht ganz so einfach, bewusst einen Alltag zu leben, also Ämtli zu verteilen, klären, wer wann wie hungrig nach Hause kommt, wer welches Programm hat usw. usf. Aber die Dankbarkeit, dass hier alle in Sicherheit sind und für die grosse Offenheit der Leute hier in der Schweiz, überwiegt bei weitem.

Serhii und Igor haben gestern mit ihren Eltern telefoniert. Wie wir es auch schon von Leuten aus unserem näheren Umfeld gehört haben, versuchen auch sie, einen einigermassen normalen Alltag zu leben. Das heisst konkret, den Gemüsegarten zu pflegen und so gut es geht der täglichen Arbeit nachzugehen. In den Dörfern gelingt das vermutlich sogar noch etwas besser als in der Stadt.

11. Mai 2022 - 23:30

Auch wenn unsere Leute nun schon einige Zeit hier sind gibt es nach wie vor einiges zu planen und zu organisieren. Das absorbiert immer noch recht viel Zeit. Es wird einem plötzlich wieder bewusst, wie viele selbstverständliche Alltagsautomatismen es gibt: eine öV-Verbindung suchen, einen Elektro-Kochherd (mit Touch-Panel) bedienen (in der Ukraine wird fast ausschliesslich mit Gas gekocht), parkieren in einer blauen Zone mit Parkkarte usw. usf.

Die Tage vergehen wie im Fluge... Heute durften wir zwei Fahrräder (vielen Dank!) entgegen nehmen. Für eine Testfahrt hat's noch nicht gereicht.

11. Mai 2022 - 14:15

Es ist schwierig sich ein exaktes Bild der Lage vor Ort in Cherson zu machen - geschweige denn eine Prognose, wie es weiter geht und in 6 oder 12 Monaten aussieht. Einige rechnen damit, dass die Ukraine im Süden die Gebiete westlich des Flusses Dnjepr inkl. die Stadt Cherson halten bzw. zurückerobert kann. Das würde heissen, dass der Bezirk Cherson aus einem ukrainischen und einem russisch kontrollierten Teil bestünde. Roma und die Eltern von Serhii und Igor gehörten bei diesem Szenario zu den besetzten Gebieten, da sie etwas östlich ausserhalb der Stadt leben. Wie sich dadurch ihr Alltag verändern würde und was es für Arbeit und Auskommen bedeuten würde kann kaum vorausgesagt werden.

10. Mai 2022 - 23:15

Aus Cherson hören wir, dass die Geschäfte nach wie vor weitgehend leer oder ganz geschlossen sind. Ge- und verkauft wird auf den Märkten der Stadt. Während in den ersten Kriegswochen die Strassen beinahe leer waren und sich die Leute nur für die nötigsten Besorgungen aus dem Haus wagten, herrscht nun wieder reger Betrieb - das Leben muss irgendwie weitergehen... Die Einführung des Rubels scheint sich zu verzögern, bisher wird immer noch in Grivnas bezahlt. Kaum mehr möglich ist die Bezahlung mit Kreditkarte. Da hat sich aber auch schon wieder ein neues Geschäftsmodell gebildet: die Bargeldwechsler. Das heisst, man kriegt Bargeld und überweist dafür das Geld vom eigenen auf das Konto des Wechslers. Selbstverständlich mit einer Kommission (ca. 5%). Aber immerhin kommt man an Bares...

10. Mai 2022 - 13.30

Heute hat Luda erzählt, dass der gestrige 9. Mai einer der traurigsten Feiertage in ihrem Leben gewesen sei. Der Frust und die Konsternation, teilweise wohl auch schon etwas Resignation sind gross.

Vika feiert heute Geburtstag. Eher zufällig haben wir mit ihr gerade heute Vormittag den Termin vereinbart, wann sie in die Schweiz kommt. Sie wird am Donnerstag, 19. Mai, von Polen her in die Schweiz einreisen. Für uns findet damit dann das Kapitel Fluchtgeschichten einen (vorläufigen) Abschluss.

9. Mai 2022 - 22:45

Die Anspannung im Vorfeld des 9. Mai war gross: in vielen Ländern der ehemaligen Sowjetunion wird dieser "Tag des Sieges" über Nazideutschland nach wie vor gefeiert. In Moskau findet dann jeweils eine grosse Militärparade mit viel Pathos und Patriotismus statt. Erstaunlicherweise fiel die Veranstaltung dieses Jahr eher nüchtern aus. Erwartet resp. befürchtet wurde eher eine weitere Stufe der Eskalation.

In Cherson versuchten die Besatzer ebenfalls so etwas wie eine 9. Mai Demonstration zu organisieren. Auf Videos ist zu sehen, dass das Ganze eher bescheiden ausfiel und wohl grösstenteils "gekaufte" Teilnehmende zu sehen waren. Es ist eine gängige Praxis, dass Demonstrierende für die Teilnahme an Veranstaltungen bezahlt werden. Das ist niemandem zu verübeln: wenn keine Löhne und Renten mehr ausbezahlt werden, ist das bestimmt noch eines der probateren Mittel, um sich sein Brot zu verdienen.

8. Mai 2022 - 22:45

Ein schöner Tag geht zu Ende. Wir konnten das nach wie vor belastende Geschehen für ein paar Momente etwas zur Seite legen und Energie tanken. Serhii und Igor haben es super gut bei ihren Gastgebern. Nach den 20 km auf die Falkenfluh und zurück am letzten Wochenende legten sie dieses Mal 50 km per Fahrrad rund um den Thunersee zurück! Und kochten im Anschluss für die Familie eine ukrainische Borschtsch.

Morgen geht's los mit dem Deutschkurs für Lena und Sascha. Für Serhii und Igor haben wir einen Termin reserviert für nächsten Freitag zur noch ausstehenden Registrierung. Die Kantonskontingente sind zwar nach wie vor nicht ganz ausgeglichen. Bereits vergangene Woche wurde die Zuweisung offenbar schon nicht mehr ganz so streng gehandhabt.

8. Mai 2022 - 13:45

Seit vielen Jahren der erste Muttertag, an dem Tanjas Mutter hier ist! Die Umstände, die dazu geführt haben, sind zwar alles andere als schön. Trotzdem geniessen wir den heutigen Tag im Kreis der Familie.

In Cherson versuchen sich die Menschen irgendwie sinnvoll zu beschäftigen. Luda hat uns ein kurzes Video von ihrem Mann geschickt, wie er im Park gegenüber den Rasen mäht. Es ist so surreal: ein paar Kilometer entfernt wird alles zerbombt, im Kleinen setzen die Menschen alles daran, etwas Normalität aufrecht zu erhalten.

7. Mai 2022 - 21:30

In Hola Prystan, einem Dorf ganz in der Nähe von Romans Wohnort, wurden durch einen russischen Angriff ein Haus vollständig und 25 teilweise zerstört. Keine zwei Tage nachdem Roman sich zuversichtlich zeigte, dass alles ruhig bleibe...

Von Tanjas Freundin Sveta, die mit ihrer Familie nach Chisinau geflüchtet ist, haben wir heute gehört, dass es ihnen allen gut geht und sie sich wohl fühlen. Sie hoffen, dass es in der Moldau ruhig bleibt und sie nicht plötzlich ein zweites Mal fliehen müssen.

7. Mai 2022 - 13:30

Offenbar sind die Internetverbindungen in Cherson wieder etwas instabiler geworden. Bis gestern haben wir davon nichts gemerkt - Roma hat den ganzen Tag gearbeitet. Wir hoffen, dass es so bleibt.

Hier leben wir heute einen fast "normalen" Samstag mit diversen Aktivitäten. Wir müssen uns bewusst auch Ruhephasen gönnen.

6. Mai 2022 - 22:45

Tanja hat länger mit ihrer Freundin Luda gesprochen. Sie hat erzählt, dass ihr Vater erst im dritten Spital behandelt wurde. In den ersten beiden gab es entweder keine Medikamente oder keine Ärzte... Mittlerweile wurde er aus dem Spital entlassen, sein Gesundheitszustand hat sich zwar leicht gebessert, eine Operation kann jedoch nicht ausgeschlossen werden. Alles hängt von der Entwicklung in den nächsten Tagen ab.

Die Schilderungen, wie es in Cherson aktuell zu und her geht, erinnern an die 90er-Jahre. Die Kleinkriminalität habe extrem zugenommen, Supermärkte haben geschlossen, ein Grossteil des Handels wird wieder auf Märkten abgewickelt. Gleichzeitig wird die Stadt wie jedes Jahr zum 9. Mai, dem Tag des Sieges, herausgeputzt. Auch dreissig Jahre nach nach der Sowjetzeit ist das der wichtigste Feiertag sowohl in Russland wie auch in der Ukraine. Traditionsgemäss wird der Tag mit Militärparaden begangen. Es zeichnet sich ab, dass dieses Jahr russische Panzer - wohl vor einem Statisten-Publikum - durch die Strassen von Cherson fahren werden. Für die Bevölkerung von Cherson ist das extrem frustrierend und erniedrigend.

6. Mai 2022 - 15:00

Heute kommt eine gute Nachricht nach der anderen: Yaroslav kann ab nächster Woche im Gymer Thun im IT-Support aushelfen und sich dort ein schönes Taschengeld verdienen. Für Lenas Mutter zeichnet sich eine gute Unterkunftsmöglichkeit bei uns in der Nähe ab und dann haben wir soeben die Bestätigung erhalten, dass Lena und Sascha ab nächster Woche einen Deutschkurs besuchen können. Nicht nur heute, sondern die ganze Zeit spüren wir so viele helfende Hände und offene Herzen ringsum, die uns den Alltag erleichtern und Vieles abnehmen. Vielen, vielen Dank!

6. Mai 2022 - 01:00

Ein später, drum kurzer Eintrag: soeben sind wir aus Basel zurück, wo Lenas Mutter Luba und Schwester Oksana spät am Abend aus Krakau (Polen) angekommen sind. Sie haben die Ukraine vor ca. 2 Wochen verlassen. Oksana hat ein Rückflugticket in zwei Wochen. Sie wird nach Polen und je nach Situation sogar nach Lviv/Lemberg zurückkehren, weil ihr Mann noch dort ist. Im Juni kommt zudem ihr Enkelkind zur Welt.

5. Mai 2022 - 15:00

Roman konnte heute Vormittag tatsächlich endlich wieder einmal einigermassen normal arbeiten. Er hat sich enthusiastisch in die Arbeit gestürzt und Vieles abgearbeitet, was die letzten Wochen liegen geblieben ist. Er ist sehr zuversichtlich, dass sich die Situation in Cherson und generell in der Ukraine bald wieder bessert. Wir hoffen natürlich, dass er recht hat, sind aber etwas unschlüssig, ob da nicht etwas zu viel Optimismus - vielleicht auch einfach zum Selbstschutz - mit dabei ist. 

4. Mai 2022 - 22:30

Im Lauf des Nachmittags hat sich Roma nochmal gemeldet. Offenbar ist die Internetverbindung etwas stabiler geworden, sodass er sich morgen auch wieder an die Arbeit machen will. Er sagt, es sei ruhig. Das trifft bestimmt für seine nähere Umgebung zu. Die Informationen, die wir sonst hören aus Cherson, zeichnen ein etwas anderes Bild. Es gibt immer noch Kampfhandlungen in unmittelbarer Nähe, die Versorgungslage ist besorgniserregend und an Zukunftsperspektiven denkt sowieso niemand.

4. Mai 2022 - 13:30

Beim MyPAR-Team ist schon fast wieder eine Art Alltag eingekehrt. Aktuell gibt es gerade recht viel zu tun. Das hilft, die angestrebte Tagesstruktur auch wirklich einzuhalten. Serhii hat jedenfalls heute Mittag gesagt, die Zeit vergehe sehr schnell. Aufgrund der fehlenden Internet-Verbindungen bleibt Roma nach wie vor aussen vor. Genau so geht es ganz Vielen, die noch in Cherson sind: eigentlich könnten sie ihrer Arbeit nach wie vor online nachgehen - ohne Verbindung läuft aber nichts. Werden die Verbindungen auf russische Provider umgeleitet, dann folgt gleich das nächste Problem: in Russland sind schon länger zahlreiche Dienste gesperrt, so zum Beispiel auch das weit verbreitete Business Netzwerk LinkedIn.

3. Mai 2022 - 22:30

Heute hat für Yaroslav der Deutschkurs in Bern begonnen. Er ist in einer kleinen Gruppe mit 5 gleichaltrigen Gspänli. Das tönt schon mal nach einer guten Lernumgebung. Morgen gehts dann los mit den ersten Lektionen am  Seefeld-Gymer in Thun.

Die Internetverbindungen in Cherson sind nach wie vor schwach bis inexistent. Per Telefon haben Sascha und Lena diverse Kollegen und Bekannte erreichen können. Unter anderem haben sie sich bei verschiedenen Nachbarn von Galina nach deren Befinden erkundigt. Renten wurden offenbar keine ausbezahlt, die Reserven werden immer knapper. Über eine Nachbarin, die wir seit langem kennen, werden wir versuchen, Spendengeld für die Bedürftigsten aus dem Umfeld von Galina, zu überweisen.

Ob jetzt tatsächlich bereits Rubel im Umlauf sind, wissen wir nicht. Es scheint, dass die Einführung zäher verläuft als es sich die Russen vorgestellt haben. Was nicht darüber hinweg täuschen darf, dass die Ziele der Invasion nach wie vor konsequent und mit zunehmender Brutalität verfolgt werden.

3. Mai 2022 - 09:45

Heute Vormittag gab's endlich wieder ein Lebenszeichen aus Cherson: Roma und Luda, Tanjas Freundin, haben beide geschrieben, dass sie wohlauf sind. Die Verbindung ist nach wie vor äusserst schlecht und nur sporadisch verfügbar. Gemäss Luda hat sich die Situation weiter verschlechtert. Dazu kommt noch, dass sie ihren Vater ins Spital bringen musste. Was ihm genau fehlt, wissen wir nicht. Nicht wirklich beruhigende Neuigkeiten - aber immerhin wieder ein Signal.

2. Mai 2022 - 22:30

Wir haben uns vorgenommen, ab dieser Woche etwas mehr Struktur in den Alltag zu bringen.

Yaroslav wurde heute am Gymnasium Thun willkommen geheissen. Ab morgen besucht er eine Auswahl von Fächern, denen er ohne vertiefte Deutschkenntnisse folgen kann, und einen Intensivdeutschkurs mit täglich vier Lektionen. Damit wird sein Tag gut gefüllt sein.

Für MyPAR haben wir zwei provisorische Arbeitsplätze für Serhii und Lena eingerichtet. Zudem kommt Alena, unsere Schweizer Mitarbeiterin, mehrmals wöchentlich vor Ort. Das gibt schon mal eine minimale Arbeitsstruktur. Als nächsten Schritt prüfen wir, ob wir irgendwo im Raum Bern/Thun wenig benutzte Büro-Arbeitsplätze mitnutzen könnten. Dass wir zurzeit kaum länger als für 2-3 Monate planen können, macht dieses Unterfangen nicht einfacher...

2. Mai 2022 - 14:15

Auch heute immer noch keine Verbindung zu Cherson. Seit Samstag haben Serhii und Igor nichts mehr von ihren Eltern gehört und von Roma haben wir auch keine News. Wir glauben nicht, dass sich ihre Lage jetzt grad dramatisch verschlimmert hat - es ist aber trotzdem ein mulmiges Gefühl, über mehrere Tage kein Lebenszeichen zu erhalten. Ob es sich beim Unterbruch der Telefon- und Internetverbindungen um ein technisches Problem oder eine bewusste Abschaltung handelt ist nach wie vor noch unklar.

1. Mai 2022 - 22:00

Von Freunden hören wir, dass die Verbindungen nach Cherson am Abend teilweise wieder funktionieren. Wir selber hatten noch keinen Kontakt. Obwohl die nächsten Verwandten nun hier sind ist es trotzdem ein mulmiges Gefühl, keine Nachrichten mehr zu erhalten von vielen Freunden und Bekannten.

Serhii und Igor haben heute zusammen mit ihrem Gastgeber die hügelige Schweizer Landschaft kennengelernt. Müde, aber begeistert und beeindruckt sind sie vom Ausflug (alles zu Fuss!) auf die Falkenfluh zurückgekehrt. Vieles kommt ihnen wie ein Film vor und sie brauchen Zeit, um all die Eindrücke zu verarbeiten. Beide waren bisher nie ausserhalb der Ukraine unterwegs.

Yaroslav hat 2.5 Stunden Squash gespielt. Vom Club in Bern, mit dem er sich in Verbindung gesetzt hatte, hat er ein neues Racket erhalten und darf zu jedem beliebigen Zeitpunkt trainieren gehen. Einmal mehr einfach nur DANKE für die grosszügige und grossartige Unterstützung.

1. Mai 2022 - 13:45

Tüüt - tüüt - tüüt ist immer noch alles, was wir hören, wenn wir versuchen, nach Cherson zu telefonieren. Auch die Internet-Verbindungen sind nach wie vor unterbrochen. Was das jetzt genau zu bedeuten hat und wie es weiter geht ist unklar. Klar scheint, dass es sich nicht um eine Panne handelt. Möglicherweise sollen die Netze zeitgleich mit der für heute angekündigten Einführung des russischen Rubels umkonfiguriert werden auf russische Anbieter.

30. April 2022 - 22:30

In Cherson funktionieren seit heute Nachmittag die Mobilfunkverbindungen nicht mehr. Eigentlich hatte sich Tanja noch mit ihrer Freundin Luda verabredet, mangels Verbindung war ein Austausch mit ihr leider nicht möglich.

Vom Gymnasium Thun haben wir weitere Informationen erhalten, wie Yaroslav nächste Woche starten kann. Das klingt alles sehr gut und wir sind einmal mehr einfach dankbar für die vielen "Extrameilen", die an vielen verschiedenen Stellen von vielen Leuten in diesen Tagen grad gegangen werden.

Die Namen unserer Ukrainischen Gäste haben in den letzten Tagen schon ein paar Mal für fragende Gesichter oder Missverständnisse gesorgt. Drum hier ein paar erklärende Worte: Ähnlich wie bei uns gibt es bei den ukrainischen Namen oft Varianten, die sich manchmal recht stark voneinander unterscheiden. Das Ukrainische Pendant zu Johann, Hans, Housi wäre also beispielsweise Elena, Lena, Lenotschka. Dazu kommt, dass die ukrainische Schreibweise von der russischen mehr oder weniger stark abweicht. Serhii auf Ukrainisch ist z.B. Sergej auf russisch (oder Serjoscha in der Umgangssprache). Wenn's also irgendwie ähnlich tönt, dann ist dieselbe Person gemeint...

30. April 2022 - 13:15

Aus Cherson haben wir heute noch keine neuen Informationen erhalten. Zunehmend hört man jetzt auch in der hiesigen Presse, wie bedeutungsvoll der Süden der Ukraine für die Versorgung mit Getreide, Speiseöl und weiteren Gütern für grosse Teile der Welt, insbesondere für Afrika, ist. Aktuell sind sämtliche Seewege gesperrt. Wir hören von Getreidespeichern, die plötzlich einfach leer sind. Die Vermutung liegt nahe, dass Reserven via Krim nach Russland verschoben wurden. Einmal mehr wird uns bewusst, wie wenig wir uns um die geopolitischen Zusammenhänge gekümmert haben, obwohl wir sehr oft vor Ort waren und uns manchmal gefragt haben, was die grossen Hafenanlagen umschlagen und woher und wohin die langen Frachtschiffe kommen und gehen.

29. April 2022 - 22:45

Am heutigen MyPAR-Weekly hat Roma die Situation rund um Cherson als verhältnismässig ruhig bezeichnet. Die geplante Einführung des Rubels in ein paar Tagen betrachtet er als temporär - die Ukraine gewinne das Gebiet dann schon wieder zurück... Wir staunen ob seiner Gelassenheit und machen uns gleichzeitig Sorgen, ob er die Lage nicht etwas gar blauäugig einschätzt.

Yaroslav hat heute die definitive Zusage für einen Intensiv-Deutschkurs in Bern erhalten, Lena und Sascha hingegen müssen sich noch etwas gedulden... Und Hündin Sabbi hat einen Anruf vom Veterinäramt erhalten: sie darf sich nächste Woche bei einem Tierarzt ihrer Wahl einen Chip implantieren lassen.

29. April 2022 - 15:00

Wie befürchtet hat's heute nicht auf Anhieb geklappt mit der Registrierung von Serhii und Igor. Allerdings nicht wegen der Kantonszuweisung: Dem Empfangszentrum wurde ein Bus mit Flüchtlingen zugewiesen, die noch gar keine Unterkunft haben. Deshalb wurden heute alle, die bereits irgendwo eine Bleibe haben, auf einen späteren Termin vertröstet und wieder nach Hause geschickt. Absolut verständlich. Wir haben dann einen gemütlichen Spaziergang durch Bern gemacht... Ein Nachteil entsteht den beiden dadurch nicht - sie können einfach noch keine finanzielle Hilfe, Sprachkurse etc. beantragen. Das läuft dann aber alles rückwirkend auf den Tag ihrer Einreise.

28. April 2022 - 23:45

Serhii und Igor haben sich bereits sehr gut eingelebt bei ihrer Gastfamilie und fühlen sich sichtlich wohl und gut aufgehoben. Beim näher Kennenlernen gibt es immer wieder Momente, die einem die Tragweite des Geschehens vor Augen führt. So zum Beispiel wenn man beim Austauschen der Namen und Geburtsdaten der Kinder plötzlich feststellt, dass die eigenen Kinder praktisch die gleichen Jahrgänge wie Serhii und Igor haben und sich vorstellt, unter welchen Umständen ihre Eltern sie ziehen lassen mussten.

Lena, Sascha und Yaroslav haben heute die Verfügung erhalten, mit der ihr Status S offiziell bestätigt wird. Eigentlich nur eine Formsache, aber doch schön, das jetzt auch noch schwarz auf weiss zu sehen. Die Formulare für Serhii und Igor haben wir heute ausgefüllt. Morgen gehen wir nach Bern zur Registrierung beim Bundesasylzentrum. Herausfordernd dabei ist, dass der zwischen den Kantonen vereinbarte Verteilschlüssel seit dieser Woche konsequent angewendet wird. Gemäss diesem Schlüssel werden dem Kanton Bern 12% der Flüchtenden zugewiesen. Per heute sind demnach rund 850 Personen zu viel im Kanton Bern aufgenommen worden. Ausnahmen gelten für Familienangehörige und Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Wir stellen uns darauf ein, dass es etwas Überzeugungskraft brauchen wird, dass Serhii und Igor im Kanton Bern bleiben können...

28. April 2022 - 14:00

Die Lage in Cherson ist ungemütlich und sehr frustrierend für alle, die mit dieser Stadt verbunden sind. Das für gestern angesagte Referendum fand nicht statt, neue Gerüchte sprechen nun von Mitte Mai. Derweil werden Fakten geschaffen: ab dem 1. Mai soll die Ukrainische Währung Grivna im Gebiet Cherson durch den russischen Rubel ersetzt werden. Steuern gehen ab dann ebenfalls an Russland und nicht mehr an die Ukraine. Heisst konkret, man wird gezwungen, den Krieg gegen das eigene Land mitzufinanzieren.

Proteste wurden brutaler als noch vor ein paar Wochen aufgelöst. In der Nähe des Fernsehturms - ein Wahrzeichen im Stadtzentrum - schlug letzte Nacht eine Bombe ein.  Ob es sich dabei um eine ukrainische oder russische Aktion handelte, bleibt unklar. Ein guter Freund von Lena und Sascha hat sich vor Ort ein Bild gemacht und eine Aufzählung der umliegenden Gebäude geschickt, die aufgrund der Detonation praktisch keine Fensterscheiben mehr haben. Darunter die städtische Musikschule und diverse Verwaltungsgebäude. Das Trottoir sei mit Scherben übersäht.

27. April 2022 - 23:45

Kurz nach dem Mittag sind Serhii und Igor hier angekommen - ein sehr emotionaler Moment für uns alle. Man sah und spürte förmlich, welche Last von ihnen fiel, endlich am Ziel ihrer Flucht angekommen zu sein. Am späteren Nachmittag dann der herzliche Empfang bei den Nachbarn, der Bezug ihres Zimmers und ein gemeinsames, gemütliches Nachtessen zum weiteren Kennenlernen.

Die Fluchtgeschichte der beiden lässt einen erschaudern: mit dem Vater im Auto bis zur Grenze zur Krim, danach zu Fuss über die Grenze und mit drei Schlepperbussen via Simferopol, Kertsch und Krasnodar nach Tiflis. Zweimal mussten sie Pässe und Handys abgeben, sich nackt ausziehen (es wird nach Tattoos von (para-)militärischen Einheiten gesucht), Red und Antwort stehen zu Fragen, bei denen unklar ist, welches die "richtige" Antwort ist. In einem der Busse wurden sie von Mitreisenden gefragt, aus welcher Einheit sie kämen. Es stellte sich heraus, dass es sich um russische Soldaten aus der Republik Burjatien am Baikalsee handelte, die direkt von der Front in der Ukraine auf dem Weg nach Hause waren. Das muss man zuerst einmal verdauen: vor ein paar Tagen hätten sie die beiden ohne Pardon umgebracht, wenn sie sich zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort befunden hätten. Und nun sassen sie im selben Bus!

Als weiteres Highlight erhielten wir heute einen Termin für Yaroslav am nächsten Montag im Gymnasium Thun, wo gemeinsam eine Anschlusslösung für die weitere Ausbildung festgelegt wird. Voraussichtlich wird er bereits ab Dienstag einer Klasse zugeteilt, mit der er am Unterricht teilnehmen kann.

27. April 2022 - 10:15

Aus Cherson erreichen uns im Moment kaum gesicherte Informationen. Offenbar ist die Stadt weitgehend abgeriegelt, weder Ein- noch Ausreisen scheinen möglich. Wir haben Bilder gesehen von komplett leeren Regalen in Supermärkten. Das deckt sich mit Gerüchten, die seit rund 10 Tagen die Runde machen, dass alle Geschäfte mit Stichtag heute alle ukrainischen Produkte entfernen müssten und künftig russische Waren in die Regale kommen. Vom für heute angekündigten Referendum ist nichts spürbar - vermutlich wird dann einfach das Resultat bekannt gegeben... Der vormalige Bürgermeister der Stadt hat erklärt, er sei jetzt wieder Bürgermeister. Zu seiner Amtszeit galt er als eher pro-russisch gesinnt (was damals aber nicht wirklich ein grosses Thema und wohl auch von weiten Kreisen der Bevölkerung akzeptiert war).

Serhii und sein Cousin Igor haben sich kurz aus Istanbul gemeldet und treffen in der nächsten halben Stunde in Zürich ein. Sascha und Yaroslav holen sie am Flughafen ab.

26. April 2022 - 23:00

Via seinen ukrainischen Squash-Trainer hat Yaroslav hier einen Kontakt eines Squash-Trainers erhalten. Mit ihm und einigen andern Spieler konnte er heute Abend zwei Stunden trainieren. Er hat alles selbst organisiert: wo und wann treffen, Zug nach Bern und zurück. Einziges Missgeschick: er war eine Stunde zu früh dort, weil auf seinem Handy die ukrainische Zeit angezeigt wurde.

Für Serhii und seinen Cousin haben wir eine ideale Lösung gefunden: Nachbarn, die sich bereits vor einigen Wochen angemeldet haben, Geflüchtete aus der Ukraine aufzunehmen, haben sich spontan bereit erklärt, den beiden Jungs das vorbereitete Zimmer zur Verfügung zu stellen. Wir sind extrem dankbar und freuen uns nun so richtig, die beiden morgen hier in Empfang nehmen zu können.

26. April 2022 - 15:15

Heute Vormittag haben wir von Roman ein kurzes Signal erhalten, dass bei ihm soweit alles ruhig sei.

Hier sind wir einen Schritt vorwärts gekommen betreffend Sprachkurs: Wenn alles gut läuft, können Lena und Sascha ab nächster Woche einen Intensiv-Deutschkurs besuchen. Definitiv bestätigt wird das allerdings erst am Freitag.

25. April 2022 - 23:00

Am Nachmittag hat sich Serhii aus Tiflis gemeldet! Sie sind zwar müde, aber gut dort angekommen. Für Mittwoch haben wir ihnen einen Flug via Istanbul nach Zürich gebucht. Nun sind wir gefordert, sie hier gut in Empfang zu nehmen. Das wird etwas herausfordernd: einerseits nimmt der Kanton Bern seit dieser Woche nur noch in Ausnahmen Flüchtlinge auf (z.B. Verwandte), da die Verteilung auf die Kantone bisher sehr zu Ungunsten des Kantons Bern erfolgt ist. Andererseits sind zwei junge Männer viel schwieriger zu vermitteln als bspw. eine Mutter mit Kind. Grundsätzlich dürfen Männer zwischen 18 und 60 ja nicht ausreisen. Da stellen sich Fragen, wenn plötzlich zwei 25-Jährige vor der Tür stehen.

Die Realität ist wie bei Vielem in diesem sinnlosen Krieg komplizierter: grundsätzlich macht eine solche Ausreisesperre aus verschiedenen Gründen Sinn. In den russisch besetzten Gebieten im Süden und Osten besteht jedoch das Risiko, dass Ukrainer im wehrtüchtigen Alter in die Armee eingezogen werden - und zwar auf Seiten der Russen! Dass das keine Hirngespinste sind hat Russland auf andern Kriegsschauplätzen bewiesen. Dass man bei solchen Aussichten die Flucht ergreift ist nachvollziehbar. Aus Cherson bleibt im Moment nur der Weg via Krim nach Georgien - die Übergänge in andere Teile der Ukraine werden von den russischen Checkpoints blockiert.

Aktuell gelten in der Schweiz alle Flüchtlinge aus der Ukraine als Kriegsflüchtlinge. Gut möglich, dass zu einem späteren Zeitpunkt differenziert wird zwischen Kriegs- und politischen Flüchtlingen. Für Serhii und seinen Cousin besteht das Risiko, dass sie später nur unter Strafe wieder in die Ukraine zurückkehren können - da sie nach ukrainischer Lesart das Land illegal verlassen haben. Wie gesagt: die Realität ist kompliziert...

25. April 2022 - 14:15

Serhii und sein Cousin sind immer noch unterwegs, gehört haben wir heute noch nichts von ihnen. Wir gehen davon aus, dass sie im besten Fall heute schon in Tiflis, der Hauptstadt Georgiens, eintreffen. Es ist ein Vorteil, dass sie ohne Auto unterwegs sind. So können sie ab Tiflis via Istanbul in die Schweiz fliegen. Auf dieser Fluchtroute sind vergleichsweise wenige Leute unterwegs, sodass es regelmässige Flüge zu erschwinglichen Preisen gibt. Benzin und Übernachtungen kämen wesentlich teurer.

Um Roman machen wir uns etwas Sorgen. Er und seine Familie sind sehr stark verwurzelt in ihrem Dorf und können sich ein Weggehen nach wie vor nicht vorstellen. Wir hoffen, dass das gut kommt und sie unbehelligt bleiben.

24. April 2022 - 23:15

Von Serhii haben wir gute Nachrichten: er sitzt bereits in einem Bus Richtung Georgien. Er ist zusammen mit seinem Cousin unterwegs. Wenn alles gut geht sollten sie morgen bereits die Grenze passiert haben. In einem früheren Beitrag hatten wir geschrieben, dass er zusammen mit seinem Bruder fliehen werde. Im russischen braucht man das Wort Bruder sowohl für den leiblichen Bruder wie auch für "Brüder zweiten Grades" - oder eben Cousins.

In Cherson bleibt die Lage angespannt. Am nächsten Mittwoch scheint nun tatsächlich ein Referendum stattzufinden, das die Region Cherson als "unabhängige" Republik deklarieren will. Niemand kennt die genauen Modalitäten und Inhalte, noch die Konsequenzen je nach Ausgang - Demokratie klingt anders... Fakt ist, dass nun auch auf den Märkten immer mehr russische Produkte angeboten werden. Verkauft werden sie offenbar von Leuten, die sie von der Krim her einführen.

24. April 2022 - 12:45

Gerade eben haben wir von Serhii die Nachricht erhalten, dass er die Grenze zur Krim überquert habe. Nächstes Ziel ist die ca. 150 km entfernte Stadt Simferopol, von wo aus morgen der Bus Richtung Georgien fährt.

Heute feiert die orthodoxe Welt Ostern. Aus der Ukraine erreichen uns viele Bilder und Nachrichten, wie die Menschen alles daran setzen, etwas österliche Stimmung zu schaffen. Eier färben, die traditionelle Paska backen, sich mit der Familie versammeln - den Umständen entsprechend wird so gefeiert, wie es die Situation zulässt.

Wir haben nochmal ein paar Eier gefärbt, die wir heute tütschen werden

23. April 2022 - 23:15

Von verschiedenen Seiten aus Cherson haben wir heute gehört, dass die russischen Checkpoints tatsächlich niemanden mehr aus der Stadt heraus passieren lassen. Mehrere Bekannte von Lena und Sascha und die Schwester von Roman haben es versucht und wurden wieder zurück geschickt. "Bis zum Referendum darf niemand mehr die Stadt verlassen", lautet die Begründung.

Serhii hat seinen Fluchtplan geändert: er wird nicht wie geplant mit einer befreundeten Familie im Auto fliehen. Die Wartezeiten am Grenzübergang zu Georgien betrügen im Moment 2-3 Tage - unzumutbar zu fünft in einem Auto... Gemäss neuem Plan bringt ihn sein Vater bis an die Grenze zur Krim (ca. 100 km), danach geht er zu Fuss weiter über die Grenze. Ab der Krim fährt ein Bus bis nach Georgien. Wir hoffen fest, dass alles gelingt.

23. April 2022 - 12:45

"Formulare, Formulare - von der Wiege bis zur Bahre" ist ja nicht ganz neu. Mit dem Schutzstatus für Flüchtende aus der Ukraine können sich auf allen behördlichen Ebenen die kreativen Formulardesigner neu verwirklichen... Heute Vormittag haben wir uns damit auseinandergesetzt, was es für Sabi, die Hündin, braucht. Tollwutimpfung und Microchip sind die wichtigsten Themen und dafür gibt es - genau: ein Formular. Dieses kann man von der Website des BLV herunterladen, handschriftlich ausfüllen, einscannen und an eine E-Mail-Adresse schicken. Danach wird man irgendwann für die nächsten Schritte kontaktiert... Immerhin: sehr viele Informationen liegen übersetzt auf Ukrainisch und Englisch vor und überall gibt man sich extrem Mühe. Da darf man unseren Behörden und den vielen Mitarbeitenden durchaus auch ein Kränzchen winden. Zumal es oft dieselben Stellen betrifft, die schon während Corona stark gefordert waren.

Aber das ist alles nebensächlich, wenn wir an unsere Freunde in der Ukraine denken. Heute haben wir weder von Roman noch von Serhii etwas gehört, wissen also nicht, ob sie unterwegs sind oder nicht.

22. April 2022 - 23:15

Am Nachmittag waren wir noch einmal mit Serhii im Austausch. Er wird sich voraussichtlich morgen zusammen mit seinem Bruder und einer befreundeten Familie mit deren Auto auf den Weg machen. Da die russischen Checkpoints offenbar kaum mehr Leute in Richtung ukrainisch kontrollierter Gebiete passieren lassen, wollen sie es via Krim und Russland nach Georgien versuchen. Bis zur Georgischen Grenze sind es knapp 900 km. Von dort soll es dann weiter gehen über die Türkei in Richtung EU/Schweiz. Sie haben noch eine Alternativroute im Kopf und sind sich noch nicht ganz sicher, was klüger ist.

Für Lenas Mutter Luba und Schwester Oksana haben wir für Anfang Mai Flugtickets von Krakau nach Basel gekauft. Gemäss aktuellem Plan wird Oksana nach zwei Wochen wieder nach Polen zurückkehren während Luba sich wohl hier registrieren wird. Der Entscheid der westlichen Staaten, die Reisefreiheit, die die Ukrainer bisher hatten, trotz Schutzstatus nicht einzuschränken, ist aus unserer Sicht extrem wichtig und richtig. Viele Ukrainische Familien sind sich Reisen und grosse Distanzen zwischen den Familienmitgliedern gewohnt. Mit dem Krieg wurde ihnen ein grosser Teil der Selbstbestimmung genommen. Dass sie sich innerhalb der europäischen Länder frei bewegen können ist deshalb ein wichtiges Signal.

22. April 2022 - 10:00

Obwohl wir an verschiedenen interessanten Projekten und Aufträgen arbeiten können war die Stimmung am heutigen MyPAR-Weekly bedrückt. Für Roman und Serhii, die sich nach wie vor in Vororten von Cherson  befinden, wird die Situation jetzt richtig brenzlig: es ist vermutlich eine Frage der Zeit, dass das Gebiet Cherson per (fiktivem) Referendum zur "unabhängigen" Republik unter russischer Kontrolle erklärt wird. Mehr oder weniger offen wird bereits gesagt, dass die Männer im wehrpflichtigen Alter dann in die Armee eingezogen werden - und zwar für die russische Seite! Wer nicht spurt riskiert zu verschwinden.

Während Serhii bereits konkrete Pläne hat, an diesem Wochenende zu fliehen, ist Roman noch unschlüssig. Es sind unglaublich schwierige Entscheide, die in diesen Tagen von vielen Menschen in den besetzten Gebieten getroffen werden müssen. Dazu kommt, dass die Flucht ganz offensichtlich noch riskanter geworden ist als noch vor ein paar Wochen.

Lena und Sascha haben uns erzählt, dass sie in den Tagen vor der Flucht x Mal gepackt und wieder umgepackt hätten - um am Schluss dann trotzdem nur mit einem Rucksack und ein paar kleinen Taschen abzureisen. Du machst dich auf eine Reise, die völlig ungewiss ist. Du lässt praktisch alles zurück, was du dir in deinem bisherigen Leben aufgebaut hast und musst dich darauf einstellen, dass du nochmal bei null beginnst. Wer wie in unserem Fall Verwandte oder Bekannte im Ausland kennt, hat immerhin einen Orientierungspunkt in weiter Ferne. Seine Heimat verlassen zu müssen ohne die geringste Ahnung zu haben, wo die Reise endet, muss unvorstellbar belastend sein.

21. April 2022 - 22:15

Aus Cherson hören wir, dass die Bewegungsfreiheit offenbar wieder deutlich reduziert ist. Einerseits kommt man im Moment kaum mehr aus der Stadt heraus, andererseits gibt es auch innerhalb der Stadt viel mehr Checkpoints. Sascha hat heute mit einem Kollegen gesprochen, der innerhalb der Stadt rund 1.5 Stunden an Checkpoints aufgehalten wurde.

21. April 2022 - 14:30

Lenas Mutter und Schwester sind gut in Krakau angekommen. Das ist schon mal beruhigend. Sie werden nun ein paar Tage dort bleiben. Oksana ist sich im Moment noch überhaupt nicht sicher, welches ihre nächsten Schritte sein könnten.

Yaroslav kann heute zum ersten Mal nach knapp zwei Monaten endlich wieder mal Squash spielen. Vor dem Krieg hat er wöchentlich mehrmals trainiert.

20. April 2022 - 23:30

Heute sind Lenas Mutter Luba und Schwester Oksana aus Lviv/Lemberg mit dem Zug Richtung Westen aufgebrochen. Die Unsicherheit ist nun auch im Westen so gross, dass Viele die Flucht erwägen. Erstes Ziel von Luba und Oksana ist Krakau (Polen), wo die eine Tochter von Oksana seit längerem lebt. Während für Lenas Mutter klar ist, dass sie vorerst nicht in die Ukraine zurückkehren wird, ist Oksana unsicher. Ihr Mann ist nach wie vor in der Ukraine und darf nicht ausreisen.

In Cherson gibt es keine wesentlichen Veränderungen. Lena hat von jemandem gehört, die heute aus Cherson fliehen wollten, aber an einem der Checkpoints ohne grosse Begründung zur Rückkehr gezwungen wurden. Ob es sich um einen Einzelfall handelt oder ob es tatsächlich nochmal schwieriger geworden ist, das Gebiet Cherson zu verlassen, können wir nicht beurteilen.

20. April 2022 - 11:15

Keine grossen Veränderungen in Cherson, es sei verhältnismässig ruhig. Grösste Sorge ist und bleibt die Versorgung mit Medikamenten.

Nachdem unsere Leute gestern fast den ganzen Tag in Thun verbracht haben, um sich betreffend der finanziellen Unterstützung bei der zuständigen Amtsstelle zu melden (und mit ukrainischer Geduld bis in den Nachmittag hinein Schlange zu stehen...) planen wir heute einen "behördefreien" Tag. Es stehen ein paar Besorgungen an und weiteres Einleben im Schweizer Alltag. Nach dem Autowasch-Ritual vom letzten Samstag wird Sascha heute ins Rasenmähen eingeführt...

19. April 2022 - 22:45

Es ist weiterhin ungewöhnlich kalt im Süden der Ukraine. In den meisten Wohnungen dürfte die Temperatur unter 18°C gesunken sein. Die angekündigte und teilweise bereits begonnene Offensive im Osten der Ukraine beunruhigt das ganze Land. Einerseits weil auch in andern Städten die Luftangriffe wieder zugenommen haben, andererseits wegen der Ungewissheit, wohin sich das alles entwickelt.

Die Beschaffung von Medikamenten war nur teilweise erfolgreich, immer mehr Medikamente sind schlicht nicht mehr aufzutreiben. Ein Glück, dass immerhin die Finanztransaktionen immer noch reibungslos funktionieren. Schon vor Corona war die Ukraine hinsichtlich bargeldlosem Zahlungsverkehr der Schweiz voraus: sehr viele Leute, durchaus auch "ältere Semester", haben ein Online-Konto bei der Monobank. Die gesamte Kontoführung funktioniert über eine Smartphone-App, dazu gibt es eine Kreditkarte. Von Monobank- zu Monobank-Konto sind Transaktionen gratis und sekundenschnell verarbeitet. Bisher war das einfach praktisch und bequem - jetzt ein riesiger Vorteil, z.B. auch für die Spendenüberweisungen, die wir tätigen. Niemand muss Bargeld abheben, Lena kann die ganze Koordination und Verteilung genauso gut auch aus der Schweiz machen.

19. April 2022 - 08:45

Kurz vor Ostern haben wir einen weiteren Spendenbetrag überwiesen. Trotz Feiertagen hatte Lena das Geld am gleichen Tag noch auf ihrem Konto! Im Vordergrund steht aktuell die Beschaffung und Verteilung von Medikamenten. Luda, Tanjas Freundin, die noch vor Ort geblieben ist, sowie Andrej, ein guter Freund von Sascha und Lena, werden nun vermehrt mithelfen bei der Koordination der Aktivitäten.

18. April 2022 - 23:00

In Cherson drückt das frische und regnerische Wetter zusätzlich auf die Moral. In den Wohnungen ist es kalt - die Fernheizung ist seit Anfang April im Sommerschlaf. Von der ukrainischen Seite gibt es Durchhalteparolen, jeder noch so kleine Erfolg wird vermeldet. Gleichzeitig schreitet die "Russifizierung" in Cherson scheinbar unaufhaltsam voran. Es sind nicht mehr die lokalen Händler, die Frischprodukte anbieten, sondern Leute aus der Krim. In staatlichen Betrieben werden die Angestellten vor die Wahl gestellt, entweder unter neuem Management zu arbeiten oder die Stelle zu verlieren. Ob das Einzelfälle sind, die dann weit herumgereicht werden, oder ob es tatsächlich bereits systematisch geschieht, können wir von hier aus nicht beurteilen. So oder so aber ein beklemmendes Gefühl.

18. April 2022 - 10:45

Heute früh hat Sascha eine Anfrage aus Cherson erhalten für einen Transportauftrag: jemand hat einen Kühlschrank gekauft und muss ihn nun vom Geschäft nach Hause transportieren lassen. Ein 0815-Auftrag in normalen Zeiten - heute fast unmöglich. In der Ukraine läuft extrem viel über das persönliche Netzwerk. Jemand kennt jemanden, der jemanden kennt, der helfen kann... Diese Netzwerke sind gerade auch jetzt Gold wert. Immer öfter lautet allerdings die Antwort: "Tut mir leid, ich bin nicht mehr in Cherson.".

Die Nachrichten aus Lviv/Lemberg sind heute wieder beunruhigend. Erneut wurden Ziele ganz im Westen der Ukraine angegriffen, nicht weit vom Wohnquartier von Lenas Schwester.

17. April 2022 - 23:15

Wir haben den heutigen Tag so richtig genossen. Wir wurden kulinarisch verwöhnt - inklusive wunderschönem Ausblick von der Höh. Am Abend dann noch ein längerer Spaziergang der Aare entlang. Das sind gute und nötige Momente zum Abschalten.

Schon uns fällt es schwer, Distanz zu all den Nachrichten zu gewinnen. Noch viel herausfordernder ist es für diejenigen, die vor Ort lebten und mit vielen Freunden, Bekannten und Nachbarn noch viel stärker vernetzt sind als wir.

Den Tag abgeschlossen haben wir mit einem weiteren administrativen Schritt: die Bildungs- und Kulturdirektion des Kantons Bern bietet ein Online-Formular für Jugendliche an, um den aktuellen Bildungsstand zu erheben und so die beste Anschlusslösung zu finden. In der Ukraine hätte Yaroslav diesen Sommer seinen Mittelschulabschluss gemacht. Wir sind nun gespannt, wie er hier eingestuft wird.

Wie schon mal im März ist auch jetzt das Wetter in Cherson wieder wesentlich schlechter als hier. Es ist kühl und regnerisch. Das ist eher ungewöhnlich. Oft waren wir im Frühling eifersüchtig auf die bereits fast sommerlichen Temperaturen in der Ukraine, während wir hier noch fröstelten.

17. April 2022 - 12:15

Wir feiern heute Palm-Ostern. Nach orthodoxem Kalender wird Ostern anders als bei uns festgelegt und findet meist verschoben statt. Heute ist in der Ukraine deshalb "erst" Palmsonntag.

Lena ist mit ihrer Mutter Luba und ihrer Schwester Oxana im Kontakt. Oxana lebt mit ihrer Familie seit langem in Lviv/Lemberg, also ganz im Westen der Ukraine. Die beiden Töchter sind erwachsen und leben beide in Polen. Nach dem Tod von Lenas Vater lebte die Mutter abwechselnd in Cherson und in Lviv. Seit Kriegsbeginn ist sie zum Glück in Lviv. In den letzten Tagen wurde es auch in Lviv unruhiger. Lena macht sich natürlich Sorgen und wir haben uns schon mal Gedanken gemacht, wie, wann und wohin allenfalls Oxana und Luba fliehen könnten. Oxanas Mann wird kaum Chancen haben auszureisen und stellt sich deshalb darauf ein zu bleiben.

16. April 2022 - 23:30

Wir haben einen recht umtriebigen Samstag hinter uns mit dem Organisieren unseres neuen gemeinsamen Alltags. Es gilt das eine oder andere einzurichten, Dinge zu besorgen, die fehlen, zu sortieren, was aus Cherson mitgekommen ist. Und schon fast typisch schweizerisch hat Sascha das Auto gewaschen.

Mitgekommen aus Cherson ist sehr wenig. Einerseits aus Platzgründen, andererseits aus Vorsicht, sich nicht irgendeinem falschen Verdacht auszusetzen. Die zwei Laptops, die Mobiltelefone und je ein kleiner Rucksack mit Kleidern entspricht etwa dem Durchschnitt, was Tanja auch bei andern Flüchtlingen sieht, die sie begleitet. Das eigene Auto ist die Ausnahme. 2017 hätten wir unseren VW Touran hier in der Schweiz nur noch unter Wert verkaufen können. Deshalb haben wir uns für den Export in die Ukraine entschieden. Dass dieser Entscheid mal eine derartige Tragweite haben würde hätten wir uns nie gedacht! Die eigene Mobilität erlaubte eine vergleichsweise angenehme Flucht ohne tagelange Fahrten in überfüllten Zügen oder Bussen. Für Galina mit Rollstuhl wäre ein Wegkommen ohne eigenes Fahrzeug kaum realistisch gewesen.

Einmal mehr sind wir tief beeindruckt von den vielen, vielen Willkommensgrüssen und -Zeichen und extrem dankbar für die zahlreichen Hilfestellungen in den letzten Tagen!

Die Situation in Cherson ist eher besorgniserregend. Erneut werden Daten für ein Referendum herumgereicht, an denen der Anschluss der Region Cherson an Russland beschlossen werden soll. Es scheint auch wieder mehr Gefechte zu geben rund um Cherson.

16. April 2022 - 11:15

Tagesziel von heute sind Schweizer SIM-Karten für die Handys. Zu wissen, unterwegs Internet-Verbindung zu haben gibt ein Stück Sicherheit und Unabhängigkeit. Alle Schweizer Mobilfunkanbieter stellen Ukrainischen Flüchtlingen für die erste Zeit kostenlose Abos zur Verfügung. Da ist sicher auch etwas Kalkül dahinter, dass Viele dann irgendwann in einen bezahlten Plan wechseln. Im Moment aber einfach extrem hilfreich, wenn man nicht noch Preise, Datenvolumen usw. vergleichen muss.

Alexandra und ihre Freundin nehmen Yaroslav mit auf einen Ausflug. Ziel: Montreux.

15. April 2022 - 23:30

Die Registrierung für den Status S hat problemlos geklappt. Es dauert natürlich seine Zeit, bis alles überprüft, vom handschriftlichen Formular übertragen ist und seine Richtigkeit hat. An dieser Stelle sei nur kurz erwähnt, dass die Ukraine bezüglich Digitalisierung in vielen Belangen wesentlich weiter ist als viele westeuropäische Länder.

Lena hat heute von hier aus ihre Unterstützungstätigkeit in Cherson wieder aufgenommen. Noch aus Cherson hat sie Medikamente versucht zu organisieren. In Cherson selber gibt es kaum mehr Medikamente zu kaufen. Mit den Fahrzeugen, die Leute aus Cherson in sicherere Städte führten, werden auf der Rückfahrt Medikamente und andere Güter mitgebracht. Lena hat eine solche "Sammelbestellung" aufgegeben. Gestern hat sie die Nachricht bekommen, dass die Medikamente tatsächlich angekommen seien! Nun geht es darum, die Feinverteilung zu planen und ein Auge darauf zu halten, dass alles am richtigen Ort ankommt.

Wir haben noch länger mit Luda, Tanjas Freundin, telefoniert. Die Lage in Cherson ist eher noch etwas angespannter als in den letzten Tagen. Innerhalb der Stadt gibt es immer mehr Checkpoints und die Preise sind weiter gestiegen. Dafür gibt es jetzt Eier zu kaufen mit Herkunft Tschuwaschien, einer russischen Republik rund 1'500 km von Cherson entfernt...

15. April 2022 - 12:30

Heute Vormittag endlich wieder mal ein Tag, an dem nach Aufstehen und Frühstück nicht gleich wieder Packen und Weiterfahren angesagt war! Dafür Papierkram. Dank Tanjas Arbeit im Bundesasylzentrum konnte sie die benötigten Formulare für die Registrierung zum Ausfüllen mit nach Hause nehmen. Wir wollen die Registrierung in Bern heute Nachmittag erledigen. Über Ostern ist das Bundesasylzentrum nur reduziert geöffnet. Es kann deshalb sein, dass es nächste Woche zu längeren Wartezeiten kommt.

Beim Ausfüllen des Formulars war die für uns entscheidende Frage diejenige nach dem Wohnort: man kann entweder ankreuzen, dass man bereits für die nächsten ca. drei Monate irgendwo untergebracht ist oder dass man eine Unterkunft braucht. Es galt also von beiden Seiten explizit ja oder nein zu sagen zu einer mehrmonatigen Haushaltsverdoppelung. Für uns war schon im Vorfeld klar, dass die vorläufige Unterbringung bei uns für uns stimmig und wohl auch am Einfachsten für die Akklimatisierung hier ist. Ebenso wichtig ist uns aber auch, dass diese Lösung auch für Lena, Sascha und Yaroslav passt.

14. April 2022 - 23:45

Nach fünfeinhalb Tagen und 2'900 km sind Lena und Sascha mit Hündin Sabi heute um 20.15 Uhr bei uns angekommen! Wir alle sind erleichtert und unendlich dankbar. Noch vor weniger als einer Woche schien ein Wiedersehen in weitester Ferne - und nun sitzen wir gemeinsam an einem Tisch. Das braucht noch etwas Zeit, dass das ankommt...

Mit verschiedenen Leuten, die noch in Cherson sind, haben wir geschrieben oder gesprochen. Alle freuen sich, dass die Flucht geglückt ist und die lange Reise sicher ans Ziel geführt hat.

14. April 2022 - 10:15

MyPAR ist international geworden: am heutigen Weekly waren Roman und Serhii aus der Ukraine, Vika aus Polen, Lena aus Deutschland und Tanja und Alena aus der Schweiz dabei. Und es funktioniert! Blendet man den Hintergrund dieser neuen Tatsache aus, dann wäre das eigentlich ganz schön...

Vika wird vorerst in Polen bleiben. Heute wird sie zusammen mit Roman den Laptop ihres Bruders soweit vorbereiten, dass sie damit arbeiten kann. Ihren MyPAR-Laptop hat sie in Cherson zurückgelassen.

Roman hat heute von der Situation seiner Eltern, bei denen er lebt, erzählt: sie betreiben etwas ausserhalb von Cherson Gewächshäuser. Aktuell ist für sie Zwiebelsetzlingernte. Sie stehen kurz davor, einen Grossteil der Zwiebelsetzlinge vernichten zu müssen, da sie nirgendwohin liefern können. Nur einen Bruchteil können sie in den umliegenden Dörfern verkaufen oder verschenken. Der Ertrag aus dem Verkauf der Zwiebelsetzlinge wäre eigentlich für Saatgut und Dünger gedacht für den Sommer-Anbau, der jetzt ansteht. Einmal mehr Fragen über Fragen: was tun mit den Zwiebeln? Wie umgehen mit dem Ertragsausfall? Lohnt es sich überhaupt, dieses Jahr noch etwas anzubauen?

13. April 2022 - 22:15

Was für ein Tag! Yaroslav und Oma Galina sind nach einem problemlosen Flug pünktlich in Basel angekommen, wo Alexandra und ich sie abgeholt haben. Kurz nach 16 Uhr trafen wir bei meinen Eltern ein, wo Oma Galina vorerst wohnen wird. Im Gegensatz zu unserem Haus ist ihre Wohnung rollstuhlgängig, alles ist auf einer Etage. Alexandra hat Yaroslav auf einem ersten Spaziergang bereits die wichtigsten «In-Places» von Heimberg gezeigt.

Lena und Sascha sind gut vorangekommen und übernachten heute in Altötting in Bayern, etwa 1 Autostunde von München entfernt. Läuft alles nach Plan treffen sie morgen in der Schweiz ein!

In Cherson ist es wieder kühler geworden, sonst aber glücklicherweise ruhig geblieben.

13. April 2022 - 11:30

Gute Noten fürs Airport Hotel in Budapest! Ohne dass ich das bei der Reservation speziell angegeben hätte wurde Tanjas Mutter in ein Zimmer mit behindertengerechtem Badezimmer einquartiert. Am Abend hatten sie sogar etwas Zeit und Energie für einen Spaziergang. Gegen 11 Uhr fuhren Yaroslav und Galina mit dem Shuttle Bus zum Flughafen und Lena und Sascha machen sich auf die Weiterfahrt.

In all den Berichten habe ich bisher eine Mitreisende nie erwähnt: Sabi, die Hündin von Lenas Familie. Die durfte selbstverständlich auch mit und hat die Reise offenbar ganz geduldig über sich ergehen lassen. Für viele Flüchtende ist es ein Dilemma, was sie mit ihren Haustieren machen: bei Nachbarn zurücklassen geht oft nicht, weil diese ja unter Umständen auch nicht mehr lange vor Ort bleiben. Zudem ist es je nach Ort nicht ganz einfach, Tierfutter zu erhalten. In Cherson zum Beispiel wurde das nach einigen Wochen der Belagerung zum Problem. Bei der Vermittlung von Gastgebern hier in der Schweiz sind ankommende Flüchtlinge mit Haustieren auch deutlich schwieriger zu vermitteln. Das ist nachvollziehbar. Allergien, bereits vorhandene Haustiere und so weiter sind durchaus valable Gründe, nur jemanden ohne Haustier aufzunehmen.

12. April 2022 - 23:15

Zuerst muss ich mich korrigieren: ich habe in den letzten Beiträgen mehrmals von "Moldawien" gesprochen. Ein sehr guter Beitrag im Echo der Zeit von heute erläutert, dass die korrekte Bezeichnung der ehemaligen "Moldauischen Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik" korrekterweise "Moldau" ist. Im Beitrag wird auch angesprochen, dass in Transnistrien, einem schmalen Landstrich an der Grenze zur Ukraine, schon seit Jahren russische Truppen stationiert sind - einer der "eingefrorenen Konflikte" Russlands. Es gibt Befürchtungen, dass Odessa im Süden der Ukraine auch von dort aus angegriffen werden könnte.

Unsere Leute sind am späteren Nachmittag gut in Budapest angekommen. Morgen trennen sich die Wege: Yaroslav fliegt zusammen mit Oma Galina nach Basel, Sascha und Lena fahren die verbleibenden 1'100 km mit dem Auto. Galina strapaziert die Reise im Auto stark, bei den Hotels braucht es jeweils rollstuhlgängige Zimmer. Im Moment ist es noch etwas unrealistisch, dass Galina und Yaroslav bereits morgen hier sind!

Aus Cherson hören wir, dass es aktuell keine grossen Veränderungen gibt - nach wie vor "stabil instabil".

12. April 2022 - 11:00

Von Săcel gings heute morgen bei -2°C weiter Richtung Ungarische Grenze und von dort nach Budapest. Das sind knapp 500 km. Das scheint für heute ein realistisches Etappenziel, die kurvenreichen Strassen Rumäniens haben sie weitgehend hinter sich.

Während in Moldawien russisch noch sehr verbreitet ist, sind nun zunehmend die Englischkenntnisse von Yaroslav gefragt. Er besuchte mehrere Jahre zusätzlich zum obligatorischen Unterricht Englischlektionen - das kommt jetzt allen zugut! Rumänisch und erst recht ungarisch haben mit russisch etwa gleich viel gemeinsam wie deutsch...

Die Ukraine, Moldawien, Rumänien und Ungarn haben alle unterschiedliche Währungen. Trotzdem haben sie auf der ganzen Reise noch keinen Rappen Bargeld gebraucht! Überall können sie mit Kreditkarte bezahlen, die Hotels habe ich teilweise direkt bei der Buchung aus der Schweiz bezahlen können. Diese Möglichkeiten sind unbezahlbar!

Von Vika und ihrem Bruder haben wir die Nachricht erhalten, dass sie gut in Polen angekommen sind. Wir sind nicht sicher, ob sie bereits an ihrem Zielort oder einfach gut über die Grenze gekommen sind.

11. April 2022 - 23:15

Serhii und Roman wirkten heute auf uns eher etwas besorgt. Grundsätzlich war es übers Wochenende ruhig geblieben, aber trotzdem liegt eine Anspannung in der Luft und eine grosse Ungewissheit, was die nächsten Tage und Wochen bringen. Die russische Besatzung ist unübersehbar, oft unklar, welche Absichten sie genau verfolgen. Wir haben beiden nochmal nahegelegt, sich gut zu überlegen, ob sie die Gegend nicht zumindest für eine Zeitlang Richtung Westukraine verlassen möchten. Es ist ein Riesendilemma: ins Ausland ausreisen ist chancenlos, da sie im wehrpflichtigen Alter sind. Wird der Süden der Ukraine längerfristig russisch besetzt, dann wird Russland gleich vorgehen wie 2014 auf der Krim: russische Währung, russische Produkte, russische Pässe. Mit russischem Pass auch nur für Ferien irgendwohin ins Ausland verreisen, dürfte auf längere Sicht aufgrund der Sanktionen schwierig bleiben. Befreiung von was auch immer tönt anders... Und trotzdem haben die beiden heute die nächste Abstimmungsbotschaft der Stadt Bern barrierefrei aufbereitet. Noch nie schien uns der Kontrast bei einem Auftrag so gross: ein schöner und wichtiger Beitrag zur Inklusion und Barrierefreiheit - erarbeitet an einem Ort voller Hürden und Barrieren.

Lena haben wir schon lange nicht mehr so fröhlich gesehen wie heute Abend. Sie hat zwar zusammen mit Sascha, Yaroslav und Galina eine lange und beschwerliche Fahrt quer durch Rumänien hinter sich, aber die Anspannung der letzten Wochen hat sich sichtlich gelegt. Sie sagt, die Bilder der letzten Wochen vermischen sich mit den bislang unbekannten  Landschaften Moldawiens und Rumäniens. Mal nimmt das eine, mal das andere mehr Raum ein. Wir hoffen sehr, dass die Fahrt nicht nur geografisch Distanz schafft, sondern auch hilft, die letzten Wochen zu verarbeiten. Zurückgelegt haben sie heute knapp 400 km und übernachten nun in Săcel.

11. April 2022 - 13:00

Im Lauf des Vormittags haben sich Lena, Sascha, Yaroslav und Galina wieder auf den Weg gemacht, allgemeine Richtung: Budapest. Die knapp 900 km werden sie heute vermutlich nicht schaffen. Nachdem sie noch einige Besorgungen gemacht und vollgetankt haben stehen sie nun an der Moldawisch-Rumänischen Grenze. Mit viel, viel weniger Druck können sie nun die Weiterreise im gerade passenden Tempo angehen.

Wir waren gespannt, wie unser Montags-Weekly mit den MyPAR-Mitarbeitenden aussehen wird... Es waren alle dabei! Roman und Serhii aus Cherson, Lena aus dem Hotelzimmer und Vika aus dem Bus Richtung Polen! Was für eine Loyalität!

10. April 2022 - 19:15

Kurz vor halb sieben Schweizer Zeit haben wir den erlösenden Anfruf von Lena erhalten: "Wir sind alle in Moldawien." Ein unfassbar schöner Moment, was für eine Erleichterung!

Es war für uns ein Sonntag zwischen Hoffen und Bangen. Mehrmals haben wir mit unseren Lieben telefoniert. Sie waren sich nicht sicher, welches die beste Option für den Grenzübertritt war: auf direktem Weg zur Moldawischen oder etwas weiter zur Rumänischen Grenze? Am Ende haben wir uns gemeinsam entschieden, dass sie sich ein Bild an der Moldawischen Grenze in Mohyliw-Podilskyj verschaffen und dann entscheiden, wie weiter. Ungefähr um 18 Uhr Ortszeit trafen sie dort ein und fuhren mutig gleich zum Grenzübergang, den sie ohne grössere Schwierigkeiten passieren durften! Dass es so einfach geht hätten wir uns nicht zu träumen gewagt. Wir sind überzeugt, dass so viele liebe Menschen an uns und gedacht und für unsere Lieben eingestanden sind, dass es einfach klappen musste! Sie fahren heute noch weiter nach Bălţi, wo wir ihnen über booking.com wiederum ein Hotel reservieren konnten.

Vika und ihr Bruder standen während der ganzen Zeit mit ihrem Vater im Austausch, der in Polen lebt. Sie haben sich dann entschieden, ab Vinnytsya auf einen Bus umzusteigen, der sie direkt an die Grenze zu Polen bringt, wo ihr Vater sie abholt. Wir hoffen natürlich auch für sie, dass sie baldmöglichst gut dort ankommen.

10. April 2022 - 11:30

Eine so ruhige und erholsame Nacht hätten sie seit Wochen nicht mehr gehabt, berichten unsere Lieben aus Uman. Gegen Mittag haben sie die Weiterfahrt angetreten. Sie sind jetzt unterwegs in Richtung Vinnytsya. Entgegen dem gestrigen Plan, weiter Richtung Westen nach Lviv/Lemberg zu fahren, haben sie sich heute dafür entschieden, von Vinnytsya dann doch südlich Richtung Moldawische Grenze abzubiegen. Grund für die Planänderung sind Meldungen, dass die Strassen nach Lemberg komplett verstopft seien und man mehrere Tage schon nur bis nach Lemberg brauche. Für den Grenzübertritt nach Polen werden die Wartezeiten auch täglich länger. Ursache für diese Situation sind die Flüchtlingsströme aus den östlichen Gebieten der Ukraine (Charkiv, Donezk, Luhansk, Mariupol). Vor einigen Tagen hat die ukrainische Regierung die Zivilbevölkerung aufgerufen, diese Gebiete wenn möglich zu verlassen.

9. April 2022 - 21:30

Am Abend sind unsere Lieben zwar müde, aber gut in Uman angekommen. Im Hotel wurden sie sehr warm empfangen und erst mal verköstigt. Tanjas Mutter haben sie sogar die Suite im EG zur Verfügung gestellt, damit sie mit dem Rollstuhl besser zurecht kommt.

Die 400 km lange Fahrt von Cherson über Snigirevka und Kropyvnytskyi nach Uman dauerte rund 12 Stunden. Sie passierten insgesamt ca. 20 russische und ukrainische Checkpoints. Überall ging es sehr anständig und gesittet zu, kontrolliert wurden nur die Pässe. An einem russischen Checkpoint wurden sie gefragt, wie denn die Situation sei, sie seien erst vor kurzem hierher verlegt worden und wüssten nicht so genau, was Sache sei... 

Abgesehen von den zahlreichen zeitraubenden Checkpoints gab es zwei kritische Momente: Kurz nach dem Passieren der Frontlinie, als sie sich schon in Sicherheit wogen, flogen plötzlich während einem Toiletten-Halt Geschosse über ihre Köpfe - noch näher und lauter als sie sie in Cherson erlebt hatten. Etwas später mussten sie eine halb zerfallene Brücke überqueren, vor der ein Hinweisschild "Vorsicht Minen" aufgestellt war. Ein mulmiges Gefühl...

Nun ruhen sie sich erst einmal aus. Morgen oder vielleicht auch erst übermorgen geht die Fahrt dann weiter Richtung Lviv/Lemberg. An verschiedenen Checkpoints wurde ihnen von der Fahrt Richtung Moldawien eher abgeraten. Zudem wohnen Lenas Schwester und ihre Mutter in Lviv, was einerseits ein Wiedersehen ermöglicht und natürlich auch eine gute Anlaufstelle ist bevor es dann über die Grenze Richtung Polen oder Ungarn geht. Dem Ziel, gemeinsam Ostern feiern zu können, sind wir heute einen riesigen Schritt näher gekommen!

9. April 2022 - 15:30

Soeben haben wir mit Lena telefoniert! Sie sind ein gutes Stück weitergekommen, die umkämpften Gebiete haben sie hinter sich gelassen. Sie planen, noch bei Tageslicht die Stadt Uman zu erreichen und über Nacht dort zu bleiben. Über booking.com habe ich ihnen eben eine Unterkunft gebucht. Wir sind aufs erste einmal sehr, sehr erleichtert und danken allen für eure Gedanken und Gebete!

9. April 2022 - 10:45

Um halb sechs Uhr Ortszeit haben sich Lena, Sascha, Yaroslav, Tanjas Mutter Galina zusammen mit unserer MyPAR-Mitarbeiterin Vika und ihrem Bruder zum zweiten Mal auf den Weg gemacht. Nach 2.5 Stunden waren sie bereits etwas weiter gekommen als am Donnerstag. Jetzt gerade (10.30 Uhr Schweizer Zeit) haben wir die Nachricht erhalten, dass sie den ersten ukrainischen Checkpoint erreicht hätten. Wir verstehen das so, dass sie die Frontlinie überquert haben und - wenn sie den Checkpoint erfolgreich passieren - die Weiterfahrt auf ukrainisch kontrolliertem Gebiet weiter geht.

8. April 2022 - 21:15

 Für unser MyPAR-Team war heute ein weitgehend normaler Arbeitstag.

Sascha und Lena haben weitere Vorbereitungen getroffen für einen zweiten Fluchtversuch in den nächsten Tagen. Mit jedem aufgedeckten Verbrechen an der Zivilbevölkerung steigt die Angst, ob es deine Heimatstadt als nächstes trifft. Dazu kommt eine Vielzahl an Gerüchten, wie es unter der russischen Besetzung weitergeht. Eine Befürchtung ist, dass es bald nur noch Fluchtkorridore in die Krim, also auf das von Russland bereits 2014 annektierte Gebiet, geben könnte. Aus dem Osten der Ukraine hört man bereits von mehr oder weniger unfreiwilligen Deportationen nach Russland.

Tanja hat auch diese Woche wieder viel im Bundesasylzentrum in Bern gearbeitet - insgesamt bereits mehr als 130 Stunden seit ihrem ersten Einsatz vor genau einem Monat. Gestern wurde im Kanton Bern der 1'000. Flüchtling an eine Privatunterkunft vermittelt. Im Durchschnitt sind das rund 25 Flüchtlinge pro Tag. Ob das jetzt viel oder wenig ist lässt sich nicht beurteilen - es gibt ja nichts Vergleichbares. Fakt ist, dass der Grossteil der Platzierungen erfolgreich ist. Tanja hinterlässt für allfällige Verständigungsprobleme oft ihre Telefonnummer und bekommt auf diesem Weg sehr viele positive Rückmeldungen, wie gastfreundlich und grosszügig der Empfang in den Privatunterkünften ist. Das stimmt uns extrem dankbar.

8. April 2022 - 08:15

Tanjas Mutter hat schon lange nicht mehr so gut geschlafen wie letzte Nacht! Der gestrige "Ausflug" war für sie körperlich sehr anstrengend. Die Fahrt an sich habe sie überhaupt nicht als bedrohlich wahrgenommen. Im Gegenteil: während der Wartezeiten an den Checkpoints hätten die Leute ihre Autos verlassen, man habe mit vielen Leuten gesprochen. Alle sitzen im gleichen Boot. Für Sascha und Lena ist die Anspannung natürlich ungleich grösser - die Verantwortung lastet auf ihren Schultern.

7. April 2022 - 21:15

Lena, Sacha, Yaroslav und Tanjas Mutter Galina sind unversehrt wieder in Cherson angekommen. Auch wenn wir uns natürlich gewünscht hätten, dass sie es bereits ein gutes Stück Richtung Westen geschafft hätten, sind wir froh und dankbar, dass es ihnen gut geht.

Sie haben uns erzählt, dass sie kurz nach 6 Uhr losgefahren sind und sich einer Auto-Kolonne angeschlossen haben. Wie diese Auto-Kolonnen entstehen ist nicht so klar. In diversen Chats tauschen sich die Leute aus und mit dem Wissen der Gruppe bildet sich die tagesaktuell beste Route heraus - Digitalisierung auf Ukrainisch! Heute verliess die Kolonne Cherson am nordöstlichen Stadtrand und fuhr auf Nebenstrassen nordwärts in Richtung Snigirevka. Das ist nicht der direkteste Weg Richtung Westen. Mykolayiv muss jedoch grossräumig umfahren werden. In der Gegend zwischen Cherson und Mykolayiv verläuft die Frontlinie zwischen russisch besetztem und ukrainischem Gebiet. Die Gegend ist heftig umkämpft.

Auf der Fahrt trafen sie alle paar Kilometer auf russische Checkpoints, so genannte "Block-Posts". Die Kontrollen verliefen alle recht zügig und ohne Zwischenfälle: ein Blick ins Auto, zwei, drei Fragen und sie durften weiter fahren. Man hört, dass die Kontrollen offenbar dank der langen Auto-Kolonnen schneller gehen. Trifft man alleine an einem Checkpoint ein, dann wird viel intensiver kontrolliert. An einem dieser Checkpoints wurde die Weiterfahrt verweigert, da Gefechte drohten. In solchen Fällen wendet ein Teil der Auto-Kolonne und fährt zurück, ein Teil wartet und spekuliert darauf, dass der Weg später wieder freigegeben wird. Einigen scheint es später am Tag tatsächlich noch gelungen zu sein, weiter zu fahren. Heisst aber auch, dass man dann irgendwo in der Weite der Ukraine eine Übernachtungsgelegenheit suchen muss. Das war für unsere Lieben auch der Grund umzukehren: für Tanjas Mutter wäre eine Übernachtung irgendwo "in der Prärie" nicht zumutbar.

Wir haben den abgebrochenen Fluchtversuch zum Anlass genommen, uns nochmal genauer abzustimmen, wie wir während der Reise in Kontakt bleiben und wie wir vorgehen würden, wenn die gewohnten Kanäle nicht mehr funktionieren sollten, bspw. weil die Mobiltelefone konfisziert werden. "Learning by doing" ist man versucht zu sagen...

Ein unvergesslicher - und hoffentlich einmaliger - Geburtstag für Lena geht versöhnlich zu Ende...

7. April 2022 - 11:30

Nach etwas mehr als 40 km und über drei Stunden Fahrt war Schluss: die Weiterfahrt wurde ihnen untersagt, weil es aufgrund von Gefechten zu gefährlich sei. Sie befinden sich nun auf der Rückfahrt nach Cherson.

7. April 2022 - 09:00

Heute früh haben wir nur eine ganz kurze Meldung von Lena erhalten: «Sind unterwegs». Wir hoffen, bangen und beten, dass alles gut geht und sie im besten Fall heute noch die Grenze erreichen. Sie haben sich kurzfristig umentschieden und sind jetzt doch alle zusammen und mit eigenem Auto unterwegs.

Es ist nicht so, dass die Risiken zu fliehen kleiner geworden wären. Aber die Gefahr zu bleiben hat sich in den letzten Tagen ständig erhöht und scheint jetzt grösser als alle Strapazen und Ungewissheiten der Flucht.

6. April 2022 - 23:00

Es hat geklappt mit dem geplanten Arztbesuch! Das war gleichzeitig das erste Mal seit dem 24. Februar, dass Tanjas Mutter ihre Wohnung verlassen hat. Sie hat nun eine aktuelle ärztliche Bescheinigung, dass sie aufgrund ihrer Behinderung auf Betreuung angewiesen ist. Das ist ein Teil des Plans, dass Sascha so evtl. mit ausreisen kann - auch wenn er zur Altersgruppe gehört, die aktuell die Ukraine nur unter bestimmten Voraussetzungen verlassen darf.

Morgen feiert Lena Geburtstag, mit Sicherheit den Unvergesslichsten... Heute wurde sie von einigen Leuten, denen sie in den letzten Wochen geholfen hat, mit einer Torte überrascht. Solche Momente sind Lichtblicke im sonst von Angst geprägten Alltag.

Sveta, die Jugendfreundin von Tanja, die gestern erfolgreich nach Moldavien geflohen ist, ist gut in Chisinau angekommen und hat vor, vorerst dort zu bleiben. Sie wurden sehr gastfreundlich aufgenommen und zusammen mit rund 100 weiteren Flüchtlingen in einem Hotelkomplex mit Appartements ausserhalb der Stadt untergebracht.

6. April 2022 - 11:45

Die Situation bleibt auch heute Vormittag "stabil-unstabil".

Aktuell ist ein Arztbesuch von Tanjas Mutter geplant, um bestätigen zu lassen, dass sie aufgrund ihrer Behinderung Betreuung braucht. Normalerweise eine Routine-Fahrt für Sascha. Heute ein Abwägen, ob es nicht zu gefährlich ist. Kommt man auch wieder ohne Probleme zurück? Bleibt die Lage stabil?

5. April 2022 - 21:30

Heute hat uns eine gute Nachricht erreicht: einer Jugendfreundin von Tanja ist zusammen mit ihrer Tochter und Enkelin die Flucht aus Cherson nach Moldavien gelungen. Sie haben vier Anläufe gebraucht: beim ersten Mal mussten sie unterwegs umdrehen, weil die Weiterfahrt zu gefährlich war, zwei Mal wurde die Abfahrt kurz vor der vereinbarten Zeit abgesagt. Jetzt hat's erstaunlich gut geklappt: um 6 Uhr morgens los, gegen 16 Uhr über die Grenze. Trotz fünf Checkpoints, die zu passieren waren.

Lena hat heute (u.a.) einen Windelgrosseinkauf gemacht.

5. April 2022 - 09:30

Auch letzte Nacht und heute früh keine wesentlichen Veränderungen - "stabil unstabil" trifft es wohl am besten.

Lena stellt fest, dass sich die Regale in den Läden nun zunehmend leeren. Auf den Märkten ist das Angebot nach wie vor recht gut, wird aber meist nur gegen Bares verkauft. Schon seit einiger Zeit verteilen die Russen Lebensmittel ("humanitäre Hilfe") in der Stadt. Lange weigerten sich die Einwohner, diese anzunehmen. Bald wird ihnen nichts mehr anderes übrig bleiben, um nicht zu verhungern. In Russland werden die Bilder als Beweis für die Not und die Dankbarkeit der Ukrainer auf allen Kanälen gezeigt werden.

4. April 2022 - 21:45

Wie lange seid ihr maximal an einem Bankomaten angestanden, um Geld zu beziehen? Vielleicht (nervige) fünf Minuten? Tanjas Freundin Luda hat heute erzählt, dass sie 1.5 Tage (!) angestanden ist, um 5'000 Griwnas (ca. 150 CHF) zu beziehen. Seit Beginn des Krieges ist Bargeld Mangelware, aber für Produkte auf dem Markt oder "über die Gasse" oft das einzige Zahlungsmittel. Einzelne Banken und Bankomaten haben offenbar noch Reserven. Das spricht sich herum und führt zu solchen Warteschlangen. Wie man 1.5 Tage ansteht? Ganz einfach: man merkt sich, wer vor einem ansteht und kann dann problemlos auch mal wieder weg gehen für andere Besorgungen. Wichtig ist einfach, den Moment nicht zu verpassen, wenn man an der Reihe ist. Dieses System wurde zum Ende der Sowjetunion perfektioniert. Ich habe oft gestaunt, wie diszipliniert und ehrlich das funktionierte. Da wurde weniger vorgedrängt als hier an den Skiliften.

4. April 2022 - 11:45

Einigermassen normaler Wochenstart. An der Kriegsfront gibt's keine wesentlichen Veränderungen. Sascha und Lena konnten heute sogar einen Zahnarzt-Termin wahrnehmen.

Tanjas Mutter hat aus ihrer Wohnung beobachtet, dass mehrere Busse mit rotem Kreuz in Richtung Osten fuhren. Das bestätigt Gerüchte, dass Einwohner aus Cherson in Richtung Krim evakuiert werden. Aktuell dürften jedoch noch nicht allzu viele dieses von Russland bereitgestellte Angebot annehmen. Die Krim gehört zwar völkerrechtlich immer noch zur Ukraine, unterliegt seit 2014 jedoch komplett russischer Kontrolle. Ob, wie und wohin eine Weiterreise aus der Krim möglich ist, ist unklar.

Mit unseren MyPAR-Mitarbeitenden hatten wir einen kurzen Austausch. Sie stellen sich auf eine (fast) normale Arbeitswoche ein. Das ist doch erfreulich!

3. April 2022 - 21:45

Auch heute ist die Situation in Cherson weitgehend unverändert geblieben. Das gab auch uns hier die Möglichkeit, etwas durchzuatmen.

Alexandra tauscht sich regelmässig mit ihrem Cousin Yaroslav aus. Die letzten Tage hat sich sein Aktionsradius wieder etwas erweitert. Er geht mehr nach draussen und trifft sich mit Freunden. Allerdings sind die rar geworden: vom Squash-Club, in dem er trainierte, sind nur noch der Trainer und eine Spielerin in Cherson.

3. April 2022 - 11:45

Sascha hat heute Vormittag den eigentlich für gestern geplanten Besuch bei der Mutter nachgeholt. Er konnte mit jemandem im Auto mitfahren und ist ohne einen einzigen Kontrollposten angekommen. Ein kleines Sonntagsgeschenk.

Nach wie vor ist die Gegend heftig umkämpft. Einmal mehr ist die genaue Situation undurchsichtig.

2. April 2022 - 22:45

In Cherson geht ein Tag ohne grosse Veränderungen zu Ende. Nach wie vor ist die Region heftig umkämpft. Sascha hatte eigentlich geplant, einen kurzen Besuch bei der Mutter zu machen, hat es dann aber bleiben lassen, weil es schlicht zu ungemütlich war.

2. April 2022 - 11:30

Die Wetterverhältnisse zwischen der Schweiz und dem Süden der Ukraine haben sich grad umgedreht: hier ist der Winter zurückgekehrt, in Cherson ist Frühling. Das ist gut so, weil wie jedes Jahr pünktlich zum 1. April die Fernwärmesysteme abgeschaltet werden - unabhängig von den klimatischen Verhältnissen.

Der Frühling lockt die Leute aus den oft kleinen Wohnungen nach draussen. Viele lassen sich das trotz Krieg nicht nehmen. Dazu muss man wissen, dass die Wohnquartiere oft so angelegt sind, dass es grosse Innenhöfe gibt, die fast wie kleine in sich abgeschlossene Parks mit Spielplätzen, Sitzbänken usw. anmuten. Blendet man den Lärm und die Angst im Hinterkopf aus, dann spielt sich dort das Leben wieder einigermassen normal ab.

Ausserhalb dieser Innenhöfe begegnet man Checkpoints, Panzerkolonnen und patrouillierenden Soldaten. Auch daran scheint man sich zu gewöhnen. Im Gegensatz zu den ersten Wochen sind innerhalb der Stadt wieder viel mehr Autos und Leute unterwegs.

Vor allem am Wochenende begänne jetzt die Saison mit Spaziergängen zum Fluss Dnjepr oder in einem der grosszügigen Parks der Stadt. Die ersten würden sich auf die Datschen aufmachen. Das fällt dieses Jahr aus.

1. April 2022 - 21:45

Heute haben wir länger mit Lena über eine mögliche Flucht aus Cherson gesprochen. Uns scheint, dass sich bei den meisten unserer Verwandten und Freunde die Haltung gefestigt hat, entweder vorläufig zu bleiben oder sich bei der nächsten möglichen Gelegenheit an einen sichereren Ort zu begeben. Wie man sich entscheidet hängt von extrem vielen Faktoren ab. Erst wenn man sich damit auseinandersetzen muss merkt man, wie eng man mit einem Ort und seinem Umfeld verwoben ist. Was gibt man auf? Wen lässt man im Stich? Unser (momentaner) Plan sieht vor, dass unsre Schwägerin Lena zusammen mit ihrem Sohn Yaroslav die Reise in die Schweiz antreten werden, sobald das mit kalkulierbarem Risiko möglich ist. Tanjas Mutter und Bruder bleiben vorerst in Cherson. Ob und wann der Plan umgesetzt werden kann steht in den im Blog schon öfters zitierten Sternen...

1. April 2022 - 10:30

Heute Vormittag haben wir unser MyPAR-Weekly durchführen können - sogar alle mit Video! Übers Mobilfunknetz funktioniert der Internetzugriff nach wie vor sehr gut, bei den Hausanschlüssen bleibt's instabil. Die Situation habe sich ein klein wenig beruhigt. Wir vermuten eher, dass sie sich schon wieder etwas an diesen Zustand gewöhnt haben. Uns scheint, dass die Lage nach wie vor sehr angespannt ist.

Es fällt auf, dass viele Leute, mit denen wir vor Ort Kontakt haben, kaum mehr mittel- oder gar längerfristig denken und planen können. Die Bewältigung des unmittelbaren Alltags absorbiert so viel Energie, dass wohl schlicht die Kraft fehlt, weiter als bis zum nächsten Tag zu schauen. Dazu kommt, dass mit der Dauer des Krieges sämtliche Perspektiven wie ein Kartenhaus Etage um Etage zusammenbrechen. Gab's zu Beginn noch die Zuversicht, dass sich das nach ein paar Tagen wieder irgendwie «einrenkt», wird nun immer klarer, dass das «Normal» von vor dem 24. Februar nicht so schnell zurückkehren wird.

31. März 2022 - 23:30

Die Stimmung ist nicht wirklich besser geworden. Nach wie vor gibt es immense Truppenbewegungen in Richtung Westen und fast pausenlos Detonationen in der Nähe der Stadt.

Die Verzweiflung der Leute wird von Tag zu Tag grösser. Nebst der militärischen Bedrohung drückt das Nichtstun extrem auf die Moral. Abgesehen von wenigen Branchen (z.B. Gesundheitswesen, Detailhandel) arbeitet kaum jemand.

31. März 2022 - 11:45

Die Situation ist auch heute nicht besser geworden. Die Angst bei der Bevölkerung von Cherson, dass es ähnlich herauskommen könnte wie in den zerbombten Städten weiter östlich, ist sehr gross. Seit einigen Tagen gibt es Spezial-"Taxis", welche Leute aus der Stadt in Richtung Westen herausführen und bei der Rückkehr Medikamente oder andere Waren aus bisher weniger betroffenen Städten nach Cherson bringen. Seit gestern haben diese Taxis ihre Fahrten weitgehend eingestellt, weil es im Moment zu gefährlich sei.

30. März 2022 - 22:45

Leider hat sich die Situation heute nicht beruhigt. Wohngebiete werden in Cherson zum Glück nach wie vor nicht beschossen. Der Kriegslärm ist jedoch überall in der Stadt gut und praktisch ununterbrochen zu hören.

Serhii, der am Wochenende zu seinen Eltern geflüchtet war, berichtet uns, dass die dortigen Feriensiedlungen von russischen Soldaten bewohnt werden. Eine eher unerwünschte Zwischensaison-Nutzung...

Trotz allem konnte auch in den letzten Tagen wieder viel dringend gebrauchte Nachbarschaftshilfe geleistet werden. 

30. März 2022 - 11:45

Auch heute Vormittag hatten wir (arbeitsbedingt) bisher nur kurz Kontakt zu unseren Leuten. Nach wie vor gibt es sehr viele Verschiebungen russischer Militärfahrzeuge in Richtung Mykolajiw, vermutlich von der Krim her kommend. Was das genau heisst für die nächste Zeit bleibt offen.

29. März 2022 - 22:15

Heute hatten wir nur wenig Kontakt mit unseren Leuten vor Ort. Am Abend hat Tanja länger mit ihrer Mutter gesprochen. Während sie die letzten Wochen die Detonationen und die damit verbundenen Erschütterungen recht gelassen hin nahm, beunruhigt sie die Intensität in den letzten 48 Stunden doch zunehmend. Für uns hier bleibt unvorstellbar, wie viel Stress und Belastung das Kriegsgeschehen in unmittelbarer Nähe auslöst.

29. März 2022 - 09:30

Nach wie vor ist es unruhig. Tanjas Mutter sieht aus ihrem Fenster auf eine Hauptstrasse.  Sie sagt, so viele Militärfahrzeuge wie heute morgen habe sie noch nie beobachtet.

28. März 2022 - 22:15

Wie befürchtet ist's heute den ganzen Tag über laut und unruhig geblieben. Es ist für die Anwohner extrem schwierig abzuschätzen, wie weit entfernt die Detonationen sind. Sie sind kilometerweit zu hören.

Verstörend war der Tag auch für Roman, unser MyPAR-Mitarbeiter, der etwas ausserhalb von Cherson wohnt: in seinem Dorf haben russische Soldaten die Häuser durchsucht. Was genau sie gesucht haben bleibt unklar. Die einen sagen, Leute aus den eigenen Reihen, die desertiert haben. Andere befürchteten Plünderungen. Roman hat sich und die wichtigsten Wertgegenstände jedenfalls den ganzen Tag versteckt gehalten. Es sei aber alles geordnet verlaufen. Bei ihm sei niemand vorbei gekommen, seiner Cousine im Nachbardorf hätten sie jedoch einen "Besuch" abgestattet, die Pässe kontrolliert und das Auto durchsucht.

28. März 2022 - 09:00

Während bei unserem "Morgen-Check" manchmal die einen sagen, die Nacht sei ruhig gewesen und die andern von Detonationen um den Schlaf gebracht wurden waren sich heute alle einig: es war eine unruhige Nacht. Die Kämpfe rund um Cherson haben sich intensiviert. Es scheint sich zu bestätigen, dass die ukrainische Armee versucht, die Kontrolle über Cherson zurückzugewinnen. Es stehen vermutlich unruhige und gefährliche Stunden/Tage an.

27. März 2022 - 22:00

Heute Sonntag hat sich die Situation nicht wesentlich verändert.

Serhii, unser MyPAR-Mitarbeiter, ist am Wochenende zu seinen Eltern, die ausserhalb der Stadt wohnen,  gefahren und plant die nächste Zeit dort zu bleiben. Er konnte mit einem Milchlieferanten mitfahren. An zwei Checkpoints wurden sie angehalten. Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass die Smartphones geprüft und je nach Inhalt sogar zerstört oder konfisziert werden. Deshalb tut man gut daran, im Vorfeld alle Apps und Inhalte zu löschen. Den Laptop hat er erfolgreich zwischen Milchkannen versteckt.

Dank der schnellen Geldüberweisung am Freitag konnte Lena heute bereits wieder einige Einkäufe tätigen. Die Dankbarkeit der Leute ist riesig. Und auch wir sind tief beeindruckt von der Grosszügigkeit und immer noch sehr grossen Anteilnahme.

27. März 2022 - 11:30

Die Gefechte waren die ganze Nacht über hörbar und halten auch heute Vormittag weiter an. Bisher gibt es zum Glück keine Anzeichen dafür, dass sich das Geschehen vom Flughafen / Militärstützpunkt näher zur Stadt verlagern würde.

Bei vielen Menschen auch aus unserem Umfeld hat sich in den letzten Tagen der Entscheid zur Flucht gefestigt, sobald es dafür eine Möglichkeit gibt.

26. März 2022 - 23:45

Tagsüber gab es immer wieder Detonationen in der weiteren Umgebung.

Sonst war's ein relativ normaler Tag: trotz langer Warteschlangen konnte Lena wieder zahlreichen Menschen aus ihrer Nachbarschaft mit dem Nötigsten aushelfen.

26. März 2022 - 11:00

Im Stadtteil von Lena und Sascha war die Nacht wieder unruhiger, es waren Explosionen aus der Nähe zu hören. Im Lauf des Vormittags scheinen die Detonationen eher von weiter entfernt zu kommen. Im Stadtteil von Tanjas Mutter blieb es hingegen in der Nacht ruhig.

Uns fällt auf, dass es in den letzten Tagen viel mehr Gerüchte und unbestätigte Informationen aus Cherson gibt als noch in den ersten drei Kriegswochen. Möglicherweise hat das damit zu tun, dass die Leute wieder etwas mehr auf der Strasse sind und sich Informationen rascher und dadurch unkontrollierter verbreiten. Man kennt jemanden, der von jemandem gehört hat, die etwas gesehen hat... 

Eine Information, die sich in den letzten Tagen verdichtet, besagt, dass die Bäckereien noch Mehl hätten für rund eine Woche, um Brot zu backen. Tanjas Mutter hat jedenfalls damit begonnen, sich bereits einen Vorrat anzulegen. Sie röstet das Brot, damit es haltbarer wird. Warum nicht in den Tiefkühler? Einerseits ist der reserviert für Lebensmittel, die sich nicht gut anders konservieren lassen. Andererseits muss man auch damit rechnen, dass die Stromversorgung ausfallen könnte.

Ebenfalls scheint sich zu bestätigen, dass die ukrainischen Truppen planen, Cherson wieder unter ukrainische Kontrolle zu bringen. Strategisch macht das durchaus Sinn, da damit der Vorstoss Richtung Odessa erschwert und verzögert werden kann. Was das konkret bedeutet wagen wir uns im Moment noch nicht vorzustellen - das russische Militär ist ja mitten in der Stadt. 

25. März 2022 - 21:45

Gestern Abend haben wir Lena zum dritten Mal einen Betrag für Soforthilfe überwiesen - heute Nachmittag hatte sie das Geld bereits auf dem Konto. Wie beim ersten Mal ging's diesmal wieder blitzartig.

Sascha hat einer Bekannten im Rollstuhl heute dringend benötigte Hygieneartikel vorbei gebracht. Sie wohnt im Stadtteil, in dem vor rund drei Wochen ein Wohnhaus bombardiert wurde. Ein mulmiges Gefühl, sich dorthin zu begeben. Jedenfalls waren alle erleichtert, als er unversehrt zurück war.

25. März 2022 - 09:30

Die letzte Nacht in Cherson war zum Glück wieder viel ruhiger als die vergangene. Auch die Internetverbindungen sind wieder stabil. Wir konnten unser Weekly heute sogar mit Video durchführen. Hätte uns jemand ohne Kenntnis des Weltgeschehens der letzten vier Wochen zugehört, käme man nie darauf, dass wir gerade mit einem Team aus einem Kriegsgebiet gesprochen haben. Es ist schön, etwas Normalität schaffen zu können in einen Alltag, der sonst alles andere als normal ist.

24. März 2022 - 22:30

Heute waren den ganzen Tag über Detonationen zu hören - nicht mehr ganz so intensiv wie in der Nacht und am Morgen, aber doch den ganzen Tag hindurch. Es ist verblüffend, wie man sich offensichtlich auch an so etwas "gewöhnen" kann: Lena hat ihre "Einkaufstouren" trotzdem gemacht, der Mann von Tanjas Freundin Luda hat um den Wohnblock herum die Strasse gewischt und Sascha war zum ersten Mal seit Kriegsbeginn wieder längere Zeit in seiner Garage / Werkstatt.

Die Tochter einer guten Bekannten ist heute mit ihrem Kind aus Cherson auf die Krim geflüchtet und will von dort weiter nach Sotschi, wo ihr Bruder längere Zeit gelebt hat und noch eine Wohnung besitzt. Dass Menschen aus der Ukraine nach Russland fliehen ist die Ausnahme. Wie dieser Fall einmal mehr zeigt sind die familiären Beziehungen und generell die Verbindungen zwischen Russland und der Ukraine traditionell sehr eng miteinander verflochten. Ob sie den Krieg überdauern steht in den Sternen.

24. März 2022 - 10:30

Die Menschen in Cherson haben eine sehr unruhige Nacht hinter sich. Der Militärstützpunkt beim Flughafen scheint wieder heftig umkämpft zu sein. Irgendwo haben wir gelesen, dass die Kontrolle über diesen Stützpunkt nun schon 8 (!) mal zwischen russischen und ukrainischen Truppen hin und her gewechselt hat. Ob das stimmt können wir nicht verifizieren. Jedenfalls ist es auch jetzt noch laut - sogar beim Telefonieren hört man im Hintergrund die Detonationen.

23. März 2022 - 23:00

Heute war die Zusammenarbeit mit dem Team in der Ukraine wegen der schlechten Internetverbindung etwas schwieriger als üblich. Alle geben ihr bestes und mit etwas Improvisation und Geduld funktioniert das Arbeiten nach wie vor den Umständen entsprechend gut.

Am Nachmittag hat Tanja erneut im Bundesasylzentrum gearbeitet. Es gibt viele herzzerreissende Geschichten und bis auf vereinzelte Ausnahmen sehr positive Vermittlungen an die Gastfamilien. Tanja hinterlässt meist ihre Telefonnummer und bekommt so Feedback, ob alles wie erwartet geklappt hat.

23. März 2022 - 10:45

Auch heute sind die Internetverbindungen via Festnetz-Anschluss teilweise schlecht oder gar nicht verfügbar. Das Mobilfunknetz funktioniert zum Glück immer noch gut.

Das Wetter ist deutlich frühlingshafter geworden - eine riesige Erleichterung beim Anstehen in den nach wie vor langen Warteschlangen. Ansonsten ist die Lage weitgehend unverändert. Man hört und sieht in den sozialen Medien von Protesten im Stadtzentrum, die teilweise gewaltsam aufgelöst werden. Nach wie vor ist die Gefahr gross, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.

22. März 2022 - 22:15

Heute gab es widersprüchliche Informationen zur Versorgungslage in Cherson: In den Schweizer Medien hörte man, dass die Lebensmittelvorräte zu Ende gehen und kein Nachschub in Sicht sei. Im Stadtteil von Tanjas Mutter hingegen hat heute der Markt ein erstes Mal wieder geöffnet und habe ein grosses Angebot gehabt. Schon von zwei Seiten haben wir jetzt gehört, dass Hühner gratis verteilt werden. Eine Hühnerfarm in der Nähe muss offenbar die Tiere schlachten und verteilen, weil sie nicht mehr genügend Futter haben.

Wir interpretieren den Widerspruch so, dass die Bauern aus den umliegenden Dörfern tatsächlich wieder in die Stadt kommen und ihre Produkte anbieten können. Waren, die nicht direkt in Cherson angebaut oder hergestellt werden, dürften tatsächlich langsam knapp werden.

22. März 2022 - 10:15

Mit ihrer Mutter konnte Tanja bisher heute nicht sprechen - die Verbindung ist schlecht. Dafür hat ihr Lena etwas ausführlicher beschrieben, wie sie ihr "Hilfsnetzwerk" organisiert hat: Am Morgen tauschen sie sich via Chat oder Telefon aus, wer was weiss, wo welche Produkte zu welchem Preis erhältlich sind. Danach schwärmt eine Gruppe aus zum Anstehen und eine weitere Gruppe ist für die Verteilung an die Bedürftigen zuständig. Lena geht von Ort zu Ort, um zu bezahlen. Einfach - pragmatisch - ukrainisch!

Und mir scheint, wir wurden hier schon ein wenig angesteckt! Wir erleben  aktuell auf allen Ebenen so viel spontane Hilfsbereitschaft und Engagement - einfach , pragmatisch, ohne Umschweife. Schon fast ein wenig ukrainisch...

21. März 2022 - 22:15

Heute Morgen hatten wir über die kritischer werdende Versorgungslage geschrieben - offenbar hat sich das heute etwas entspannt: von verschiedener Seite haben wir gehört, dass die Regale eher wieder besser gefüllt sind. Ausserhalb der Stadt, wo einer unserer MyPAR-Mitarbeiter wohnt, sind die Läden nach wie vor leer und deshalb geschlossen. Hier leben die Menschen von ihren Vorräten und helfen sich gegenseitig aus.

Die Internet-Verbindung ist immer noch gut, aber instabiler geworden. Für die Schulen eine Herausforderung. So hat Yaroslav am Freitag und Montag keinen Unterricht gehabt. Für die Kinder im Vorschulalter bieten einige Kindergärten ein reduziertes Angebot während ein paar Stunden an, damit die Kinder etwas Abwechslung haben. Das geht zum Glück ohne Internetverbindung.

Schon vor ein paar Tagen hat Lena uns viele Fotos zur Verwendung der zweiten Soforthilfe-Tranche zugestellt. Endlich sind wir dazu gekommen, einige der Bilder zu publizieren.

21. März 2022 - 09:15

Heute früh hatte Tanja ein kurzes Meeting mit unseren MyPAR-Mitarbeitenden. Sie starten fast wie gewohnt in die neue Arbeitswoche, haben alle ihre Aufgaben und sind motiviert. Mit Ausnahme des Stadtteils, in dem Lena und Sascha wohnen, ist es übers Wochenende verhältnismässig ruhig geblieben. Die Versorgungslage mit Lebensmittel bereitet nun zunehmend Sorge. Während Milchprodukte seit ein paar Tagen wieder etwas besser verfügbar sind, leeren sich die Regale in den Läden: Reis, Teigwaren, Getreide sind weitgehend ausverkauft. Aktuell ist das noch unkritisch, weil sich die Ukrainer traditionell eher grössere Vorräte halten und auch viel selber Eingemachtes haben, von dem sie nun zehren.

20. März 2022 - 21:45

Der Sonntag war in allen Stadtteilen einigermassen ruhig. Probleme gab's bei der Internet-Verbindung: über die Hausanschlüsse funktioniert der Internet-Zugang vielerorts aktuell nicht mehr zuverlässig. Über das Mobilfunknetz ist's zum Glück nach wie vor stabil.

Von Tanjas Freundin Luda haben wir etwas mehr erfahren zu den in der ersten Kriegswoche zerstörten Wohnhäusern: rund um die Brücke, die nach Cherson führt und zu Beginn heftig umkämpft war, sollen rund 60 Häuser zerstört worden sein, im am 1. März getroffenen 9-stöckigen Wohnhaus in Cherson wurden zwei Wohnungen zerstört. Die eine gehört einem Matrosen und ehemaligen Schulkollegen von Ludas Sohn, der glücklicherweise aktuell auf See und nicht zu Hause ist. In der zweiten Wohnung kamen Bewohner ums Leben.

Ähnlich wie uns hier wird auch den Menschen vor Ort langsam, aber sicher bewusst, dass das wohl keine Geschichte wird, die in ein paar Tagen oder Wochen vorbei ist. Die Erschöpfung droht überhand zu nehmen. Gleichzeitig sehen und hören wir auch hoffnungsvolle Signale und Zuversicht auf eine gute Zukunft - "irgendwann"...

20. März 2022 - 09:00

Wir haben mit Tanjas Mutter gesprochen, alle andern haben wir heute Vormittag noch nicht erreicht. Meist gehen nun die Leute früh am Morgen zum Einkaufen. Einerseits weil die Chance grösser ist, dass es noch etwas gibt, andererseits weil ab dem späteren Nachmittag eine Ausgangssperre gilt und man nicht riskieren will, mehrere Stunden anzustehen, um dann unverrichteter Dinge wieder umkehren zu müssen. Gestern sind zudem offenbar Lastwagen mit Lebensmitteln in der Stadt angekommen - da besteht natürlich die Hoffnung, das eine oder andere wieder auftreiben zu können, was in den letzten Tagen ausgegangen ist.

Einkaufen am Sonntag? Ja, das war schon vor dem Krieg in der Ukraine üblich: die grösseren Läden haben meist 7 Tage die Woche geöffnet, teilweise sogar rund um die Uhr.

19. März 2022 - 23:30

In Cherson war der heutige Samstag verhältnismässig ruhig.

Hier in der Schweiz fanden heute erneut viele Veranstaltungen gegen den Krieg und für die Menschen aus der Ukraine statt. Die Stadtkirche Thun führte ein Benefizkonzert für die Menschen in der Ukraine durch. Tanja war eingeladen, den ca. 100 Teilnehmenden aufzuzeigen, wie sich die Situation für sie und die Menschen in Cherson präsentiert.

19. März 2022 - 09:30

Schöne Überraschung zum Wochenende: es gab endlich wieder einmal grössere Mengen frischer Milch zu kaufen. Milchprodukte und Eier werden oft "über die Gasse" verkauft. Das heisst, frühmorgens kommt die "Molotschniza" ("Milchfrau") aus einem umliegenden Dorf, platziert sich mit ihrem Fahrzeug irgendwo im Quartier und die Leute kaufen ihr die Produkte direkt ab. In den letzten drei Wochen waren die Verkehrswege nicht passierbar. Offenbar wurden da jetzt wieder erste Möglichkeiten geschaffen.

Im Gegensatz zu vorher sind unsere Leute viel mehr zu Fuss unterwegs. Einerseits um Benzin zu sparen, andererseits ist es wohl auch sicherer. Wer mal mit uns in der Ukraine war kennt die Distanzen... Das schränkt die Begegnungen natürlich ein. Zudem macht das ständige Anstehen auch einfach müde, sodass man dann nicht nochmal raus mag für einen Besuch.

18. März 2022 - 23:00

Eine intensive (Arbeits-)Woche neigt sich dem Ende zu. Tanja hat gegen 30 Stunden im Bundesasylzentrum in Bern übersetzt und mitgeholfen bei der Zuweisung von ankommenden ukrainischen Flüchtlingen zu Schweizer Gastfamilien. Es ist zwar anstrengend und ermüdend, aber eine sehr dankbare Arbeit. Es ist beeindruckend, wie effizient die Vermittlung nach anfänglichen Holprigkeiten nun funktioniert.

Wir sind dankbar, dass auch nach einer weiteren Kriegswoche unsere Nächsten körperlich unversehrt sind. Noch absolut keinen Plan und keine Vorstellung haben wir, ob und wie rasch die erlebten Traumata verarbeitet werden können.

18. März 2022 - 10:45

Aktuell verändert sich in und rund um Cherson nicht sehr viel. Die Lage könnte man als "stabil unsicher" bezeichnen. Nach wie vor gibt es mal weniger, mal mehr Detonationen. Lena meinte heute morgen, tagsüber sind's die Russen, in der Nacht die Ukrainer... Innerhalb der Stadt ist der Bewegungsradius wieder etwas grösser geworden, an ein Verlassen der Stadt ist nach wie vor nicht zu denken.

Um 8.30 Uhr hatten wir ein beinahe normales "Businessmeeting" mit unseren MyPAR-Kolleginnen und -Kollegen. Sie sind froh, wenn sie etwas zu tun haben. Unser Eindruck ist, dass sie fokussierter und konzentrierter arbeiten können als noch vor einer Woche. Wir freuen uns darüber und geben die Hoffnung nicht auf, dass wir bald wieder eine "stabil sichere" Lage haben werden.

17. März 2022 - 23:15

Erst heute gegen Abend hat Tanjas Freundin Luda von ihrer Freundin, deren Aufenthaltsort zwischen Cherson und Mykolajiw gestern beschossen wurde, ein Lebenszeichen erhalten. Sie konnte in Richtung Mykolajiw fliehen.

Lena hat einen Teil des überwiesenen Geldes unseren Vertrauenspersonen weitergegeben und selber wieder Hilfe geleistet. Medikamente, Hygieneartikel, Lebensmittel, aber auch Tierfutter werden dringend benötigt.

Panzer und patroullierende Truppen wie auch die langen Warteschlangen überall gehören schon fast zum "gewohnten" Stadtbild.

17. März 2022 - 11:00

Die letzte Nacht war zum Glück wieder etwas ruhiger. Wir haben von allen das morgendliche "Lebenszeichen" erhalten.

16. März 2022 - 22:45

Heute gibt es eine Mischung aus guten und bedrückenden Nachrichten:

Wir freuen uns über einen fast normalen Arbeitstag unserer ukrainischen MyPAR-Kollegen. 

Tagsüber blieb es verhältnismässig ruhig. Die gestrigen Detonationen sind auf die Zerstörung einiger russischer Helikopter, die in der Nähe des Flughafens stationiert waren, und eines Munitionsdepots zurückzuführen. Alles, was man erklären kann, lässt sich besser einordnen und verarbeiten.

Oma Galina ist heute in ihrer Wohnung gestürzt. Das passiert ihr ab und zu, wenn sie "vergisst", dass sie nur noch ein Bein hat. Wir sind jedes Mal extrem dankbar, wenn das glimpflich ausgeht. Nicht auszudenken, wenn sie jetzt einen Arzt bräuchte oder sogar ins Spital müsste. Obwohl sie ursprünglich aus Russland kommt, ist sie hart im Nehmen wie eine echte Ukrainerin...

Etwa auf halbem Weg zwischen Kherson und Mykolajiw wurde heute offenbar die kleine Ortschaft Possad Pokrowske stark beschossen. Lena und Sascha und auch Tanjas Freundin Luda haben Freunde dort, von denen sie seither nichts mehr gehört haben. Wir hoffen, dass sie sich rechtzeitig haben in Sicherheit bringen können.

16. März 2022 - 10:15

Unsere Lieben haben in fast allen Stadtteilen eine eher unruhige Nacht hinter sich, sind aber wohlauf. Teile des Flughafens oder des Militärstützpunkts in der Nähe waren erneut unter Beschuss. Es herrscht zwar relative Ruhe, aber die Situation bleibt brenzlig. Ein Ziel der Invasion dürfte die Einnahme der gesamten ukrainischen Schwarzmeerküste von Mariupol bis Odessa sein. Auf dieser Linie liegen kleinere Städte wie Berdjansk, Melitopol, Mykolajiw und eben Kherson. Diese versuchen einerseits, so lange wie möglich militärisch Widerstand zu leisten, um Angriffe auf Odessa zu verhindern. In der Vergangenheit war diese Gegend Russland gegenüber durchaus freundlich gesinnt. Die Ereignisse der letzten drei Wochen haben die Haltung bei der Bevölkerung komplett verändert. Mit Protesten und Kundgebungen setzt sich die Zivilbevölkerung zur Wehr. Das ist nicht ungefährlich.

15. März 2022 - 23:30

Mir ist heute ein Stein vom Herzen gefallen: Lena hat das überwiesene Geld endlich erhalten. Eigentlich innerhalb einer ganz normalen Frist, wie früher auch - aber dieses Mal kam es mir vor wie eine Ewigkeit. Zusammen mit unseren nächsten Freunden und Angehörigen wird sie in den nächsten Tagen wieder Nothilfe leisten. Es braucht vor allem Medikamente und Lebensmittel.

Es scheint heute wieder unruhiger zu sein. Offenbar versuchen ukrainische Truppen, Gebiete um den Flughafen zurück zu erobern. Zum ersten Mal seit Tagen waren aus der Wohnung von Lena und Sascha wieder Rauchsäulen zu sehen.

Trotzdem sieht man mehr Leute auf der Strasse. Einerseits fällt den Menschen zunehmend die Decke auf den Kopf. Dazu muss man wissen, dass die Wohnverhältnisse im Vergleich zur Schweiz viel enger sind: die meisten Familien wohnen in 2-3 Zimmer Wohnungen mit deutlich geringerer Fläche als bei uns. Zudem ist das Wetter etwas frühlingshafter geworden, was den Drang nach draussen zu gehen, zusätzlich verstärkt.

15. März 2022 - 10:45

Glücklicherweise war auch die letzte Nacht verhältnismässig ruhig. Unter "verhältnismässig" kann man auch verstehen, man hat sich langsam daran gewöhnt... Nach wie vor sind wir jeden Morgen erleichtert, von allen ein kurzes Signal zu erhalten, dass alles in Ordnung ist.

Tanja ist auch heute wieder beim Bundesasylzentrum im Einsatz.

14. März 2022 - 22:15

Auf allen Schulstufen hat heute in Kherson tatsächlich der Unterricht wieder angefangen, nur online natürlich. Aber immerhin gibt das den Kindern und Jugendlichen wieder eine gewisse Tagesstruktur. Viele waren seit fast drei Wochen kaum mehr draussen.

Sascha war heute nach längerem wieder mal mit dem Auto unterwegs - und hat sich prompt unvermittelt inmitten von russischen Panzern wiedergefunden. Sehr verstörende Momente bis er in die nächste Seitenstrasse abbiegen konnte, berichtet er. Immerhin konnte er einen Kanister Benzin auftreiben.

Lena war wieder auf "Shopping-Tour" und hat von jemandem aus Dankbarkeit für ihr Engagement einen halben Liter Milch erhalten. Das erste Glas Milch nach knapp drei Wochen...

Tanja hat heute erneut den ganzen Tag für ankommende Flüchtlinge übersetzt. Wie letzte Woche ging es darum, passende Plätze für die Unterbringung zu finden. Aufgrund des Status S, der bisher in der Schweiz noch nie zur Anwendung kam, gibt es noch viele Unklarheiten. Aber es wird angepackt und gehandelt. Alle geben auch hier ihr Bestes.

14. März 2022 - 10:00

Ein guter Start in die Woche: wir hatten ein kurzes Team-Meeting. Alle konnten sich mit Video zuschalten, was soviel bedeutet, dass bei allen die Internet-Verbindung wieder gut funktioniert. Ausser im Stadtteil, in dem Lena und Sascha wohnen, ist es überall weitgehend ruhig geblieben.

13. März 2022 - 21:30

Es bleibt kompliziert und angespannt... Es ist völlig unklar, wie es weitergeht. Es gibt Anzeichen für ein ähnliches Vorgehen wie 2014 auf der Krim und im Donbass: lokale Behörden entfernen (dabei reicht das Spektrum von freiwillig den Posten Räumen bis für immer Verschwinden), "Unabhängigkeits-Referendum" organisieren (Ergebnis von vornherein klar, oft mit gekauften Statisten), neue lokale (Marionetten-)Regierung einsetzen. Ob das in Kherson ebenso funktioniert ist fraglich. Auch dieses Wochenende gab es wieder zahlreiche Demonstrationen gegen die russische Besatzung.

Immerhin war der Sonntag in Kherson verhältnismässig ruhig. Alle helfen sich so gut es geht gegenseitig aus, sei es mit Waren oder auch einfach mit Informationen, wo man was bekommen kann. Die städtischen Trolleybusse fahren und sind auch gut besetzt. Es hat wieder etwas mehr Menschen auf den Strassen.

13. März 2022 - 11:30

Die letzte Nacht war bis in den Vormittag hinein unruhig. Jetzt scheint sich die Lage etwas beruhigt zu haben.

Im Gegensatz zu hier ist das Wetter immer noch ungewöhnlich winterlich, die Temperaturen deutlich unter dem üblichen März-Niveau. Wir hören von vielen Leuten, dass die ganze Situation sehr auf die Moral schlägt. Die gegenseitige Unterstützung ist hingegen nach wie vor immens. Wir wünschen uns, dass die Menschen vor Ort gerade am heutigen Sonntag irgendeinen kleinen Lichtblick erleben.

12. März 2022 - 23:00

Heute Abend kamen die Detonationen wieder näher. Lena und Sascha verbringen den Grossteil des Abends im Korridor.

Ganz allgemein ist die Situation in Kherson angespannt. Gerüchte machen die Runde, dass es - genauso wie 2014 auf der Krim - ein Referendum geben soll zum Anschluss der Region Kherson an Russland. Die Bevölkerung ist empört - nicht zuletzt auch, weil das Ergebnis wohl schon zum voraus klar ist...

Die Sache mit dem Inhalationsgerät hat übrigens gut geendet: das Gerät ist wieder aufgetaucht. Im Normalfall wäre sowas keine Erwähnung wert, in der aktuellen Situation wird's plötzlich zum kritischen Moment.

12. März 2022 - 10:45

Auch letzte Nacht Schüsse und Detonationen nur aus der Ferne und in grösseren Abständen.

Wie auch hier in der Schweiz geht der Alltag irgendwie weiter, für die Menschen in Kherson aber nach wie vor alles andere als normal. Zwei Geschichten dazu aus unserem weiteren Umfeld:

Heute Vormittag hat uns Tamara, die Nachbarin und Betreuerin von Tanjas Mutter, von einer Bekannten erzählt, deren Mutter (altershalber) gestorben sei. Mehrere Tage war unklar, ob und wie eine Beisetzung stattfinden kann. Dann erhielt die Tochter einen Anruf: ihre Mutter sei beerdigt worden, das sei die Grabnummer. Der städtische Friedhof befindet sich zwischen der Stadt und dem Flughafen, also genau im Gebiet, wo nach wie vor Gefechte oder Scharmützel im Gang sind.

Die Jugendfreundin, die zu Beginn auf die Datscha geflohen ist (und immer noch dort festsitzt) hat erzählt, ihr fast blinder Vater habe sein Inhalationsgerät verloren. Viele Nachbarn helfen suchen. Lena und Sascha versuchen, irgendwo Ersatz aufzutreiben - bisher erfolglos. Vor dem Krieg wäre das eine kurze Besorgung in der Apotheke um die Ecke gewesen.

11. März 2022 - 21:45

Heute haben die Schulen bei Eltern mit schulpflichtigen Kindern nachgefragt, wer sich noch in der Stadt befinde und online erreichbar sei. Offenbar ist geplant, ab nächster Woche den Unterricht online wieder aufzunehmen. Das wäre sehr gut - fehlt doch den Kids seit zwei Wochen die Tagesstruktur und Beschäftigung. Für Yaroslav, den Sohn von Lena und Sascha, und natürlich auch viele andere stehen diesen Frühling die Maturaprüfungen an. Wir hoffen sehr, dass es irgendeinen Weg geben wird, die Schule wie geplant abschliessen zu können. Wie der geplante Studienbeginn nach den Sommerferien aussieht steht natürlich komplett in den Sternen.

Ansonsten ist es den Tag über ruhig geblieben. So richtig traut der Ruhe aber niemand.

Wir haben heute zum zweiten Mal Geld überwiesen. Rund 20% der bisher eingegangenen Spenden konnten wir so bereits weitergeben.

11. März 2022 - 10:45

Unsere Lieben haben die ruhigste Nacht seit Kriegsbeginn hinter sich. Das heisst, es waren zwar Schüsse und Detonationen zu hören, aber nicht in diesem Umfang und nicht so nah wie in den letzten zwei Wochen. Das macht Hoffnung.

Die Versorgungslage scheint sich auch etwas zu beruhigen, man habe den Eindruck, die Schlangen würden etwas kürzer. Vermutlich haben sich viele Leute in den letzten zwei Wochen mit allem Möglichen eingedeckt, sodass die Käufe jetzt zurückgehen.

Zum ersten Mal gab es heute wieder frische Milch - zum zehnfachen Preis wie vor zwei Wochen... Das heisst nicht, dass alle Preise in diesem Ausmass gestiegen sind, aber die Tendenz zeigt natürlich schon nach oben.

Ganz langsam erweitert sich der Bewegungsradius der Leute wieder etwas. Wir hören von schrecklichen Bildern an den vor einer Woche umkämpften Orten rund um Kherson. Offenbar wurden Opfer bis heute nicht weggebracht. Und das in einer verhältnismässig wenig umkämpften Gegend. Unvorstellbar wie die Zustände in den unter Dauerbeschuss stehenden Städten sein müssen.

10. März 2022 - 22:15

Schöne Überraschung für Oma Galina: Nachdem Ende Februar die Auszahlungen zunächst ausgeblieben waren hat sie heute wider Erwarten ihre Rente erhalten. Wie auch schon vor dem Krieg bar auf die Hand. Das ist im Moment ein grosser Vorteil: elektronische Zahlungsmittel werden zwar grösstenteils noch akzeptiert, aber bei leeren Bankomaten und nur teilweise geöffneten Banken greift wohl die alte Weisheit "Nur Bares ist Wahres".

Hauptbeschäftigung auch heute: Schlange stehen.

10. März 2022 - 09:45

Alle sind wohlauf.

Es ist kalt geworden in Kherson und hat sogar ein wenig geschneit. Das ist sehr aussergewöhnlich Anfang März - wäre wohl Thema Nummer eins in andern Jahren... Die Häuser und Wohnungen werden nach wie vor geheizt, drum ist das hier kein grösseres Problem. Einzig beim langen Anstehen wird's frostig.

Lena organisiert die Einkäufe für Notleidende. Oft kann sie selber keine grösseren Mengen einkaufen, Bekannte stehen dann in der Schlange und sie geht von Ort zu Ort, um zu bezahlen...  

9. März 2022 - 23:15

Ausnahmsweise beginne ich mit uns hier in der Schweiz: die riesige Beteiligung der Schweizer Bevölkerung am heutigen Nationalen Solidaritätstag der Glückskette ist sehr, sehr eindrücklich und stimmt dankbar. Dass die Solidarität wirkt sehen wir anhand von Fotos, die Lena heute geschickt hat. Ein erstes Ergebnis der Soforthilfe, die wir dank euren Spenden leisten konnten.

Tanja hat heute den ganzen Tag in einem der sieben Bundesasylzentren übersetzt. Es ging darum, ankommende Flüchtlinge Haushalten, die sich mit freien Wohnkapazitäten gemeldet hatten, zuzuweisen. Dabei wird so gut wie möglich auf die gegenseitigen Bedürnisse Rücksicht genommen, damit die Platzierung für beide Seiten stimmig ist. Das Engagement der Gastgeber ist eindrücklich. Obwohl noch viel unklar ist aufgrund des erstmals eingesetzten Status "S" kümmern sie sich spontan um Abklärungen mit Schulen usw.

Aus Kherson hat man heute Meldungen gelesen, dass mehrere Hundert Demonstrierende verhaftet wurden. Das schreckt natürlich auf, auch wenn wir wissen (und hoffen), dass sich alle unsere Angehörigen und Freunde vorsichtig verhalten. Aber wer kann es den Leuten verübeln, wenn sie ihren Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung kund tun? Auch in der Ukraine war das bis am 24. Februar ohne Konsequenzen möglich.

9. März 2022 - 10:45

Wisst ihr, was Graupen sind? Eben... Das war's, was unsere Freundin Luda gestern nach 2.5 Stunden anstehen kaufen konnte. Zum Glück funktioniere Google, da fände sie sicher ein Rezept...

Die Nacht war mässig ruhig, je nach Stadtteil. Nach wie vor vergeht kein Tag, keine Nacht ohne Detonationen in der näheren Umgebung. Glücklicherweise nicht in der Stadt oder in dichter bewohntem Gebiet. Trotzdem belastet und stresst das enorm. Aber natürlich kein Vergleich zu dem, was die Menschen in Kharkiv, Mariupol, Kiev und weiteren Städten jetzt grad durchmachen.

8. März 2022 - 23:00

Moderne Kommunikationsmittel sei Dank wurden die Frauen in Kherson und wohl der ganzen Ukraine trotz Krieg zum heutigen 8. März mit Blumen beschenkt. Nein, nicht von Fleurop - nur mit Bildern. Die gegenseitige Unterstützung und Solidarität untereinander ist riesig. Eigentlich nicht erstaunlich: genau so kennen wir die Ukrainerinnen und Ukrainer auch aus friedlichen Zeiten.

Sehr eindrücklich nehmen wir dieselbe Solidarität und Anteilnahme auch hier wahr. Vielen herzlichen Dank!

8. März 2022 - 08:30

Der 8. März - Weltfrauentag - ist in der Ukraine wie auch in Russland ein wichtiger Feiertag, an dem Frauen mit Blumen beschenkt und verwöhnt werden. In der Geschichte beider Länder gab es immer wieder Jahre, in denen dieser Tag unter besonders schwierigen Umständen gefeiert werden musste. "Warum auch 2022?" fragen wir uns.

Es war eine "normale" Nacht mit einigen Detonationen aus der Ferne, die den Schlaf rauben oder zumindest unterbrechen. Viele nehmen Medikamente, um besser schlafen zu können. Aber das Wichtigste für den Moment: wir haben Nachricht von allen unseren Lieben, die Verbindung funktioniert gut.

7. März 2022 - 21:45

Heute war ein Tag mit einigen Highlights, die wir euch nicht vorenthalten möchten:

Das erste erreichte uns kurz vor dem Mittag: der per heute (!) überwiesene Geldbetrag wurde Lena bereits gutgeschrieben und sie konnte das Geld schon weiterleiten und so erste Hilfe leisten.

Später am Tag erhielten wir ein Foto von Lena und Sascha zusammen mit einem befreundeten Paar gemeinsam am Tisch beim Kaffee trinken. Für eine kurze Zeit ein Stück zurückeroberter Normalität.

Und heute Abend hat spontan eine Nachbarin bei uns vorbeigeschaut, die Anfang der 90er Jahre mit ihrer jungen Familie vor dem Bosnienkrieg geflohen ist. Viele Meldungen, die uns aktuell aus der Ukraine erreichen, wecken bei ihr schmerzhafte Erinnerungen. Es tat gut, sich mit ihr über ähnliche Erfahrungen auszutauschen, die unsere Lieben jetzt grad durchmachen. Wir sind so dankbar über die aktuellen Kommunikationsmöglichkeiten und die täglichen Kontakte. Damals hörte man oft wochen- oder sogar monatelang nichts über den Verbleib der nächsten Angehörigen.

7. März 2022 - 10:00

Heute Vormittag hatten wir einen Call mit unseren MyPAR-Mitarbeitenden. Alle sind soweit wohlauf, sie haben das Wochenende grösstenteils in den eigenen vier Wänden verbracht. So gut es geht und die Internet-Verbindung es zulässt arbeiten sie heute.

Wir sind froh um jede Nacht und jede Stunde, in denen es einigermassen ruhig ist. Die Lage ist aber nach wie vor extrem angespannt, an ein Verlassen der Stadt ist nicht zu denken.

6. März 2022 - 21:30

Auf allen möglichen Kanälen haben wir heute immer wieder versucht, unsere Lieben zu erreichen. Erst im späteren Nachmittag haben sich Telefon- und Internet-Verbindungen wieder stabilisiert, sodass wir mit Oma Galina und Lena sprechen konnten.

Tanjas Mutter geht es den Umständen entsprechend gut. Gerade ältere Menschen können sich erstaunlich gut auf die Situation einstellen. Belastend ist für Viele, wie sich die Leute künftig begegnen werden. Kherson ist ein "melting pot" unterschiedlicher Nationalitäten. Wie schnell wird ein friedliches Miteinander wieder möglich? Wird man noch sagen dürfen, dass man ursprünglich russischer Herkunft ist?

Lena ging es heute Abend sehr schlecht. Der ganzen Familie fällt die Decke auf den Kopf. Während der Pandemie konnte man wenigstens jederzeit ohne Angst nach draussen gehen. Nun sollte man die Wohnung wirklich nur noch für die nötigsten Besorgungen verlassen. Es tummeln sich verschiedenste Gestalten auf der Strasse, denen man auch ohne Pandemie nur mit grossem Abstand begegnen will. In den ersten Tagen des Kriegs machten die Detonationen ringsum Angst. Diese sind weniger geworden. Dafür nehmen die anarchischen Zustände und natürlich die totale Ungewissheit, was die nächsten Tage und Wochen bringen zu.

In den hiesigen Medien wurde Kherson mehrfach erwähnt und gezeigt. Die Berichte decken sich weitgehend mit dem, was wir von unseren Leuten auch hören. Manchmal geht aus den Berichten nicht hervor, dass mit Kherson sowohl die Stadt wie auch der Bezirk ("Oblast") gemeint sein kann (also wie bei Bern: Stadt und Kanton). So wurde z.B. die kritische Versorgungslage mit Lebensmitteln erwähnt. Das trifft zu für kleinere Städte und Ortschaften des Bezirks Kherson, die Stadt Kherson selber scheint aktuell noch über genügend Lager zu verfügen.

6. März 2022 - 09:00

Bisher haben wir heute nur zwei von unseren Leuten per Chat erreicht. Es scheint, dass die Internet-Verbindungen jetzt deutlich instabiler sind als in der ersten Woche des Krieges. Die Nacht sei einigermassen ruhig verlaufen, was uns schon mal beruhigt. Gerade eben haben wir die Push-Nachricht erhalten, dass die CH-Kreditkarte, die wir vor Ort haben, in einem Supermarkt belastet wurde. Daraus schliessen wir, dass Lena und Sascha zum Einkaufen nach draussen gehen konnten.

Wir hoffen auf einen Sonntag ohne weitere Spannungen.

5. März 2022 - 21:15

Der heutige Tag war für viele Leute in Kherson geprägt von langem Anstehen für Wasser und Lebensmittel - und von Demonstrationen! Mit etwas gemischten Gefühlen nehmen wir zur Kenntnis, dass in Kherson in praktisch allen Stadtteilen für die Unabhängigkeit der Ukraine demonstriert wurde. Gemischte Gefühle deshalb, weil das einerseits brandgefährlich ist: die Präsenz der russischen Truppen ist real. Andererseits staunen wir über den Willen der Bevölkerung, für ihr Land einzustehen. Das ist umso erstaunlicher, weil gerade Kherson bisher als eher pro-russisch galt. Die Demonstrationen werfen auch Fragen auf, wer jetzt wirklich die Kontrolle über die Stadt hat.

Hier sind wir den Samstag ruhig angegangen, bemühen uns so gut es geht, am Wochenende unsere Batterien aufzuladen. Dabei helfen auch eure Nachrichten, Anrufe, Gespräche. Das sind echte Energierationen!

Ach ja, da war doch mal noch eine Pandemie! Die Ukraine ist verhältnismässig gut durch die letzten beiden Jahre gekommen - nicht zuletzt möglicherweise dank eines "pragmatischen" Umgangs: Viele Ukrainerinnen und Ukrainer haben diese Situation einfach als eine weitere von vielen Krisen der letzten 30 Jahre gesehen und sind entsprechend "gelassen" damit umgegangen. Genauso wie in der Schweiz ist das Virus natürlich immer noch da, aber komplett aus dem Fokus verschwunden. Das zeigen auch die Zahlen: seit einer Woche wird offenbar kaum mehr getestet/geimpft.

5. März 2022 - 10:15

Heute sind wir mit der Ungewissheit aufgestanden, ob die Telefon- und Internet-Verbindung wohl noch funktioniert. Unsere Bedenken haben sich zum Glück nicht bestätigt: die Verbindung war heute sogar wieder etwas stabiler als gestern. Alle sind wohlauf. In der Nacht gab es einzelne Explosionen - so absurd das klingt haben sich die Menschen schon etwas daran gewohnt.

4. März 2022 - 22:30

Heute gab es zum ersten Mal längere Verbindungsunterbrüche (Telefon und Internet) und Verdachtsmomente, dass die Kommunikation abgehört wird (z.B. Verbindungsabbrüche bei der Verwendung von bestimmten Wörtern). Sind wir jetzt schon paranoid oder ist da tatsächlich etwas dran? Schaut man nach Russland, dann ist alles im Bereich des Möglichen: heute wurde in der Duma, der einen Parlamentskammer, ein Gesetz verabschiedet, welches die Meinungsfreiheit weiter stark einschränken wird. Auf die Verwendung der Begriffe "Krieg" oder "Invasion" im Zusammenhang mit der Ukraine stehen lange Gefängnisstrafen, Proteste werden mit harter Hand unterdrückt. Immer mehr Leute in Russland leiden unter den Sanktionen. Ihre Ersparnisse zerrinnen ihnen zwischen den Fingern. Das steht natürlich in keinem Verhältnis zum Leiden der Menschen in den kriegsversehrten Städten. Trotzdem schauen wir nach Russland: einerseits haben wir auch dort (entfernte) Verwandte, andererseits dürfte eine baldige Entschärfung auch davon abhängen, ob und wie rasch das russische Volk erkennt, was in der Ukraine gerade passiert.

Tagsüber war es in Kherson ruhig. Sascha ging "kurz" einkaufen: 4 Stunden anstehen für Wasser. Aber immerhin: es gibt Wasser und Lebensmittel.

Via zwei in der Schweiz lebende Ukrainerinnen hören wir Schreckliches aus den stark umkämpften Städten im Osten: beide haben seit drei Tagen keine Nachrichten mehr von ihren dort lebenden Eltern und Verwandten gehört.

Tanja hat heute zum ersten Mal einen Übersetzungseinsatz gehabt für ein geflüchtetes Paar - um die 50 Jahre alt - aus Luhansk im Osten der Ukraine, wo seit 2014 Krieg herrscht. Sie sind in den frühen Morgenstunden des 24. Februars in ihr Auto gestiegen und auf direktem Weg in den Westen und über die Grenze gefahren. Sie sind tief beeindruckt von der Wärme und Solidarität, mit der sie hier aufgenommen und betreut werden.

Seit heute haben wir Zugriff auf das Spendenkonto. Uns fehlen die Worte ob eurer Grosszügigkeit! DANKE, DANKE. ❤️

4. März 2022 - 10:30

Die letzte Nacht war für unsere Lieben vor Ort wieder unruhig und sehr belastend. Einerseits wurde der lokale Flughafen noch weiter bombardiert (wie gestern schon von der Ukraine, um Nachschubwege zu erschweren), andererseits hört man von einem Brand in einem rund 250km entfernten Atomkraftwerk.

Am Vormittag haben wir fast eine Stunde mit allen unseren MyPAR-Mitarbeitenden gesprochen. Wir sind sehr dankbar, dass sie und ihr unmittelbares Umfeld unversehrt sind. Der "Business-Part" war am heutigen Weekly natürlich nur sehr kurz. Wir haben heute erstmals eine mögliche Flucht aus Kherson angesprochen und sie aufgefordert, sich Gedanken zu machen, ob und wenn ja mit wem sie gegebenenfalls die Stadt verlassen würden. Nächste Woche werden wir das mit ihnen vertiefen. Uns scheint wichtig, einen Plan zu haben - immer noch in der Hoffnung, dass er nicht nötig ist.

Als Soforthilfe werden wir spätestens Anfang nächster Woche an 5-8 nahestehende Kontakte je ca. 200 CHF überweisen. Dieses Geld sollen sie fürs Nötigste für sich, aber auch für Notleidende in ihrem Umfeld nutzen können. Aktuell wirkt das auf sie noch etwas surreal, da es zurzeit kaum Möglichkeiten gibt einzukaufen und das Geld auszugeben. Wir sind aber sicher, dass sich das rasch wieder ändern wird und man wohl schneller Geld ausgeben muss als Geld in Form von Löhnen und Renten ausbezahlt wird...

3. März 2022 - 22:30

In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag haben laut übereinstimmenden Informationen ukrainische Kräfte den eben erst renovierten und erweiterten Flughafen zerstört - wohl um Nachschubwege zu unterbrechen. Am frühen Morgen geht die Information um die Welt, Kherson stehe als erste grössere Stadt unter russischer Kontrolle. Ob vollständig und wie dauerhaft darf bezweifelt werden. Immerhin blieb es den ganzen Tag ruhig und wir konnten alle endlich etwas durchatmen. Erstmals wagen sich die Leute wieder vor die Haustür und beginnen langsam zu realisieren, was in den letzten Tagen geschehen ist. Sie stehen immer noch unter Schock. Fast alle, mit denen wir heute gesprochen haben, sind in Tränen ausgebrochen.

Wenn ich Bilder aus Kharkiv, Donezk, Mariupol, Kiev sehe, dann werden Tausende Erinnerungen an meine ersten Reisen Anfang der 90er-Jahre wach. Ich frage mich, wie es den vielen Freunden und Bekannten aus dieser Zeit geht und mache mir Vorwürfe, dass ich mir nie die Zeit genommen habe, sie auf den sozialen Medien ausfindig zu machen. Wie viel einfacher ist es doch heute, mit Leuten, die man nicht mehr regelmässig sieht, in Kontakt zu bleiben!

3. März 2022 - 08:30

Wie man heute Vormittag auch den hiesigen Medien entnehmen konnte ist Kherson nun vollständig in russischer Hand. Was das genau bedeutet muss sich in den nächsten Stunden und Tagen zeigen...

Tanja hat vorhin mit ihrer Mutter telefoniert. Auf der Durchgangsstrasse vor ihrem Wohnblock sehe man ab und zu Panzer vorbeifahren und einzelne Soldaten. Ansonsten sei alles ruhig.

2. März 2022 - 23:00

Zum Glück ist es auch am Nachmittag und Abend ruhig geblieben. Die Menschen sind aber immer noch aufgefordert, ihre Häuser nicht zu verlassen und halten sich auch weitgehend daran. Zu gross ist die Angst, unvermittelt zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.

Unsere Leute haben heute sogar ein wenig gearbeitet. Der Chat-Verlauf hat sich fast wie gewohnt gelesen: "Nimm diese Version." - "Probier das noch." - "Bin fertig.". Aber eben: mehr als ein paar Stunden geht im Moment nicht.

Tanja war ebenfalls fleissig: in den letzten Tagen hat sie mit den Kolleginnen des Soroptimist Clubs Thun, in dem sie seit vielen Jahren Mitglied ist, ein Spendengefäss geschaffen, das wir euch gerne ans Herz legen: Hier spenden

2. März 2022 - 11:45

Letzte Nacht und auch heute Vormittag war es in Kherson zum Glück verhältnismässig ruhig. Alle sind den Umständen entsprechend wohlauf. Was genau unter wessen Kontrolle ist, ist unklar - und wohl im Moment auch zweitrangig. Hauptsache, die Menschen bleiben verschont.

Tanja und ich versuchen so gut es geht zu arbeiten. Die Ablenkung hilft einerseits, aber ob du willst oder nicht schweifen die Gedanken trotzdem immer wieder ab.

1. März 2022 - 22:30

Wir sind froh ist dieser Tag zu Ende! Kurz vor dem Mittag und am früheren Nachmittag wurden mehrere Wohnblöcke im Stadtteil getroffen, der genau zwischen den Wohnorten von Lena/Sascha/Yaroslav und Oma Galina liegt. Luftlinie also nur ein paar Hundert Meter. Mehrere Bewohner seien dabei ums Leben gekommen - wie viele genau ist unklar. Ein Einkaufszentrum, in dem wir regelmässig einkaufen, sei ebenfalls teilweise zerstört.

Nach wie vor spüren wir hier eine riesige Anteilnahme. Vielen herzlichen Dank für alle eure Gedanken, Gebete und Angebote für (finanzielle) Unterstützung.

1. März 2022 - 10:00

Unser neues Morgenritual, an das wir uns NIE gewöhnen wollen (aber im Moment ungemein beruhigt): Lena/Sascha/Yaroslav ✅, Roman ✅, Serhii ✅, Vika ✅, Galina 📞🆗

Die Schlinge um die Stadt Kherson zieht sich immer enger. Es scheint, dass Truppen in die Stadt vordringen. Zum Glück nur vereinzelt Gefechte. Es ist einfach ein Pulverfass...

28. Februar 2022 - 22:15

Man hört oft aus Krisengebieten, dass sich die Menschen sehr schnell wieder versuchen, eine Normalität zu erarbeiten. Auch in Kherson zeigt sich das: die Kehrichtabfuhr hat heute wieder funktioniert, Strassen werden gereinigt, der Stadtpräsident hat Apotheken dazu aufgerufen, geöffnet zu bleiben und an den Handel appelliert, die Preise nicht unnötig zu erhöhen.

Insgesamt bleibt die Situation aber sehr belastend und ungewiss. Ein Wegkommen aus der Stadt ist nach wie vor weder auf dem Landweg noch sonstwie möglich. Wir hören von Bekannten, die in den ersten Stunden auf ihre Datscha ausserhalb der Stadt geflohen sind, und jetzt dort festsitzen. Gefangen in der Heimatstadt oder an dem Ort, der den Russen und Ukrainern heilig ist: die Datscha.

28. Februar 2022 - 10:00

Heute früh hatten wir einen kurzen Call mit unseren ukrainischen Mitarbeitenden. Es ist für uns eine grosse Erleichterung, alle unversehrt zu sehen und zu hören. Nach wie vor sitzt der Schock über die Ereignisse der letzten Tage tief. Trotzdem sind alle im Rahmen der Möglichkeiten und so gut es geht am Arbeiten. Was für ein Dreamteam!

27. Februar 2022 - 20:30

Im Gegensatz zu Kharkiv (im Osten) und Kiev war es heute in Kherson weitgehend ruhig. Es scheint so, dass sich alle Truppen in Richtung Odessa und/oder Kiev bewegen. Der Flughafen von Kherson scheint gemäss übereinstimmenden Aussagen in einen Militärflughafen umfunktioniert worden zu sein. Es wird erwartet, dass er als Basis für Nachschub genutzt werden wird.

Lena, Sascha und Yaroslav haben für einen kurzen Besuch bei Oma Galina vorbeigeschaut. Bei dieser Gelegenheit haben sie für sich und andere in einer der noch geöffneten Apotheken der Stadt Medikamente und Brot besorgt.

Uns hier in der Schweiz lässt das Thema natürlich auch kaum los. Nach dem ersten Schock beginnen wir uns Gedanken zu machen, was wir hier tun können.

27. Februar 2022 - 09:00

"HAPPY" BIRTHDAY Oma Galina! Das erste grosse Geschenk zum 85. Geburtstag war eine ruhige Nacht. Wie feiert man in einer solchen Situation Geburtstag? Da gibt es wohl keine und viele Antworten... Dieser Tage habe ich einen Bericht einer Frau gelesen, die über ihre Erfahrungen im Jugoslawienkrieg berichtet hat. Eine Aussage war, dass die Menschen sich sehr rasch wieder eine "Normalität" erarbeiten - auch wenn die ganz anders ist als vorher. Viele Nachbarn haben angekündigt, kurz vorbei zu schauen. Wenns ruhig bleibt gehen Sascha, Lena und Yaroslav auch kurz vorbei. Kein Festessen wie gewohnt, diesmal müssen ein paar vor kurzem "importierte" Schweizer Pralinen reichen, hat Oma Galina vorhin gemeint, als wir gratuliert haben.

26. Februar 2022 - 23:45

Heute war es den ganzen Tag verhältnismässig ruhig. Doch die Angst und Verunsicherung der Leute ist riesig: war's das nun oder ist es bloss die Ruhe vor dem Sturm?

Die Versorgungslage in Kherson ist von Stadtteil zu Stadtteil unterschiedlich: teilweise sind kaum mehr Lebensmittel erhältlich, andernorts siehts besser aus. Die Läden sind nur noch sporadisch geöffnet. Grundsätzlich hat sich die Bevölkerung aber gut mit Vorräten eingedeckt. Solange Strom, Wasser und Gas vorhanden sind, sollten die nächsten Tage oder sogar 1-2 Wochen gut überbrückbar sein.

Die Solidarität untereinander und die Hilfsbereitschaft sind enorm. Lena und Sascha haben heute dabei geholfen, eine Turnhalle in eine Notunterkunft für Frauen und Kinder aus dem gestern heftig umkämpften Vorort Antonov umzubauen.

Am späteren Nachmittag haben wir von allen unseren Mitarbeitenden die Nachricht erhalten, dass sie wohlauf sind. Wir sind dankbar.

Um die Stadt herum Richtung Westen (Nikolaev, Odessa) gibt es immer noch starke Truppenbewegungen. An ein Wegkommen aus Kherson ist im Moment nicht zu denken.

26. Februar 2022 - 11:45

Wir konnten uns heute Vormittag per Chat und Telefon austauschen. Die Nacht war ruhig. Am Vormittag waren Lena, Sascha und Yaroslav kurz zu Hause, um zu essen und zu duschen. Jetzt sind sie zurück in den Schutzräumen, es sind wieder Explosionen zu hören. Die Lage ist unübersichtlich.

25. Februar 2022 - 18:45

Das Wichtigste und Positive vorneweg: alle unsere Verwandten und Bekannten in Kherson sind wohlauf und die Kommunikation funktioniert immer noch einwandfrei.

Die meisten haben den Tag weitgehend in Schutzräumen verbracht. Kherson steht nach wie vor unter Beschuss, offenbar auch das Stadtviertel, in dem Sascha und Lena wohnen. Wir vermuten, dass dort gelegene militärische Einrichtungen Ziel der Angriffe waren. Tanja hat gegen Abend mit ihrer Mutter gesprochen - im Hintergrund waren Explosionen zu hören. "Ah ja, das geht schon den ganzen Tag so...". Wir sind beeindruckt, wie ruhig und gefasst trotz allem die Leute sind. Aber schon jetzt ist klar: es wird nichts mehr so sein wie vorher. Wir merken ja schon hier, was das im Kopf mit uns macht. Unvorstellbar, wenn man vor Ort erleben muss, was gerade geschieht.

25. Februar 2022 - 10:30

Die Nacht sei einigermassen ruhig gewesen. Heute Vormittag kam jedoch die Anordnung der Behörden, sich in Schutzräume zurückzuziehen. Man rechnet heute mit weiteren Gefechten rund um die zerstörte Antonov-Brücke, von der ich gestern geschrieben hatte.  Offenbar wird an der Seite gegenüber der Stadt Artillerie mit einer Reichweite stationiert, die die rund 15km entfernte Stadt erreichen könnte.

Lena und Yaroslav haben in einer Schule Schutz gesucht, Sascha ist zusammen mit Sabi, ihrem Hund, in seiner Garage. Galina bleibt in ihrer Wohnung. Sie ist auf den Rollstuhl und entsprechende Infrastruktur (Bad, WC etc.) angewiesen. Zudem wurden die Lifte in den Häusern abgestellt, weil die Stromversorgung nicht sichergestellt werden kann und niemand stecken bleiben soll.

Von unseren Mitarbeitenden hatten wir heute Vormittag nur mit Roman Kontakt, von Viktoria haben wir nur eine kurze Meldung erhalten und von Serhii haben wir bisher nichts gehört, wissen aber, dass er in Kherson geblieben ist. Gestern war er noch unsicher, ob er zu seinen Eltern gehen soll, die ausserhalb der Stadt leben.

24. Februar 2022 - 18:00

Die Lage in und um Kherson im Süden der Ukraine hat sich im Lauf des Tages zugespitzt. In diesem Gebiet befinden sich wichtige Verbindungswege und Infrastruktur (Wasser, Strom) für die Krim. Diese scheinen gänzlich unter russischer Kontrolle. Eine Brücke einige km ausserhalb von Kherson auf der Verbindungsstrasse zur Krim ist heftig umkämpft und wohl nicht mehr passierbar. Einer unserer Mitarbeiter wohnt ausserhalb der Stadt in dieser Richtung und passierte diese Brücke bis gestern regelmässig, um zur Arbeit zu kommen. Virtuelles Arbeiten von zu Hause aus ist Alltag für uns - trotzdem ein komisches Gefühl, wenn man plötzlich nicht mehr frei entscheiden kann.

Unsere Familien haben sich mit Lebensmitteln eingedeckt und halten sich nun zu Hause still. Eine Ausreise scheint aktuell unmöglich. Der Weg zur Grenze ist zu weit und zu gefährlich und Treibstoff Mangelware.

24. Februar 2022 - 11:30

Heute früh um 6 Uhr wurden wir von einem Anruf von Lena, unserer Schwägerin, aus dem Schlaf gerissen. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits im ganzen Land Explosionen hörbar, offenbar wurden vor allem militärische Einrichtungen angegriffen. Aus dem Fenster von Lena war in Richtung des Flughafens, in dessen Nähe sich eine Militärbasis befindet, eine Rauchsäule sichtbar. Auch in den pessimistischsten Szenarien hatten wir uns noch am Tag zuvor nicht vorstellen können, dass es soweit kommen würde. 

Ob eine Ausreise aktuell überhaupt noch möglich wäre ist fraglich. Tanjas Mutter schliesst das aktuell kategorisch aus - das "lohne" sich in ihrem Alter nicht mehr. Sie wird am nächsten Sonntag 85-jährig. Mit Sascha und Lena haben wir solche Szenarien bisher nicht besprochen. Ein guter Freund von uns, der seit einigen Jahren in der Ukraine lebt, ist gestern mit seiner Familie in die Schweiz zurückgekehrt.

Um 8.30 Uhr haben wir mit unseren Mitarbeitenden vor Ort, zu denen auch Lena zählt, einen Video-Call durchgeführt, um die aktuelle Situation zu besprechen. Wir können aktuell nicht viel mehr tun, als ihnen unsere Hilfe und Unterstützung zuzusichern und ihnen alle Freiräume zu geben, für ihre eigene Gesundheit und Sicherheit zu sorgen. Wir setzen alles daran, dass sie die Arbeit möglichst "normal" fortsetzen können - nicht zuletzt auch, um eine Beschäftigung und etwas Ablenkung zu haben. 

Die Stimmung kann man wohl am ehesten als surreal bezeichnen, eine Mischung zwischen Schockstarre, Angst und Panik. Bereits im Lauf des Vormittags war es kaum mehr möglich, Bargeld zu beziehen, vor Tankstellen bildeten sich sofort lange Schlangen, seit Mittag gibt es kaum mehr Benzin. Lebensmittel sind aktuell noch genügend vorhanden, alle decken sich mit dem Notwendigsten ein - aber wer weiss schon, was das "Notwendigste" ist?

Die Schulen haben bereits heute wieder auf Fernunterricht umgestellt. Niemand hätte gedacht, dass das so schnell wieder ein Thema wird - und erst recht nicht aus diesem Grund!